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Wirkungserklärungsgehalt und normative

6   Einflussfaktoren regionaler Deckungsbeiträge

6.2   Auswahl der in einem Regionalmodell zu

6.2.2   Wirkungserklärungsgehalt und normative

sion der Variablenauswahl 

6.2.2.1 Wirkungserklärungsgehalt der Variablen 

Die Variable Zuweisungen spiegelt nach Auffassung des Wis‐

senschaftlichen  Beirats  u.a.  Unvollkommenheiten  der  RSA‐

Zuweisungen im Bereich der multimorbiden Versicherten wi‐

der. Aufgrund der Tatsache, dass Altersinteraktionsterme und  Interaktionsterme zwischen HMGs gegenwärtig nicht als aus‐

gleichsfähiges Risikomerkmal im Morbi‐RSA verwendet  wer‐

den, sind Über‐ oder Unterdeckungen bei der Gruppe der mul‐

timorbiden Versicherten zu erwarten. Hinzu kommt, dass soge‐

nannte sub‐ bzw.  superadditive  Ausgabeneffekte  bei  Multi‐

morbidität aufgrund der gegenwärtigen additiven Zuschlagsbe‐

rechnung nicht adäquat erfasst werden können. Im Sondergut‐

achten des Wissenschaftlichen Beirats wurden Hinweise insbe‐

sondere auf eine Subadditivität der Leistungsausgaben bei ins‐

besondere älteren Versicherten mit mehreren Erkrankungen  gefunden; die gemeinsame Behandlung von Mehrfacherkran‐

kungen kann mit geringeren Gesamtkosten als bei Einzelbe‐

handlung verbunden sein. Dies führt dazu, dass die Leistungs‐

ausgaben von Versicherten mit mindestens vier HMGs tenden‐

ziell überschätzt werden (vgl. Drösler et al. 2017, S. 418f.). So‐

mit kann eine regionale Konzentration von multimorbiden Ver‐

sicherten mit einer höheren durchschnittlichen Zuweisung in  einem Kreis einhergehen und dort – aufgrund der beschriebe‐

nen Subadditivität der Leistungsausgaben – zu einer Überde‐

ckung führen. Darüber hinaus können sich in den Zuweisungen 

allerdings auch Ineffizienzen im Angebot von Gesundheitsleis‐

tungen widerspiegeln. Es erscheint somit plausibel, dass stei‐

gende Zuweisungen mit steigenden Deckungsbeiträgen einher‐

gehen.  

Verstorbene sind aufgrund der hohen Ausgaben der Kranken‐

kassen in den letzten Lebensmonaten unterdeckt (vgl. Drösler  et al. 2017, S. 134f.). Daher gehen eine hohe Sterberate und  hohe Sterbekosten in einer Region mit einer Zunahme der Un‐

terdeckung einher. 

Die Variablen Hausarztdichte und Facharztdichte spiegeln nach  Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats in erster Linie ange‐

botsseitige  Effekte  wider:  Ein  stärker  ausgebautes  Angebot  führt ceteris paribus tendenziell zu höheren Ausgaben und in‐

soweit  sinkenden  Deckungsbeiträgen.  Der  Wissenschaftliche  Beirat weist allerdings darauf hin, dass die Hausarzt‐ und Fach‐

arztdichte tendenziell auch zu höheren Zuweisungen führen,  insoweit sie zu einer dichteren Kodierung des Krankheitsge‐

schehens beitragen. Daher entspricht der feststellbare Zusam‐

menhang dem Nettoeffekt der einnahmen‐ und ausgabenseiti‐

gen  Wirkungen des Versorgungsangebotes im  vertragsärztli‐

chen Bereich. 

