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3.3 Die Methoden der Nachlasserschließung

3.3.4 In Zeiten neuer Informationstechnologien

Die Entwicklung neuer Informationstechnologien, die im Bibliothekswesen bereits seit Mitte der 1980er Jahre die ersten für Benutzer zugänglichen Online-Kataloge

hervor-gebracht hatte,413 führte auch im Bereich der Nachlasserschließung zu Weiterentwick-lungen. Seit 1999 katalogisierte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach seine Bestände in der Datenbank Kallias, auf deren Basis die Kalliope-Datenbank der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz entwickelt wurde. Beide Datenbanken boten eine Weiterentwicklung des Retrievals und der Präsentation der Erschließungsergebnisse. Die Erweiterung und Kombinierbarkeit der Suchkriterien machte einen Teil der üblichen Beschreibungselemente der Titelaufnahmen für das Retrieval nutzbar und wies damit anders als die bis dahin zur Automatisierung genutzten EDV-Systeme über die Möglichkeiten der analogen Umgebung hinaus.

PICA-ILTIS-Archivalien

Im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 wurde mit der Erarbeitung eines Moduls für Nachlasskatalogisierung auf der Basis von ILTIS, der PICA-Anwendung der Deutschen Nationalbibliothek, und dem darauf aufsetzenden 2006 freigeschalteten Online-Katalog eine neue Nachlass- und Autografendatenbank eingeführt. Das Akronym ILTIS steht für Integriertes Literatur-, Tonträger- und Musikalien-Informations-System, das mit einer Software von OCLC|PICA arbeitet. Erwerbung, Formalerschließung, Sacherschließung, Benutzerdienste und die Führung der Normdateien (PND, GKD, SWD) sowie der Zeitschriftendatenbank (ZDB) werden in der Deutschen Nationalbibliothek über die ILTIS-Anwendung realisiert. Als Integriertes Literatur-, Tonträger- und Musikalien-Informations-System war die ILTIS-Anwendung für die Katalogisierung von Nachlässen und Autografen zunächst nicht ausgelegt. Satzarten für die im Regelwerk vorgegebenen Materialgruppen und nachlassrelevante Kategorien, z.B. Adressat, Korrespondenzpartner, dokumentierte Person, Entstehungszeitraum, Einzelbriefdatum, Kollationsvermerk, beiliegendes Material mussten eingerichtet und indexiert werden. Das in den Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen vorgesehene Datenmodell bildet die Grundlage der Anwendung. Für jeden Bestand wird ein Gesamttitel angelegt, dem alle zu katalogisierenden Einheiten zugeordnet werden. Für die inhaltliche Segmentierung der Bestände wurden weitere Gliederungsebenen eingerichtet, die nicht nur die Unter-gliederung in die Hauptordnungsgruppen Werke, Korrespondenzen, Lebensdokumente und Sammlungen, sondern auch in weitere hierarchische Stufen, d.h. Überschriften, Unterüberschriften etc. erlaubt.414 In Anlehnung an die archivische Erschließung wird auch die Nachlassstruktur im System abgebildet. Als Zugang zu den katalogisierten

413 Bibliotheken und Informationsgesellschaft (2006), S. 49.

414 Auf technische Details, die z.B. eine flexiblere Strukturierung momentan nicht zulassen, soll hier nicht

eingegangen werden.

Unterlagen kann damit eine nachlassübergreifende Suche oder die hierarchische Strukturierung eines Bestandes gewählt werden. Im Bereich der Personen- und Körperschaftsfelder ist eine Verknüpfung mit den Normdateien vorgesehen, das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 nimmt aktiv an der Personennamendatei und der Gemeinsamen Körperschaftsdatei teil. Für den Benutzer stehen mit dem Online-Katalog erweiterte Suchoptionen zur Verfügung.

Ein deutlicher Mehrwert gegenüber dem Retrieval in Zettelkatalogen besteht in der höheren Auswertungsrate der Katalogisate. Eine Vielzahl der Beschreibungselemente ist auswertbar und kann für das Auffinden von Unterlagen nutzbar gemacht werden.415 Die Methoden der Erschließung haben sich mit der Einführung des neuen Katalo-gisierungssystems zunächst nur in Bezug auf die Nutzung der Normdateien verändert.

Die an den Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) orientierten Beschreibungselemente wurden an die neue Systemumgebung angepasst, eine Rationa-lisierung der Erschließungsmethode war damit nicht verbunden. Weder wurde die Vorgehensweise bei der Nachlassordnung verändert, noch wurden die Beschreibungs-kategorien vereinfacht. Ergaben auch die besseren Retrievalmöglichkeiten eine höhere Auswertungsrate der Katalogisate, blieb die Diskrepanz zwischen detailliert erschlossenen Beständen und solchen, die lediglich im System genannt werden, bestehen. Die aktive Nutzung der Normdateien führt zu einem effektiveren Retrieval, erhöht jedoch die Bearbeitungsdauer bei der Nachlasskatalogisierung – besonders bei notwendigen Neuansetzungen. Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 7.2.1 weiter Bezug genommen.

Für die Benutzer liegt der Vorteil eines Archivalienopacs, der aktuell in das Portal der Deutschen Nationalbibliothek überführt wird, neben den besseren Suchmöglichkeiten in der orts- und zeitunabhängigen Zugänglichkeit zu den Erschließungsdaten. Arbeits-besuche können bereits zu Hause vorbereitet, Bestellungen von zur Einsicht gewünschten Unterlagen bereits im Vorfeld des Arbeitsbesuches aufgegeben werden.

Inwieweit der Archivalienkatalog bzw. die im Aufbau begriffene Portallösung an den Bedürfnissen der Benutzer orientiert ist bzw. wo Verbesserungspotenzial liegt, wird in den Benutzerinterviews erfragt werden.

Wie aus den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, waren sowohl die Sammelkriterien, die Methoden der Erschließung als auch die technischen Standards im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 im Lauf der Jahrzehnte Veränderungen unterworfen.

Abweichungen von allgemein üblichen Erschließungsmethoden ergaben sich aus der

415 Die Zugriffsmöglichkeiten auf Elemente bibliografischer Beschreibungen in Zettelkatalogen und OPACS sind gegenübergestellt bei Umlauf (2006ff.), Abschn. 2.3 Katalogarten.

Besonderheit des zu erschließenden Materials, dessen Informationsdichte man durch eine inhaltliche Erschließung deutlich machen wollte. Mit dem Beginn der Erschließung von persönlichen Nachlässen ging man jedoch zunehmend zu einer reinen Formal-erschließung über. Die Anforderungen der Benutzer fanden insofern Berücksichtigung, als auf das Interesse der Forschung mit Erschließungsprojekten und der Ausweitung der Sammeltätigkeit reagiert wurde. Auch die frühe Praxis der annotierten Einzelblatt-erschließung wurde so begründet. Die Auffindbarkeit der Erschließungsdaten versuchte man durch die Lieferung der Titelkarten an die Zentralkartei / -datei der Autographen zu verbessern.

Eine Analyse der Bestandsnutzung bzw. eine Erfragung der Benutzeranforderungen an die Nachlasserschließung hat im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 bisher nicht stattgefunden. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Analysen und Befragungen sind Thema der beiden nächsten Kapitel.

4 Die Sicht der Benutzer – Benutzeranfragen und