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3. DAS HANDBOOK-OFFICE

3.7. Raum und Erscheinungsbild im Handbook

um einige Stufen höhere Position bewerben, die der tatsächlichen Qualifikation ent-sprach. Ein Aufstieg war nach einem niedrigen Einstieg nur Stufe für Stufe über ei-nen langen Zeitraum hinweg möglich. Bestätigt wurde die Frustration mit den Auf-stiegsmöglichkeiten durch eine(n) andere(n) Mitarbeiter(in) (hier anonym belassen):

"That's a problem, that's something that will be frustrating to me, because I can't, except for senior level, go any higher. So this is not a lot higher [that] I can go."

In Rubens Augen entwickelten die Angestellten mangels einer offiziellen Aner-kennung in Form von Beförderungen ein informelles System der Rangfolge durch ein 'aufeinander rumhacken' und streiten. Dazu hätten sie jede Art von Information benutzt, die sie hätten bekommen können; ein Grund, warum Ruben keine Informa-tionen mehr weitergab.

Hierarchisches Denken zeigte sich auch an Artefakten. Computer gehörten dazu.

Allein drei verschiedene Personen behaupteten, sie hätten dafür gesorgt, daß die Büros mit Computern bestückt würden. Angeblich hätte eine für das Handbook verantwortliche Person die Ausstattung des Redaktionsbüros mit Computern verhin-dert und sogar einige $10.000,- [!] eines Haushaltsjahres zurückgehen lassen, weil in deren Augen zunächst einmal alle Kustoden des Department of Anthropology über einen Computer hätten verfügen sollen, bevor die hierarchisch niedriger ste-henden Mitarbeiter des Handbooks sie bekämen. Weidner hatte sich deshalb an der Abteilungsleitung vorbei an höherer Stelle darüber beschwert, daß das Handbook-Büro als ein Publikationsprojekt nicht mit Computern ausgestattet worden wäre.

Selbst 1993 war der Besitz eines Computers noch mit Statusdenken verbunden.

Als ich um einen Computer für meine Arbeit bat, hatte Weidner zwar einen in einem Nebenraum zur Verfügung, meinte aber, ich sollte ihn doch bitte erst nach 17:00 Uhr in mein Büro tragen. Auf mein zunächst wohl etwas erstauntes Gesicht gab sie mir aber keine weitere Erklärung. Erst einige Zeit später, nachdem ich erneut nachge-fragt hatte, erzählte sie mir von der Bedeutung von Computern; da sie nicht unnötig andere provozieren wollte (ein Volontär besäße einen Computer und andere, höher gestellte Personen vielleicht nicht), hatte sie mich gebeten, den Computer und Drucker erst nach 17:00 Uhr von einem Büro in das nächste zu tragen. Technische Geräte, notwendig zur Herausgabe des Handbook, trugen hier also Symbolkraft, die die Stellung in der Hierarchie anzeigten.

Gegebenheiten angepaßt werden, bzw. von vorneherein so ausgelegt sind, daß sie die 'wahre Natur' zum Vorschein kommen lassen. Menschen gewöhnen sich an sie und passen sich ihnen entweder 'leidend' oder 'freudig' an, so wie sie sich an be-stimmte Kleider gewöhnen (Gagliardi 1990a: 25). Desweiteren haben sie, im Gegen-satz zu Handlungen, den entscheidenden Vorteil, über einen längeren Zeitraum hinweg präsent zu sein, und sie sind mit unterschiedlichen Sinnen wahrnehmbar.

Räume, deren Anordnung und deren Einrichtung drücken nicht nur 'ungewollt' einen Teil der Kultur aus, sondern werden auch ganz gezielt und manipulativ eingesetzt (Gagliardi 1990).

Novak (1994) hat sich im Rahmen seiner Arbeit über eine Unternehmenskultur, in Anlehnung an Klaus E. Müller, ebenfalls ausführlich mit der Topographie be-schäftigt und diese mit anderen Aspekten der Unternehmenskultur verknüpft.

