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Der Forschungsstand zur Vergletscherungsgeschichte wurde in Kapitel 1.4 reflektiert. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss über die eigenen Geländebefunde zur vorzeitlichen Vergletscherung gegeben werden, da sie im Hinblick auf die Genese der Eisrandtäler von tragender Bedeutung ist.

Detailbeschreibungen zu diesem Themenkomplex finden sich im regionalen Teil der Arbeit. Generell zeigt sich im Karakorum eine bemerkenswert gute Überlieferung der vorzeitlichen Vergletscherungsspuren wie in kaum einem anderen Hochgebirge.

Die deutlichsten Spuren der vorzeitlichen Vergletscherungsausdehnung sind die mächtigen Hangmoränen oberhalb der rezenten Gletscher im lateroglazialen Ablagerungsraum sowie talabwärts der aktuellen Gletscherzungen. In allen Talschaften verkleiden Hangmoränen bis zu über 1000 m über dem Talboden die Talflanken (ITURRIZAGA 1999a, 2003). Eingeschaltet in die Hangmoränen sind basal oftmals glaziofluviale Ablagerungen der folgenden Gletscherrückzugsphasen sowie der vorzeitlichen lateroglazialen Ablagerungsräume („Kameterrassen“).

Grundmoränendecken, die mit Artemisia und höhenwärts mit alpinen Rasengesellschaften überzogen sind und äußerlich reinen periglazialen in situ-Schuttdecken ähneln, verkleiden die Hänge insbesondere im lateroglazialen Bereich. Dass es sich um glazigene Ablagerungen handelt, wird neben den darin enthaltenen Erratika insbesondere daran deutlich, dass isoliert stehende Erdpyramiden von bis zu 3 m Höhe dem Hang aufgesetzt sind (Kap. 5.1) und eine weiterflächige Moränenverkleidung implizieren (z.B. am Hispar-Gletscher bei Skambarish in 4200 m Höhe). Erratika befinden sich an den Talflanken bis in eine Höhe von rund 4100 m (z.B. auf der rechten Hunza-Talseite oberhalb von Borith Jeel in 4100 m, auf der rechten Khurdopin-Gletscherseite in 4100 m, auf der rechten Karambar-Talseite gegenüber der Einmündung des Chillinji-Gletschers in 4000 m).

Beim glazigenen Abtragungsformenschatz vermisst man die Kare im Karakorum. Sie sind vergleichsweise selten vertreten. Auch die klassischen Trogtäler sind nicht präsent. Auf den flacher geneigten Zwischentalscheiden fallen schroffe Felsburgen auf, die sich hahnenkammartig auf der Gratlinie entlang ziehen (z.B. am Rash Lake in 4700 m, oberhalb der Yazghil-Alm in 4200 m, auf dem Lupghar/Momhil-Pass in 4200 m). Die Existenz solcher Tors werden in der Glazialmorphologie als Beleg dafür verwandt, dass diese Bereiche vorzeitlich nicht vergletschert waren, da diese Felsburgen ansonsten durch den Gletscherschliff erodiert worden sein müssten. Die angesprochenen Lokalitäten im Karakorum sind allerdings hocheiszeitlich noch vom Eis überflossen worden, wie dies die Arbeiten von KUHLE (2001) belegen. Diese Spornbereiche befanden sich in der Konfluenzlinie zweier zusammenlaufender Gletscher. Es ist möglich, dass die obersten Felsbereiche nunataka-artig aus der Gletscheroberfläche hinausgeragt haben. KUHLE (2001) weist in seinen Untersuchungen nach, dass es sich bei Moränenakkumulationen im Talgrund von bis zu mehreren hundert Meter Mächtigkeit um Grundmoränen handelt und damit eine erheblich höhere Eismächtigkeit vorlag als bisher angenommen.

Die Formen der subglazialen Schmelzwassererosion kommen am deutlichsten in den Klammen zum Ausdruck, z.B. am Shimshal-Talausgang. Strudeltöpfe als Belege der vorzeitlichen Vergletscherung sind im Karakorum seltener anzutreffen als im Himalaya. Die größten Strudeltöpfe konnten auf der linken Buattar-Talseite in 3600 m Höhe entdeckt werden (Kap. 4.5). Sie erstrecken sich kataraktartig über eine Vertikaldistanz von mehreren Dekametern.

