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4. Regional-empirischer Teil

4.4 Die Gletscher der Hispar-Nordabdachung in der Talschaft Shimshal

4.4.1 Virjerab-Gletscher

y kleinräumige Ufertalungen y Ufermoränensäume y lateroglaziale Schuttkegel und dualer Schuttkörperaufbau y absterbender Gletscher y Nähr-/Zehrgebietsverhältnis y Murgänge im lateroglazialen Umfeld

Der mindestens 40 km lange, SO-NW verlaufende Virjerab-Gletscher besitzt mit einer Höhe von 3550 m das höchste Gletscherende unter den untersuchten Shimshal-Gletschern (Abb. 4.4.1). VISSER

(1938: 164) ordnet den Virjerab-Gletscher als „Lawinentyp“. Die mittlere Kammumrahmungshöhe des Virjerab-Gletschers liegt bei nur 6400 m – 6600 m, der höchste Gipfel erreicht eine Höhe von 6858 m. Der etwas längere Baltoro-Gletscher endet zum Vergleich in derselben Höhe wie der Virjerab-Gletscher, weist aber wesentlich höhere Einzugsgebiete auf.

Die Virjerab-Gletscherzunge lag im Jahre 1925 in 3450 m Höhe und 2,4 km von der Konfluenz mit der Khurdopin-Gletscherzunge entfernt (VISSER 1938: 165). Im Gletschervorfeld befindet sich heute in 400 m – 500 m Entfernung vom rezenten Gletscherzungenende eine junge Endmoränenlage (Photo 4.4.1.4). Vor 20 Jahren hat der Virjerab-Gletscher diese Eisrandlage nach Angaben der Einheimischen noch erreicht (u.a. mündl. Mitteilung von Herrn Shambi Khan, 15.07.2001). Weiterhin hatte im Jahre 1961 der unterste, linke Nebengletscher noch Kontakt mit dem Virjerab-Gletscher. Der nun aus diesem Nebental aufgeschüttete Murkegel entlang des Endmoränenwalles ist damit erst in den letzten Dekaden zur Gänze aufgeschüttet worden.

VISSER (1938: 164) berichtet von seiner Begehung des oberen Shimshal-Tals im Jahre 1925 über den Virjerab-Gletscher wie folgt: „Kein anderer Gletscher versetzte uns durch seine relativ große Länge in solches Staunen wie der Virjerab. Denn der wirkliche Gletscherkörper reicht fast nicht über die Schneegrenze hinauf.“ Das Nähr- zu Zehrgebietsverhältnis beträgt ihmzufolge 1:5. Damit weist der Virjerab-Gletscher ein außerordentlich kleines Nährgebiet auf. Bei kaum einem Alpengletscher ist solch ein Verhältnis präsent. VISSER (1938: 29) mutmaßte, dass der Virjerab-Gletscher von seinem möglichen Nährgebiet, dem Snow-Lake, über den er über einen Pass verbunden ist, abgetrennt wurde und nun eine 40 km lange „Gletscherzunge aus totem Eis“ zurückgeblieben ist. Die Beschreibung VISSERs eines „sterbenden Gletschers“ entspricht der Gletschersituation im Jahre 2001 im unteren Gletscherabschnitt. Auch heute gestaltet sich die stark verschuttete Gletscheroberfläche wie ein Eis-Pingenrelief. Obwohl der Gletscher im Niederschmelzen begriffen ist, werden nur in geringfügigem Maße lateroglazialen Sedimentationsräume gebildet. Der Gletscher sinkt in der Vertikalen ein, aber seine Breite und damit der lateroglaziale Ausraum bleiben relativ konstant. Das Satellitenbild Landsat 7/2000 zeigt, dass die obere Hälfte der Gletscheroberfläche großteils blankeisig ist. Eine prägnante Mittelmoräne durchzieht den Gletscherkörper. Die Verschuttung der Gletscherzunge geht u.a. aus dem Austauen dieses breiten Mittelmoränenzuges zurück.

Das rezente Eisrandtal auf der rechten Seite endet – soweit einsehbar - talaufwärts in einer Höhe von 3825 m, also bereits oberhalb der eiszeitlichen Schneegrenze. Die lateroglazialen Sedimentkomplexe finden bis in diese Höhenlage, ähnlich wie am Baltoro-Gletscher, nur eine geringe Verbreitung. Es können allerdings am Virjerab-Gletscher noch vereinzelt Eisrandtalungen in höheren Lagen vorhanden sein, da noch einige Nebentäler zum Hauptgletscher hin einmünden.

Ausladende Moränenverkleidungen zwischen Virjerab- und Khurdopin-Gletscher zeugen von dem einstigen Zusammenfluss beider Gletscher. Die Hangmoränen sind vielerorts durch den temporär aufgestauten Virjerab-See unterschnitten worden (ITURRIZAGA2005c).

