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3. DAS HANDBOOK-OFFICE

3.10. Wissenschaftliches Arbeiten im Handbook

Wie bereits berichtet, war eine Veröffentlichung der Handbook-Serie ohne eine Überarbeitung der angenommenen Manuskripte durch die Redaktion nicht denkbar.

Zu dieser Überarbeitung gehörte neben den überprüfenden Aufgaben auch For-schung, d.h. in diesem Fall Verifizierung und Suche nach neuen Erkenntnissen in Form von Ergänzungen. Neben Dr. Hanson, der seine Aufgaben als Kustos stärker im Forschungsbereich angesiedelt sah, waren es zur Zeit meines Aufenthaltes aus der Redaktion selbst Sarah Weidner (Illustration Researcher), Dr. Claudio Agostini ("the Researcher", wie er in den Vorworten der Bände, an denen er beteiligt war, bezeichnet wurde), sowie, allerdings weniger stark, Martha Crawford und Ken Clinton, die in diesem Bereich tätig waren. Der nicht besetzte Posten des Artifact Researcher deutete ebenfalls schon in der Stellenbezeichnung auf den Tätigkeits-schwerpunkt der jeweils diese Position innehabenden Person hin.

In der Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten, Washington DC, gab es für Forschungen außerhalb der naturwissenschaftlichen Bereiche fast ideale Bedingun-gen. Hier war die "Library of Congress", die von allen in den USA veröffentlichten Büchern zwei Exemplare besaß und viele weitere Dokumente aufbewahrte; und hier gab es eine große Anzahl an Archiven und Museumsmagazinen, die für Forschungs-zwecke zugänglich waren, unter anderem die des Johnson Institutes.

"Welcome to the Johnson" hieß es in einer Informationsbroschüre (1990), die vom Institut verteilt wurde, und weiter

"The Johnson Institute ... holds some 137 million artifacts and specimen in its trust 'for the increase and diffusion of knowledge.' The Institute, an important center for research, is dedicated to public education, national service and schol-arship in the arts, science and history. ... Besides the basic research carried on in each of the museums, the Johnson also maintains a number of special re-search facilities".

Diese zentrale Aufgabe des Johnson Institutes, menschliches 'Wissen' zu erwei-tern und zu verbreiten, wies es als eine Institution aus, für die Forschung und öffent-liche Bildung die Grundlage der Daseinsberechtigung war. Für das Department of Anthropology innerhalb des Museums für Ethnologie und Umwelt hieß es deshalb:

"Museum anthropologists conduct extensive field work throughout the world, pursuing greater understanding of humans and their history through archaeology, skeletal biology, and cultural studies". (WWW-Seite des Department of

An-thropology im Internet 1997).

Einige der Redaktionsmitglieder sprachen, wie bereits oben erwähnt (s. S. 85), von einer Aufteilung ihrer Aufgaben zwischen den beiden Bereichen und Dr. Agostini sah das Handbook-Projekt als einen 'Zwitter':

"... we are both, at the same time, a research and a publishing unit." (Interview Dr. Claudio Agostini).

Um den beschäftigten Wissenschaftlern die Forschung zu ermöglichen und zu erleichtern, besaß das Johnson Institute einen eigenen Bibliotheksverbund, in dem die über viele Standorte verteilten Bibliotheken zusammengeschlossen waren:

"The Johnson Library Catalog includes holdings of the Johnson Institute Librar-ies' 18 branch libraries ... . The Johnson Institute Libraries (JIL) supports the re-search activities of the Institution's staff, scholars, and scientists from around the world, and members of the public. The JIL collections of approximately 1.2 mil-lion volumes, including over 15,000 journal titles, are available to visiting re-searchers and Johnson staff as well as to other scholars through a system of eighteen branch libraries throughout the Washington, D.C. area, and in Edgewa-ter, Maryland, New York City, and the Republic of Panama." (aus der WWW-Seite des Johnson Institute Research Information System [JIRIS], 1997).

Mitte der neunziger Jahre war der Zugang zu den Katalogen auch online mög-lich, um so die wissenschaftliche Arbeit zu vereinfachen. Die Verbindung der John-son-eigenen Einrichtungen mit denen anderer öffentlicher Institutionen in Washing-ton boten eine hervorragende Ausgangssituation für die Forschung. Vor allem Dr.

