• Keine Ergebnisse gefunden

Die Erschließung ungedruckter Quellen zur deutschen Emigration 1933- 1933-1945 in Literaturarchiven

3.3 Die Methoden der Nachlasserschließung

3.3.1 Die Erschließung ungedruckter Quellen zur deutschen Emigration 1933- 1933-1945 in Literaturarchiven

Der Beginn der Erschließung von ungedruckten Quellen im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 steht in Zusammenhang mit der Erwerbung eines als besonders exilrelevant ein-gestuften Bestandes, dem Archiv der Deutschen Akademie im Exil / American Guild for German Cultural Freedom.385 U.a. mit der Erschließung dieses Bestandes war das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 an dem von der DFG geförderten Projekt Die Erschließung ungedruckter Quellen zur deutschen Emigration 1933-1945 in Literatur-archiven (Dok II) beteiligt. Die Planungen zur Dok II, an der als Literaturarchive auch die Akademie der Künste in West-Berlin und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach beteiligt waren, sahen eine koordinierte Erschließung der ungedruckten Quellen der am Projekt beteiligten Archive und Bibliotheken vor. Geplant war zunächst, die Quellen nach einem Schema von Sachkategorien zu erschließen, das auch der sich anschließenden Auswertung gedruckter autobiografischer Zeugnisse (Dok III) zu Grunde gelegt werden sollte. Für die Sacherschließung waren neun Hauptkategorien386 vorgesehen: Aussagen über Flucht, materielle, psychologische und soziale Situation, Verhältnis zum Asylland, Verhältnis zu anderen deutschsprachigen Gruppen, Tätigkeit in und Verhältnis zu Organisationen, Politik und Zeitgeschehen, Rückkehr aus der Emigration, Verbleiben in der Emigration, Literatur. Jede der Gruppen ist weiter untergliedert.

3.3.1.1 Für und wider Inhaltserschließung

Über die Intensität der sachlichen Erschließung bestand im Projektverlauf keineswegs Konsens. Aus überlieferten DFG-Akten,387 Berichten und Tagungsprotokollen lässt sich herauslesen, dass die Erschließungstiefe, der zeitliche Aufwand für die Erschließung und die Methoden zum Abbau von Rückständen von Beginn der Arbeiten an der Dok II an bis zu späteren Erschließungsprojekten kontrovers diskutiert wurden. Dies verwundert umso weniger, als die Auseinandersetzung im Umfeld der Diskussionen um die Regelwerkserar-beitung stattfanden, die mit den Richtlinien Handschriftenkatalogisierung eine Verständi-gung auf eine Katalogisierung vorlegte, die sich auf das „Wesentliche konzentriert und zeitraubende Perfektion vermeidet“.388

Die Exilabteilung der damaligen Deutschen Bibliothek verfolgte in ihren frühen Erschlie-ßungsprojekten eine Methode, die Formal- und Sacherschließung, d.h.

385 DEA, EB 70/117.

386 Das Schema wurde mehrfach überarbeitet, hier zitiert nach dem Protokoll des II. internationalen Symposiums zur Erforschung des deutschsprachigen Exils nach 1933 (1972), S. 387ff..

387 Akten zur Dokumentation II, Akten des DEA, ohne Sign..

388 Richtlinien (1973), S. 16.

erschließung mit Annotationen, vorsah. Dem Vorteil, einen gezielten sachlichen Zugriff zu bieten, der von den Benutzern begrüßt wurde, stand dabei eine längere Bearbeitungs-dauer entgegen, die den Projektpartnern Anlass zur Kritik gab. Wurde die Vorgehens-weise bei den Planungen zur Dokumentation II noch „einstimmig akzeptiert“389, zeigten sich zunehmend Meinungsverschiedenheiten. Nicht nur im Hinblick auf die Kosten, sondern auch „angesichts der notwendigen Grenzziehung zwischen Dokumentation und eigentlicher Forschung“390 wurde die Vorgehensweise hinterfragt. Die zur Debatte stehende bloße Erstellung von Formaltitelaufnahmen unter Berücksichtigung von Konvoluten wurde von den Verantwortlichen der Exilsammlung der damaligen Deutschen Bibliothek jedoch als unzureichend angesehen.