Verbreitung der lateroglazialen Sedimentationskomplexe: Der Virjerab-Gletscher liegt bis zu 50 m - 60 m tief eingesunken in seiner Moränenfassung (Photos 4.4.1.1-3) und zeigt mit seiner Erscheinung ein konträres Bild zum benachbarten Khurdopin-Gletscher, dessen weiße, stark aufgewölbte Gletscheroberfläche im unteren Abschnitt den Ufermoränenfirst lokal überragt und einen Vorstoß andeutet. Der Gletscher ist in den unteren 20 km gänzlich verschuttet. Diese Gletscherrückzugs-landschaft ähnelt der des Momhil-Gletschers. Der Virjerab-Gletscher sinkt in seinem badewannenförmigen Trogtalgefäß in sich zusammen und hinterlässt an den Talflanken amorphe moränale Schuttsäume, jedoch keine prägnanten Eisrandtäler oder Ufermoränenterrassen. Die

4.4.1 Virjerab-Gletscher 178

giebelförmige Hauptufermoräne ist im unteren Abschnitt nicht präsent. Die Ufermoräneninnenhänge sind unregelmäßig geformt. Toteis war in den angetroffenen Ufermoränenhängen allerdings nicht mehr anzutreffen. Sie sind vielerorts in Schutthalden resedimentiert. Stellenweise sind auf der rechten Virjerab-Gletscherseite kleine Ufertalabschnitte etwa 15 m unter der höchsten Ufermoränenleiste ausgebildet. Der locker aufeinander gelagerte Schutt der Obermoräne und der Ufermoräne ist auffallend grobblockig und nimmt bis zu Hausgröße an. Die Ufermoränen sind insgesamt nur wenig konsolidiert. Noch vor einigen Jahren, als die Shimshal-Bewohner am Virjerab-Gletscher Holz holten, war der Gletscher durch viele Spalten sehr schwer begehbar gewesen (mündl. Mitteilung, Herr Shambi Khan 16.07.2001).

Es erstaunt, dass am Virjerab-Gletscher trotz des großen Ablationsgebietes keine ausladenden Eisrandtäler ausgebildet sind. Zum einen ist anzuführen, dass die Talflanken aufgrund ihrer Steilheit vergleichsweise ungünstig zur Schuttablagerung sind (ähnlich wie am Bualtar, Baltoro-, Hassanabad-, Momhil-Gletscher). Allerdings sind auch in steilwandigen Talgefäßen, wie z.B. am Ghulkin-, Gulmit- oder Pumari Chhish-Gletscher V-förmige Eisrandtäler mit herausragenden Ufermoränen ausgebildet.

Diese Talgefäße weisen jedoch einen abrupten Gefällsknick auf, der zur forcierten Schuttablagerung unterhalb der Schneegrenze führt. Weiterhin ist ein hoher Anteil an grobblockigem, über zeltgroßem Gesteinsmaterial am Virjerab-Gletscher vorhanden, der für eine prägnante Ausbildung der Hauptufermoräne ungünstig sein kann. Die hochlagernden Moränen, die als Ausgangsmaterial für die Eisrandtalbildung dienen könnten, fehlen am Virjerab-Gletscher. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der Virjerab-Gletscher vergleichsweise hoch endet und damit nahe der eiszeitlichen Schneegrenze (ähnlich wie der Yishkuk- und Baltoro-Gletscher). Andererseits weist er unter den Karakorum-Gletschern mit das günstigste Nähr-/Zehrgebietsverhältnis in Bezug auf die Schuttablagerungsmöglichkeiten auf. Die Steinschlag- und Murschuttzufuhr aus den angrenzenden Stichtälern ist ebenfalls relativ hoch und könnte zum Ufertalaufbau beitragen. Jedoch ist hier der Fall gegeben, dass das Widerlager der Hauptufermoräne mit dahinter geschaltetem Gletscherkörper nicht präsent ist und somit die heutigen Ufermoränenleisten relativ rasch zerstört werden. Die Murabgänge gehen unmittelbar auf die Gletscheroberfläche ab.

Auf der N-exponierten Talseite reihen sich schuttverfüllte steile, runsenförmige Stichtäler mit kleinen Hängegletschern und perennierenden Schneeflecken im Einzugsgebiet aneinander. Die hier abgehenden nival- und glazialinduzierten Muren durchlaufen die Ufermoräne und enden auf dem Gletscher als supraglaziale Schuttablagerung. Bereits am Vormittag (11:30 Uhr) konnten Murabgänge auf der Nord-exponierten Talseite beobachtet werden. Diese Murabgänge stellen ein hohes Gefahrenpotential für die Almhirten auf ihren Wegen zu den höheren Einzugsbereichen dar. Auch VISSER (1938: 164) berichtet von einem Murabgang, der mit solcher Geschwindigkeit hinab kam, dass sich die Expeditionsgruppe kaum retten konnte. Im Verlauf von zwei Tagen Dauerregen am 16./17.07.2001 gingen pluvial-induzierte Murgänge auf die Gletscheroberfläche ab. Dieses Niederschlagsereignis ging einher mit heftigen, monsunalen Regenfällen im Punjab. Dies belegt, dass sich monsunale Ausläufer bis nördlich der Hispar-Muztagh-Kette erstrecken.

Photo 4.4.1.1: Der 50 m vom Eis freigelegt. Aufnahme:

L. Iturrizaga 16.07.2001/ 14.

Photo 4.4.1.2: Blick von