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4 Die Sicht der Benutzer – Benutzeranfragen und Vor-Ort- Vor-Ort-Benutzungen

4.3 Schlussfolgerungen für beide Auswertungen

Nachdem im vorangegangen Teil die Einzelauswertungen dargestellt wurden, werden diese Ergebnisse im Folgenden interpretiert. Die Darstellung der Schlussfolgerungen erfolgt zusammengefasst für die Auswertung der Anfragen und der Vor-Ort-Benutzungen.

Durch die Auswertung der auf Archivalien bezogenen Benutzeranfragen und Vor-Ort-Benutzungen der Jahre 2006 und 2007 lässt sich die Benutzergruppe des Deutschen Exilarchivs 1933 - 1945 näher bestimmen. Die ausgewerteten Anfragen und auch die Vor-Ort-Benutzungen standen überwiegend in einem wissenschaftlichen Kontext.

Nutzungen oder Anfragen aus anderem beruflich-fachlichem Interesse oder genealogische Forschungen waren kaum zu verzeichnen. Dies kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass die Benutzer des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 aufgrund ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit überwiegend bereits über Erfahrungen mit der Nutzung von

Rechercheinstrumenten verfügen dürften. Diese Aussage macht es auch wahrscheinlicher, dass die Benutzer bereits Literaturarchive konsultiert haben. Unter den Forschungsvorhaben waren Seminararbeiten selten, Magisterarbeiten in 18% der Anfragen und 32% der Vor-Ort-Benutzungen Anlass zur Nutzung des Archivs. Die nicht sehr hohe Anzahl von Forschungsarbeiten insgesamt, die geringe Anzahl von Seminararbeiten und von Magisterarbeiten könnte als Hinweis auf die mangelnde Einbindung der Exilforschung und der Quellenkunde an Originaldokumenten in den universitären Forschungsbetrieb gewertet werden. Die generelle Beobachtung, dass

„in den 1990er Jahren ein neuer Dialog zwischen [den Literaturarchiven] und der Literaturwissenschaft, die lange Zeit archiv-, bibliotheks- und editions-wissenschaftliche Inhalte in der akademischen Lehre vernachlässigt und sich als Interpretationswissenschaft verstanden hatte, ohne noch der Frage nachzugehen, wie die Texte, die sie nun interpretiert, aus Archivgut konstruiert worden sind,“431 entstanden ist, lässt sich auf das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 nicht uneingeschränkt übertragen. Wie Quellenkunde in andere Forschungsdisziplinen eingebunden ist, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Eine stärkere Zusammenarbeit von Archiv und Universität könnte besonders für eine an den Benutzerinteressen orientierte Erschließungsplanung von Bedeutung sein.

Die Auswertung zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Arbeitsvorhaben, in deren Kon-text die Bestände des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 genutzt wurden, machte als Tendenz deutlich, dass die Bestände selten im Zusammenhang mit Arbeiten zu einem Werk genutzt wurden, textkritische und textvergleichende Studien selten Nutzungs-gründe waren. Auch vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, ob Manuskript-beschreibungen in der bisher erfolgten Weise mit detaillierten Formalangaben in jedem Fall notwendig sind und genutzt werden.

Die Angaben zu den Wissenschaftsdisziplinen bilden eine relativ einheitliche Nutzerschaft ab. Naturwissenschaftler nutzten die Bestände des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 kaum. Die Geisteswissenschaftler machen bezogen auf die Forschungsarbeiten die Hauptnutzergruppe aus. Dass der überwiegende Teil der Benutzer – sowohl bezogen auf die schriftlichen Anfragen als auch bezogen auf die Vor-Ort-Benutzungen – auf dem Gebiet der Exilforschung arbeitet bzw. zu exilverwandten Themen forscht, könnte bei der Planung künftiger Erschließungsprojekte noch stärkere Berücksichtigung finden. Anders als in den Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen432 vorgesehen, ist von einer generellen Konvoluterfassung von Lebensdokumenten aus der Zeit 1933-1945 abzusehen. Besonders für die Benutzer des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, deren

431 Umlauf (2007), S. 211.

432 RNA (2009), S. 12.

Arbeiten einen engen Exilbezug aufweisen, könnten diese Dokumente von besonderer Relevanz sein. Die Vorgehensweise des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, Dokumente aus der Zeit 1933-1945 intensiv zu erschließen, findet hierdurch Bestätigung. Auch für die Individualisierung von Personennamen- und Körperschaftsansetzungen in den Normdateien könnte durch diese Auswertung eine Priorisierung ableitbar sein, zumal sich die Anfragen, in denen Material zu bestimmten Personen gesucht wurde, in mindestens 69% der Fälle (1% kein Emigrant und 30% unbekannte Personen) und die Vor-Ort-Benutzungen in 96% der Fälle auf deutschsprachige Emigranten bezogen.

