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Aufgaben(ver)teilung im Handbook und Verhältnis der Mitarbeiter zueinander

3. DAS HANDBOOK-OFFICE

3.9. Die Beziehungen der am Handbook Beteiligten zueinander

3.9.1. Aufgaben(ver)teilung im Handbook und Verhältnis der Mitarbeiter zueinander

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Redaktionsbüros identifizierten sich alle mit dem Produkt "Handbook of ...". Sie waren stolz auf das Ergebnis, die veröf-fentlichten Bände und darauf, an einem Werk mitarbeiten zu können, das für viele Jahrzehnte als Standard-Enzyklopädie gelten sollte, so zumindest die ursprüngliche Vorstellung:

"[I]t is very satisfying to work here, because when you actually have finished [a volume], you know you have done something that is not only good for today or this week or this year, but something for ages, years into the future. ... The ones we finished, the staff was so proud of and ... and I am sorry there's not more; I really hoped we had one." (Interview Helen Berlusconi).

Ähnlich äußerten sich die anderen Mitarbeiter. Stolz auf ein Produkt, das sie zu großen Teilen mit erarbeitet hatten und das ohne ihr Zutun nicht entstanden wäre.

Helen Berlusconi war überzeugt, daß die Redaktion ca. 50% zu den veröffentlichten Artikeln im Handbook beigetragen hätte.

Dies ginge nicht ohne Arbeit im Team, wie von allen betont wurde. Gravierend auseinander gingen allerdings die Auffassungen von dem, was Teamwork für ein-zelne bedeutete. Ruben verstand darunter etwas ganz anderes als z.B. Berlusconi und Smith. Diese sahen Teamwork als ein reibungsloses Zusammenwirken von Rädchen nach einem einmal entworfenen Plan, wie es Berlusconi z.B. in ihrem Vergleich mit der Washingtoner Metro verdeutlichte, die auch weiterliefe, wenn der Direktor stürbe. Die Maschine funktionierte, ohne daß der Ingenieur die ganze Zeit daneben stünde und alle Teile im Auge hätte. Da jeder um seinen festen Platz und die damit verknüpften Aufgaben wüßte, sei das Gebiet und die Position eines jeden genau abgegrenzt:

"I would be the first person to work on a manuscript, because they [the col-leagues] wanted to see what order the pages were. ... Anna would go through it and make sure all the references were correct. Sarah would read it and decide where maybe she could look for some pictures. The other staff members did the same: the artifacts researcher looked at it to see what artifacts should be re-searched..., the cartographer would read it and start making the map. Everything was read by everyone in the staff so in the ultimate we would act as a unit, not as a single person, we became a co-author with the volume-editor, because we contributed so much to it." (Interview Helen Berlusconi).

Für Berlusconi und Smith, ebenso wie für Dr. Agostini, bedeutete Teamwork die genaue und reibungslose Umsetzung der von Dr. Thomas gesetzten Regeln, nichts anderes. Sie boten Halt und gaben genaue Anweisung, was zu machen war. Daher könnte man auch Unstimmigkeiten in der Arbeit der anderen entdecken und diese darauf hinweisen. Sie wären keine eingefahrene bürokratische Truppe, in der jeder nur seinen eigenen Bereich im Blick hätte, sondern ein Team, daß aufeinander acht gäbe:

"And we work together very well as a team, as I said many people have been he-re for many years, for ten and twenty years, so we ahe-re used to each other and we get to sort of a streamline kind of thing; there is no misunderstanding."

"I mean, we are all ..., I am ..., many of us are very open to suggestions from each other, too, because we know each others' work so well. If I see something that looks like a mistake that maybe Anna overlooked, I just don't go over it not saying anything. I go and say 'Anna, look this...', and she does the same to me, points out things that I overlooked. ... Most people have a supervisor on the job and the supervisor checks their work, and we don't have that. What we have is looking over each other all the time and looking out for each other. ... It's not like 'That's not my business.'" (Interview Helen Berlusconi).

Ähnlich äußerte sich Dr. Agostini, der die Arbeit des Redaktionsbüros mit einem ausgeworfenen Netz verglich, mit dem so viele Probleme wie möglich aufgefangen werden sollten. Diese würden dann jeweils von einem Mitglied des Teams bearbeitet und anschließend in einer Art Puzzlespiel zusammengefügt.