"Topographie und Sitzordnung entwickeln sich vor dem Hintergrund der gesell-schaftlichen Organisation und der Wertvorstellungen einer Gruppe (vgl. Müller 1992a [richtig wäre hier 1992b, CCa], 56f.); sie sind weder zufällig noch willkür-lich, sondern Bestandteil der Unternehmenskultur und mit den anderen Mani-festationen von Kultur in vielfacher Weise verschränkt. ... Die Topographie gibt Hinweise auf die herrschende Unternehmenskultur und ermöglicht ein erstes Verständnis." (Novak 1994: 94).

Er sieht Räumlichkeiten geprägt durch ihren funktionalen Charakter, aber auch durch ihre Funktion als Übermittler von Botschaften: sind alle Büros in ihrer Grund-ausstattung gleich und drücken sie damit einen prinzipiell egalitären Charakter des Unternehmens aus, oder zeigen sich je nach Hierarchieebene deutliche Unterschie-de? Wird 'geprotzt', um die eigene Größe zu zeigen, oder wird 'tiefgestapelt', um an-deren keinen Anlaß zur Kritik zu geben (Novak 1994: 79-81)?

Wird durch die Arbeitsplatzgestaltung, z.B. Großraum- oder Einzelbüros, die Kommunikation gefördert oder erschwert (Schein 1995: 106-111)?

Die oben bereits beschriebene Verteilung der Handbook-Redaktionsmitarbeiter auf die Redaktionsräume spiegelte eine Zuordnung nach funktionalen Gesichts-punkten wider. Im unteren Teil, in dem einzigen Raum mit Tageslicht, waren die zwei 'Bild-Produzenten', die Illustratorin Martha Crawford und der Kartograph Ken Clinton, untergebracht. Der große Gemeinschaftsraum, in den man im ersten Stock

hineinkommt, war gleichzeitig trennendes Element. An seiner südöstlichen Ecke lag das Büro des nicht zum Handbook-Personal gehörenden Kustoden Dr. Gregory Hanson, an seiner südwestlichen Ecke die zwei Büros der Assistentin Linda Miller und der Büroleiterin Deborah Ruben, an seiner Nordseite der Zugang zu den Büros der Kräfte, die die eingegangenen Manuskripte weiterverarbeiteten. Einen repräsen-tativen Empfangsraum, in dem z.B. Besprechungen hätten stattfinden können, gab es nicht. Gäste wurden zu Besprechungen in die jeweiligen Büros ihrer Gastgeber geleitet.

Die Bände des Handbook

Der General Editor arbeitete zwar im selben Gebäude, war jedoch während mei-nes sechsmonatigen Aufenthaltes nur einmal in den Redaktionsräumen, obwohl er dort ein eigenes Büro zur Verfügung hatte (s. S. 130). Der räumliche Abstand spie-gelte die 'einstellungsmäßige' Distanz in gewisser Weise wider, die sich im Lauf der Zeit entwickelt hatte. Mit der Bearbeitung der eingegangenen Beiträge hatte er so gut wie nichts mehr zu tun. Vom Volume Editor akzeptierte Beiträge konnte er auch in seinem Büro lesen und für die inhaltliche Überarbeitung hatte er in Dr. Claudio Agostini eine Kraft in der Redaktion, die einen Teil seiner früheren Arbeit am Text übernommen hatte und bei Problemen mit ihm Rücksprache hielt.

wurden nicht einmal zur Hälfte in den Redaktionsräu-men produziert. Die Autoren, mit Ausnahme von Dr. Agostini, der ein Kapitel für den Band 7 verfaßt hatte, schrieben ihre Beiträge nicht in der Redaktion, sondern an an-deren, z.T. weit entfernten Orten. Lediglich die Überarbeitung fand hier statt, wäh-rend die Vermarktung und der Vertrieb über eine andere Regierungsinstitution, dem Public Printing Bureau, erfolgten, welches wiederum externe Druckereien mit der Verarbeitung beauftragte. Allein an der internen und externen Verteilung der Ar-beitsräume (genau genommen über die ganze Welt) wird deutlich, daß die Heraus-gabe des "Handbook of ..." durch diese Segmentierung und räumliche Streuung schwer zu koordinieren war.

