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5.3 Sozialisation

5.3.2.4 Werdegang

Die Interviewergebnisse zeigen, dass der persönliche Werdegang eines Menschen Einfluss auf dessen zukünftigen Umgang mit Wissen hat.

Wie Abb. 38 verdeutlicht, werden die Bereiche ‚Elternhaus’, ‚Schule’, ‚Universität’

und ‚Beruf’ von den Interviewpartnern häufiger genannt als die Themen ‚Lehre’ und

‚Berufsakademie’.

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Elternhaus Schule Lehre Berufsakademie Universität Beruf

Anzahl Antworten

Abb. 38: Werdegang

Das Elternhaus vermittelt gewisse Werte „[…], was im Leben wichtig ist, auf was man Acht geben sollte, wie man sich in gewissen Situationen verhält, auch im Umgang mit Wissen.“205 Die Erziehung, angefangen vom Elternhaus über die Grundschule und weiterführende Schule bis hin zur Universität, sozialisiert uns im Umgang mit Wissen.

In diesen Lebensphasen wird Wissen verstärkt als individuelle Ressource gehandhabt:

„Sich entwickeln und lernen in Gruppen“206 wird bisher wenig präferiert. Erste Veränderungen, die das Thema Gruppenarbeit in den Mittelpunkt rücken, sind zu erkennen: „Das Thema ‚sich entwickeln und lernen in Gruppen’ ist ein Thema, das in der Sozialisation von der Grundschule angefangen über weiterführende Schulen bis

204 Zitat Quelle R.

205 Zitat Quelle Q.

206 Zitat Quelle X.

hin zur Universität weniger Aufmerksamkeit erhalten hat. Es ging mehr um die Messung und Bewertung von Einzelleistungen. In meiner Schulzeit gab es keine Gruppenarbeit. Ich erlebe gerade in der Realschule, dass es seit drei Jahren anfängt, sich zu verändern.“207 Quelle T unterstreicht die Aussage durch folgende Erkenntnis:

„Früher hat man in der Schule und im Studium hauptsächlich für sich gelernt, sich auch mal ausgetauscht, aber es war unmöglich, dass man eine Diplomarbeit zusammen schrieb. Das ist heute möglich.208

Quelle Y vertritt eine andere Meinung: Sie erlebte die Sozialisation während des Studiums durch viel Austausch und Kooperation geprägt. In Lerngruppen bereitete man sich auf Prüfungen vor. Das Studium regte zum Nachdenken an und motivierte zur eigenständigen Lösungsentwicklung. Quelle W ist überzeugt: „Je höher die Schulbildung und die Ausbildung ist, desto mehr weiß ich, dass ich auf Wissen von anderen angewiesen bin und desto mehr Wissen beziehe ich in mein Arbeit mit ein.

[…] Man lernt im Studium mit fremdem und mit eigenem Wissen umzugehen."

Quelle I vermutet zwischen den Hochschulen Unterschiede in der Wissensnutzung:

„An der Berufsakademie ist es weniger ein Einzelwissen, sondern dadurch, dass die Taktung sehr eng ist, eher ein Gemeinschaftswissen. Dadurch, dass man direkt einem Unternehmen zugehörig ist, ist nicht dieses ichbezogene von Wissen da. Ich könnte mir vorstellen, dass man an der Universität seine Mitschriebe nicht zur Verfügung stellen möchte, weil der Wettbewerb ein ganz anderer ist als an der Berufsakademie.“

Quelle P beschreibt folgende Erfahrung: In der Ausbildung und Schule bekommt man vorgekaut, welche Informationen aufzuschreiben, zu lesen und zu lernen sind:

„[D]as steht in dem Buch, das was der Lehrer sagt, wird aufgeschrieben.“209 Wissen wird reproduziert und weniger transferiert. Gerade aber die Fähigkeit eigenständig zu Denken und sich relevantes Wissen zugänglich zu machen, ist im Arbeitsalltag notwendig: „Man steht vor einem Problem und weiß nicht, wie man es lösen soll. Hier hilft der persönliche Kontakt weiter.“210

Die Erziehung im Kollegenkreis spielt eine Rolle. Kollegen definieren, was ein angemessenes Verhalten ist. Sie verstärken entsprechendes Verhalten in Form von

207 Zitat Quelle X.

208 Zitat Quelle T.

209 Zitat Quelle P.

210 Zitat Quelle P.

Lob, Dank oder Tadel. Stellt ein Kollege der Gemeinschaft langfristig kein Wissen zur Verfügung, tadeln ihn die Kollegen: „Hör mal, wir haben hier die ‚win-win’ Situation, Du gibst mir, ich gebe Dir.“ Zeigt sich der Kollege weiterhin unkooperativ, werden ihm zukünftig Wissensbestände verwehrt. Dadurch wird eine gewisse Wechselseitigkeit geschaffen. Allerdings stellt sich die Frage, wann man als Kollege im Kollegenkreis interveniert? Spricht man Wissensmissbrauch massiv und kontrovers an? Oder interveniert man nur bei Dingen, die wichtig sind und Erfolgswahrscheinlichkeit versprechen? Intervention bedeutet immer auch „Energie zu verbraten“211 und gegebenenfalls „mit dem Kopf permanent gegen Betonwände zu rennen“212. Stiller Rückzug, Kontaktvermeidung oder ein latenter Konflikt können Folgen sein.213

Das Unternehmen spielt bei der Sozialisation von Wissensträgern und -abgebern ebenfalls eine Rolle.214 Die Handlungen eines Unternehmens bzw. seines Managements können langfristige Folgen haben, berichtet Quelle N: „Wenn ich mir überlege: Ich gehe als älterer, verdienter Mitarbeiter aus dem Unternehmen weg und das Unternehmen dankt mein Engagement nicht, das ich über Jahrzehnte gebracht habe. Ich kriege eine Abfindung und dann ist es dem Unternehmen egal was aus mir wird. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage wäre, mich mit gleichem Engagement in eine zukünftige Tätigkeit einzubringen, das würde schwierig werden. Ich würde auf alle Fälle nicht zu den großen Veränderern gehören. […] Verhält sich das Unternehmen nicht wertschätzend gegenüber seinem Mitarbeiter, könnte sich das zu einem späteren Zeitpunkt zurückzahlen, indem sich die Leute weniger in Dinge wie Wissensaustausch engagieren. Wissensmanagement ist immer mit Veränderung verbunden.“215

Das folgende Zitat von Quelle X verdeutlicht, dass es für hochwertige Produkte nicht mehr ausreicht, Mitarbeiter so zu sozialisieren, dass sie Wissen nur für sich erwerben: „[…] Für komplexere, innovative Produkte muss ein Mensch in Schule, Universität, Unternehmen und vielleicht schon in der Familie so sozialisiert werden, dass es für ihn klar ist, dass er mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags das Wissen, das er hat, welches er im Unternehmen weiterentwickelt, anderen zur Verfügung

211 Zitat Quelle X.

212 Zitat Quelle X.

213 Emotionale Aspekte werden in Kapitel 5.7 erläutert.

214 Näheres zur Unternehmenskultur findet sich in Kapitel 5.2.

215 Zitat Quelle O.

stellt.“