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Die Erschließung von ungedrucktem Material zur deutschsprachigen Emigration 1933-1945 stellt nur einen Tätigkeitsschwerpunkt des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 dar.

Da die späte Gründung dieses Bereichs sich aus der Entstehungsgeschichte des Archivs erklärt, sollen Entstehung und Entwicklung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 als Einleitung kurz dargestellt werden.

3.1.1 Entstehung

Das Deutsche Exilarchiv 1933 – 1945 ist eine Sondersammlung der Deutschen Nationalbibliothek am Standort Frankfurt am Main, die 1949 gegründet wurde. Mit dieser frühen Gründung gehörte das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 zu einer Gruppe von außeruniversitären Einrichtungen,342 deren frühe Sammeltätigkeit die spätere Forschung auf dem Gebiet des deutschsprachigen Exils 1933-1945 wesentlich begünstigte.

Nachlässe und Autografen waren jedoch zum Zeitpunkt der Gründung der Sondersammlung noch kein Sammelgegenstand. Vielmehr beschränkte man sich auf die Archivierung und Verzeichnung von Exilpublikationen.

Aus der Gründungsgeschichte des Deutschen Exilarchivs 1933 -1945343 lassen sich die bis heute gültigen Sammelgrundsätze in ihren Grundlinien ableiten. Es waren exilierte Schriftsteller und Publizisten, Mitglieder des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in

342 S. dazu die Darstellung zur Dok. I und Dok.II im Kapitel 3.3.1.

343 Zur Gründungsgeschichte des Deutschen Exilarchivs 1933- 1945 s. z.B.: Berthold (1980) sowie 35 Jahre

Exilliteratur (1984).

der Schweiz, die gemeinsam mit dem ersten Direktor der damaligen Deutschen Bibliothek Hanns Wilhelm Eppelsheimer die Einrichtung einer „Bibliothek für Emigrationsliteratur“344 an der Deutschen Bibliothek bewirkten. Für die Sammlung von Exilliteratur im „Land der Täter“ war die Beteiligung einer Organisation ehemaliger Emigranten von bestimmender Bedeutung. Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller in der Schweiz nahm sich der Einrichtung der geplanten Sondersammlung aktiv an. 1949 appellierte er in einem Aufruf345 an ehemalige Emigranten, Exilpublikationen oder bibliografische Informationen zu diesen Veröffentlichungen für den Aufbau einer Exilsammlung an der damaligen Deutschen Bibliothek zur Verfügung zu stellen. Die Rolle der Deutschen Bibliothek bei der Gründung der Exilsammlung war zunächst eine primär passive, denn Ankäufe konnten zeitnah nicht in Aussicht gestellt werden, ein Erwerbungsetat stand zu Beginn nicht zur Verfügung. Eppelsheimer hatte in seinem Brief an den Schutzverband Deutscher Schriftsteller in der Schweiz daher von der Möglichkeit eines „Gentleman Agreement“346 gesprochen und beschrieb damit die Möglichkeit, die Sammlung in der Deutschen Bibliothek als Dauerleihgabe zu verwalten. Innerhalb des Schutzverbandes hatte das Vorhaben auch Anlass zur Diskussion gegeben. Das von Eppelsheimer erwartete Interesse „von Journalisten, Schriftstellern, Literaturhistorikern, Verlegern usw.“347 an der Exilliteratur wurde angezweifelt, Kritik richtete sich gegen die geplante Organisationsform der Exilsammlung ebenso wie gegen die Person Eppelsheimers.348 Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller in der Schweiz entschied jedoch dennoch, den Aufbau der Sammlung zu unterstützen. Im Oktober 1950 konnte mit den ersten eingegangen Publikationen der Grundstock für die Sammlung Exilliteratur gelegt werden. Nicht nur belletristische Werke, auch politische Veröffentlichungen wurden von Beginn an in die Sammlung einbezogen. Dies umso mehr, als mit Walter Fabian, damals Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in der Schweiz, ein politischer Publizist und SAP-Politiker mit dem Projekt verantwortlich betraut war. Zu den ersten Einsendungen gehörten z.B. Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit (Zürich: Oprecht, 1935), Konrad Heiden: Adolf Hitler. Eine Biographie (Zürich:

Europa-Verlag, 1936 u. 1937), Freie Wissenschaft. Ein Sammelbuch aus der deutschen Emigration. Hrsg. von Emil Julius Gumbel (Strasbourg: Sebastian-Brant-Verlag, 1938).

344 So die Bezeichnung in der Mitteilung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in der Schweiz an die Mitglieder, November 1949, Deutsches Exilarchiv 1933 – 1945 der Deutschen Nationalbibliothek (im Folgenden in den Briefangaben zitiert als DEA), EB autograph 194 (2a); Namensänderungen der Sammlung: ab 1970 Abteilung Exil-Literatur, 1984/85 umbenannt in Deutsches Exilarchiv 1933 -1945.

345 Mitteilung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in der Schweiz an Mitglieder und Freunde, November 1949, DEA, EB autograph 194 (2a).

