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Partnerschaft & Ehe

4. Spezifische Aspekte einer Sexualität von Frauen mit Behinderung

4.3. Partnerschaft & Ehe

Der Begriff Partnerschaft wird in dieser Arbeit für partnerschaftliche Beziehungen verwendet, die sowohl für gegen- wie auch für gleichgeschlechtliche Konstellationen gilt. Partnerinnen und Partner sollen sich hierbei gleichermaßen angesprochen fühlen.

Die Themen Liebe, Partnerschaft und Ehe haben in unserer Gesellschaft allgemein einen hohen Stellenwert. Für viele Menschen stellt das Zusammenleben als Paar eines der wichtigsten Ziele dar, weit vor beruflichem Erfolg (Hennies & Sasse 2004: 65). Zudem dienen Partnerschaft und Eheschließung in unserer Gesellschaft auch als äußere Faktoren der Ablösung vom Elternhaus.

Sie haben großen Einfluss auf die Lebensqualität und auf die Zufriedenheit von Menschen.

Gelingende Partnerschaften tragen zudem zur Stabilisierung der Persönlichkeit bei, auf emotionaler und sozialer Ebene (Bender 2012: 124). Im Gegensatz zu familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen basieren Partnerschaften auf einer freiwilligen Ebene und sind gewünscht und frei gewählt. Die Wahl des Partners oder der Partnerin erfolgt auf der Grundlage freier eigener Entscheidungen. Auch Erwartungen und Hoffnungen sind an eine Partnerschaft geknüpft. Für Erwachsene ist eine Partnerschaft Normalität und der individuelle Ausdruck der geschlechtlichen Identität. Trotz unterschiedlicher Bindungsmodelle, Lebensformen und Beziehungsstile gibt es offensichtliche Attribute einer glücklichen Beziehung:

gegenseitiger Respekt, Liebe, Vertrauen, Zärtlichkeit, emotionale Sicherheit, Treue, Leidenschaft und Freundschaft. Wie bereits beschrieben kann eine funktionierende Beziehung positive Auswirkungen auf den Menschen haben, im Umkehrschluss hat eine nicht funktionierende unglückliche Beziehung negative Auswirkungen auf den Menschen: sie wirken destabilisierend, können depressiv machen und gesundheitliche Probleme auslösen. (Hennies & Sasse 2004: 66) Frauen mit Behinderung sehen Liebe und Partnerschaft als gleich wichtig an wie alle anderen und für sie hat es die gleiche Bedeutung von Glück und Zufriedenheit. Durch eine partnerschaftliche

Beziehung steigt das Selbstwertgefühl, die Achtung vor der eigenen Person wächst und aggressivem und depressivem Verhalten kann damit entgegengewirkt werden. Der freiwillige Charakter, der gegenüber den verpflichtenden Motiven bei Angehörigen und Betreuungspersonal besteht, und das echte Interesse an der Person trägt dazu bei, sich als liebenswürdiges Individuum wahrzunehmen (Bender 2012: 124f.). Frauen mit Behinderung im Speziellen erhoffen sich in einer Partnerschaft als wertvoller und bedeutungsvoller Mensch wahrgenommen zu werden, mehr Selbstwertgefühl zu erfahren und sich mit dem Partner/der Partnerin zu ergänzen. Weiters wünschen sie sich auf den Partner/die Partnerin verlassen zu können, Leben und Freizeit gemeinsam gestalten zu können und ihre emotionalen, sozialen und sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (Friske 1995: 85). Durch eine Partnerschaft erleben Menschen mit Behinderung auch eine Form der Normalität und das Gefühl, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Durch das Erleben, wegen seiner selbst geliebt zu werden, werden Frauen mit Behinderung als „wahre Frau“ bestätigt und als vollwertig akzeptiert. Partnerschaftliche Beziehungen haben somit einen identitätsstabilisierenden, entwicklungsfördernden und therapeutischen Effekt. Ein weiterer Faktor ist die zusätzliche Unabhängigkeit die durch eine Partnerschaft gewonnen wird. Durch die unterschiedlichen persönlichen Kompetenzen des Partners/der Partnerin, die als Ressource genutzt werden können, kann eine Unabhängigkeit in gewissen Bereichen von Eltern oder Institutionen ermöglicht werden (Hennies & Sasse 2004:

66f.). Besonders für Frauen mit Behinderung ist einen Partner/eine Partnerin zu haben eine Prestigefrage, eine Art Statussymbol, wodurch sie sich Anerkennung und Bestätigung erwarten.

(Friske 1995: 88).

Es wird deutlich, dass Partnerschaft und Liebe sich für Frauen mit Behinderung nicht unterscheiden. Trotzdem ist nur ein geringer Prozentsatz aller Menschen mit Behinderung in einer Beziehung, von den Erwachsenen mit Lernschwierigkeiten sind dies beispielsweise nur 10%.

Noch immer sind Beziehungen nicht selbstverständlich und auch nicht gesellschaftlich akzeptiert.

(Ebd.)

