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3. Zur Situation von Frauen mit Behinderung

3.1. Wohnen

Wenn man sich den Bereich des Wohnens ansieht, ist eine Definition des Begriffes notwendig.

Wohnen meint, nach dem Behindertenpädagogen Theunissen (2006), einen Ort, an dem sich der Mensch „zu Hause, heimisch und zugehörig fühlen möchte, der Sicherheit, Schutz, Beständigkeit, Vertrautheit, Wärme und Geborgenheit vermitteln soll und die soziale Kommunikation, Zusammenleben, Wohlbefinden, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Lebenszufriedenheit und Lebensglück ermöglichen kann“ (Theunissen 2006: 59).

Um die Wohnformen von Menschen mit Behinderung zu gliedern, gibt es zwei konträre Paare, die Überblick schaffen sollen:

Geschlossene (Pflegeheime, Anstalten, Dorfgemeinschaften) vs. offene (Wohnheime, Wohngruppen, Wohngemeinschaften Einzelwohnungen, Elternhaus)

Fremdbestimmte (Wohnheim, betreutes Wohnen, ambulante Dienste, Fokusmodell, Servicehaus, Hilfe durch Angehörige) vs. selbstbestimmte (Assistenzmodell) (Bergest, Boenisch & Daut 2011: 305)

Zur Aufteilung in die bestimmten Wohnformen zeigt sich, dass ungefähr die Hälfte der Menschen mit Behinderung noch in ihrer Herkunftsfamilie wohnen, bei Frauen mit Behinderung trifft dies auch zu. Die meisten Frauen, die noch zuhause wohnen, haben ein eigenes Zimmer, obwohl es natürlich Ausnahmen gibt. Zuhause zu wohnen bringt einige Vorteile, beispielsweise die Nähe an dem gewohnten Umfeld, ein größeres subjektives Wohlbefinden und die Übernahme der Versorgung und Unterstützung von bekannten Personen. Problematisch an der Situation ist, dass die Ablösung und die Selbstständigkeit durch internalisierte Lebensautomatismen darunter leiden. Oft fehlen auch alternative Freizeitangebote oder Unternehmungen außerhalb der gewohnten Umgebung und der Kernfamilie. (vgl. Schallenkammer 2016, Friske 1995)

Neben dieser Wohnform ist das betreute Wohnen sehr verbreitet. Hierzu eine Reihe von Modellen des betreuten Wohnens:

• Wohnheim: durchgehende Betreuung, Wohnen in der Gemeinschaft mit anderen Menschen mit Behinderung, wenig Selbstbestimmung und Eigeninitiative möglich, Gruppenalltag

• Betreute Wohngemeinschaft: kleine Gruppe in den WGs, individuelle Gestaltung der Wohnung/des Zimmers, Leben mit Kompromissen, Regeln und eingeschränkter Selbstbestimmung

• Ambulante Dienste: Weitgehend selbstbestimmtes Leben allein oder als Paar. Starre Dienstpläne des Personals, kaum Wahlmöglichkeiten der Betreuungsperson

• Servicehaus und Fokusmodell: durchgehend besetzter Hilfedienst, Hilfe nach Anforderung, hoher Grad an Selbstbestimmung, personelle Engpässe und hohe Fluktuation beim Betreuungspersonal

• Assistenzmodell: eigene Wohnung mit selbst gesuchtem und entlohntem Assistenzpersonal, hoher Grad an Selbstbestimmung, Notwendigkeit besonderer

Kompetenzen und Übernahme von Verantwortung (Bergest, Boenisch & Daut 2011:

305f.)

Im Folgenden möchte ich auf einige dieser Wohnformen näher eingehen.

Grundsätzlich zeigt sich, dass noch immer ein großer Teil der Menschen mit Behinderung in stationären Institutionen mit mehr als 40 Plätzen wohnt, um genau zu sein 70%. Davon alleine leben 30% in Einrichtungen mit mehr als 200 Plätzen. So kann man davon ausgehen, dass für die meisten, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilie leben, das Wohnen in mehr oder weniger großen Einrichtungen zur Normalität gehört. Zu diesen zählen Wohnheime und Wohnstätten beziehungsweise Wohngemeinschaften. Die angegebenen Werte sind aus Deutschland, aber es ist anzunehmen, dass sie auch für Österreich gelten. (Röh 2009: 82f., Speck 2012: 346)

Heime sind die älteste Wohnform für Menschen mit Behinderung. Anfang der 1970er Jahre war die Unterbringung eines kognitiv eingeschränkten Kindes in einer „Anstalt“ üblich. Es war die Konsequenz einer Gesellschaft, die gleichgültig, distanziert und hilflos gegenüber Menschen mit Behinderung war. Diese Heime waren Großeinrichtungen, in sich geschlossen und mit höchst inhumanen Zuständen geführt. In den 70er Jahren wurde insbesondere unter dem Schlagwort der Hospitalisierung daran Kritik geübt. Diese Kritik führte anschließend zu innovativen Programmen der De-Institutionalisierung und Enthospitalisierung, die eine Ausgliederung kognitiv beeinträchtigter Menschen aus psychiatrischen Einrichtungen zur Folge hatte, sowie zu einer Reform innerhalb der Heime. Es wurde auch die Möglichkeit geboten Kinder innerhalb der Familie zu behalten, dafür wurden familienentlastende Dienste geschaffen. Viele Eltern entschieden sich zu dieser Zeit für die Familienlösung und die Zahl der „Heimkinder“ ging zurück.

