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3. DAS HANDBOOK-OFFICE

3.6. Hierarchie und Statuszuweisung

Innerhalb des Johnson Institutes und innerhalb der Museen gab es, wie in allen Organisationen, Hierarchiestufen, von denen nachfolgend nur die angesprochen werden, die das Handbook direkt betrafen. Statt eines Stellenplans hing in der Re-daktion am oberen Ende der Treppe neben dem Schreibtisch einer (nicht mehr be-setzten) Sekretärinnenstelle eine Liste mit den Namen der Mitarbeiter und Mitar-beiterinnen des Handbooks, ihrer offiziellen Arbeitszeit und ihren direkten Vorge-setzten. Linda Miller als Assistentin von Dr. Thomas war diesem administrativ unter-stellt, Dr. Hanson und Ruben unterstanden dem Leiter der Abteilung Anthropology, alle anderen im Büro Deborah Ruben und Praktikanten und Volunteers zusätzlich je-weils den Personen, mit denen sie arbeiteten. In meinem Fall war dies Sarah Weid-ner.

So wie es Stellenbeschreibungen gab, existierten innerhalb des Johnson Institu-tes auch interne Titel. Ich hatte eines Tages im Rahmen meiner Aufgaben einen Brief verfaßt und ihn, wie üblich, Sarah Weidner zur sprachlichen und fachlichen Kontrolle gegeben. Unter meiner Unterschrift hatte ich, wie ich es bei ihr gesehen hatte, meinen vollen Namen und den Zusatz "Anthropologist" getippt, da ich mich, in

Besitz eines Magister Artium Titels der Ethnologie, durchaus als einen solchen an-sah. Und da es so üblich zu sein schien, hatte ich ebenfalls meine Berufsbe-zeichnung mit angeführt. Weidner kam aber kurz darauf zu mir ins Büro gelaufen und 'pfiff mich zurück'. "Anthropologist" dürfte ich auf keinen Fall unter einen Brief setzen, da es innerhalb des Museums ein Stellentitel sei und nur Mitarbeiter auf der scientist-Ebene sich so nennen dürften. So wie es scientists mit dem Spezialgebiet Vögel, Mineralien und so weiter gäbe, gäbe es scientists mit dem Spezialgebiet an-thropology, anthropologists eben. Ähnliches beschrieb Kunda (1992) für das von ihm als "High Tech" bezeichnete Unternehmen, in dem er auf Feldforschung war:

"'Engineer' is both a professional title and an organizationally defined employ-ment category. In most cases, these two overlap; Tech's engineers are gradua-tes of engineering schools" (Kunda 1992: 38).

Genauso gab es bei "High Tech" allerdings auch Ingenieure, die nicht in der Position eines engineers arbeiteten, sondern z.B. in den kaufmännischen Bereich gewechselt waren.

Im Museum bezeichneten scientists sich selbst auch als "curators" (Kustoden) des Museums, da sie die Aufgaben von Kustoden wahrnahmen. Curator gab es aber nicht als offiziellen Stellentitel, sondern nur als Stellenbeschreibung:

"'Curator' is a job description, not a civil service title within the ... Museum."

(Sarah Weidner).

An diesem kleinen Beispiel wird deutlich, was die Aussage "Kultur ist ein Symbol-system" bedeutet. Ich als Externer verstand das Wort "anthropologist" als eine Be-rufsbezeichnung. Innerhalb des Museums und des Johnson Institutes jedoch war die Bedeutung eine andere, nämlich ein Stellentitel und eine hierarchische Ebene. Das Symbol "anthropologist", in diesem Fall ein Wort, wurde unterschiedlich gedeutet.

Weil ich allein von meinem Verständnis ausgegangen war (da es für mich 'selbst-verständlich' nur die eine Bedeutung haben konnte), hätte meine Verwendung dieses Wortes in Verbindung mit meiner Beschäftigung am Johnson Institute als eine 'Amts-anmaßung' ausgelegt und weitere Mißverständnisse zur Folge haben können.

Sarah Weidner hatte den Status einer anthropologist37

37 Und sie war auch 1997 die einzige Person aus dem Handbook-Redaktionsbüro, die auf der In-ternetseite des Department of Anthropology als "scientist" aufgeführt war.