Die Volume Editors waren ebenfalls nicht in den Redaktionsräumen anwesend, obwohl sie die Koordination der gesamten inhaltlichen Arbeit übernommen hatten.

Diese wurde z.T. an deren eigenem Arbeitsplatz 'nebenbei' erledigt, was bei einigen zu erheblichen Koordinationsproblemen mit dem "Main Office" (Dr. Peters) führte.

Dieses wußte z.B. während meines Aufenthaltes nicht, welche Beitrage für einen der Bände, der gerade bearbeitet wurde, von den Autoren bereits geschrieben waren und welche nicht, da es darüber keinerlei Informationen vom Volume Editor erhalten hatte.

Im Handbook-Office besaß jeder der Festangestellten (also mit Ausnahme von Dr. Patient als freie Mitarbeiterin von Dr. Hanson, der volunteers und der Praktikan-ten, die sich z.T. Räume teilten) ein Einzelbüro. Lediglich Sarah Weidner hatte mon-tags und donnersmon-tags eine Freundin als volunteer bei sich, nutzte aber an den ande-ren Tagen deande-ren Schreibtisch als Arbeitsplatz mit. Es gab in der Redaktion kein ge-meinsames Großraumbüro, sondern, der Aufgabenverteilung entsprechend, einen abgegrenzten Arbeitsbereich für jeden. Gemeinsam genutzt wurden Hilfsmittel wie technische Geräte (Kopierer, Fax, Online-Computer, Papierschneidegerät oder Locher), Nachschlagewerke (wie die bereits veröffentlichten Ausgaben des

"Handbook of ...", Lexika u.ä.) und 'Versorgungsgeräte' (Kühlschrank, Wasserko-cher). Der oben bereits beschriebene Platz am Fotokopierer, in dessen Nähe auch Kühlschrank und Wasserkocher untergebracht waren, war ein Treffpunkt der Hand-book-Mitarbeiter, wenn auch mehr für Treffen der zufälligen Art. Hierher kamen auch die Mitarbeiter aus den unteren und vorderen Räumen, um zu kopieren und während

des 'Schlangestehens' entwickelten sich Gespräche 'dienstlichen' als auch 'privaten' Inhalts. Eine andere Stätte der (zufälligen) Begegnung war der große Raum im vorderen Bereich, speziell in der Nähe des Treppenauf-, bzw. Treppenabgangs. Dies sehr zum Leidwesen von Dr. Patient, die hier, aufgrund fehlender räumlicher

Alternativen, am Computer arbeitete. Wer aus dem Handbook für einzelne Aufgaben besonders viel Platz benötigte, ging in den großen Vorraum und nutzte die zu einem Versammlungstisch zusammengestellte Gruppe von Einzeltischen; so z.B. Anna Smith, wenn sie ihre Literatur-Karteikarten umsortierte oder Sarah Weidner, wenn sie zur Veröffentlichung vorgesehene Fotos miteinander verglich. Alles andere aber spielte sich in den einzelnen Büros ab. Geraucht werden durfte in den Redaktions-räumen nicht; die einzige Raucherin, die es in der Redaktion gab, ging daher ge-legentlich nach draußen auf die Verladerampe, um dort eine Zigarette zu rauchen.