Allerdings kann hier gemutmaßt werden, dass die Rate der Emigranten unter den angefragten Personen und die Vielzahl von Themen mit Exilbezug wohl auch deshalb so hoch sind, weil eine Vielzahl von Personennamen, zu denen Material im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 vorliegt, nicht überörtlich und damit auch nicht über Suchmaschinen auffindbar ist. Bei der Suche nach Material von/an/über deutsch-sprachige Emigranten bzw. zu Themen mit Exilbezug dagegen liegt eine Anfrage beim Deutschen Exilarchiv 1933-1945 ohnehin nahe.

Die Angaben zum Informationsweg der Benutzer sind zwar aufgrund der relativ hohen Anzahl von Anfragen ohne Aussage nur eingeschränkt aussagekräftig, zeigen aber dennoch die Tendenz, dass eine nennenswerte Zahl der Benutzer über eine Internetrecherche auf die Bestandsangaben trifft. Hier lässt sich ein verändertes Rechercheverhalten der Benutzer zumindest vermuten. Für das Bibliotheks- und Archivwesen insgesamt lässt sich feststellen, dass sich das Informationsverhalten der Benutzer in Zeiten neuer Informationstechnologien zunehmend an der leichten Bedienbarkeit von Suchmaschinen, z.B. Google, ausrichtet. Einfache Suchstrategien werden bevorzugt.433 Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass Suchmaschinen jedes Informationsbedürfnis in ausreichender Weise befriedigen, muss auch im Bereich der Literaturarchive auf dieses veränderte Informationsverhalten reagiert werden. Aufgrund der Auswertungsergebnisse kann die Frage gestellt werden, inwieweit analoge Auskunftsmittel, im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 die konventionellen Zettelkataloge, überhaupt noch genutzt werden und inwieweit die Präsentation der Erschließungsdaten im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 an den Bedürfnissen der Benutzer orientiert ist. Zu diesem Themenkomplex sollen die Interviews weitere Einschätzungen ergeben. Auch über die Auffindbarkeit von OPAC-Daten über Suchmaschinen muss in diesem Zusammenhang nachgedacht werden.

433 Vgl. dazu z.B.: Lügger (2006), S. 94f. sowie Ramsbrock (2006), S. 238 und Müller (2007), S.44ff..

Da sich 48% der Vor-Ort-Benutzungen und 23% der allgemeinen Fragen auf Bestände bezogen, kann für die Nachlasserschließung im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 fest-gehalten werden, dass die Darstellung der Bestandsgliederung für die Benutzer des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 durchaus von Bedeutung ist. Gefragt wurde ganz allgemein danach, „was ein Bestand enthält“.

Allgemeine Fragen nach Material von/an/über bestimmte Personen machten 68% der allgemeinen Fragen aus. Zur Beantwortung des Fragetyps „Hält das Deutsche Exilarchiv Material von/an Person xy bereit?“ würde allein die Nennung von Korrespondenzpartnern ohne weitere konkretisierende Angaben genügen. Die Frage nach Material über Personen impliziert dagegen eine Inhaltserschließung und die Nennung der dokumentierten Person.

Für die Beurteilung der Erschließungsleistung war die Auswertung der konkreten Fragen ebenfalls aufschlussreich. 50% bezogen sich auf Briefe, 26% auf Lebensdokumente, 24% auf Werke. Dass immerhin 26% der Anfragenden explizit nach Lebensdokumenten (auch Fotografien) suchten, bestätigt die Bedeutung dieser Materialgruppe für die Benutzer des Deutschen Exilarchivs 1933-1945.

Bezogen auf die Materialart Briefe wurden Personennamen (Verfasser- und Adressaten-angabe) am häufigsten erfragt bzw. als identifizierende Angabe benannt. Jahresangabe, Datum, Ort, inhaltliche und biografische Angaben, Formal- und Umfangsangabe waren selten Gegenstand der Fragen. Bezogen auf Lebensdokumente waren die Angabe der dokumentierten Person (32%) und die Benennung eines Dokumenttyps (31%), z.B.

