6 Einflussfaktoren regionaler Deckungsbeiträge
6.2 Auswahl der in einem Regionalmodell zu
6.2.1 Variablenselektion
Ausgangspunkt der Variablenselektion sind die nach Verringe‐
rung der Multikollinearität verbliebenen erklärenden Variablen der regionalen Deckungsbeiträge im Status quo (vgl. Tabelle 6.10, Modell 4). Aus dieser Entscheidungsmenge wird die Vari‐
able Marktkonzentration, gemessen anhand des HHI in einem Kreis, jedoch von vornherein ausgeschlossen. Der Wissen‐
schaftliche Beirat sieht die Verwendung dieses Indikators als Ausgleichsvariable im RSA grundsätzlich als problematisch an.
Zwar können regionale Monopolisierungstendenzen wettbe‐
werbsschädliche Auswirkungen haben. Sofern eine hohe Marktkonzentration zu Abschlägen führt, würde eine Verknüp‐
fung der Zuweisungen mit der regionalen Marktkonzentration jedoch den Markteintritt anderer Krankenkassen in diese Regi‐
on wirtschaftlich unattraktiv machen. Darüber hinaus würden
kleinere Krankenkassen, die bereits in regionaler Konkurrenz zu Trägern mit einem hohen Marktanteil stehen, zusätzlich be‐
straft. Zudem ist unter den gegebenen Datenrestriktionen nicht ersichtlich, zu welchem Anteil die Marktkonzentration in einer Region auf effizienzbasiertem Handeln der Krankenkassen zu‐
rückzuführen ist. Somit kann der Wissenschaftliche Beirat nicht empfehlen, den HHI in einem Regionalmodell neben weiteren regionalen Variablen für alle am RSA beteiligten Krankenkassen zu berücksichtigen.
Als Entscheidungsgrundlage für die weitere Variablenauswahl dient zunächst das Kriterium der statistischen Signifikanz der einzelnen Bestimmungsfaktoren. Diese wird anhand des in Ab‐
schnitt 6.1.4.2 beschriebenen F‐Tests ermittelt. Der F‐Test er‐
laubt die Überprüfung sowohl von einzelnen als auch der Kom‐
bination von mehreren Koeffizienten. Bei der Überprüfung ei‐
nes einzelnen Parameters bzw. einer einzigen linearen Restrik‐
tion entspricht der F‐Wert dem Quadrat des t‐Werts. Die F‐
Werte der nicht‐linear spezifizierten Variablen (Sterbekosten, Pflegebedürftige, Facharztdichte, Hausarztdichte, Kranken‐
hausbetten, GKV‐Marktanteil, Deprivation) beziehen sich auf die gemeinsame Signifikanz der linearen und quadratischen Terme bzw. Dummy‐Variablen. Die korrespondierenden p‐
Werte spiegeln die Wahrscheinlichkeit wider, den geschätzten Zusammenhang zwischen dem Bestimmungsfaktor und den Deckungsbeiträgen zu beobachten, wenn die Nullhypothese vorliegt. Durch eine Auswahl der regionalen Ausgleichsfaktoren mit den niedrigsten p‐Werten kann das Problem reduziert wer‐
regionale Deckungsbeitragsvariation haben, in den Regional‐
ausgleich einfließen.
Im konkret verwendeten Modellansatz wird das Regressions‐
modell aus Tabelle 6.12, unter Ausschluss der normativ verwor‐
fenen Variable Marktkonzentration, erneut geschätzt. Die Be‐
stimmungsfaktoren werden dann, gemäß ihrem p‐Wert in eine Rangfolge gebracht. Der F‐Test liefert allerdings nur unter der Annahme homoskedastisch verteilter Fehlerterme zuverlässige Ergebnisse, das heißt wenn kein systematischer Zusammen‐
hang zwischen der Varianz der Regressionsresiduen und den regionalen Merkmalen bestehen. Wie aus Abbildung A.1 her‐
vorgeht, scheint bei den berücksichtigten erklärenden Variab‐
len allerdings keine Korrelation zwischen der Streuung der Feh‐
lerterme und den beobachteten Werten vorzuliegen.