Dadurch waren die Heime gezwungen sich zu verändern. Diese Änderungen bezogen sich auf den Abbau von Massenunterbringungen, den Zuwachs von kleineren Wohngruppen, die Professionalisierung des Betreuungspersonals und die Öffnung der Heime nach außen. (Speck 2012: 345)

Inzwischen ist die Nachfrage nach Heimplätzen wieder gestiegen. Aufgrund ihrer langen Tradition haben Heime eine bestimmte Sonderstellung erworben und haben sich weitgehend verselbstständigt. Grund für die Wahl eines Heimes ist meist, dass sich die eigene Familie nicht bereit oder nicht im Stande sieht, die Pflege und Erziehung des Kindes mit Behinderung zu übernehmen oder keine geeignete Pflegefamilie gefunden werden kann. Im Einzelnen können folgende Gründe ausschlaggebend sein:

• Unüberbrückbare, innerfamiliäre Probleme

• Fehlende außerfamiliäre Hilfe und Unterstützung

• Keine erreichbaren Tagesstrukturen zur speziellen pädagogischen Förderung

• Besondere Schwere und Intensität der Behinderung des Kindes (Ebd.)

Wohngemeinschaften, auch Wohnstätten genannt, entstanden bereits in den 1970er Jahren. Sie sind Wohngruppen in kleinen Einheiten, die vom Leistungserbringer der Eingliederungshilfe organisiert sind und selten dem Freiwilligkeitsprinzip unterliegen. Wohngemeinschaften sind Wohnräume für Menschen, die durch Verantwortung und Pflichten der Selbstversorgung überfordert sind und deshalb nicht selbstständig leben können. Sie wirken, je nach individuellen Fähigkeiten und Kräften, bei der Selbstversorgung mit. Die Betreuung ist je nach Bedarf rund um die Uhr möglich. Meist benötigen die Bewohner/Bewohnerinnen regelmäßige umfassende Förderangebote, aber nur in Teilbereichen. Das Konzept der Wohngruppen und der einhergehenden Gliederung ist weitverbreitet, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es trotzdem eine stationäre, oft sehr fremdbestimmte Wohnform ist. (Röh 2009: 84ff.)

Ein offensichtliches Merkmal von Wohngemeinschaften ist, dass niemand allein wohnt und somit der Isolation und Einsamkeit entgegengewirkt wird. Menschen, die sich schwer tun beim Kontakte knüpfen, fällt es hier leichter. Zudem wird Menschen mit Behinderung in Wohngemeinschaften so signalisiert, dass sie nicht allein sind, auch nicht mit ihren Problemen.

Durch die vielen Individuen wird im besten Fall auch ein entwicklungsförderndes, soziales Lernfeld geschaffen. Nichtsdestotrotz ist das Leben in dieser Wohnform mit Einbußen und einem Verlust an Intimität verknüpft. Meist werden Küche, Bad und Wohnzimmer mit anderen geteilt.

Zudem werden Regeln festgelegt um einen Rahmen für das Zusammenwohnen zu schaffen.

(Schlichte 2006: 49ff.)

Für Frauen mit Behinderung in stationären Wohneinrichtungen bringt dies oft die Ablösung von dem Elternhaus mit sich. Egal aus welchen Gründen der Auszug stattfand, erleichtert dieser oder ermöglicht er erst die Ablösung und Loslösung. Ein weiterer Vorteil von einer stationären Wohnform ist das Erleben einer gewissen Selbstständigkeit, besonders wenn das Leben im Elternhaus durch Isolation, Kontrolle und Bevormundung geprägt waren. Weiters äußert sich eine Verbesserung für Frauen mit Behinderung, die aus dem Elternhaus ausziehen, wenn sie nur aus Angst vor sexuellem Missbrauch außerhalb der gewohnten Umgebung daran gebunden waren, aber auch für Frauen, die in der Familie missbraucht wurden. Zudem erleichtert ein Wohnheim oder eine Wohngemeinschaft das Knüpfen von Kontakten und die Freizeitgestaltung.