Werner Berthold, damaliger Leiter des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, differenzierte zwischen den Beständen:

„Auch das in unserem Literaturarchiv enthaltende Material ist nicht gleichmäßig ergiebig; es besitzt unterschiedlichen Quellenwert. So gilt es zu selektieren, bei der Erschließung Prioritäten zu setzen. Minderwichtiges wird zurückgestellt und später in verminderter Intensität erschlossen werden.“391

Für die als besonders exilrelevant eingestuften Bestände, hier das Archiv der Deutschen Akademie im Exil / American Guild for German Cultural Freedom, hielt er jedoch an einer annotierten Einzelblatterschließung fest:

„Die unterschiedlichen Bearbeitungspraktiken innerhalb der 3 an der Dok. II beteiligten Literaturarchive sind durch die unterschiedlichen Materialien bedingt.

Während sich persönliche Nachlässe […] sinnvoll in Konvolute ordnen lassen, ist die Aufbereitung unseres informationsstarken, nicht unbedingt personengebundenen Materials […] unbedingt nach den von uns praktizierten Grundsätzen (Formaler-schließung mittels Einzelaufnahmen und sachliche Er(Formaler-schließung mittels Annotation) notwendig. […] Die in dem heterogenen Material verborgenen biographischen und bibliographischen Angaben sowie die politisch soziologischen Hintergründe wären für die Forschung nur äußerst mühsam erfassbar, wenn wir nach den in den anderen Literaturarchiven üblichen Regeln katalogisieren würden.“392

Welche über die in den üblichen Regeln vorgesehen Angaben enthielten also die Titelaufnahmen der Exilabteilung und welche zusätzlichen Informationen und Zugriffe auf Informationen ließen sich daraus für die Benutzer ableiten? Am Beispiel des Archivs der Deutschen Akademie im Exil / American Guild for German Cultural Freedom393 kann dieser Frage nachgegangen werden.

389 Werner Berthold, DEA, an DFG, Bibliotheksreferat, [Frankfurt a.M.], 13.12.1976, Akten des DEA, ohne

Sign..

390 Erschließung von Quellen und Materialien zur deutschen Emigration 1933-1945 : Zusammenfassender

Bericht über die Besprechung am 13.1.1977 in Bonn-Bad Godesberg, S. 3, Akten des DEA, ohne Sign..

391 Werner Berthold, DEA, an die DFG, [Frankfurt a.M.], 13.12.1976, Akten des DEA, ohne Sign..

392 [Werner Berthold]:Kriterien zum zahlenmäßigen Vergleich von TA innerhalb der an der Dok. III [vielm.

Dok. II] beteiligten Literaturarchive, o.D., Akten des DEA, ohne Sign..

393 Archiv der Deutschen Akademie im Exil / American Guild for German Cultural Freedom, DEA, EB 70/117.

Der Bestand wurde in Personenakten geordnet, dabei konnte teilweise eine bereits überlieferte Ordnung beibehalten werden. Die Vorgehensweise, den gesamten Bestand der Deutschen Akademie im Exil/American Guild for German Cultural Freedom394 in solche Personenakten zu ordnen, präsentierte die Einzelunterlagen für den Benutzer bereits in einem inhaltlichen Zusammenhang, dessen Erstellung aber eine erhebliche Mehrarbeit bei der Ordnung erforderte, da der Inhalt jedes Dokuments vom Bearbeiter erfasst werden musste, um eine korrekte inhaltliche Zuordnung zu gewährleisten, wie der Leiter der Exilabteilung auf Nachfrage der DFG erklärte:

„Diese Bestände sind besonders gründlich – in der Regel Stück für Stück – formal und sachlich zu erschließen. Die Briefe der [sic!] Manuskripte müssen also gelesen und nach einem von der Arbeitsstelle für Exil-Literatur an der Universität Hamburg bereits für die Erschließung von Autobiographien deutscher Emigranten benutzten System annotiert werden.“395