Tabelle 6.13 stellt das Ergebnis der Auswahlprozedur dar. Sie enthält für jeden Bestimmungsfaktor den F‐Wert und den da‐
zugehörigen p‐Wert. Zehn Variablen weisen eine Irrtumswahr‐
scheinlichkeit von ein Prozent auf, 13 Variablen würden einem Signifikanzniveau von fünf Prozent genügen und insgesamt 16 Variablen wären auf einem Niveau von zehn Prozent signifi‐
kant.
Der Wissenschaftliche Beirat hat sich dazu entschlossen, die zehn Variablen mit den niedrigsten p‐Werten auszuwählen. Bei diesen liegt die geringste Wahrscheinlichkeit vor, eine Variable
als Ausgleichsfaktor zu verwenden, die faktisch keinen statisti‐
schen Erklärungsgehalt für die regionale Deckungsbeitragsvari‐
ation hat. Zur Entscheidung, dieses Vorgehen zu wählen, hat beigetragen, dass die einbezogenen Bestimmungsfaktoren gut messbar, aktuell und allgemein verfügbar sind. Wie in Abschnitt 6.2.2 gezeigt wird, lassen sich die ausgewählten Indikatoren auch im Kontext des Morbi‐RSA sinnvoll interpretieren.
Tabelle 6.13: Rangfolge der Bestimmungsfaktoren gemäß statistischer Signifikanz
Nr. Variable Std. Koeff. F‐Wert p‐Wert
Hauptterm Produktterm
1 Sterbekosten ‐1,748 1,174 105,89 0,0000
2 Zuweisungen 0,837 91,64 0,0000
3 Ambulante Pflege ‐0,246 35,14 0,0000
4 Sterberate ‐0,337 25,13 0,0000
5 Facharztdichte ‐0,646 0,800 10,55 0,0000
6 Pflegebedürftige 0,437 ‐0,665 9,65 0,0001
7 Hausarztdichte 0,715 ‐0,926 7,57 0,0006
8 Gesamtwanderungssaldo 0,118 9,58 0,0021
9 Personenbezogene Dienstleistungen 0,101 8,14 0,0046
10 Stationäre Pflege ‐0,127 7,03 0,0083
11 Krankenhausbetten ‐0,427 0,308 4,64 0,0102
12 Wahlbeteiligung ‐0,144 5,42 0,0204
13 GKV‐Marktanteil 1,858 ‐1,751 3,39 0,0349
14 Ausländeranteil 0,128 3,54 0,0606
15 Haushaltsgröße 0,131 3,08 0,0799
16 Arbeitslose Frauen ‐0,077 2,73 0,0995
17 Pendlersaldo 0,127 1,99 0,1589
18 Deprivation 1,43 0,2227
GISD‐Quintil 1 (niedrige Deprivation) 0,200
GISD‐Quintil 2 0,063
GISD‐Quintil 3 0,145
GISD‐Quintil 4 ‐0,091
GISD‐Quintil 5 (hohe Deprivation) Ref.
19 Mehrfamilienhäuser ‐0,082 1,35 0,2461
20 Erwerbsquote ‐0,064 1,23 0,2677
Nr. Variable Std. Koeff. F‐Wert p‐Wert
21 Erreichbarkeit von Krankenhäusern 0,063 0,99 0,3206
22 Kleine und mittlere Unternehmen ‐0,066 0,92 0,3388
23 Weibliche Beschäftigte ‐0,026 0,17 0,6763
24 Selbstständige ‐0,029 0,14 0,7053
25 Bedarfsgemeinschaften mit Kind 0,019 0,08 0,7711
26 Säuglingssterblichkeit 0,011 0,08 0,7798
27 Lebenserwartung ‐0,023 0,07 0,7862
28 Alleinerziehende 0,016 0,06 0,8140
29 Überversorgung ‐0,008 0,05 0,8309
30 Langzeitarbeitslosigkeit ‐0,008 0,02 0,8882
31 Bruttoinlandsprodukt 0,001 0,00 0,9865
Quelle: Auswertung BVA; Ref. = Referenzkategorie; GISD = German Index of Socioeconomic Deprivation
Es stünden jedoch auch andere Methoden und Kriterien bei der Variablenselektion zur Verfügung. Beispielsweise könnte die Auswahl auf alle signifikanten (in Abhängigkeit von der Höhe des Sicherheitsniveaus) Variablen beschränkt werden. Alterna‐
tiv wäre denkbar, ein stärkeres Gewicht auf die ökonomische Relevanz der Einflussfaktoren zu legen, indem etwa die Effekt‐
stärke der Indikatoren als Auswahlkriterium miteinbezogen wird.