Neben gesellschaftlichem Druck gibt es noch weitere Faktoren, die eine Partnerschaft für Menschen mit Behinderung erschweren. Da ungefähr 50% noch in ihrer Herkunftsfamilie leben, sind sie dort einer ständigen Beobachtung, einem erzieherischen Einfluss und der sozialen Kontrolle ihrer Eltern ausgesetzt. Unsicherheiten und Sorgen auf Seiten der Eltern sind nicht selten, welche sich auf mögliche Schwangerschaften, Eifersucht oder Angst vor Gewaltübergriffen beziehen. Wenn die Eltern gegen eine bereits vorhandene Partnerschaft sind,

kommt es meist vor, dass ihre Kinder diesen Wünschen nachgehen. Dies wird durch die innere Unsicherheit, die soziale Abhängigkeit und die stärkere emotionale Bindung an die Eltern begründet. (Ebd.: 68f.)

In stationären Wohneinrichtungen und betreutem Wohnen zeichnet sich eine positive Veränderung ab, im Zuge der Normalisierung und Selbstbestimmung. Das Recht auf Partnerschaft, Liebe und Sexualität wird den Menschen mit Behinderung anerkannt. Sowohl Theorie als auch Praxis sehen partnerschaftliche und sexuelle Beziehungen als selbstverständlich an. Vom professionellen Anspruch her sollten sie unterstützt und sexualpädagogisch begleitet und beraten werden. In der Realität sieht es anders aus, da besonders die strukturellen Regelungen und Rahmenbedingungen des Wohnplatzes Beziehungen erschweren. Weitere Faktoren sind die Regeln und die seltenen Chancen, jemanden kennenzulernen oder die fehlenden Räume um Privatsphäre zu ermöglichen. Weitere Ausführungen dazu sind im Kapitel 4.2. nachzulesen.

Für Frauen mit Behinderung gestaltet sich auch die Partnersuche etwas schwerer. Die ausschlaggebenden Faktoren sind fehlende Gelegenheiten neue Kontakte kennenzulernen und die eingeschränkte Mobilität und Bewegungsmöglichkeit. Das Leben von Menschen mit Behinderung spielt sich hauptsächlich im Elternhaus beziehungsweise der Wohneinrichtung und der Arbeitsstätte ab. Um dem entgegenzuwirken wurden unterschiedliche Angebote geschaffen, die sich auf die Partnervermittlung fokussieren beispielsweise durch Workshops oder Kontaktanzeigen etc. Im nächsten Schritt stoßen viele Menschen mit Behinderung auf fehlende sozio-sexuelle Techniken um in Kontakt zu treten, Smalltalk zu führen oder ein Rendezvous zu gestalten. Dies ist auf fehlende Peergroup-Erfahrungen in der Adoleszenz zurückzuführen.

Frauen mit Behinderung stoßen vereinzelt auf Interesse bei Männern ohne Behinderung, was meist leider kritische Fragen nach den Motiven des Mannes aufwirft. Wenn eine partnerschaftliche Beziehung zustande kommt, folgt meist eine spontane abrupte Trennung.

Gründe für eine Trennung können vermutet werden:

• „In der Schwierigkeit, Konflikte zu lösen,

• In der unterschiedlichen Auffassung über Nähe und Distanz,

• In der Einmischung oder Beeinflussung seitens Eltern oder Betreuer [/Betreuerinnen] zu Ungunsten der Partnerschaft,

• In mangelnder Pflege der Beziehung,

• In unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen,

• In mangelnder oder unzureichender professioneller Unterstützung“ (Hennies & Sasse 2004: 71)

Der Ehe kommt heutzutage, trotz pluralistischen individualisierenden Tendenzen, immerhin eine besondere gesellschaftliche Stellung zu. Besonders bei Menschen mit Behinderung ist der Wunsch dabei sehr stark, durch die Heirat Anerkennung für ihre partnerschaftliche Beziehung zu erlangen. Dabei bezieht man sich einerseits auf die Gesellschaft, andererseits aber auch auf Eltern, Betreuer, Betreuerinnen und Angehörige. Leider wird dem Heiratswunsch meist eine negative Reaktion entgegengebracht. So werden Ehelosigkeit positiv bewertet und eine Realisierung der Ehe aufgrund der Behinderung verneint (Bender 2012: 126)

Rechtlich gesehen steht dem Heiratsvorhaben nichts im Wege solange beide Partner geschäftsfähig sind. Ist dies nicht der Fall und sie werden besachwaltet, so benötigt man eine Zustimmung der sachwaltenden Person. (Ebd.)

Für Frauen mit Behinderung stellt Ehe ein besonders wichtiges Thema dar. Zum einen, weil sie sich in einem diskriminierenden Spannungsfeld bewegen – von der Gesellschaft wird von Frauen generell verlangt, dass sie heiraten und das auch nicht zu spät erledigen. Von Frauen mit Behinderung wird eher das Gegenteil erwartet. Sie sollen nicht heiraten, da mit der der Heirat meist die Fortpflanzung verknüpft ist und dies in unserer Gesellschaft weiters kritisch betrachtet wird. Zum anderen, weil viele Frauen mit Behinderung, entgegen der gesellschaftlichen Erwartungen, sich eine Heirat für ihre Zukunft erhoffen. Gründe dafür sind Liebe, Normalität, Veränderung, Unabhängigkeit oder Anerkennung. Argumente, die dagegen sprechen sind beispielsweise das fehlende Geld, fehlende professionelle Unterstützung oder feministische Ansichten, die die Ehe als tragende Säule des Patriarchats ansehen. (Friske 1995: 91ff.)