Mit der Zahl der Pflegebedürftigen und den Anteilen Ambulan‐

te Pflege und Stationäre Pflege sind gleich drei Variablen, die  die Versorgung Pflegebedürftiger charakterisieren, unter den  zehn Variablen mit den niedrigsten p‐Werten. Diese weisen  also eine hohe Wahrscheinlichkeit auf, Erklärungsbeiträge für  die Unterschiede in den regionalen Deckungsbeiträgen zu leis‐

ten. Diese Variablen spiegeln nach Einschätzung des Wissen‐

schaftlichen Beirats u.a. die Interdependenzen zwischen Kran‐

kenbehandlung und Pflegebedürftigkeit, die, insbesondere bei  fortgeschrittenen  chronischen  Erkrankungen,  komplementär  sind, wider. 

Die  Variable  Personenbezogene  Dienstleistungen  steht  nach  Ansicht  des  Wissenschaftlichen Beirats  für  berufsspezifische  Morbiditätseffekte. Zwar umfasst der personennahe Dienstleis‐

tungsbereich  auch  medizinische  und  nicht‐medizinische  Ge‐

sundheitsberufe  und  somit  potenziell  auch  angebotsseitige  Effekte. Im für die Variablenselektion verwendeten Regressi‐

onsmodell wird allerdings bereits für die Angebotsdichte im  ambulanten und stationären Bereich kontrolliert. Somit steht  der geschätzte Zusammenhang für die über die Versorgungs‐

struktureffekte hinausgehenden Auswirkungen des personen‐

nahen Dienstleistungssektors. Eine positive Assoziation mit den  Deckungsbeiträgen kommt dann zustande, wenn ceteris pari‐

bus der Anteil von (hoch‐)qualifizierten Dienstleistungsberufen,  bzw. Berufe mit hohem sozialen Status, mit annahmegemäß  niedrigen Gesundheitsrisiken (wie z.B. Ärzte, Lehrer, Akademi‐

ker) zunimmt, was die Risikostruktur des Versichertenkollektivs  in einer Region begünstigen kann.  

Der Wissenschaftliche Beirat stellt fest, dass die Variable Ge‐

samtwanderungssaldo einen  indirekten Beitrag  zur  Morbidi‐

tätsmessung leistet. In den Gesundheitswissenschaften wird  der Healthy Migrant‐Effekt diskutiert,  nachdem Zuwanderer  tendenziell überdurchschnittlich gesund sind. Dies gilt auch für 

die Binnenwanderung, die den Gesamtwanderungssaldo einer  Region bestimmt (vgl. z.B. Göpffarth 2011, S. 27f.). 

6.2.2.2 Normative Aspekte bei der Variablenselektion  Der Wissenschaftliche Beirat hat intensiv diskutiert, wie die  Variablen Facharztdichte und Hausarztdichte hinsichtlich einer  Berücksichtigung dieser Variablen im RSA zu beurteilen sind, da  diese in besonderer Weise angebotsseitige Variablen darstel‐

len. Unstrittig ist zunächst, dass eine Berücksichtigung der Vari‐

ablen ceteris paribus zu einer Verringerung von Wettbewerbs‐

verzerrungen in Regionen mit besonders hoher oder besonders  niedriger Arztdichte führt. In normativer Hinsicht stellt sich die  Situation komplex dar: Zunächst ist festzuhalten, dass insofern  eine Zunahme an Fachärzten und Hausärzten zu mehr Behand‐

lungen führt (angebotsinduzierte Nachfrage), diese sich, wenn  diese Mehrbehandlungen mit einem Mehr an Diagnosen ein‐

hergehen, auch in höheren Zuweisungen im Rahmen des Mor‐

bi‐RSA niederschlagen. Wie vorab beschrieben, erklären die  Variablen Facharztdichte und Hausarztdichte nur die über diese  erhöhten Zuweisungen hinausgehenden Effekte. Eine Berück‐

sichtigung dieser Variablen im RSA würde in der Tendenz den‐

noch dazu führen, dass im Vergleich zum Status quo (noch)  mehr Zuweisungen in die besser ausgestatteten und entspre‐

chend weniger Zuweisungen in die weniger ausgestatteten Re‐

gionen fließen. Einerseits kann die Auffassung vertreten wer‐

den, die Variablen seien aufgrund des Kontrahierungszwanges  mit den Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen des Sys‐