Die Arbeit an den Manuskripten und die Produktion des Handbooks

Die Redaktionsmitglieder waren an selbständiges Arbeiten im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeit gewöhnt. Jeder und jede wußte genau, was von ihm und ihr verlangt wurde. Ihnen wurde daher auch viel Freiheit in ihrer Arbeit zugestan-den und von einer übergeordneten Instanz wurzugestan-den sie so gut wie nicht kontrolliert

rief eine, wenn auch rein arbeitsbezogene, Gruppenidentifikation der Redaktonsmitglieder hervor. Einbezogen in die Wir-Gruppe der Handbook members (s. dazu unter ande-rem Novak 1993: 139) waren die administrativ eingesetzten Mitarbeiterinnen sowie, aus Sicht einiger Redaktionsangestellter, Dr. Hanson. Dieser hingegen sah sich nicht als Mitglied der Redaktion, sondern als Kustos des Museums, der nur einige Aufgaben in dem Projekt übernommen hatte.

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"Yeah, that's very nice and everybody here is pretty self-motivated. So that's nice, you don't have to have somebody looking over your shoulder every five minutes, 'cause I don't work like that." (Interview Martha Crawford).

. Ein Umstand, den alle als einen großen Vorteil ihres Arbeitsplatzes in der Handbook-Redaktion ansahen:

Bevor Ruben als Managerin zum Handbook kam, hatte es regelmäßig alle zwei Wochen, gelegentlich jede Woche, Sitzungen aller Redaktionsmitglieder gegeben.

Auf diesen Sitzungen wurden Informationen ausgetauscht und über den Stand der jeweiligen Arbeit diskutiert:

"Right, and see, at one point we were having staff meetings every two weeks. I am sorry, every week. Every week. So therefore at the staff-meeting everybody could tell where everybody else was. And if you were lagging behind that meant you had to work up. So this is how we kept in touch with each other as far the schedule was concerned." (Interview Linda Miller)

"Every single two weeks we would all get together and not for any specific pur-pose. ... Just to get the other to share the information because as you can see we all work so independently. It's a coming and going, working in the library, ..., so you can't always catch up with people. ...

We would literally say 'Ok, what's going on?' We were just like people sort of share what they had, I don't know, if it's more like a group therapy, ... but it was very, very productive, because we did work as a team and everybody shared what they had accomplished.Very often you would find out something you never would have found .... For instance 'Well, I just got a letter from this so and so author, and boy, is he obnoxious, will you hear what he's been doing to me, I really wish you would knew it.' Another person said: 'I am glad you told me that,

43 Ein ähnlich selbstverantwortliches berufliches Handeln ist aus dem Handwerk bekannt, wie Thomas L. Steiger und William H. Form in einem mir nicht zugänglichen Aufsatz (The Labor process in construction: Control without bureaucratic and technological means? in Work and Occupation 18: 251-70; 1991) beschrieben haben (nach Trice 1993: 49). Sie stellten fest, daß Handwerker eine zu enge Überwachung ihrer Arbeit als Infragestellung ihrer beruflichen Quali-fikation betrachten und bei verstärkter Kontrolle eher ineffizienter arbeiten würden. Sie bezeichnen diese Form als Responsible Autonomy.

because he wouldn't answer my letter either'. And then we would sort of say 'Ok, now, what is the problem? How we're gonna solve this problem?'. And many times we would come up with new ideas about how to solve a problem with an author that wouldn't write. ... Or we would brainstorm: 'Who can we get to write the article since the author is not producing?' or 'How can we handle this prob-lem?' Any problem you had you would just throw on the table and with ten or eleven people that are pretty bright, we always came up with an answer."

(Interview Helen Berlusconi)

Den Zeitplan hatte, bevor Ruben kam, Berlusconi aufgesetzt, da sie in jener Pe-riode Teile der internen Organisation übernommen hatte, was allerdings nicht von allen Mitgliedern akzeptiert worden war. So reibungslos, wie sich hier die Zusam-menarbeit aus der Sicht einiger Mitarbeiter(innen) darstellte, war sie in der Realität nicht. Die Gruppentreffen hatte es seit Rubens Übernahme nicht mehr gegeben, da in ihren Augen die auf den früheren Sitzungen ausgetauschten Informationen haupt-sächlich als Mittel eingesetzt wurden, um sie gegen andere auszuspielen. Jahrelang sei es regelmäßig zu Streit auf den Sitzungen gekommen, da man sich, so Rubens Interpretation, innerhalb des alle gleich behandelnden Systems des Öffentlichen Dienstes von anderen abheben wollte und es daher Profilierungskämpfe innerhalb und nach außen gab. Jede Information, die in dieser Hinsicht verwertbar gewesen wäre, so Ruben, sei in diesen 'Stellungskriegen' verwertet worden (bitching) und habe nicht zu einer Verbesserung der Leistung geführt. Rubens Verständnis von Teamwork war eines von einer gemeinsamen Entwicklung eines Ganzen und einem 'an einem Strang ziehen' und nicht das eines von Konkurrenz und Dominanzstreben Einzelner geprägte gegeneinander.

