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3. Die Eisrandtäler: Eine Einführung in die lateroglazialen Sedimentations- komplexe

3.4 Lateroglaziale Terrassen: Eisrand- , Kame- und Uferterrassen

Die bekannteste Landschaftsform im lateroglazialen Bereich ist die Kameterrasse. Im Verlaufe der vorliegenden Arbeit soll näher reflektiert werden, in wieweit diese Sedimentationsform an den Karakorum-Gletschern ausgebildet ist. Die Schlüsselfrage ist, in welcher Form die Eisrandtäler nach dem Niederschmelzen des Gletscherkörpers überliefert werden. Nach der Deglaziation existieren allerdings eine Vielzahl von konvergenten terrassenförmigen Ablagerungen, deren Genese es zu rekonstruieren gilt. Die Bezeichnung „Kameterrasse“ geht zurück auf SALISBURY (1893), während JAMIESON (1874) bereits zuvor auf die Eiskontaktterrassen in Schottland aufmerksam wurde (zit. aus FLINT1971: 209). In der Folgezeit unterlag dieser Term unterschiedlichen genetischen Ausdeutungen und wurde für die Beschreibung der verschiedenartigsten Landschaftsphänomene im Gletscherrandbereich verwendet. Grundlegender terminologischer Konsens herrscht darüber, dass es sich bei der Kameterrasse um eine Akkumulationsform handelt, die während des Abschmelzens des Gletschers am lateralen Eisrand abgelagert wird (ice desintegration forms). Die meisten Autoren gehen dabei von einem fluvioglazialen, geschichteten Sedimentaufbau aus (EHLERS 1994). Bezüglich des Substrats und der Form ist die Kameterrasse leicht mit einer rein fluvialen Terrasse zu verwechseln. Ihre Höhe liegt im Meter- bis Dekameterbereich, in einzelnen Fällen wird auch von größeren Exemplaren berichtet. Die Kameterrasse wird zumeist zum weiteren Formenschatz der kame-and-kettle-Topographie gerechnet. SCHREINER (1997) führt an, dass die Kameterrasse von

eisrandlichen Schmelzwasserströmen zwischen Gletschereis und Talflanke anstelle von einer Seitenmoräne abgelagert wurde.

Im Gegensatz zur Flussterrasse, die ein Relikt einer ehemaligen ganzsohligen Talverfüllung darstellt, besaß eine Kameterrasse niemals wesentlich größere Ausmaße als zum derzeitigen Zeitpunkt (FLINT

1971: 209). Die Uferkanten der Kameterrasse stellen Steilwandformen dar, die auf den Entzug des Gletscherwiderlagers zurückgehen. Sie werden erst nach der Deglaziation sekundär durch fluviale Unterschneidung weiterhin versteilt. Kameterrassen können sowohl auf der talhangzugewandten Seite der Ufermoränen auftreten – also im Ufertal – oder auch an der gletscherzugewandten Seite, an der Lokalität, wo subsequente Moränenwälle ihre Anlagerung an die ältere Ufermoräne finden (FLINT

1971: 201 & 209, WINKLER1996: 100).

Die Kameterrasse wird einhellig mit dem Gletscherrückzug verknüpft und oftmals in ihrer Genese mit einer von Toteis durchsetzten Eiszerfallslandschaft assoziiert (kame-and-kettle-Topographie). Die Frage ist jedoch, wie bei einem allmählich austauenden Gletscher die prägnante Steilstufe der Kameterrasse entsteht. Beim derzeit zurückschmelzenden Hispar-Gletscher beispielsweise wird eine Moränenhügellandschaft vom Eis preisgegeben, aber keine Eisrandterrasse. Einige Autoren monieren, dass die Bezeichnung der Kameterrasse an sich ungünstig gewählt sei, da sie mit dem eigentlichen Kamewenig gemeinsam hat (AHNERT1996).

KLOSTERMANN (1999: 58) liefert eine alternative Genese der Kameterrassen. Hier wird von einer Ineinanderschachtelung verschiedener Terrassengenerationen im Eisrandtalbereich ausgegangen. Das lateroglaziale Eisrandtal wird einem unvergletscherten Talabschnitt mit mehrstufiger und insbesondere paarweiser fluvialer Terrassenbildung gleichgesetzt. Grundlegendes Merkmal der Kameterrasse ist jedoch ihre asymmetrisch einseitige Genese in Form der Gegenschüttung. Ungeachtet dieser Missdeutung des Begriffes der Kameterrasse wurde solch eine Formensequenz in den Eisrandtälern des Karakorum nur sehr selten beobachtet. Ein- bis zweistufige Terrassen, d.h. lateroglaziale fluviale Terrassen, konnten nur in seltenen Fällen, wie z.B. bei Guchisim am linken Batura-Gletscherufer oder am linken Biatar-Gletscherufer vorgefunden werden. So ist auch das Vorkommen terrassierter Schwemmkegel aus den Nebentälern im Eisrandtal eher selten.