Die annotierten Titelaufnahmen enthalten für jedes Einzelstück Angaben über die Person (Verfasser / Adressat, dokumentierte Person), Titel, Entstehungsdatum, Entstehungsort, Kollationsvermerk (Umfang, Anzahl, Formalangabe) sowie Annotationen nach einem Schema von Sachkategorien. Eingeordnet wurden die so erstellten Titelaufnahmen in den Alphabetischen Katalog des Deutschen Exilarchvis 1933-1945, der nachlass-übergreifend Titelaufnahmen nachweist, sowie in einen Adressatenkatalog. Der Zugriff auf die verzeichneten Informationen konnte in diesen beiden Katalogen über Personen-namen und Namen korporativer Verfasser erfolgen. In den Annotationen genannte Personen wurden verwiesen, Werktitel unter dem Autor in den Katalog eingelegt. Die Schlagworte selbst, z.B. Stipendium, Lebensbedingungen, Hilfsersuchen, Arbeits-vorhaben, boten im Alphabetischen Katalog keinen Sucheinstieg. Um den gezielten Zugriff auf diese Informationen zu ermöglichen, wurde ein Schlagwortkatalog eingerichtet, der die annotierten Titelaufnahmen bündelte. Im Gegensatz zu einer rein formalen Erschließung garantierte die annotierte Einzelblatterschließung bessere Zugriffsmöglichkeiten auf die Dokumente, machte die Exilrelevanz und die Bedeutung vielfach durch die Annotation erst deutlich. Die Vorgehensweise schien insofern gerechtfertigt, als der Bestand der Deutschen Akademie im Exil / American Guild for German Cultural Freedom kein persönlicher Nachlass und damit nicht nach den formalen Ordnungsgruppen strukturierbar war. Dass dieser Bestand bis heute zu den meist genutzten Beständen des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 gehört, scheint die intensive Erschließung nachträglich zusätzlich zu rechtfertigen, wenn auch die Zugriffe meist über Personennamen und nicht über Schlagworte erfolgen.

394 Die Unterlagen zur Geschäftsführung blieben von der Erschließung ausgenommen.

395 Werner Berthold, DEA, an DFG, Bibliotheksreferat, [Frankfurt a.M.], 13.12.1976, Akten des DEA, ohne

Sign..

Zunehmend nahm jedoch auch die Exilsammlung der damaligen Deutschen Bibliothek persönliche Nachlässe auf und ging bei deren Erschließung nach den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben Richtlinien Handschriftenkatalogisierung vor, in denen Angaben über Inhalt und Umfang der Briefe als entbehrlich angesehen wurden;396 der Schlagwortkatalog wurde nicht weitergeführt. Ende der 1970er Jahre wurde der Beschluss gefasst,

„zu einer Form der Katalogisierung über[zu]gehen, die es erlaubt, unsere noch unbearbeiteten Nachlaß- und Autographenbestände so schnell wie möglich den Benutzern zur Verfügung zu stellen. Kurz: wir wollen nach den DFG-Richtlinien für die Erschließung von Nachlässen und Autographen arbeiten“.397

Für das Jahr 1980 berichtete der Leiter der Exilsammlung bereits über die Katalogi-sierung des Nachlasses von Wilhelm Sternfeld in Konvolutaufnahmen.398

Dass die Entwicklung von Methoden zur Nachlasserschließung generell keineswegs linear verlief, zeigen die Unterlagen der DFG-Kolloquien zur Handschriftenkatalogisierung. Auf dem Kolloquium über Probleme bei der Nachlaß- und Autographenerschließung399 regte Karl Dachs, damals Leiter der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, die Diskussion über die Sacherschließung von Nachlassmaterial, genauer die Regestrierung von Briefen an.400 Aufgrund seiner Erfahrungen401 sah er es als möglich an, „im Laufe eines Tages 50 und noch mehr Briefregeste anzufertigen“, er meinte, dass