, der ihr in Zusammen-hang mit der Weiterführung des erwähnten Rechtsstreits vom Johnson Institute zu-erkannt worden war. Scientists, und damit auch die anthropologists der Abteilung, hatten das Recht, im Rahmen ihrer Position eigene Forschungen zu betreiben, was ihnen einen großen Freiraum verschaffte. Die Angehörigen der nächst tieferen Stufe hatten dieses Recht nicht. Nachdem eine Kommission des Johnson Sarah Weidner bestätigt hatte, daß sie die Aufgaben einer scientists wahrnähme und damit Anrecht auf eine solche Position hätte, war sie allerdings auf ihrem Posten innerhalb der Handbook-Redaktion geblieben und hatte sich nicht um eine Versetzung aus dem

Projekt heraus in die Abteilung mit einer Position anthropologist bemüht. So kam es, daß Sarah Weidner offiziell im Namen des Johnson Institutes weitere Projekte ne-ben der Arbeit für das Handbook bearbeiten konnte, ähnlich also wie Dr. Hanson, was anderen Mitarbeitern des Handbook-Büros verwehrt war. Dr. Agostini z.B.

konnte dies nicht. Ihm blieb nur die Möglichkeit, außerhalb seiner offiziellen Arbeits-zeit für das Handbook die Möglichkeiten der Nachforschung innerhalb der Bibliothe-ken und Archive zu nutzen, um diese dann 'privat' zu verwerten.

Diese Hierarchie war sehr fest etabliert und wurde von den Beteiligten nicht hin-terfragt. Dr. Agostini z.B. arbeitete an verschiedenen zum Handbook gehörenden Projekten, unter anderem an den Vorarbeiten zu den biographischen Bänden, aller-dings mit Genehmigung, wie er im Gespräch betonte:

"I've been authorized by Dr. Thomas and by the managing editor, to proceed with background research on the biographical dictionary." (Interview Dr. Claudio Agostini).

Zu seinen Aufgaben gehörte des weiteren die Verifizierung von Literaturanga-ben; allerdings traf er keine Entscheidungen über ihre Verwendung, sondern leistete 'nur' die Vorarbeit für Anna Smith:

"That's to her, she's responsible. She has to decide whether she wants to use the original author or the editor, whether she wants to use one edition or another edition. ... I pull the information and I present it with, what I think should be, the ...

actual solution to the problem, as far as the bibliography is concerned."

(Interview Dr. Claudio Agostini).

Bei der Bearbeitung der akzeptierten Artikel durch die Handbook-Redaktion galt das gleiche. Entscheidungen grundsätzlicher Art, ob es nun die Umarbeitung eines Artikels, die Ergänzung eines Beitrags um einen Abschnitt oder die Suche nach (neuen) Autoren betraf, konnten nicht vom Handbook-Personal getroffen werden:

"We don't deal directly with the contributors, ... there is a planning committee, and a volume editor for each volume, ... and the General Editor, and the Techni-cal Editor. There are a lot of procedural steps that have to be observed in order to be correct in what we do. We cannot make decisions without the approval of the Volume Editor." (Interview Dr. Claudio Agostini).

Zu den ungeschriebenen Regeln schien zu gehören, die eigene Position zu ak-zeptieren und diese nicht in Frage zu stellen. Der Status einer Person richtete sich nach der Position innerhalb der offiziellen Stellenhierarchie und wer wen als 'über'

oder 'unter' zu akzeptieren hatte38

"Damals, ... gab es unentwegt solche Probleme, also daß Leute gesagt ..., ge-dacht haben, sie sind soviel besser [als] wie sie eingestellt wurden, und wie sie bezahlt wurden." (Interview Anna Smith, Original in deutsch).

. Dr. Agostini betonte, daß er gelernt habe "not to overstep certain boundaries". Und Anna Smith meinte, daß einige Personen mit Gewalt probiert hätten, sich zu verbessern und ihre eingenomme Position in der Hierarchie nicht hätten akzeptieren wollen:

Dr. Hanson legte in unserem Gespräch sehr viel wert auf die Unterscheidung zwischen den 'normalen' Handbook Mitarbeitern und ihm als einem Kustos:

"I am not a Handbook staff member. ... Because I am a curator in the depart-ment. Very important!" (Interview Dr. Gregory Hanson).