346 Der Brief ist Teil der Mitteilung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in der Schweiz an Mitglieder und Freunde, November 1949, DEA, EB autograph 194 (2a).

347 Ebenda.

348 Vgl. z.B. die Gegenposition von Kurt Kläber und Lisa Tetzner in ihrem Brief an den SDS, Carona, 20.4.1950, DEA, EB autogr. 194 (74).

Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine Sondersammlung, die auf die gesamte im Exil entstandene Buch- und Zeitschriftenproduktion ausgerichtet ist: Politische Publizistik, unabhängig von der politischen Richtung, Belletristik, wissenschaftliche Exilpublikationen und die gedruckten Zeugnisse der jüdischen Emigration bilden die Sammlungsschwer-punkte.349 Neben der Sammlung und Archivierung der Exilpublikationen liegt eine Hauptaufgabe des Deutschen Exilarchivs 1933 -1945 in der bibliografischen Verzeichnung der Werke.

3.1.2 Das Deutsche Exilarchiv 1933 -1945 als Sondersammlung einer Nationalbibliothek

Die heutige Deutsche Nationalbibliothek ist aus zwei Vorgängerinstitutionen hervorgegangen, der 1912 in Leipzig gegründeten Deutschen Bücherei und der 1946 in Frankfurt am Main gegründeten Deutschen Bibliothek, die mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu einer Institution zusammengeführt wurden. Obwohl der ursprüngliche und in der Satzung von 1952 schriftlich fixierte Auftrag der Deutschen Bibliothek, „die vom 8. Mai 1945 an erscheinende deutsche und fremdsprachige Literatur des Inlandes und die deutschsprachige des Auslandes“350 zu sammeln und bibliografisch zu verzeichnen, die Sammlung der Exilliteratur nicht umfasste, wurde sie als Sammelgebiet der damaligen Deutschen Bibliothek definiert. Diese Entscheidung zur Einbeziehung der Exilliteratur in den Sammelauftrag der Deutschen Bibliothek wurde mit dem Verständnis von der Exilliteratur als Teil der nationalen Literatur Deutschlands, als „Stimme des anderen, besseren, des wahren Deutschland“351 begründet. Eppelsheimers Entscheidung, der Deutschen Bibliothek eine Sammlung von Exilpublikationen anzugliedern, beruhte jedoch nicht allein auf dieser Zuordnung. Es war auch ein persönliches Anliegen und ein politischer Entschluss, sich in der frühen Nachkriegszeit der Exilliteratur zuzuwenden. Eppelsheimers Interesse, mit der Deutschen Bibliographie eine freie bibliografische Verzeichnung sicherstellen zu können, spiegelt sich auch in seinen Überlegungen zur Einrichtung der Exilsammlung wieder.352 Bereits in seinem Schreiben, das Teil des Aufrufs des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in der Schweiz von 1949 ist, entwirft Eppelsheimer die Idee zur Erarbeitung einer Bibliografie der Exilliteratur: „Es scheint mir deshalb richtig, dass wir zunächst eine Sammlung anlegen und von dieser Sammlung, wenn sie einigermaßen vollständig ist, eine

349 Zu den Sammelrichtlinien des Deutschen Exilarchivs s. Deutsches Exilarchiv 1933-1945 (1989), S. X.

350 Satzung der Deutschen Bibliothek vom 31. Juli 1952. In: Die Deutsche Bibliothek (1980), S. 157.

351 Vgl. hierzu Berthold (1980), S. 109.

352 Vgl. hierzu auch die Darstellung in: Werner (1991), S. 19.

fachmännisch gearbeitete Bibliographie veranstalten […].“353 1962 erschien eine solche Bio-Bibliografie unter dem Titel Deutsche Exil-Literatur 1933 – 1945.354 Mit deren Bearbeitung war bereits 1955 begonnen worden, die biografischen und bibliografischen Angaben basierten z.T. auf einer Fragebogenaktion, deren schriftliche Ergebnisse heute im Nachlass von Wilhem Sternfeld im Deutschen Exilarchivs 1933-1945 vorliegen.355 Als Bestandteil des Sammelauftrags der damaligen Deutschen Bibliothek definiert, wurde auch bei der Sammlung der Exilliteratur nach den allgemeinen Sammelgrundsätzen verfahren: Sowohl für das Hauptsammelgebiet der Deutschen Bibliothek, die von jeder seit dem 8. Mai 1945 erschienenen Verlagspublikation ein Exemplar archivierte und verzeichnete, als auch für die Sammlung der Exilpublikationen galt der Grundsatz der nicht wertenden Sammlung.356 Alle ins Sammelgebiet fallenden Publikationen, unabhängig von ihrer Qualität, Gestaltung, politischen Richtung oder sonstigen Kriterien, waren zu sammeln. Als fest definierte Aufgabe wurde die Sammlung von Exilliteratur später im Gesetz über die Deutsche Bibliothek vom 31. März 1969 festgeschrieben: „Die Deutsche Bibliothek hat die Aufgabe […] die zwischen 1933 und 1945 von deutsch-sprachigen Emigranten verfaßten oder veröffentlichten Druckwerke zu sammeln, zu inventarisieren und bibliographisch zu verzeichnen […]“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Gesetz über die Deutsche Bibliothek). Diese Festlegung blieb auch nach der 1990 erfolgten Zusammenführung der Deutschen Bücherei in Leipzig mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main zu der Institution Die Deutsche Bibliothek bestehen. Die Deutsche Bücherei brachte mit der Sammlung Exilliteratur 1933 – 1945 eine zweite Sondersammlung an Exilliteratur mit ein. Bereits 1933 war im Rahmen der allgemeinen Sammelfunktion der Deutschen Bücherei mit der Sammlung eines Teils der Exilliteratur als sammelpflichtige deutschsprachige Literatur des Auslandes begonnen worden. Die bibliografische Verzeichnung dieser Exilwerke erfolgte in der Deutschen Nationalbibliographie bis 1936. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Grundsatz der nicht wertenden Sammlung und Verzeichnung aufgegeben. Die seit 1933 dem Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung unterstehende Deutsche Bücherei konnte die Sammlung der im Ausland erschienenen deutschsprachigen Publikationen weiter ausbauen, die Verzeichnung in der Deutschen Nationalbibliographie erfolgte jedoch nicht mehr, es wurde zwischen „deutscher“ und deutschsprachiger Literatur unterschieden. 1949 wurde die Anzeige der Bücher, die in der Deutschen