Zwischen den Einzelbüros in der Handbook-Redaktion gab es eine einge-schränkte Kommunikation, teilweise hörte und sah man nicht einmal, ob und wann jemand kam oder ging. Gelegentlich drangen durch die geöffneten Bürotüren Ge-sprächsfetzen nach draußen, bei gedämpfter Stimme jedoch kaum. Die verwinkelte Lage der Räume, die Fülle der Büros und Vorräume/Flure und die Ausstattung mit einem einfachen Teppichboden dämpften die Geräuschkulisse. Es gab kein 'Kom-munikationssystem der Zurufe' über den Flur hinweg, auch im 'hinteren Teil' nicht;

wenn es etwas mit einer Kollegin oder einem Kollegen zu besprechen gab, ging man hier in deren oder dessen Büro. Kurze Nachrichten mit den weiter entfernt liegenden Büros wurden über das Telefon ausgetauscht, längere persönlich, z.T. nach kurzer telefonischer Anfrage, ob es der Person gerade gelegen war.

Die Türen der einzelnen Büros im hinteren Teil, im unteren Teil sowie die von Dr.

Hanson waren stets geöffnet, so daß Themen, die nicht nach außen dringen sollten, mit sehr gedämpfter und leiser Stimme besprochen wurden. Die offenen Türen signalisierten nach außen Gesprächsbereitschaft; mit einem gesprochenen "nok nok" oder Klopfen am Türrahmen als Ankündung trat man in der Regel auch gleich in den Raum des oder der Anderen ein. Wer absolut nicht gestört werden wollte (was selten vorkam), schloß seine Tür und zeigte damit an, daß er oder sie derzeit nicht zu sprechen war. In Abwesenheit standen die Türen im oberen Bereich eben-falls offen und waren unverschlossen; eingeschaltetes Licht zeigte an, wer im Ge-bäude war und nur kurz den Raum verlassen hatte. Im unteren Bereich mit seiner Nähe zur Eingangstür und der Ausstattung mit teuren technischen Geräten wurden die Türen aus Sicherheitsgründen bei Abwesenheit verschlossen.

Die Tür der Büroleiterin Deborah Ruben hingegen war permanent verschlossen, so daß aus diesem Büro 'nichts nach außen drang', was so gewollt war. Die direkt neben ihr untergebrachte Assistentin von Dr. Thomas, Linda Miller, hatte ebenfalls ihre Tür geschlossen, allerdings nur an den Tagen, an denen ihre Nachbarin anwe-send war. Es war erklärte Politik von Ruben, keine Informationen (z.B. über Stand und Fortschritt des Handbook) ungewollt nach außen dringen zu lassen, da in ihren

Augen diese Informationen innerhalb des Redaktionsbüros sofort zu Tratsch und falschen Interpretationen führten, mit denen einzelne Personen sich selber profilie-ren wollten. Bevor Ruben kam, wurde die erschwerte Kommunikation durch regel-mäßig wöchentlich oder zweiwöchentlich stattfindende Sitzungen aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aufrecht erhalten; diese fanden zum Zeitpunkt meines Aufent-haltes jedoch, unter anderem aus dem genannten Grund, nicht mehr statt.

"Trotz aller Politik der offenen Tür ist das Empfinden gegenüber Räumen, die von wichtigen Personen genutzt werden mindestens von Respekt geprägt"

berichtet Novak (1994: 82) aus einem deutschen Unternehmen. Eine ähnliche Wirkung strahlte der für Dr. Thomas reservierte Raum aus, der trotz der im Hand-book bestehenden Enge von niemandem genutzt wurde. Dieses Zimmer, im hinte-ren Teil zwischen den Büros von Helen Berlusconi und Anna Smith gelegen, hatte immer eine verschlossene Tür und lag im Dunkeln. Es war Zeichen für seine 'geistige Anwesenheit', Dr. Thomas wirkte somit aus dem Hintergrund und mußte selber gar nicht präsent sein. Das Büro war auch nicht von Ruben beansprucht worden, die ja erst sehr viel später in die Handbook-Redaktion gekommen war. In diesem Zimmer stand, ähnlich wie in dem von Ruben, ein großer Ledersessel als Schreibtischstuhl und nicht ein normaler Drehstuhl, wie in den anderen Büros und signalisierte damit den besonderen Status des Besitzers. Auf meine Frage an Sarah Weidner als meine Betreuerin (und von dem oben angesprochenen Prozeß noch nichts wissend), ob denn nicht ich angesichts der Enge (und nach vorheriger Rücksprache mit Dr. Thomas) vorübergehend dieses Büro nutzen könnte, da er ja nie da sei, gab es ein kategorisches "Nein", da schon die Anfrage an ihn ein Über-schreiten (informal) gesetzter Grenzen gewesen wäre. Denn das Büro war nicht ir-gendein ungenutzter, wenn auch reservierter Raum, sondern gleichzeitig eine Tür für Dr. Thomas, die von einem Teil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen offen gehalten wurde. Da ihm nach dem durch Weidner angeregten Gerichtsverfahren ja die administrative Leitung, später sogar jedes Engagement in