Was überaus erstaunt, ist die Tatsache, dass bei allen Definitionen der Kameterrasse die eigentliche Genese, d.h. die Herkunft der Schuttablagerungen, ungeklärt bleibt. Auch die zahlreichen graphischen Darstellungen geben immer nur eine Sektion des Gletscherkörpers im Talgefäß preis (JAMIESON 1874, MARCINEK 1984, FLINT 1957, VANHUSEN 1987, FLINT 1971, KLOSTERMANN 1999). Sie zeigen die Kameterrassen als durch einen parallel zum Gletscher verlaufenden Bachlauf aufgeschüttet. Es wird jedoch nicht erkenntlich, woher diese glaziofluvialen Schmelzwässer stammen. Vermutlich wird davon ausgegangen, dass en- oder subglaziale Schmelzwasser am Rande des Gletschers zu Tage kommen und zwischen Felsflanke und Gletscherkörper abfließen. Solche morphologische Situationen sind im Karakorum allerdings recht selten. Derartige Aufschüttungen liegen im Bereich von lediglich 10 m – 30 m Länge und hinterlassen nach Abschmelzen des Gletschers keine prägnanten Terrassen.

Der Einlauf von Schmelzwässern in den bergseitigen Bereich wird durch die Abschirmung der Ufermoräne verhindert.

In den Hochgebirgen Asiens wurden Kameterrassen bis auf wenige Ausnahmen (KUHLE1991) kaum als morphologische Erscheinungen erörtert. So kann es vorkommen, dass fluviale Terrassen mit eigentlichen Kameterrassen bzw. Eisrandterrassen verwechselt werden, ähnlich wie dies in den Alpen in Bezug auf die Inntalterrasse geschehen ist (BOBEK 1935, v. KLEBELSBERG 1950). KUHLE(1991:

1991: 150) versteht als Kameterrasse die nach dem Gletscherrückzug hinterbliebenen Akkumulationen, die von Schwemmkegeln aus den Nebentälern gegen den einstigen Hauptgletscher geschüttet wurden. Es handelt sich also primär um sedimentäre Gegenschüttungen, die von der Bergseite stammen. Damit werden den Kameterrassen ihre glaziofluvialen Sedimenteigenschaften sowie die charakteristische Schichtung abgesprochen. Die zusammengesetzte, nach der Deglaziation vom Eis freigegebene Form aus Ufermoräne und Kameterrasse wird von KUHLEals "Uferbildung"

benannt, "paraglaziale Bildungen" werden mit Ufersandern, die in den Ufertälern zwischen Ufermoräne und Talflanke aufgeschüttet werden, gleichgesetzt. Die durch die Ufermoräne abgeschirmten Eisrandterrassen im Karakorum sind auch im Aufbau begriffen, wenn der Gletscher zurückschmilzt. Die Nebentalsedimente hinterfüllen den bergseitigen Raum der Ufermoräne. Ebenso

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profitieren die Eisrandterrassen bei einem Gletschervorstoß von der supraglaziären Überschüttung der Ufermoräne und sind somit auch im Aufbau begriffen.

Die Kameterrassen (oder Eisrandterrassen) können eng verknüpft mit der Ufermoräne sein. Die Ufermoräne ist als Trennungswall zwischen Gletscher und angrenzender Talflanke von entscheidender Bedeutung für die lateroglazialen Entwässerungsverhältnisse. Die Ufermoräne unterbindet weitgehend die Beteiligung der Schmelzwässer des Hautgletschers am Aufbau des Schotterkörpers im Eisrandtal.

Wenn die Nebentäler des vergletscherten Haupttales eisfrei sind, werden in die Eisrandtäler rein fluviale Schottersohlen bzw. Schwemmkegel aufgeschüttet und keine Ufersander. Insofern sind die oft als "Ufersander" angesprochenen Ablagerungen im Ufertal nicht wirklich glazifluvialer Genese.

Die lateroglazialen Sedimente können auch als Uferterrasse ausgebildet sein. v. KLEBELSBERG (1948:

248) stuft diese Uferterrassen als degradierte Ufertäler ein. Der Ufermoränenwall wird durch die Unterschneidung des Gletschers abgetragen. Beispiele für Ufermoränenterrassen liegen auf der linken Hassanabad-Talseite, in den unteren Gletscherabschnitten des Hispar- und Rakhiot-Gletschers vor. Es lässt sich letztendlich nicht mehr nachweisen, ob die heutigen Terrassen jemals einen Ufermoränenwall besessen haben. Die Uferterrassen sind häufig aus Moränenmaterial aufgebaut, so dass es sich um eingeebnete Grundmoränenreste handeln kann.