In den Tieflagen um die 1500 m bis 3000 m sind im Granit häufig schalenförmige Hohlformen ausgebildet (z.B. an der N-exponierten Talflanke oberhalb von Gilgit in 1700 m Höhe oder oberhalb des Borith Jeel-Sees in 2660 m Höhe). Über die Genese dieser Hohlformen in den Gesteinsoberflächen besteht auch in anderen Mittel- und Hochgebirgsregionen seit langem Uneinigkeit darüber, inwieweit es sich hierbei um chemische Verwitterungsformen oder Vergletscherungsspuren handelt (vgl. ORTLAM 1994). Diese kolkartigen Formen sind relativ klein, d.h. etwa handbreit bis allerhöchstens kopfgroß. Sie treten teilweise zu Dutzenden und in linearer Anordnung auf den Felsoberflächen auf. Auf den ersten Blick erscheinen sie an manchen Lokalitäten wie Bohrlöcher und muten wie künstliche Hohlformen an, die maschinell in den Fels eingelassen

wurden. Sie sind zum Teil senkrecht zur steilstehenden Felsoberfläche eingetieft. Sowohl die exakte geometrische Form als auch die Eintiefungsrichtung spricht gegen Verwitterungsprozesse. Auf der orographisch rechten Karambar-Gletscherseite konnten in einer Höhe von 2920 m solche Hohlformen auf einer erst jüngst vom Gletschereis freigegebenen Felsfläche vorgefunden werden, die keine andere als die glazigene Genese in Frage kommen lässt, da der Bildungszeitraum für Verwitterungsprozesse zu kurz wäre. In den Hohlformen selbst war grobkörniger Schutt abgelagert.

2.5.1 Die transglaziale Sedimentlandschaft

Die Karakorum-Landschaft ist durch ihre Fülle an Lockermaterialsedimenten gekennzeichnet (Abb.

2.3). Als dominierender Prozess der Gesteinsdesintegration im Hochgebirge – insbesondere in Schneegrenzlage – gilt bislang die mechanische Gesteinsaufbereitung in Form der Frostverwitterung (GOUDIE 1984). Schutthalden werden allgemeinhin als Kennform der Periglazialregion interpretiert (STÄBLEIN1977) und auch im Karakorum werden sie in diesem Sinne genetisch gedeutet (HEWITT

1989). Frostwechsel treten zwar im Karakorum zu jeder Jahreszeit in alternierenden Höhenbereichen auf (HEWITT 1968 b, 1989: 14), jedoch ist es fraglich, inwieweit eine morphologische Wirksamkeit der Frostwechsel besteht. Die Höhenzone zwischen 4000 m – 6000 m bietet in den Monaten Mai bis Oktober gute Ausgangsbedingungen für Frostverwitterungsprozesse. Bei Niederschlagswerten zwischen 500 mm und 1000 mm sowie Temperaturen, die sich um den Gefrierpunkt bewegen, sind sowohl die für die Frostverwitterung notwendige Feuchtigkeit als auch Frostwechsel vorhanden. Das Hauptverbreitungsgebiet der Schutthalden reicht jedoch weit unterhalb die Schneegrenze. Die Niederschlagssummen in den Tallagen in einer Höhe von 2000 m – 3000 m liegen unter 200 mm /Jahr, so dass das notwendige Wasser für gesteinssprengende Prozesse fehlt.

L. Iturrizaga

Abb. 2.3: Hypsometrische Verbreitung ausgewählter Schuttkörpertypen im Karakorum

Bereits die weite hypsometrische Verbreitung der Schutthalden impliziert, dass diese Formen nicht klimatisch-gebunden sein können. Vielmehr belegen glazialmorphologische Untersuchungen, dass der Großteil des Schuttkörperaufkommens im Karakorum maßgeblich an die eiszeitlichen Vergletscherungsausmaße gebunden ist, d.h. glazigen geprägt ist (ITURRIZAGA 1999a, 1999b). Ein Großteil der Schuttkegel im Karakorum ist auf die Resedimentation von spätglazialen Hangmoränen