Handbook-Angele-genheiten, entzogen worden war (s. S. 120), hatte dies die Redaktion in zwei Lager gespaltet. Das leerstehende Büro schien für die, die auf der Seite von Dr. Thomas standen, ein 'Mahnmal' zur Erinnerung daran zu sein, daß er der 'eigentliche' Leiter des Projektes sei und nur aufgrund des Prozesses 'vorübergehend' sein Büro nicht nutzen konnte, es ihm aber auf jeden Fall erhalten bleiben und eine Rückkehr offen halten sollte. Wenn jetzt einer der von Weidner eingeführten Praktikanten dieses Büro genutzt hätte, wäre es nicht nur ein Affront gegen Dr. Thomas gewesen,

sondern auch gegen jene Mitarbeiter, die die 'geistige' Anwesenheit von ihm aufrecht erhalten wollten. Das Büro bekam dadurch eine fast sakrale Aura und diente zur Erinnerung an eine in der Redaktion nicht mehr körperlich anwesende Person.

Die Kontrolle der Mitarbeiter war gering, was auch in der Raumaufteilung zum Ausdruck kam. Das Büro von Ruben lag im vorderen Bereich und sie selbst kam nur

recht selten in den hinteren Bereich; sie konnte von ihrem Büro aus, auch wenn sie die Tür offen gehabt hätte, nicht sehen, wer eventuell kam oder ging oder wer gera-de was machte.

Daß ein Raum aufgrund seiner Lage einen besonderen Stellenwert hatte, wie z.B. Eckräume (Novak 1994: 86/87), kann für das Handbook nicht behauptet wer-den. Mit Ausnahme des leerstehenden Büros von Dr. Thomas gab es durch die Ver-teilung der Bürozimmer in meinen Augen keine Machtdemonstration, wie sie von No-vak (1994: 85-89) beschrieben wird. Nur ich persönlich empfand immer etwas Neid für die von Tageslicht durchfluteten Räume von Martha Crawford und Ken Clinton.

Auf der einzigen Gemeinschaftssitzung, die während meiner Zeit im Handbook stattfand, nahm Ruben als Einberufende und Sitzungsleiterin am Kopfende des Ti-sches Platz, alle anderen wiesen jedoch keinerlei Rangordnung durch die von ihnen eingenommenen Plätze aus. Dr. Thomas, der zu dieser Sitzung erschien, saß in der zweiten Reihe, da er erst später hinzustieß und auch keine besondere Rolle im Verlauf der Sitzung spielte.

Im Großen und Ganzen herrschte Egalität in Bezug auf die Räume, keines der Zimmer war ausgesprochen 'schöner' als ein anderes; es gab zwar Unterschiede in der Größe, aber Helen Berlusconi, die von den Festangestellten den kleinsten Raum hatte, klagte lediglich gelegentlich darüber, daß ihr Papierkorb mal wieder nicht geleert worden war, da ihr Büro in der hintersten Ecke ab und zu von vertretenden Reinigungskräften übersehen wurde.

Allerdings gab es vereinzelt Verletzungen des persönlich beanspruchten Terri-toriums durch Eindringen in fremde Arbeitsbereiche. Einen von mir auf Hinweis mei-ner Betreuerin in einen Vorraum gestellten Tisch mußte ich am nächsten Tag wieder wegräumen, da er als Eindringen in den persönlichen Arbeitsbereich einer anderen Mitarbeiterin empfunden wurde.