Agostini war viel unterwegs, innerhalb und außerhalb des Gebäudes, um Informa-tionen einzuholen, und hatte bereits von seiner früheren Tätigkeit her viele Bekannte in unterschiedlichen Archiven. Er legte viel Wert auf die Tatsache, daß er wissen-schaftlich für das Projekt tätig war.

"Yes, I work very closely with [name not understood] from the Census. ... Prior to coming here, I was working ... [for the NCAI]. I was working also for ... [AIO]. ...

These kind of ethnographic research skills for purposes of research on treaties, landclaims, ... education ... [and to know] where the sources are, I applied into my research for the Handbook

We are here to publish a product, and to conduct research on this very project, so we are not just like the Archives that the people can come to and do research ..., but we are actually the people who conduct research to an end, to a product, which are the

. And that is one of the reasons I was hired by the Handbook, because I had those research skills. ...

Handbook

Durch die Lokalisierung des Handbook-Büros waren ihm viele Daten zugänglich, die von anderen Orten nur umständlich zu beschaffen waren, wie z.B. Daten zur Be-völkerung. In einigen Kapiteln waren noch Zensus-Angaben aus dem Jahre 1950 für die Bevökerungsgröße angegeben, welche von ihm korrigiert und ergänzt wurden.

volumes." (Interview Dr. Claudio Agostini).

"The population figures are submitted to the author for his approval and then they are published without my name. ... This is part of my work, this is what I do.

I get paid ... to do all this research, ... [and] updating the population files. And the authors appreciate, because they ... send letters and say, 'Well, I don't have ac-cess to this information, could you please provide it'. ... Or 'I don't know anything about it', or 'Go ahead and do it'." (Interview Dr. Claudio Agostini).

Ich war eines Tages während meines Aufenthaltes 1993 von Sarah Weidner ge-beten worden, für ein Foto die Bildunterschrift zu erstellen. Die Aufnahme zeigte ei-nige Personen, von denen die Namen bekannt waren und von dem Archiv, aus dem das Bild stammte, war überliefert, daß diese Aufnahme 1925 während eines Tref-fens in Helena im Bundesstaat Montana gemacht worden war. Es ging nun darum, mehr über das Treffen und die abgebildeten Personen herauszufinden. Mein erster

Gang führte daher in die Library of Congress, um in Tageszeitungen aus Helena aus dem Jahre 1925 etwas zu erfahren. Ich fand einige Artikel über das Treffen, in de-nen davon die Rede war, daß ein Beschwerdebrief an den damaligen amerikani-schen Präsidenten Calvin Coolidge geschickt worden war und folglich, so vermutete ich, in Washington zu finden sein mußte. Nach dem Durchstöbern der sogenannten

"Presidential Papers" in der Library of Congress, in denen dieser Brief und die Re-aktion des Präsidenten darauf nicht zu finden waren, suchte ich im amerikanischen Nationalarchiv, von unserem Büro keine Viertelstunde zu Fuß entfernt. Hier wurde ich fündig: der Originalbrief mit seinen Unterschriften war genauso vorhanden wie die Weitergabe der Beschwerde durch den Präsidenten an die betroffene und damit zuständige Behörde, sowie deren weiteres Vorgehen und Antwort. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich die gewünschten Informationen, was mich vermutlich von an-derer Stelle aus einen immensen Zeitaufwand gekostet hätte.

Sarah Weidner hatte sich im Laufe der Zeit aufgrund ihres besonderen Status als anthropologist eigene Vorhaben gesucht, die sie parallel zu den Aufgaben aus dem Handbook-Projekt bearbeitete. Sie engagierte sich in der Vereinigung American An-thropological Association, speziell in der Untergruppe Visual Anthropology und hatte Aufsätze unter anderem in den Zeitschriften Cultural Anthropology und Arctic Anthro-pology veröffentlicht, die jeweils mit ihrem Spezialbereich Bilder/Fotos (images) zu tun hatten. Für sie war das Handbook im Jahre 1993 hauptsächlich eine Plattform, von der aus sie eigene Projekte verfolgte, ohne ihre Arbeit für das Handbook zu ver-nachlässigen, da, wie schon früher angedeutet, die Bereiche ineinanderflossen und sie bereits sehr viel Material für das Handbook zusammengetragen hatte.

Dr. Agostini nutzte die Situation ebenfalls so gut es ging für wissenschaftliche Arbeit, die sowohl dem Handbook als auch seinem privaten Forschungsinteresse zugute kam, worauf bereits (s. S. 158) hingewiesen wurde. Da er aber nicht über die Freiheiten verfügte, wie Weidner sie besaß, war seine wissenschaftliche Arbeit auch stärker auf das Handbook-Projekt bezogen.