2. Die naturräumliche Ausstattung des Karakorum 30

zurückzuführen (Abb. 2.3). Die Moränen sind oftmals soweit aufgezehrt, dass das ursprüngliche Schuttliefergebiet nicht mehr erkenntlich wird. Lediglich kleine dreiecksförmige Moränenüberbleibsel beiderseits der Apexregion der moränalen Schuttkegel unterhalb von geschützten Felsbastionen vermögen einen Hinweis auf das Ausgangsmaterial zu geben. Vielerorts ist auch die Disproportionalität zwischen der Größe von Einzugsgebiet und Aufschüttungsform augenfällig. Am Ausgang kleinräumiger Talkessel sind überproportional große fluvial-geprägte Schuttkörper aufgeschüttet. Erst die Beteiligung von resedimentierten Moränenablagerungen aus dem Nebental am Schuttkörperaufbau sowie eines Grundmoränenfundamentes im Haupttal lassen die großen Dimensionen der Schuttkörper verständlich werden. Der duale Schuttkörperaufbau aus spätglazialem Moränenmaterial an der Basis und darauf eingestellten postglazialen Schuttlieferungen ist kennzeichnend für den transglazialen Schuttkörperaufbau. Das Moränenfundament kann sukzessive von den postglazialen Hangprozessen verkleidet werden, so dass diese Schuttkörper einen heute nicht mehr erkenntlichen Moränenkern besitzen. Bei dem Moränenkern handelt es sich oftmals um relikte lateroglaziale Sedimente. Neben der direkten Umlagerung von glazigenen Sedimenten prägen glazigene Residualschuttkörper die Landschaft, d.h. aus dem Moränenmaterial durch post-sedimentäre Prozesse herauspräparierte Schuttkörper. Die rezenten lateroglazialen Sedimente sind in einer Höhe zwischen 2350 m und 5200 m abgelagert. Abb. 2.4 zeigt zusammenfassend einen Überblick über die transglaziale Landschaft. Für ein besseres Verständnis der Genese und Charakteristika dieses Formenschatzes sollen die vorliegenden Untersuchungen hinsichtlich der rezenten lateroglazialen Sedimentkomplexe weitere Informationen liefern.

2.5.2 Die glazial-induzierten Massenbewegungen

Aus der skizzierten Vergletscherungsausdehnung, die übersteilte Gesteinshänge sowie Sedimentakkumulationen hinterlassen hat, resultiert die postglaziale Transformation der glazigen-geprägten Tallandschaft in eine Ausgleichslandschaft. Die rezenten Massenbewegungsprozesse kreieren dabei nicht die heute dominanten Hangformen, sondern zerstören primär eine ältere Form, nämlich das hoch- bis späteiszeitliche Glazialrelief. Die Größe und Mächtigkeit von Schuttkörpern sowie daraus abgeleitete Sedimentationsraten lassen keine Rückschlüsse auf deren Alter zu.

Extremereignisse, die einen großen Anteil der Schuttkörper in nur wenigen Stunden, Tagen oder Monaten aufbauen, wechseln mit langandauernden Ruhephasen bzw. sukzessivem Schuttkörperaufbau. Die höchsten großflächigen Hangmoränenvorkommen, die für den transglazialen Schuttkörperaufbau eine Rolle spielen, reichen im Karakorum generell bis in Höhen von etwa 3600 m hinauf, vereinzelt auch höher. Höhenwärts sind sie zumeist nur noch sporadisch in Form vereinzelter Moränendecken und Erratika überliefert. Insbesondere an den Konfluenzlagen treten voluminöse Hangmoränen in Erscheinung (Kap. 4.4.4).

Unterschiede in der Vegetationsbedeckung spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle für den Ablauf geomorphologischer Prozesse. In vielen Gebieten existieren keine geschlossenen Waldareale, die einen Einfluss auf die sedimentäre Hangstabilität haben könnten. Starkniederschläge gehören zu den wichtigsten Auslösefaktoren für Massenbewegungen, sowie z.B. im September 1992 (HEWITT

1993, ITURRIZAGA1994, 1996).

Die Resedimentation von Hangmoränen in moränale Schutthalden, Schwemmkegel und Murkegel findet vor allem in der Höhenstufe zwischen 3000 m und 1500 m statt (Abb. 2.4). Hier kann zwischen Residual-, Resedimentations- und Nachbruchschuttkörpern unterschieden werden (ITURRIZAGA1999a, 2005a). Der Schuttkörperaufbau im Karakorum ist wesentlich durch die glazial-induzierte Nachbruchdynamik geprägt. Die durch die Deglaziation hervorgerufene Druckentlastung und das fehlende Widerlager des Gletschers sowie aber auch die unmittelbare glazigene Unterschneidung führt an übersteilten Talflanken zu diversen Nachbruchschuttkörpern. Fast in jedem historischen Gletschervorfeld lässt sich anschaulich nachvollziehen, dass Gletscherrückgang und Schutthaldenbildung unmittelbar miteinander verzahnt sind. Die Kernzone der glazigen-induzierten Nachbrüche liegt zwischen 2500 m und 3500 m.

L. Iturrizaga

Abb. 2.4: Die transglaziale Schuttkörperlandschaft