Sarah Weidner sah noch ein weiteres Abgrenzungskriterium, nämlich das des akademischen Titels. Scientists wären in der Regel promoviert, worauf diese auch sehr viel Wert legen würden. Vorrangig zählte natürlich die Position als Scientist, wobei die Promotion hier in der Regel Voraussetzung sei. Sie selber sei die Ausnahme.

Als Ruben zu Beginn ihrer Tätigkeit als Büroleiterin eine Liste der Handbook-Mitarbeiter und Handbook-Mitarbeiterinnen erstellen ließ, um sie an Partner des Büros zu ver-senden, gab es Widerstand gegen die Nennung des PhD hinter den Namen zweier promovierter Mitarbeiter, was Ruben nicht verstehen konnte:

"Why would there have been this huge reaction about PhD versus MA. Intelligent people. They know PhD goes behind people's names and MA doesn't. ... My point for making this list is to make the outside know, that there are qualified people on this staff. ... That doesn't diminish you of any value, except if your self-esteem is shocked to hell having been in this system and brought into this hier-archy." (Interview Deborah Ruben).

In den Augen der anderen Mitarbeiter hätte die Nennung des Doktortitels eine 'akademische Hierarchie' und damit Unterschiede betont, die nicht den Positionen innerhalb der Hierarchie des Johnson entsprochen hätten, da alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Handbook-Redaktion (mit Ausnahme von Betty Nelson, der Verwaltungsangestellten) nach dessen Rangfolge auf der gleichen Stufe standen.

Die Heraushebung zweier Redaktionsmitglieder, noch dazu der männlichen, hätte das Ansehen der anderen Mitarbeiterinnen, vor allem im Kreis der am Projekt

38 Eine kleine Anekdote untermauert diese These, da selbst Kritik von 'unten' nach 'oben' nicht angebracht erschien und nur indirekt angedeutet wurde: In dem winzigen Kloraum innerhalb des Handbook-Büros war regelmäßig die Klobrille hochgeklappt, was insbesondere einige der Frauen zu ärgern schien. Alle wußten, wer von den Männern es zu verantworten hatte. Da es sich aber um eine ranghöhere Person handelte, wurde das Thema, noch dazu in Verbindung mit der amerikanischen Achtung vor 'privacy', nicht offen angesprochen. Ab dem Morgen des 17. März 1993 jedoch hing ein Zeitungs-Cartoon von Bill Keane im Klo an der Wand, auf dem ein kleines Mädchen aus dem Badezimmer kommt und zu ihrer Mutter sagt: "What are we gonna do with those boys, Mommy? They left the seat up again."

ligten Wissenschaftler, also der Autoren, herabgesetzt, da dort der akademische Titel als Unterscheidungskriterium in der Hierarchie zählte. Die Statuszuweisung der wissenschaftlichen Welt, nämlich nach dem akademischen Grad und der (damit ver-bundenen) akademischen Leistung, wurde von den seit langer Zeit im bürokrati-schen System eingebundenen Mitarbeiterinnen als für sie nicht relevant angesehen, sondern die nach der bei ihnen gültigen Zuweisung nach hierarchischer Position.

Vor allem Ruben hatte große Schwierigkeiten mit der Betonung von hierarchi-schen Unterschieden, die sie von ihrer früheren Tätigkeit her nicht gewohnt war. Sie sprach zwar von gelegentlichen Klagen seitens der Mitarbeiter(innen) über die Hier-archie; diese würden aber weniger aus prinzipiellen Gründen erhoben, sondern we-gen der Position einzelner Personen in der Hierarchie. Es gab aber kaum Aufstiegs-chancen innerhalb des Systems, da die Stellen festgelegt waren und sich daran auch nichts ändern konnte, da z.B. Ruben keine Möglichkeit besaß, gute Mitarbei-ter(innen) zu belohnen. Sie legt keinen Wert auf Status im Sinne von Stellentiteln und Hierarchiedenken aufgrund eingenommener Positionen, wie es das bürokrati-sche System tat und wie es sich auf die meisten Mitarbeiter übertragen hatte. Sie sah alle Mitarbeiter als gleich wichtig an in dem Sinne, daß das Projekt die Arbeit eines jeden einzelnen brauchte, egal auf welchem Level, und konnte daher die in ihren Augen im Johnson Institute und in der Regierungsbürokratie allgemein weit verbreitete Arroganz und Überheblichkeit39

"Everybody is here to do what they do ... So everybody is a critical ingredient in the whole thing, but in terms of hierarchies of power: no!"

aufgrund von Stellenbesetzung nicht akzeptieren. Sie war es von ihrer früheren Tätigkeit in der freien Wirtschaft her ge-wohnt, Status und Belohnung nach Leistung zu vergeben, was ihr hier nicht möglich war:

"As a supervisor who used to work in what I call the 'real world' [outside govern-ment administration], I am used to be able to reward good people for their work.