Waren früher noch reichlich Informationen über Autoren, Umbesetzungen u.ä.

ausgetauscht worden, hielt die neue Managerin diese nun zurück, so daß die Mitar-beiter sich kein richtiges Bild davon machen konnten, wie die jeweilige Lage war.

Daher wurde die Notwendigkeit einer Führungskraft von einigen Mitarbeiterinnen in Frage gestellt, zumal jede(r) sowieso genau wüßte, was zu tun wäre.

Auch andere sahen die Zusammenarbeit nicht ganz so rosig. Während Dr.

Agostini in seiner Beschreibung neutral blieb ohne zu werten, sprach Sarah Weidner von "factionalism within the Handbook", genauer "about text-people against picture-people", und davon "who is in power and how they use these powers", wobei sie dies speziell auf die Auswahl ihrer Fotos und deren Veröffentlichung bezog.

Crawford, die Illustratorin sah die Unstimmigkeiten nicht ganz so extrem, sondern als etwas Normales an, allerdings sei sie auch noch nicht solange dabei:

"I mean, you have some disagreements, but... hopefully what comes out of these disagreements is ... the best work. I mean you have to have some disagreement to get it. But, yeah, sometimes people get on your nerves. It's gonna happen, I mean you work with the same ten or twelve people for six or seven years and some of the people have been here for twenty years, some fifteen years, so it happens, but it passes, it's not anything, no big deal." (Interview Martha Crawford).

Anders sah es eine Außenstehende, Catherine Osake, die als Assistentin von Weidner zwar halbtags im Handbook-Büro arbeitete, aber nichts mit dem Projekt an sich zu tun hatte:

"Oh, it's one of the coldest offices I've ever worked in. I haven't worked in a whole lot, but this one ... . It's great when Claudio is there. He ... is always ap-proachable, and he is that way to everybody. But not everybody in that office is that way. In fact ... there are very few people in that office that are that way; he is probably the only one.

... I can't figure out how they are working ... Are they really working together on a project? It doesn't seem like it. Seems they are all working on their own little projects. And I don't see how they come together" (Interview Catherine Osake).

Offenen Streit habe ich während meiner Aufenthaltszeit nicht registriert, aber der Kontakt untereinander schien überwiegend geschäftlicher Art zu sein. Es gab kaum private Kontakte der Mitarbeiter untereinander, wie Anna Smith berichtete:

"Wir sind eine Gruppe von Menschen, die zusammen arbeiten können, aber nichts, nichts, nichts anderes zusammen machen. Unsere Parties, die paar, die wir ... gehabt haben, Weihnachtsfeiern und solche Sachen ... it doesn't work.

Und da ist auch keinerlei Beziehung außerhalb der Arbeit. Innerhalb ja, aber niemand kommt mit dem anderen zusammen am Sonnabend oder Sonntag oder zu irgendwelchen anderen Veranstaltungen" (Interview Anna Smith, Original in deutsch).

Mit etwas Freude (und auch Stolz) kann ich daher berichten, daß mein Ausschei-den für das komplette Büro Anlaß war, sich zu einer kleinen Abschiedsfeier

zusammenzufinden (ob aus Erleichterung darüber, daß ich nun endlich gehe, kann ich allerdings nicht sagen). Jeder brachte eine Kleinigkeit zu essen mit und Getränke wurden besorgt. Eine richtig lockere Stimmung kam allerdings nicht auf, da es für die Mitglieder ungewohnt schien, komplett versammelt zu sein und sich über

nicht-dienstliche Angelegenheiten zu unterhalten.

Daß es wenige private Kontakte gab, zeigte sich auch zur Mittagszeit. Lediglich Sarah Weidner ging in die Museums-Kantine und wurde dabei von Leuten begleitet, die für sie arbeiteten, unter anderem von mir. Von den anderen Kollegen kam nie-mand mit. Lediglich Dr. Hanson aß dort ebenfalls regelmäßig in der Mittagspause und traf sich dazu mit Dr. Thomas. Sie beachteten uns aber nicht weiter und setzten sich auch nicht zu uns an den Tisch, was wir uns umgekehrt auch nicht getraut hät-ten.