Affidavit, Porträtfotografie, die Hauptaspekte. Mit 11% nahmen Beschreibungen noch einen nennenswerten Platz ein, inhaltliche- und biografische Kriterien, Verfasserangaben, Jahres- und Umfangsangaben wurden selten benannt. Gesuchte Werke (Manuskripte, Typoskripte, Belegexemplare) wurden charakterisiert durch Nennung des Titels (49%) und etwas seltener Nennung der Verfasserangabe (43%). Jahr, Datum, Formalangabe und Beschreibung wurden als Aspekte selten benannt.

Für die Erschließung lässt sich als Ergebnis dieser Auswertung resümieren, dass die Erfassung von Einzelbriefdaten, genauen Entstehungsdaten und die detaillierte Aufführung von Formalangaben zur Beantwortung der in 2006 und 2007 gestellten Fragen nicht unbedingt notwendig war. Erscheint es bei der Suche nach Manuskripten und Lebensdokumenten noch verständlich, dass Daten selten als identifizierende Angaben genannt wurden, verwundert dieses Ergebnis bezogen auf Briefe. Die Studie „A Virtual Expression of Need: An Analysis of E-mail Reference Questions“ von Wendy M.

Duff und Catherine A. Johnson, die im Hinblick auf die Nennung von Personennamen als

wichtigstem Aspekt in Benutzerfragen mit den hier vorgelegten Ergebnissen korres-pondiert, kommt bezogen auf die Nennung von Daten zu einem anderem Ergebnis:

„In the resource discovery queries, the terms used to express an information need vary somewhat by frequency depending on the type of question asked and the information wanted. However, users gave proper names and dates for the majority of questions and they mentioned places, events, general subject, and specific forms to a lesser extent.”434

Als Erklärungsversuch kann formuliert werden, dass die Suche nach Material aus der Exilzeit bzw. von emigrierten Personen sich häufig schwierig gestaltet. In vielen Fällen ist es als Erfolg zu werten, überhaupt Material bzw. bestimmte Materialgruppen (Fotos, Urkunden, Briefe usw.) zu einer Person aufgefunden zu haben. Darüber hinaus ist vielen Benutzern vermutlich nicht bewusst, dass sich die Sammeltätigkeit des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 nicht auf die Exilzeit beschränkt, sondern alle Unterlagen auf-genommen werden, die das Leben bzw. Wirken eines Bestandsbildners dokumentieren.

Auf die Benennung von Entstehungszeiten wird ggf. auch aus diesen Gründen in den Anfragen verzichtet.

Um Aussagen über die Relevanz von Entstehungsdaten treffen zu können, bedarf es sicher einer weiteren Betrachtung. Ggf. kann dieser Aspekt nach der Auswertung der Benutzerinterviews und der Onlinebefragung nochmals aufgegriffen werden.

Die von Jutta Weber beschriebenen für den Forscher relevanten Kernkategorien der Nachlassbeschreibung „a) Wer hat geschrieben? An wen? b) Wo hat er/sie geschrieben?

c) Wann hat er/sie geschrieben? d) Zu welchem Sachverhalt hat er/sie geschrieben?“435 lassen sich durch die Auswertung der Benutzeranfragen für das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 nur teilweise als nachgefragte Kernkategorien bestätigen. Für eine Grober-schließung, die mehr ist als eine bloße Nennung des Nachlasses und weniger detailliert als eine Feinerschließung, muss daher gefragt werden, welche Angaben welche Relevanz für den Benutzer haben bzw. ob die angebotenen Erschließungsdaten von den Forschenden überhaupt genutzt werden. Die Frage nach Umfang, Formalangaben, Orten und Daten wurde bei dieser Stichprobe selten gestellt. Relativierend muss allerdings angemerkt werden, dass z.B. zur Beantwortung von allgemeinen Anfragen zu Themen grobe Angaben nicht genügen, da die Fragestellungen sehr verschiedenartig sind und relevante Informationen an unterschiedlichen Stellen in den Erschließungsdaten abgelegt sein können. Wird z.B. nach Dokumenten zum Themenfeld „Exilland Kenia“ gefragt, können Informationen aus der Angabe des Entstehungsortes bei Briefen, des

434 Duff (2001), S. 58.

435 Weber (1997b), S. 101.

Ausstellungsortes bei Lebensdokumenten, der Angabe des Exilwegs in den biografischen Informationen zum Nachlasser oder Annotationen zu Unterlagen usw. gewonnen werden.