„die Regestrierung keineswegs mehr Zeit erfordert als die Formalkatalogisierung. Die bisherige Formalkatalogisierung durch eine umfassende Sachkatalogisierung zu ergänzen, würde also nur eine Verdoppelung der bisher aufgewendeten Arbeitszeit bedeuten“.402 Allerdings schloss er seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, dass eine Regestrierung nur für wichtige Korrespondenzen möglich sei, „soweit die nötige Zeit dafür vorhanden ist“.403 In dem Protokoll einer Diskussion zum Abschluss des Kollo-quiums wurde festgehalten, dass die DFG-Richtlinien zur Handschriftenkatalogisierung in Bezug auf die Inhaltserschließung zu eng gefasst seien und eine Neuformulierung sinnvoll sei. Die Angabe geeigneter Sachbegriffe für den Inhalt von Nachlassmaterialien wurde als „notwendig“ und in bestimmten Fällen „unentbehrlich“ angesehen.404 Auf dem sechs Jahre später veranstalteten DFG-Kolloquium zur Nachlass- und

396 Richtlinien (1973), S. 19.

397 Kurt Nowak, Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main, an Franz Georg Kaltwasser, Frankfurt a.M., 30.5.1979,

Akten des DEA, ohne Sign..

398 Werner Berthold, DEA, an DFG, Bibliotheksreferat, [Frankfurt a.M.], 30.1.1981, Akten des DEA, ohne Sign..

399 Kolloquium (1981).

400 Dachs (1981), ohne durchg. Seitenzählung.

401 Dachs stützte seine Einschätzungen nach eigenen Aussagen auf die Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als

Bearbeiter und Redakteur der Richard Strauss-Autographen in München und Wien.

402 Dachs (1981), ohne durchg. Seitenzählung. So auch in Dachs (1982), S. 21.

403 Dachs (1981), ohne durchg. Seitenzählung.

404 Kolloquium (1981), Protokoll der Diskussion am Nachmittag des 26.11.1981, ohne durchg. Seitenzählung.

erschließung, in dem der Einsatz der EDV im Vordergrund stand, fand erneut eine Diskussion um die Inhaltserschließung von Nachlässen statt, in der die Sacherschließung von Nachlassmaterial mehrheitlich als zu aufwändig und nicht leistbar beurteilt wurde.

Auch Karl Dachs, der zuvor über die Möglichkeiten und Formen einer Inhaltserschließung von Briefen referiert hatte, hielt „aus praktischen Gründen eine Sacherschließung für ausgeschlossen; allerdings sei es denkbar, daß durch eine Kombinatorik von Daten der Formalerschließung in Bereiche der Sacherschließung vorgedrungen werden könne“.405 Von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde die Prämisse ausgegeben, dass aus „finanzplanerische[n] und finanzpolitische[n] Gründen“ ausschließlich die Formalerschließung von Nachlässen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert werden könne, gegen eine Sacherschließung aber auch grundsätzliche Bedenken geäußert werden müssten, da „durch eine Sacherschließung bereits eine grobe Lenkung der wissenschaftlichen Analyse stattfinde“.406 Von anderen Teilnehmern wurde die Sacherschließung weiter vertreten bzw. für bestimmte Nachlasstypen für richtig befunden.

Als Umdenken im Sinne einer gewollten Optimierung der Nachlasserschließung lässt sich dieser Richtungswechsel nicht deuten. Ein Mehrwert inhaltlicher Erschließung wurde nach wie vor gesehen. Der Druck der unerschlossenen Bestände rückte aber das Verhältnis von Aufwand und Ertrag, von Kosten und Nutzen immer stärker ins Blickfeld, und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Erschließungsprojekte finanziell unterstützte und damit für die nachlasserschließenden Institutionen richtungweisend war, plädierte in ihren Regelwerken für eine rationelle Erschließung. Dem somit durch die praktischen Gegebenheiten erzwungenen Verzicht auf die Inhaltserschließung hoffte man in Zeiten der sich entwickelnden EDV-gestützten Katalogisierung durch bessere Suchmöglichkeiten begegnen zu können. Der Wunsch, Nachlassbestände sachlich zu erschließen, und die Einsicht, eine Inhaltserschließung allein aus quantitativen Gründen nicht leisten zu können, bestimmen die Diskussionen um die Methoden der Nachlasserschließung allerdings bis in die Gegenwart.407

405 Kolloquium (1987), Protokoll der Diskussion im Anschluß an das Referat von Werner Gotzmann (25.5.1987),

ohne durchg. Seitenzählung.

406 Ebenda.

407 Vgl. dazu Rogalla Bieberstein (1985), Sp. 315; Illner (1999); S. 103; Weber (2000), S. 964.