Die nach den in diesem Gutachten angelegten Kriterien ausge‐
wählten zehn Variablen sind in Tabelle 6.13 orange hinterlegt.
In die engere Auswahl fließen damit, vorbehaltlich der an‐
schließenden normativen Diskussion (vgl. Abschnitt 6.2.2), fol‐
gende Variablen: Sterbekosten, Zuweisungen, Ambulan‐
te Pflege, Sterberate, Facharztdichte, Pflegebedürftige, Haus‐
arztdichte, Gesamtwanderungssaldo, Personenbezoge‐
ne Dienstleistungen und Stationäre Pflege. Zwar kann von der statistischen Signifikanz nicht unmittelbar auf die ökonomische Relevanz geschlossen werden. Allerdings verdeutlicht Tabelle 6.13 auch, dass ein niedriger p‐Wert tendenziell mit einem hö‐
heren standardisierten Regressionskoeffizienten, und damit mit einer höheren relativen Bedeutung der Variable, einhergeht.
Wird das Regressionsmodell zur Erklärung der Deckungsbeiträ‐
ge ausschließlich mit diesen zehn Variablen geschätzt, resultiert ein korrigiertes Bestimmtheitsmaß in Höhe von ca. 63 %. Damit sind diese zehn Bestimmungsfaktoren für den Großteil (ca.
92 %) der im Rahmen der empirischen Untersuchung in Ab‐
schnitt 6.1.4 erzielten erklärten Gesamtvarianz der Deckungs‐
beiträge auf Kreisebene verantwortlich. Dies zeigt auch, dass
mit der Berücksichtigung weiterer Variablen aus Tabelle 6.13 nur ein geringer zusätzlicher Erklärungsgehalt verbunden ist.
In der statistisch getriebenen Variablenauswahl finden sich fast ausschließlich direkte oder indirekte Indikatoren für die Morbi‐
ditäts‐ bzw. Mortalitätsverhältnisse und die Angebotsinfra‐
struktur innerhalb eines Kreises. Sozioökonomische Variablen wie Deprivation scheinen dagegen für regionale Deckungsbei‐
tragsunterschiede nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Eine mögliche Erklärung für dieses Resultat liefern die bereits im Status quo hervorgerufenen regionalen Verteilungswirkun‐
gen des Morbi‐RSA. Dieser enthält versichertenbezogene In‐
formationen zu Krankheiten und dem Erwerbsminderungssta‐
tus. Einerseits variieren diese Merkmale in regionaler Hinsicht, andererseits können sie einen starken Bezug zum sozialen Sta‐
tus der Versicherten haben. Auch wenn direkte versichertenbe‐
zogene Informationen zum sozioökonomischen Status bis dato in der Ausgleichsformel fehlen, führt die Korrelation zwischen den im Morbi‐RSA berücksichtigten Variablen und diesen Fak‐
toren zu einem (partiellen) Ausgleich der sozialstatusbedingten Ausgabenunterschiede. Vor dem Hintergrund, dass Regionen mit einer hohen Krankheitslast und einem hohen Anteil an Er‐
werbsminderungsrentnern auch hohe Zuweisungen erhalten, könnten die durch soziale Ungleichheiten bedingten regionalen Ausgabenunterschiede bereits im Status‐quo‐Verfahren zu gro‐
ßen Teilen ausgeglichen werden. Die regionalen Deckungsbei‐
träge enthalten nur noch denjenigen Teil der Ausgabenvarianz, der weitgehend unabhängig vom Sozialstatus der Versicherten