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3. Die Eisrandtäler: Eine Einführung in die lateroglazialen Sedimentations- komplexe

3.2 Randschluchten, Ablations-, Ufer- und Eisrandtäler

Unterschiedliche morphologische Verzahnungsformen zwischen Gletscher und begrenzender Talflanke sind bereits früh in der Literatur vermerkt und thematisiert worden, jedoch in der Folgezeit recht wenig weiter erörtert worden (Abb. 3.2). Bereits Mitte des 19. Jhds. wurde STRACHEY(1847, zit.

aus JORSTAD 1957: 98) auf die Ausräume im Gletscherrandbereich aufmerksam und erkannte am Pindari-Gletscher (Kumaon-Himalaya/Indien) die Auswirkungen der Wärmerückstrahlung des anstehenden Gesteins auf die Gletscherrandbereiche: „I also observed, that almost everywhere a space was left between the rock and the ice, the latter appearing to shrink from contact with the former. This was of course the effect of the heat of the rock melting the ice.“ Die gesteigerte Ablation des Gletschers im Felsbereich wurde von weiteren Autoren beobachtet, aber nicht weiter terminologisch definiert (1885: 221, CRAMMER 1905: 128, ODELL 1925: 306). FRESHFIELD (1902: 469) vermerkte die ausladenden Talungen unter anderem neben dem Zemu-Gletscher im Ost-Himalaya und führte ihre Genese auf die fluviale Resedimentation älterer Ufermoränen zurück: „The long green valleys beside the glaciers are a feature of Sikhim, and a great convenience to travellers. Possibly they are preserved by torrents issuing from side glens, which by constantly washing away the lateral moraines retrain the main glaciers from pressing the hillside.”

Im Karakorum hat OESTREICH (1906, 1911/12) als erster Forscher die „Randschluchten“ entlang des Chogolungma-Gletschers als singuläre Erscheinungen im Sinne von Ablationsphänomenen im Karakorum beschrieben und damit auch genetisch gedeutet. Der von OESTREICH verwandte Begriff der "Randschlucht" wird im weiteren Verlauf auch von FLAIG (1938: 112) sowie von KOCH &

WEGENER (1930: 397) gebraucht, wobei letztere Autoren ihn auf eine durch Winderosion hervorgerufene Trennungshohlform beziehen (JORSTAD 1957: 98). DISTEL (1925) bezeichnet unter der

„Randkluft“ eine Ablationshohlform, die an der Schwarz-Weiß-Grenze zwischen Fels und Gletscher zur Ausbildung kommt. Die Randkluft ist eine Spalte, die an Kar- und Talgletschern im oberen Talschlussbereich auftritt und das Gletschereis vom anstehenden Gestein trennt. Sie wird durch verstärkte Ablationsprozesse an aufgewärmten Gesteinsoberflächen hervorgerufen, spiegelt aber auch die abwärtsgerichtete Eisbewegung von der Talflanke hinweg wider (v. KLEBELSBERG 1948/49, BENN

& EVANS 1998: 213). MAIR & KUHN (1994) haben gezeigt, dass die Randklüfte eher durch basales Gleiten entstehen. Die Randklüfte befinden sich zumeist im Gletschernährgebiet. Abzugrenzen davon ist als weitere Hohlform im eismarginalen Bereich der Bergschrund, eine transversale Zerrungsspalte, die unbewegliches von bewegtem Eis trennt (WILHELM 1975). Hier sei noch auf die Arbeiten in Skandinavien von MANNERFELT(1949) hingewiesen, der an Gletschern mit geringem Gefälle u.a. im lateralen Bereich Schmelzwassereinschneidung bei zurückweichenden Gletschern als typische Deglaziationsformen herausgestellt hat.

VISSER (1928, 1938: 37) bemerkte auf seinen zahlreichen Forschungsreisen im Karakorum, dass die von OESTREICH beschriebenen Randschluchten keine Einzelerscheinung sind. Er deutete sie als ein Charakteristikum der Gletscher des subtropischen Hochgebirges. Um Verwechslungen mit anderen geomorphologischen Formen zu vermeiden, gab er den Randschluchten zuerst den Namen

"Ablationstal" (1928: 182 ff.), später "Ablationsschlucht" (1938: 37) und übernahm damit die von OESTREICH hervorgehobene genetische Interpretation der Wärmerückstrahlung. Später berichtet FINSTERWALDER (1932: 24) von "Ablationstälern" an Gletschern im Pamir (Notgemeinschafts-Gletscher) sowie SCHWARZGRUBER (1939: 24) von "Ablationsschluchten" im Kumaon-Himalaya.

FLAIG (1938: 149) bezeichnet die durch die Ufermoräne von der Talflanke abgesetzten Hohlformen am Beispiel des Macugnaga-Gletschers in der Monte Rosa-Gruppe in den Alpen als "Abschmelztäler".