L. Iturrizaga

Abb. 3.7: Schematischer Entwurf der Genese der lateroglazialen Sedimentausräume nach a) WORKMAN 1910 und in Anlehnung an b) VISSER 1928, 1938 (Ablationstäler)

Entlang des mittleren Biafo-Gletscherabschnitts sind breite Eisrandtäler ohne einen ausgeprägten Ufermoränenwall ausgebildet. Rezent wird eine eismarginale Sedimentationsform gebildet, die nach Abschmelzen des Gletschers als eine Terrassenform ohne Wallbegrenzung in Erscheinung treten wird.

Eine inverse Entwicklung ist bei der Uferterrassengenese auch in Erwägung zu ziehen. Das Eisrandtal wird allmählich mit Sedimenten aus den Nebentälern aufgeschottert und bildet im vorläufigen Finalstadium eine Fläche mit dem Ufermoränenfirst bzw. überschüttet ihn.

WORKMAN (1910) zog am Beispiel des Hispar-Gletschers in Erwägung, dass es sich bei den Eisrandtälern um Relikte interglaziale Schottereinfüllungen handeln könnte. WORKMAN (1905: 253) stuft die sog. "maidans" (Eisrandtäler) als Terrassenrelikte ein, auf die nachträglich die Ufermoränen abgelagert worden sind (Abb. 3.7).

L. Iturrizaga

Entwicklung der Eisrandterrassen aus

A Ufermoränentälern (häufigste Form der lateroglazialen Sedimentkomplexe im Karakorum) B Kameterrassen

C Interglazialen Schottereinfüllungen

Abb. 3.8: Ausgewählte Entstehungsmöglichkeiten von Eisrandterrassen

Die grundlegende Frage bei den Uferterrassen ist, ob sie jemals einen zusammengehörigen Komplex darstellten, d.h. den gesamten Talboden ausfüllten und die Bildung der Terrassen erst nachträglich im Laufe der Deglaziation durch den Prozess der fluvialen Einschneidung erfolgte (Einschneidungsterrassen) oder aber stellen sie a priori Gegenschüttungen wider das Gletschereis dar

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und sind damit als von der Einschneidung unabhängige Bildungen zu betrachten (Widerlagerterrassen). Abb. 3.8 fasst die unterschiedlichen Entstehungsverläufe von Eisrandterrassen zusammen. Dabei ist zu beachten, dass die Ausbildung der Eisrandterrassen nicht symmetrisch auf beiden Talseiten erfolgen muss.

Ufersander (Kameterrasse) und Sanderkegel: v. KLEBELSBERG (1948: 300) hebt für die zentralasiatischen Gebirge die Ufersander als lateroglaziale geomorphologische Form hervor. Unter dem Begriff des "Ufersanders" werden die durch die seitlichen Gletscherschmelzwasser aufgeschütteten Schotter verstanden. Die Ablagerungsrichtung verläuft parallel zur Fließrichtung des Gletschers. Diesbezüglich ergeben sich jedoch grundlegende Unterschiede zwischen Gletschern mit und ohne Eisrandtal. Wenn ein durch einen Ufermoränenwall abgetrenntes Eisrandtal besteht, ist der Gletscher vom Eisrandtalboden abgeschottet, so dass der Gletscher keinen Beitrag mehr zur Aufschotterung der eismarginalen Sedimente leisten kann.

Die Ufermoräne verhindert in der Regel, dass das Gletscherschmelzwasser talhangseitig abfließt. Im Karakorum sind reine Ufersander selten anzutreffen. Beim Gletscherrückzug im Karakorum kommt es zumeist nicht zur Ufersanderbildung. Der Gletscher sinkt innerhalb seiner Ufermoränenfassung ein und bildet subsequente Wälle am Innenhang der Hauptufermoräne.

Mit Abschmelzen des Gletschers werden immer breitere laterale Sedimentationsräume am Gletscherrand freigegeben. Der Gletscher behält im Gesamtverlauf der Deglaziation relativ lange seine Breite bei. Die bis zu über 1000 m mächtigen Gletscherkörper (wie der Baltoro-Gletscher im Bereich von Concordia) sinken unter Beibehaltung ihrer Breite oberflächlich ein. Erst zum Ende der Enteisungsphase nimmt die Gletscheroberflächenbreite – auch bedingt durch das Tal- bzw.

Sedimentbettprofil – sprunghaft ab.

v. KLEBELSBERG (1948) versteht unter den Sanderkegeln gletscherseitig geschüttete Schuttkörper, die sich zu einem gletscherparallelen Sanderstreifen zusammenfügen können. "Von der Bergseite können sich auf auch minder oder nicht glazial beeinflusste Schwemmkegel dazu gesellen." (v. KLEBELSBERG

1948).