tems der vertragsärztlichen Versorgung mit ihren Regelungen 

für Bedarfsplanung und Zulassung für die einzelnen Kranken‐

kassen  exogen  vorgegeben.  Daraus  erwachsende  finanzielle  Vor‐ und Nachteile und die damit einhergehenden Wettbe‐

werbsverzerrungen sollten insoweit daher im RSA ausgeglichen  werden. Auch wird darauf hingewiesen, dass die dichter mit  Angebot an Arztleistungen ausgestatteten Regionen mit ihrer  quantitativ umfangreicheren und qualitativ höherwertigen Inf‐

rastruktur Versorgungsfunktionen, wie z.B. auch die Vorhaltung  hochspezialisierter  stationärer  und  ambulanter  Leistungen,  auch für das Umland wahrnähmen. Andererseits wird argu‐

mentiert, dass die Berücksichtigung tendenziell die ungleichen  Versorgungsdichten  zementieren würde, wenn  im  Vergleich  zum Status quo in die besser versorgten Regionen höhere Zu‐

weisungen im RSA fließen würden. Und falls bei der Vergütung  von Leistungen, die das Umland in den dichter versorgten Regi‐

onen in Anspruch nimmt, leistungsgerechte Preise gezahlt wer‐

den, bestünde kein Bedarf an zusätzlichen Transfers über den  RSA hinaus. Wo dies nicht der Fall sei, müsse bei den Vergü‐

tungssystemen  nachgesteuert werden,  hingegen  nicht  beim  RSA. 

Die  Facharztdichte,  Hausarztdichte  und  der  Gesamtwande‐

rungssaldo sind zudem Variablen, die anders als die übrigen  sieben Variablen nicht auch als Individualvariablen ausgestaltet  sein könnten, wenn die entsprechenden Informationen für den  RSA zur Verfügung stünden. Da der RSA im Kern auf versicher‐

tenbeziehbare  Merkmale  abstellt,  könnte  erwogen  werden,  diese drei Merkmale aus diesem Grund nicht in den RSA aufzu‐

Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden daher zwei Mo‐

delle  der  Berücksichtigung  von Regionalvariablen  entwickelt  und berechnet. In Modell M1 sind die ersten zehn Variablen  der Tabelle 6.13 enthalten, sie umfasst damit die zehn Variab‐

len mit den niedrigsten p‐Werten. Demgegenüber enthält Mo‐

dell M2 die reduzierte Liste, in der die Facharzt‐ und Hausarzt‐

dichte sowie der Gesamtwanderungssaldo nicht berücksichtigt  sind. 

Tabelle 6.14 stellt die beiden Variablensets M1 und M2 gegen‐

über. Diese werden zur Bildung von regionalen Clustern und  Risikofaktoren in den regionalstatistischen Zuweisungsmodel‐

len genutzt (vgl. Abschnitt 7.3 Regionalstatistische Modelle). 

Ein Vergleich der regionalen Verteilungswirkungen dieser bei‐

den Variablengruppen erlaubt es, den Einfluss der ausgeschlos‐

senen Angebotsvariablen sowie des Gesamtwanderungssaldos  auf die regionale Deckungssituation zu beurteilen. Aufgrund  der höheren Anzahl an enthaltenen Indikatoren¸ und da die  Bestimmungsfaktoren anhand der statistischen Signifikanz aus‐

gewählt wurden, hat das Variablenset M1 naturgemäß einen  höheren regionalen Erklärungsgehalt als das Variablenset M2. 