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A Ablationstal zwischen Gletscher und Talflanke B Ablationstal zwischen Gletscher und Ufermoräne

C Supraglaziale laterale Depression D Ufersander E Eisrandtal mit Ufermoräne (Ufermoränental) F Eisrandterrasse

Abb. 3.2: Ausgewählte Typen von Eisrandformationen

Allerdings kam es in der Folgezeit zu einer von vielen Autoren bereits schon frühzeitig monierten Begriffsverwirrung zwischen der reinen Ablationshohlform (Ablationstal) und dem sedimentverfüllten Außental der Ufermoräne (Ufertal) (V. KLEBELSBERG 1938: 309 f., KICK1956, PAFFEN et al. 1956, RÖTHLISBERGER1986, HEWITT 1989, HEWITT 1993). So wurde die Bezeichnung „Ablationstal“ nicht

nur für die Hohlform zwischen Gletschereis und Talflanke, sondern auch für die breiten lateroglazialen Sedimentkomplexe verwendet (z.B. VISSER 1938).

Bei V. KLEBELSBERG (1938: 309, 1949: 815) taucht für die Ufermoränenaußentäler der genetisch neutrale Begriff der "Ufertäler" und auch der „Ufertalung“ (1949: 816) auf. PAFFEN et al. (1956: 21) sprechen von „Eisrandtälern“ und KICK (1956) von dem „Außental der großen Ufermoräne“. Der Begriff „Ufertal“ stimmt etwas unzufrieden, da man das „Ufer“ eher mit den randlichen Gefilden von Gewässern in Verbindung setzt und zum anderen das Vorhandensein einer Ufermoräne zu implizieren vermag. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb der Begriff „Eisrandtal“ für die Beschreibung der lateroglazialen Bereiche gewählt, die sowohl die Gesamtheit der Sedimentkomplexe im randglazialen Bereich anspricht als auch die Hohlformen, d.h. das Ablationstal. Wenn eine Ufermoräne vorhanden ist, bietet es sich an explizit von Ufertal zu sprechen. Der Schwerpunkt liegt auf der Beleuchtung der Genese der lateroglazialen Sedimentkomplexe. Beim Ufertal oder Eisrandtal handelt es sich natürlich nicht im strengen Sinne um ein wahres Tal, da sie kein kontinuierliches Gefälle besitzen. Allerdings übernehmen sie die Funktion von „peripheren Entwässerungstälchen“, wie sie HAFFNER (1972) in Anlehnung an VISSER bezeichnet.

Obwohl die Bezeichnung „Ablationstal“ für die Gesamtheit der lateroglazialen Landschaftsformen vielfach in der Literatur kritisiert wurde (HEWITT 1993), ist er erstaunlicherweise derzeit noch weit verbreitet (z.B. SHARMA et al. 1996, SHRODER et al. 2000, KAMP 2001). Insbesondere in der englischen Terminologie besteht kein wahres Pendant zum Begriff der „Ufer-„ oder „Eisrandtäler“.

Zumeist taucht der Begriff „ablation valley“ auf (MASON 1930, SCHOMBERG 1936 am Barum-Gletscher im Hindukusch). HEWITT (1993) benennt die Eisrandtäler als „valley-side depressions“ oder

"ablation valley complexes". Die Verfasserin schlägt für die englische Terminologie den Begriff der

„lateroglacial valleys“ oder „ice-marginal valleys“ vor (ITURRIZAGA2001, 2003). Abb. 3.3 zeigt einen Querschnitt durch ein typisches Eisrandtal.

L. Iturrizaga

Abb. 3.3: Die geomorphologischen Einheiten des Eisrandtals

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In der Arbeit erfolgten die Untersuchungen vornehmlich im Gletscherzehrgebiet unterhalb einer Höhenlage von 5000 m. Nur selten besitzen die Karakorum-Gletscher in ihren Randbereichen im Ablationsgebiet unmittelbaren Talflankenkontakt. Zumeist werden sie von mehr oder weniger breiten Sedimentkomplexen vom Anstehenden separiert oder sind durch eine Trennungsfuge vom Fels getrennt. Die terminologische Beschreibung dieses Ausraumes zwischen Gletscherkörper und Talflanke in seinen unterschiedlichen Variationen ist in sedimentologischer Hinsicht bislang nur wenig beschrieben worden.

Die Untersuchung der Ablationsformen ist nicht expliziter Bestandteil der vorliegenden Arbeit zumal für deren Erforschung umfangreiche Strahlungs-, Temperatur- und Ablationsmessungen notwendig gewesen wären und auch andere Gletscherrandbereiche bevorzugt aufgesucht hätten werden müssen.

Im Rahmen der Arbeit stehen die Sedimentationsformen im lateroglazialen Bereich im Vordergrund.