Für die Mitarbeiter war das Verhältnis zu den Kollegen also tatsächlich rein ar-beitsorientiert und ein weiterer Kontakt wurde nicht angestrebt. Zwischen einigen Personen gab es allerdings sehr wohl Unterhaltungen und den Austausch von Neu-igkeiten, von anderen bissig als 'Klatsch und Tratsch' bezeichnet, an dem sie sich nicht beteiligen wollten oder durch den sie sich gar gestört fühlten:

"I try to be friendly, ... I don't like standing [there], talking and all that, ... I am not into awful gossip; they always run around 'bitching'" (Anonym belassen).

Neben der mangelnden 'Auftragslage', also fehlender neu hereinkommender Manuskripte, war sicherlich die Ansiedelung ihres Arbeitsplatzes im Öffentlichen Dienst ein Grund für Frustrationen bei einigen Redaktionsmitgliedern:

"There are many dead-end jobs in the public sector. Kanter and Stein have identified seven ways that people get stuck (1981, pp. 46-47)44

- They may be on a very short ladder (as secretary or scientist, for example);

:

- they arrived through an unorthodox career path (parachuted from another unit or advanced in one speciality; there is no way to cross to another lad-der);

- they have been squeezed by the organizational pyramid shape (which af-fects older employees not chosen for upper positions);

- they are caught in promotion freezes because of the economy;

- they are getting discouraging messages from managers;

- they see no role models; and

- they act stuck (dreaming, gossiping, or griping)" (Rosen 1993: 171).

Diese Faktoren trafen mit Ausnahme des wirtschaftlichen Punktes (bis dato) und des letzten Punktes, der hauptsächlich für drei Personen galt, auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Handbooks zu. Vor allem für jene war es unangenehm, die, um etwas arbeiten zu können, auf den Eingang neuer Artikel angewiesen waren,

während andere, z.B. Weidner, Dr. Agostini oder Crawford, wie bereits oben beschrieben (s. S. 138), sich Aufgaben suchen konnten.

Zurück zum unterschiedlichen Verständnis von Teamwork. Schein beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten der Arbeitsweise:

"Unter Umständen vertritt ein Gründer die Auffassung, ein Unternehmen läßt sich nur erfolgreich leiten, wenn man jeden einzelnen mit einer bestimmten Auf-gabe betraut, ihn für seine Leistungen zur Verantwortung zieht und die Grup-penarbeit möglichst einschränkt, weil derlei nur zu Lösungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner oder schlimmstenfalls sogar zu einer Verwirrung hinsicht-lich der Verantwortung führt. Eine andere Führungspersönhinsicht-lichkeit könnte demge-genüber die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Mitarbeitern als bestes Mittel für Problemlösungen und ihre Umsetzung halten, weil sich nur so der für die Bewältigung der Aufgabe erforderliche Grad von Teamwork realisie-ren läßt" (Schein 1995: 120).

Im Handbook handelte es sich um eine stärker zu ersten Beschreibung tendie-renden Arbeitsform, die, unabhängig davon, ob der Gründer im Büro anwesend war

44 Kanter, R.M. & Stein, B.A.; Ungluing the Stuck: Motivating Performance and Productivity through Expanding Opportunity. in: Management Review, July 1981

oder nicht, sich an dessen Vorgaben orientierte. Jeder und jede hatte einen abge-grenzten Bereich, für den er oder sie im Rahmen der Aufgabenbewältigung zustän-dig war. Die Kollegen halfen sich z.T. zwar gegenseitig, wenn es um die Einhaltung und Umsetzung der vorgegebenen Regeln ging; die Gruppe war aber nicht als Gan-zes für ein gemeinsames Tun verantwortlich, sondern jeder einzelne für seinen Be-reich, was z.B. auch von Berlusconi angedeutet wurde mit den Worten "we all work so independently". Die Gesamtverantwortung lag in den Augen der Redaktionsmit-glieder, auch von Sarah Weidner, bei Dr. Thomas, nach dessen Vorstellungen überwiegend gearbeitet wurde.

In den vermißten wöchentlichen Treffen ging es weniger um die Findung neuer Problemlösungswege als um den Austausch von Informationen, die der Einzelper-son die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben erleichtern sollte. Die neue Managerin hatte ein Idealbild von Gruppenarbeit, welches sich stärker an der zweiten von Schein beschriebenen Möglichkeit orientierte und daher im festetablierten System keinen Fuß fassen konnte.