In Max Webers Idealtypus der bürokratischen Verwaltung kommt es zu einer ab-soluten Ausschaltung alles Privaten aus der Arbeitswelt der Beschäftigten (s. unter 4.2.). Da dies aber in der Realität nicht vorkommen kann, (denn bei den Ausführen-den handelt es sich um Menschen, die ihre Persönlichkeit nicht abstreifen können) ergeben sich, trotz eventueller Einheitlichkeit der Ausstattung der Büros (Möbel, Wandfarben, Gardinen, Arbeitsmittel) Unterschiede zwischen den einzelnen Räu-men und der in ihnen tätigen Angestellten. Die Beschäftigten versuchen, unter-schiedlich erfolgreich, über die Schaffung einer eigenen "Büroatmosphäre" eine "Re-Personalisierung der Bürokratie" und "Sicherung der Individualität in der

For-malstruktur" zu erreichen (Bosetzky und Heinrich 1989: 209/210):

"Von besonderer Prägekraft für die sichtbare Büroatmosphäre sind dabei einmal die Gestaltung und Ausstattung von Arbeitsplatz und Arbeitsraum mit Bildern, Postern, Blumen, Sprüchen und Stofftieren sowie allen möglichen Gebrauchs-gegenständen bis hin zum Radio, zur Kaffeemaschine und zum Kühlschrank, und zum anderen die 'persönliche Erscheinung' der 'Bürobewohner', also das

jeweils typische Zusammenspiel von Kleidung, Benehmen, Gestik und Sprache beim Einzelnen, und die Addition aller Elemente zum unverwechselbaren Am-biente eines Büros."

Die Bürozimmer in der Handbook-Redaktion waren mit den vom Johnson Insti-tute zur Verfügung gestellten Möbeln nach den je eigenen Präferenzen unterschied-lich bestückt und wiesen durch die verschiedenen Eigenschaften dieser Stücke (Alter, Größe) "individualisierende" Merkmale auf. Die Zimmer, vor allem im oberen Bereich, wirkten fast alle, mit Ausnahme des von Helen Berlusconi, vollgestopft und die 'Unordnung' in den Büros schien mit steigendem Grad 'wissenschaftlicher Arbeit' zu korrespondieren. Vor allem Bücher und Stöße von Papier waren über die einzel-nen Zimmer verteilt, während Utensilien oder Fotos, z.B. von Familienmitgliedern, die einen Rückschluß auf das Privatleben zugelassen hätten, kaum zu finden waren.

Dies ließ zunächst eher auf eine Trennung von Arbeit und Freizeit schließen. Ob der für Außenstehende chaotisch wirkende Zustand der Büros symptomatisch für den Zustand des Projektes sein könnte, wie es andere Stimmen andeuteten, werde ich hier nicht diskutieren. Bestückt waren die meisten Räume mit Plakaten und mit Ko-pien von Zeitungsartikeln oder Zeichnungen, die überwiegend einen Bezug zu der im Handbook beschriebenen Bevölkerungsgruppe hatten. Auch eine Landkarte zum Territorium der im "Handbook of ..." behandelten Bevölkerungsgruppe, herausgege-ben von einem bekannten Magazin, fand sich, mit einer Ausnahme, in jedem Zim-mer. Sie basierte auf der von Dr. Thomas für das Handbook

Jedes Zimmer war mit einem Telefon ausgestattet, die alle zusammen unter der gleichen Sammelnummer erreichbar waren; Anrufe wurden von der Person, die ge-rade 'Telefondienst' hatte (s. S. 137), mit einem kurzen "Handbook-Office" entge-gengenommen und an die gewünschte Person weitergeleitet. Mit Ausnahme der Bü-ros von Ruben, Berlusconi und Smith waren alle besetzten BüBü-ros mit Computern ausgestattet, wobei die beiden letztgenannten sich gegen das Vorhaben von Ruben wehrten, für ihre Arbeit ebenfalls Computer einzusetzen.

vorgenommenen Neu-aufteilung der Areale und war in enger Zusammenarbeit mit ihm herausgegeben worden.