Auch Martha Crawfords Arbeiten waren auf das Handbook bezogen. Sie fertigte u.a. vergleichende Darstellungen z.B. von Häuser-, Waffen-, Hausgeräte- oder Bootstypen an. Um eine zusammenfassende Übersicht erstellen zu können, arbei-tete sie einerseits mit Kustoden des Museums und/oder den Autoren zusammen und bezog andererseits aus verschiedenen Quellen ihre Informationen, um eine korrekte Zeichnung anfertigen zu können:

"I have to work from wittness descriptions, other peoples sketches, old bad pho-tographs, and sometimes good phopho-tographs, good material or actual models. So it varies what I have to work from." (Interview Martha Crawford).

Ein Aspekt in meinen Gesprächen mit Angehörigen der Handbook-Redaktion und mehrfach auftauchendes Diskussionsthema (s.S. 124) war der Titel Doctor of Philosophy, kurz PhD. Wie in diesem Zusammenhang bereits erwähnt, wurde die

hierarchische Stellung innerhalb des Handbook-Büros nicht durch akademische Titel manifestiert, sondern durch die eingenommene Position.

Sarah Weidner hatte den Johnson-Status einer scientist/anthropologist auch oh-ne PhD. Sie war der Ansicht, daß für eioh-ne Aoh-nerkennung als 'vollwertige und ernst-zunehmende Wissenschaftlerin' innerhalb der amerikanischen Anthropology der PhD die Grundvoraussetzung sei. Jemand ohne diesen Abschluß würde nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei einem Gespräch über einen gemeinsamen Be-kannten mit Weidner und Dr. Agostini bemerkte dieser, daß der Bekannte trotz eini-ger guter Arbeiten in der anthropological community unverdientermaßen nicht aner-kannt sei. Dr. Agostini führte dies auf den fehlenden PhD zurück, was Weidner zu-nächst in Bezug auf diese Person bezweifelte, nichtsdestotrotz ihm darin zustimmte, daß ohne Doktortitel keine Anerkennung erfolgte.

Für Dr. Agostini hatte der Status als promovierter Wissenschaftler, in meinen Augen, eine größere Bedeutung als sein offzieller Johnson Institute- , bzw. Hand-book Office-Titel, der ihm nicht so wichtig zu sein schien:

"And that's the reason why there is one, myself, 'Ethnographic Researcher', 'Anthropological Researcher' or whatever they call me." (Interview Dr. Claudio Agostini).

"And the other thing that I do, again because of my background, because of my degree. ... I acquired a PhD in anthropology. ... As of right now, I am the only anthropologist with a PhD within the Handbook-staff, except for Dr. Hanson, who is the linguistic editor. But in terms of anthropological and ethnohistorical re-search ..., I am the only one." (Interview Dr. Claudio Agostini).

Die Betonung des akademischen Titels führte Weidner eher auf seine europäi-sche Herkunft zurück, was ich einer schriftlichen Bemerkung von ihr an anderer Stelle, und nicht auf ihn bezogen, entnehme: "I know this Dr.-usage is very Euro-pean".

In der Handbook-Redaktion hatten promovierte anthropologists in ihrer Rolle als Autoren und als Gruppe betrachtet an Ansehen eingebüsst, wie bereits oben ange-sprochen wurde. Andererseits beklagten sich vor allem Berlusconi und Smith, daß die neue Managerin keine anthropologist (hier als Berufsbezeichnung gemeint) wä-re, ja nicht mal einen Doktortitel hätte und, so ihre Einschätzung, von dem behandel-ten Thema wenig Kenntnisse besäße, was bei ihren Vorgängern zumindest immer der Fall gewesen wäre. Entsprechend würden sich Autoren und Volume Editors, überwiegend PhD-anthropologists, von ihr nichts sagen lassen:

'"Und diese Leute nehmen auch nichts an, ..., die wollen was von einem Anthro-pologen haben, und somebody der einen Namen hat, nach Möglichkeit, und nicht von einem Manager". (Interview Anna Smith, Original in deutsch).

Dies war in ihren Augen einer der Gründe, warum es zu dem Zeitpunkt mit dem Handbook-Projekt nur schleppend voranging. Es bestand ein insgesamt also ambi-valentes Verhältnis zum PhD-Titel.