Andererseits werden gesuchte Dokumente von den Anfragenden z.T. durch Angaben beschrieben, die es – auch bei gründlicher Tiefenerschließung – erforderlich machen, die Bestände einzusehen oder die Unterlagen zu digitalisieren. Bei Fotografien werden z.B.

Motivbeschreibungen formuliert, die weder in einer Tiefenerschließung noch einer Groberschließung ihre Entsprechung auf der Ebene der Titelaufnahme finden.

Der Erschließungszustand der angefragten Bestände zeigte erwartungsgemäß, dass eine Vielzahl der angefragten Bestände (58% bei den Anfragen und 41% bei den Vor-Ort-Benutzungen) nicht katalogisiert ist. Damit lässt sich bezogen auf diese Stichproben aussagen, dass Erschließungsleistung und Benutzerinteresse noch nicht optimal übereinstimmen.436 Hier ist zu fragen, ob eine auch an externen Faktoren, z.B.

Forschungskonjunktur, Jubiläum437 und der oben bereits erwähnten Kooperation von universitärer Forschung und Archiv orientierte Erschließungsplanung zu einer Annäherung von Erschließung im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 und Benutzerinteresse führen könnte. Von den angefragten katalogisierten Beständen waren lediglich 10% im Archivalienopac des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 recherchierbar, bei der Vor-Ort-Benutzung waren es nur 3%. Alle übrigen Bestände sind nur über die konventionellen Zettelkataloge erschlossen, die Informationen damit nur ortsgebunden zugänglich. Hier könnte durch die Retrokonversion der Zettelkataloge Abhilfe geschaffen werden. Für die Beantwortung der Anfragen musste in 30% der Fälle auf die Bestände selbst zurückgegriffen werden. Diese hohe Prozentzahl wirkt umso drastischer, wenn man bedenkt, dass bei den Anfragen nach Material von/an/über bestimmte Personen ungeordnete Bestände für die Auskunftserteilung unberücksichtigt bleiben, weil es in der Praxis nicht leistbar ist, alle ungeordneten Bestände auf Material zu einer bestimmten Person durchzusehen. Es kann festgehalten werden, dass die hohe Zahl der uner-schlossenen oder nur vorgeordneten Bestände den Aufwand für die Beantwortung von schriftlichen Anfragen erhöht. Da dem Benutzer keine Findmittel zur Verfügung stehen, muss der Archivar die Rechercheleistung erbringen. Da vermutet werden kann, dass sich das Rechercheverhalten der Benutzer in Zeiten neuer Informationstechnologien insgesamt verändert hat und die Befragung analoger Findmittel rückläufig ist, ist der Aufwand zur Beantwortung schriftlicher Anfragen aufgrund der fehlenden Retro-konversion der Zettelkataloge auch bei Beständen, die über konventionelle Zettel-kataloge erschlossen sind, hoch. Die Recherche muss zunehmend auch in diesen Fällen

436 Vgl. dazu auch Müller (2007), S. 53.

437 Vgl. dazu auch Keyler (2002), S. 101.

für den Benutzer vorgenommen werden. Im Gegensatz zur Recherche bei unerschlossenen Beständen kann hier aber auf strukturiert vorliegende Informationen zugegriffen werden. Auch bei der Vor-Ort-Benutzung führen die über konventionelle Findmittel erschlossenen Bestände zu einer höheren Belastung des Archivpersonals. Da die Bestände des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 nicht über überörtlich zugängliche Findmittel, wie z.B. gedruckte Findbücher, sondern nur über Zettelkataloge erschlossen sind, können Benutzer ihre Arbeitsbesuche nicht durch die Zusammenstellung relevanter Notationen vorbereiten. Das Heraussuchen des Materials muss aus diesem Grund adhoc erfolgen, nachdem der Benutzer vor Ort nach relevantem Material recherchiert hat.

Ohne an dieser Stelle bereits Regelwerksvorgaben oder aus internen Arbeitsabläufen erwachsene Notwendigkeiten zu berücksichtigen, lässt sich aus diesen beiden Analysen eine Tendenz ableiten: Als Feld für mögliche Rationalisierungsmaßnahmen stellt sich besonders die Formalerschließung dar, die in der ausgeübten Genauigkeit von den Benutzern in dieser Stichprobe nicht nachgefragt wird.

5 Die Sicht der Benutzer - Benutzerinterviews und