Bedingt durch mangelndes Tageslicht hatten es Pflanzen schwer, hier zu über-leben. Zaghafte Versuche, allerdings mit eher magerem Erfolg, gab es im Büro von Anna Smith und am Platz von Betty Nelson, die außerdem als einzige während der Arbeit ein Radio laufen ließ. Im oberen Gemeinschaftsraum fanden sich gelegentlich Blumentöpfe mit blühenden Blumen oder auch Sträuße, die Dr. Susan Patient von einem Bekannten vorbeigebracht bekam, der für die Verwaltung tätig war. Für Aus-stellungseröffnungen oder Bankette wurden Blumenarrangements benötigt, die an-schließend weggeworfen worden wären, hätte er sie nicht 'gerettet' und an Bekannte im Gebäude verteilt.

Eine Ausnahme stellte der untere Raum von Crawford und Clinton dar. Aufgrund des Tageslichtes war es hier möglich, Pflanzen zu halten, so daß einige von ihnen in

Fensternähe gediehen. Clinton war erst Anfang 1993 (also zur gleichen Zeit wie ich) in die Handbook-Redaktion gekommen und hatte seinen Arbeitsplatz in dem bereits überwiegend durch Crawford 'gestalteten' Raum eingenommen. Crawford brachte viele persönliche Dinge mit ins Büro, manchmal sogar einen ihrer vielen Sittiche und Papageien, vor allem solche, die noch sehr jung waren und regelmäßig gefüttert werden mußten40

Auch bei Dr. Hanson, Dr. Patient, Dr. Agostini und Clinton war eine Tendenz zu erkennen, nicht zwischen Arbeits- und Freizeitkleidung zu trennen. Dr. Thomas, der General Editor, hingegen war stets korrekt gekleidet und ohne Krawatte im Museum kaum vorstellbar. Vielleicht ging es zum Teil auf seinen Einfluß zurück, daß Miller, Smith, Berslusconi und auch Weidner stärker zwischen Freizeit- und Arbeitskleidung differenzierten und besser gekleidet zur Arbeit erschienen. Diese Unterscheidung schien von Ruben als Managing Editor ebenfalls angelegt zu werden.

; sie verbrachte sehr viel Zeit im Büro und Arbeits- und Freizeit schienen bei ihr stärker als bei anderen Mitarbeitern ineinander zu fließen. Das spiegelte sich auch in der Kleidung wider; für sie gab es keinen Unterschied zwi-schen Arbeits- und Freizeitkleidung und sie dachte sich nichts dabei, an einem 'normalen Tag' auch einmal in, zu der Zeit modernen, gelöcherten Jeans und T-Shirt zur Arbeit zu kommen.

Das Büro von Helen Berlusconi machte einen, nicht nur im Vergleich zu denen ihrer Kollegen und Kolleginnen, überaus aufgeräumten Eindruck. Nur hier waren Bilder zu sehen, die keinen Bezug zum Handbuch hatten und die in den anderen Büros verbreitete Karte hing vor ihrer Tür auf einer Flurwand. Sie hatte, da ihr Büro durch architektonische Zwänge etwas kleiner war als andere, einen zusätzlichen Ar-beitsplatz vor ihrem Büro auf dem Flur, der ebenfalls gut organisiert wirkte. Berlu-sconi legte großen Wert auf 'Professionalität' und sie schien Arbeits- und Privatwelt auseinander halten zu wollen, was sich unter anderem an der regelmäßigen Einhal-tung ihrer Arbeitszeit zeigte. Ähnliches galt für Anna Smith, die ebenfalls sehr genau ihre jeweils gleichen Zeiten einhielt und immer gut gekleidet zur Arbeit erschien. In ihrem Büro hatte sie einige Dinge, die den genannten Kriterien von Bosetzky und Heinrich (1989) zur Individualisierung entsprachen: auf einem Aktenschrank Zutaten für ihr mitgebrachtes Essen in der Mittagspause, die sie selten (zumindest während meiner Aufenthaltszeit) außerhalb der Redaktionsräume verbrachte, eine Pflanze, einige Bilder von Reisezielen. Trotz dieser wenigen Elemente privater Natur domi-nierte der Arbeitsaspekt im Raum; er war vollgestellt mit Karteikästen und Nach-schlagewerken und wirkte aufgrund der Enge vollgestopft und unübersichtlich. In