But in the Government, no matter how long you have been doing a job, or how well you've been doing it, you can't get a raise. It's punitive, because this is ri-diculous, it's totally contrary to human motivation. Why shouldn't this person be rewarded for consistently giving good, excellent service. But the Government doesn't act. So it pits all of the people on one grade level against each other."

(Interview Deborah Ruben).

Hinzu kam eine Besonderheit im bürokratischen System. Wer aus welchen Gründen auch immer zunächst eine niedrige Position einnahm, z.B. um einen Einstieg oder überhaupt einen Job zu bekommen, konnte sich von diesem Posten nicht auf eine

39 Über Verhaltensweisen von Angehörigen des Department of Anthropology, die als arrogant empfunden wurden, berichteten verschiedene Personen. Betty Nelson erzählte mir von dem schlechten Ruf, den das Department auf Grund dieses Verhaltens einzelner Kustoden, vor allem gegenüber 'Rangniederen', hätte. Ähnliches hörte ich von einer Volunteer, die zweimal in der Woche Sarah Weidner mit ihrer Arbeit half und von Catherin Osake, Weidners Assistentin.

um einige Stufen höhere Position bewerben, die der tatsächlichen Qualifikation ent-sprach. Ein Aufstieg war nach einem niedrigen Einstieg nur Stufe für Stufe über ei-nen langen Zeitraum hinweg möglich. Bestätigt wurde die Frustration mit den Auf-stiegsmöglichkeiten durch eine(n) andere(n) Mitarbeiter(in) (hier anonym belassen):

"That's a problem, that's something that will be frustrating to me, because I can't, except for senior level, go any higher. So this is not a lot higher [that] I can go."

In Rubens Augen entwickelten die Angestellten mangels einer offiziellen Aner-kennung in Form von Beförderungen ein informelles System der Rangfolge durch ein 'aufeinander rumhacken' und streiten. Dazu hätten sie jede Art von Information benutzt, die sie hätten bekommen können; ein Grund, warum Ruben keine Informa-tionen mehr weitergab.

Hierarchisches Denken zeigte sich auch an Artefakten. Computer gehörten dazu.

Allein drei verschiedene Personen behaupteten, sie hätten dafür gesorgt, daß die Büros mit Computern bestückt würden. Angeblich hätte eine für das Handbook verantwortliche Person die Ausstattung des Redaktionsbüros mit Computern verhin-dert und sogar einige $10.000,- [!] eines Haushaltsjahres zurückgehen lassen, weil in deren Augen zunächst einmal alle Kustoden des Department of Anthropology über einen Computer hätten verfügen sollen, bevor die hierarchisch niedriger ste-henden Mitarbeiter des Handbooks sie bekämen. Weidner hatte sich deshalb an der Abteilungsleitung vorbei an höherer Stelle darüber beschwert, daß das Handbook-Büro als ein Publikationsprojekt nicht mit Computern ausgestattet worden wäre.

Selbst 1993 war der Besitz eines Computers noch mit Statusdenken verbunden.

Als ich um einen Computer für meine Arbeit bat, hatte Weidner zwar einen in einem Nebenraum zur Verfügung, meinte aber, ich sollte ihn doch bitte erst nach 17:00 Uhr in mein Büro tragen. Auf mein zunächst wohl etwas erstauntes Gesicht gab sie mir aber keine weitere Erklärung. Erst einige Zeit später, nachdem ich erneut nachge-fragt hatte, erzählte sie mir von der Bedeutung von Computern; da sie nicht unnötig andere provozieren wollte (ein Volontär besäße einen Computer und andere, höher gestellte Personen vielleicht nicht), hatte sie mich gebeten, den Computer und Drucker erst nach 17:00 Uhr von einem Büro in das nächste zu tragen. Technische Geräte, notwendig zur Herausgabe des Handbook, trugen hier also Symbolkraft, die die Stellung in der Hierarchie anzeigten.