Ein Auffüllen des Variablensets M2 auf zehn Variablen, mit den  drei gemäß der statistischen Signifikanz nächstbesten Bestim‐

mungsfaktoren aus Tabelle 6.13, erhöht die Modellanpassung  allerdings nur geringfügig. Dies liegt an dem grundsätzlich ge‐

ringeren  Erklärungsgehalt  der  nachrückenden  Variablen  im  Vergleich zu den zuvor ausgeschlossenen Variablen. Aus die‐

sem Grund verzichtet der Wissenschaftliche Beirat auf die Ver‐

Zuweisungen  Zuweisungen 

Ambulante Pflege  Ambulante Pflege 

Sterberate  Sterberate 

Facharztdichte   Gesamtwanderungssaldo   

Personenbezogene Dienst‐

leistungen 

  10  Stationäre Pflege    Quelle: Auswertung BVA 

6.3 Fazit 

Ziel dieses Kapitels war einerseits die empirische Analyse der  Determinanten von regionalen Deckungsbeiträgen und ande‐

rerseits die Auswahl von Bestimmungsfaktoren, die im Rahmen  eines  Regionalausgleichsmodells  berücksichtigt  werden  kön‐

nen. Hierzu wurde zunächst eine Reihe von Bestimmungsfakto‐

ren identifiziert, die für die regionale Deckungsbeitragsvariati‐

on im Status  quo verantwortlich zeichnen können. Das ge‐

schätzte Regressionsmodell zur Erklärung der Deckungsbeiträ‐

ge auf Kreisebene in Abschnitt 6.1 enthält Indikatoren zur Be‐

schreibung der regionalen Morbiditäts‐ und Mortalitätsstruktu‐

ren,  der  regionalen  Bevölkerungszusammensetzung,  zu  den  medizinischen Angebotsstrukturen, zur Sozialstruktur sowie zu  den Markt‐ und Wirtschaftsstrukturen. Die Ergebnisse der em‐

pirischen Untersuchung zeigen, dass etwa ein Drittel der De‐

ckungsbeitragsvariation  auf  Kreisebene  auf  regionale  Unter‐

schiede im Gesundheitszustand, gemessen durch die kreisspezi‐

fische Morbidität und Mortalität, zurückgeführt werden kön‐

nen. Angebotsvariablen wie die Arzt‐ oder Krankenhausbetten‐

dichte haben dagegen nur einen vergleichsweise geringen Er‐

klärungsgehalt für die Deckungsbeiträge der Kreise. 

In Abschnitt 6.2 wurden die in einem Regionalausgleich zu be‐

rücksichtigenden Bestimmungsfaktoren zunächst anhand der  statistischen Signifikanz ausgewählt. Im Ergebnis resultiert eine  Liste mit zehn Variablen (Variablenset M1), die die Einflussfak‐

toren mit der geringsten Irrtumswahrscheinlichkeit im verwen‐

deten Datensatz enthalten (vgl. Tabelle 6.14). Diese Liste um‐

fasst  kreisspezifische  Indikatoren  für  die  durchschnittlichen  Ausgaben von verstorbenen Versicherten, für die durchschnitt‐

lichen Zuweisungen, zur Pflegebedürftigkeit, zur Mortalität, zur  Arztdichte, zum Gesamtwanderungssaldo sowie zum Anteil der  Beschäftigten  in  personenbezogenen  Dienstleistungsberufen. 

Für jede der zehn Variablen wurde ein hoher inhaltlicher Wir‐

kungserklärungsgehalt festgestellt. Zusätzlich wurde ein zwei‐

tes Variablenset definiert (Variablenset M2), welches die Ange‐

botsvariablen  und  den  Gesamtwanderungssaldo  ausschließt 

Gründen nicht innerhalb des RSA Berücksichtigung finden soll‐

ten. 

Das Variablenset M1 hat insgesamt einen höheren statistischen  Erklärungsgehalt  für  die  Deckungsbeitragsunterschiede  auf  Kreisebene als das Variablenset M2. Ob und inwiefern sich die‐

ser Sachverhalt auch auf die regionalen Wirkungen des Morbi‐

RSA bei Verwendung dieser unterschiedlichen Variablensets als  Ausgleichsfaktoren auswirkt, ist Gegenstand von Abschnitt 7.3  Regionalstatistische Modelle. 

   

7 Modellrechnungen zur Regionalisierung