353 Mitteilung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in der Schweiz an Mitglieder und Freunde, November 1949, DEA, EB autograph 194 (2a).

354 Sternfeld/Tiedemann (1962).

355 Nachlass von Wilhelm Sternfeld, DEA, EB 75/177. Die Bearbeitungskosten der Bio-Bibliografie hatte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt getragen.

356 Zur Sammlung von Exilpublikationen als Aufgabe einer Nationalbibliothek vgl.: Berthold (1975b).

Nationalbibliographie nicht mehr angezeigt werden durften, in der Ergänzung I zur Deutschen Nationalbibliographie357 nachgeholt.358

Im Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek vom 22.6.2006 (DNBG, 22.6.2006) ist die Sammlung von Exilliteratur in folgender Form verankert: „Die Bibliothek hat die Auf-gabe, […] das Deutsche Exilarchiv 1933 – 1945 […] zu betreiben“ (§ 2, Absatz 2 DNBG).

Außerdem ist die Sammlung der Exilliteratur zum Teil subsumiert in der in § 2 Absatz 1 b) festgeschriebenen Aufgabe,

„die ab 1913 im Ausland veröffentlichten deutschsprachigen Medienwerke, Übersetzungen deutschsprachiger Medienwerke in andere Sprachen und fremdsprachige Medienwerke über Deutschland im Original zu sammeln, zu inventarisieren, zu erschließen und bibliografisch zu verzeichnen, auf Dauer zu sichern und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen […]“ (DNBG, 22.6.2006).

In den Sammelrichtlinien wird der Sammelauftrag spezifiziert. Unter Punkt 3.1 Veröffentlichungen und Archivalien deutschsprachiger Emigranten 1933 – 1945, Unter-punkt 3.1.1 Veröffentlichungen heißt es:

„dazu gehören auch während der Zeit des Nationalsozialismus unabhängig von der Sprache im Ausland erschienene Publikationen (Bücher, Broschüren, Zeitschriften, Musikalien, Tonträger) deutschsprachiger Emigranten.

Die Publikationen werden erst ab dem Emigrationsjahr des Autors gesammelt, es sei denn, die Veröffentlichung in Deutschland war bereits vor der Emigration verboten […]. Gesammelt werden auch im Ausland erschienene Veröffentlichungen von 1945 bis 1950, wenn der Autor in diesem Zeitraum nicht nach Deutschland zurückgekehrt ist. Als obere Zeitgrenze innerhalb dieses Zeitraums gilt das Jahr der Rückkehr.

Hinzu kommen ergänzende Gruppen […]. Die Veröffentlichungen werden in allen Formen (Originale, Mikroform-Ausgaben, Kopien) gesammelt.“359

Aus dem Gesetz über die Deutsche Bibliothek und dem Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek sowie aus der Festlegung in den Sammelrichtlinien leitet sich auch die Aufgabe der Sammlung von Nachlässen und Autografen zur deutschsprachigen Emigration ab. In den Sammelrichtlinien werden als zu sammelnde Archivalien unter 3.1.2 aufgeführt:

„Nachlässe, Teilnachlässe, Vorlässe, Einzelbriefe, Manuskripte, Lebensdokumente, Tondokumente deutschsprachiger Emigranten sowie Sammlungen von Exilforschern. Fotografien und Zeichnungen zur deutschsprachigen Emigration.

Zeitungsausschnitte zur deutschsprachigen Emigration.“360

357 Verzeichnis der Schriften, die 1933-1945 nicht angezeigt werden durften (1949).

358 Zur Geschichte der Sammlung Exilliteratur 1933 – 1945 s.: Halfmann (1962).

359 Sammelrichtlinien (2009), S. 61. In den weiteren Ausführungen wird das Sammelspektrum weiter

spezifiziert.

360 Ebenda, S. 63.