40 Crawford meinte, daß selbst der Museumsdirektor wußte, daß sie gelegentlich Vögel im Büro hätte. Was sollte auch dagegen einzuwenden sein - schließlich seien sie ja in einem Naturkunde-museum und in anderen Abteilungen gäbe es ja auch Lebewesen, z.B. Fische oder auch junge Vögel, z.B. Stare, die dort großgezogen würden.

rem Büro waren allerdings keine weiteren 'außerberuflichen' Anknüpfungspunkte zur Handbook-Bevölkerungsgruppe zu finden.

Dr. Agostini und Weidner dagegen hatten zur Bestückung ihres Büros, neben den notwendigen Arbeitsutensilien, überwiegend Dinge ausgewählt, die einen Bezug zur Arbeit aufwiesen, auch wenn sich bei Weidner ein Familienfoto und bei Dr.

Agostini ein paar Postkarten fanden. Dies waren z.B. Landkarten, Fotografien und cartoons mit Zeichnungen zum Thema des Handbook. Bei Agostini fanden sich zu-sätzlich Zeitungsausschnitte, die über die Gruppen berichteten. D.h. arbeitsbezoge-ne Elemente wurden zur erwähnten "Sicherung der Individualität in der Formalstruk-tur" eingesetzt und deuteten damit auf eine größere Nähe zum Arbeitsthema und ei-ne stärkere Vermischung von Arbeit und Privatem. Darauf wies ebenfalls die Be-schäftigung mit Handbook

Das Büro von Dr. Hanson war komplett mit Arbeitsmaterialien angefüllt, hier wa-ren keinerlei Spuwa-ren 'privater' Art zu finden, ausgenommen einer Riege Hemden, die er während der Arbeit trug. Stattdessen quoll sein Büro am stärksten von allen vor Papieren und Büchern über, da er in seiner Dienstzeit nicht nur an

-Themen außerhalb der festgesetzten Arbeitszeit hin, da Weidner auch an ihrem freien Tag (sie hatte nur 32 Wochenstunden und war frei-tags nicht im Büro) zu Hause an den Themen arbeitete, die sie in ihrer formalen Bü-rozeit behandelte und Dr. Agostini sich am Wochenende mit verwandten Themen zur Veröffentlichung an anderer Stelle beschäftigte.

Handbook-The-men arbeitete, sondern auch an anderen Aufgaben im RahHandbook-The-men seiner Position als Kustos am Museum. Was bei ihm zunächst ebenfalls nach strikter Trennung zwi-schen Dienst und Privatem aussah, kehrte sich unter Berücksichtigung des Zeitfak-tors um. Für Dr. Hanson gab es kaum 'Privatzeit'; er war häufig sehr lange im Ge-bäude und verbrachte fast jedes Wochenende im Museum, um an verschiedenen Projekten, die in Verbindung mit der Handbook

Auch bei Ruben und Miller stapelte sich die Arbeit, bei Miller allerdings auf den ersten Blick 'geordneter' als bei Ruben. Beide hatten kaum Beziehungen zum Priva-ten im Büro und während Miller ihre geplante Arbeitszeit einhalPriva-ten konnte, fiel sie bei Ruben unterschiedlich aus und häufig war sie die letzte, die das Büro verließ;

allerdings gehörte sie auch zu den letzten, die morgens ins Büro kamen.

–Bevölkerungsgruppe standen, zu arbeiten.