Ein Punkt, der kritisch in der Literatur angeführt wird, ist das Zusammenleben von Frauen und Männern mit Behinderung in stationären Wohneinrichtungen. Manche Frauen mit Behinderung fühlen sich dadurch gestört, erleben eine Angst und ein Unwohlsein, besonders da solche Erfahrungen so vorher noch nicht gemacht wurden. Dies sollte thematisiert werden und darüber gesprochen werden, um Frauen mit Behinderung diese Angst zu nehmen und sie in diesem Prozess zu unterstützen oder ihnen andere Wohnformen zu ermöglichen, in denen sie frei von dieser Angst mit anderen Frauen leben können. (Friske 1995: 71ff)

Neben den stationären Wohnformen und dem Wohnen in der Herkunftsfamilie gibt es ambulant betreute Einzelwohnungen. In diesen Wohnungen leben meist Einzelpersonen oder Paare beziehungsweise Familien. Ambulantes betreutes Wohnen zeichnet sich dadurch aus, dass das Wohnen mit den notwendigen individuellen Hilfen im Vordergrund steht. Institutionelle Strukturen und Vorgaben entfallen, wodurch die Bewohner/Bewohnerinnen ihr Alltagsleben selbstbestimmt und eigenverantwortlich regeln. Durch das ambulant betreute Wohnen soll Menschen mit Behinderung ein autonomes Leben im eigenen Wohnraum ermöglich werden.

Nichtsdestotrotz werden die notwendigen Hilfen je nach Bedarf vom pädagogischen Personal oder vom Netzwerk der betroffenen Person, beispielsweise Familie oder Freunde, bereitgestellt.

Dadurch soll die Teilhabe in der Gemeinschaft ermöglicht, sowie die Selbstständigkeit und die Selbsthilfefähigkeiten erhöht werden. Die Dauer der ambulanten Betreuung sollte grundsätzlich unbegrenzt sein. Wenn Paare in eine Wohneinheit des ambulanten betreuten Wohnens ziehen, wirft dies unterschiedliche Probleme auf, je nachdem ob eine oder beide Personen einen Betreuungsvertrag unterzeichnet haben. Neben der Unterstützung und Hilfe in konkreten Anliegen, kommen immer wieder Probleme in der Beziehung zur Sprache. Wenn dies geschieht und nur eine Person betreut wird, so ist eine Einbeziehung der nicht-betreuten Person immer von dessen Bereitschaft und der Bereitschaft des Betreuers/der Betreuerin abhängig. (Röh 2009:

87ff., Schlichte 2006: 56ff.)

Fehlende Inklusion und Selbstbestimmung sind die größten Kritikpunkte zu den bereits angeführten Wohnformen. Es zeichnen sich aber auch positive Entwicklungen ab. Beispielsweise in Schweden, wo schon seit langem Konzepte zum gemeindeintegrierten (urbanen) Wohnen für alle Menschen mit Behinderung rechtlich kodifiziert wurden. Auch in Nordamerika zeigen sich Entwicklungen und Konzepte, die ein gemeindeintegriertes Wohnen für Menschen mit Lernschwierigkeiten, mehrfachen Behinderungen und herausforderndem Verhalten ermöglichen. Dies soll gewährleistet werden durch eine bedarfsbezogene Personalbemessung,

professionelle Betreuung, personenzentrierte Trainingsprogramme, positive verhaltenssteuernde Interventionen, strukturierte Milieus, Zusammenarbeit mit dem Netzwerk und durch die enge Verschränkung von speziellen Hilfen und allgemeinen sozialen Diensten.

Einschlägige Untersuchungen zeigen, dass Wohngruppen, in denen mehr als sechs Personen wohnen, als zu groß gelten, da ab dann der Grad der Selbstbestimmung erheblich eingeschränkt wird. Favorisiert werden vor allem Wohnformen des unterstützten Wohnens, auch Supported Living genannt, bei dem in der Regel ein bis drei Personen in einer Wohnung leben, wobei Wohnungs- und Assistenzanbieter nicht aus einer Hand sind. (Theunissen 2006: 59ff.)

Ein Beispiel für die Erweiterung von Supported Living sind sogenannte Enabling Niches, die mit dem Ansatz Community Care, der besonders in Großbritannien weit verbreitet ist, eng korrespondieren. Dem zugrunde liegt der Inklusionsgedanke des gemeinsamen Lebens in der Nachbarschaft. Enabling Niches steht für ein soziales Netzwerk, dass emotionalen Halt sowie Möglichkeiten und Unterstützung zur persönlichen Weiterentwicklung gibt. Dieses Netzwerk soll dafür sorgen, dass betroffene Personen in der Freizeit aber auch in Krisenzeiten auf soziale Ressourcen, egal ob informell oder professionell, zurückgreifen können. Dadurch soll eine Reinstitutionalisierung verhindert werden. (Ebd.: 68ff.)

Neben den urbanen Wohnformen des betreuten Wohnens gibt es auch noch Wohnformen am Land, wie Bauernhof- und Farmprojekte, Dorfgemeinschaften und Wohn- und Lebensgemeinschaften der Arche-Bewegung. Positiv hier hervorzuheben sind der schützende Charakter, das geringe restriktive Lebensmilieu, die haltgebenden dialogischen Unterstützungsstrukturen und die breite Palette an Angeboten. Sie bieten passgenaue Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten und zugleich ein zufriedenstellendes Angebot für Wohnen, Freizeit und Arbeit an. Trotzdem scheint es, als würden solche Angebote die gesellschaftliche Isolation und Distanz zur Öffentlichkeit fördern. (Ebd.: 72)

Es gibt natürlich noch weitere Wohnformen und auch alternative Wege zur stationären Option.

Angeführt werden einige bei Theunissen & Schirbort (2006).