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5.5 Organisation

5.5.2.3 Verankerung in Struktur und Prozess

Wie die Überschrift vermuten lässt, verteilen sich die Aussagen der 12 Interviewpartner inhaltlich auf die Begriffe ‚strukturelle’ und ‚prozessuale’

Verankerung.

Zunächst steht die strukturelle Verankerung im Vordergrund, die unter den Interviewpartnern sehr umstritten ist: Die Überführung der WM-Projektarbeit in die Linie ist für zwei Interviewpartner eine wesentliche Voraussetzung zur Gestaltung optimaler Wissensnutzungsprozesse. Das Leitungsteam signalisiert dadurch die Wichtigkeit des Themas. Zuständige Mitarbeiter übernehmen inhaltlich Verantwortung, planen, steuern und initiieren Wissensaktivitäten und treiben die Nutzung vorhandener Wissensbestände voran: „Die Institution Wissensmanagement hat dazu beigetragen, dass das Thema ‚Wissen teilen’ in PZ/OMP aufkam und Raum dafür gegeben wurde.“265 Quelle F äußert hierzu die Bedenken, „dass es auf zwei Schultern in die Tiefe geht, und dass viel konzipiert und evaluiert wird, was von der Fläche nicht genutzt wird, was zu abstrakt ist, zu tief geht, am Bedarf vorbei. Es sind nicht alle in der Verantwortung. Ich könnte mir vorstellen, dass es besser funktioniert,

264 Zitat Quelle Q.

265 Zitat Quelle K.

wenn die Mitarbeiter unterschiedlich Verantwortung in dem Thema tragen.“266 Eine Initialzündung in Form eines Beraters, der den Prozess anstößt, den Bereich vorübergehend begleitet und ihn letztlich wieder sich selbst überlässt, hält Quelle Q für hilfreich. Den Bedarf einer langfristigen WM-Funktion sieht sie allerdings nicht.

Die mit der strukturellen Verankerung verbundene monetären Investitionen, ärgern267 Quelle W. WM gerät zum Selbstzweck: „Was wir an Geld in das Thema stecken, das ist für meine Begriffe Wahnsinn. Darüber ärgere ich mich. Das heißt konkret, dass wir anderthalb Leute hatten, die sich damit den ganzen Tag beschäftigt haben. […] Wenn ich in der Entwicklung erzähle, wie viel Geld wir in unser System stecken, schütteln die den Kopf. Die schieben Überstunden, die dürfen keine Praktikanten mehr einstellen und wir stecken so viel Geld in dieses System. Das ist nicht nachvollziehbar.

‚Wird da im Unternehmen das Geld richtig verteilt?’“ Damit ein adäquater Umgang mit verfügbaren Wissensbeständen gewährleistet ist, erkennt Quelle A die Notwendigkeit zur Steuerung des Wissensaustauschs. Sie berichtet von folgender Erfahrung268: „Unsere Unterlagen haben sich in weitere Bereiche des Konzerns gestreut. So habe ich eine Kollegin mit der Kopie, der Kopie erwischt als ich zufälligerweise im gleichen Gebäude war. Auf meine Frage, was sie denn mit den ganzen kopierten Unterlagen macht, wusste sie keine Antwort, was ich peinlich fand.

[…] Deshalb ist mir wirkliches Wissensmanagement wichtig. Das ist für den Ersteller eine Art professionelle Beleidigung, weil hier der tatsächliche Inhaber, der die Rechte an diesem geistigen Eigentum innehat, sich insofern verkannt fühlt, weil er nicht gefragt wurde. Das schafft mit der Zeit eine gewisse Vorsicht. Das scheint mir ein Hauptärgerpunkt269 zu sein.“

Optimale Wissensnutzungsprozesse lassen sich in zentralen, stark hierarchischen Strukturen schwer umsetzen, sind drei Interviewpartner überzeugt. Die Bündelung von Entscheidungskompetenzen festigt und baut Machtpositionen weiter aus. Es geht verstärkt darum, sich durch Wissen und Information machtpolitische Vorteile zu verschaffen, sich zu profilieren und seine Oben-Position zu sichern. Die Erreichung individueller Ziele, die meist in massivem Widerspruch zu den Unternehmenszielen stehen, sind im Fokus, so Quelle X. Die Intensität vertikaler Kommunikationskanäle, der Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, nimmt durch

266 Zitat Quelle F.

267 Auf den Einfluss von Emotionen geht Kapitel 5.7 ausführlich ein.

268 Erfahrung und handlungsleitende Erkenntnis werden in Kapitel 5.3.2.1 behandelt.

269 Vgl. Kapitel 5.7.

hierarchische Strukturen ab. Es geht um Ansagen und weniger um gemeinsame Lösungsfindung. Das bereichs- und schnittstellenübergreifende Denken ist eingeschränkt. „Man lernt viel in Projektsitzungen. In Sitzungen ticken verschiedene Abteilungen anders. Da kann man sich einiges abschauen. In dieser Abteilung funktioniert der Wissensaustausch oder hier grenzt sich wieder jeder ab und Wissen wird über die Hierarchie gestreut. Zum Beispiel sagt der E3 ‚so machen wir es und das ist das Konzept’, und wenn dann ein Mitarbeiter einwendet ‚nein, ich habe die und die Erfahrung in dieser Situation gemacht’, wird der Erfahrungsinput entweder abgebügelt oder der Vorgesetzte nimmt ihn offen auf, integriert und verarbeitet ihn.“270 Dezentrale Strukturen und flache Hierarchien können diesen Effekten entgegenwirken, ist Quelle Q überzeugt.

Klare Zuordnungen von Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen können Grundkonflikte vermeiden, erkennen Quelle X und I. Quelle S sieht gerade in der Arbeitsteilung und der damit verbundenen fachlichen Spezialisierung einen Auslöser für Rivalitäten: „In einem riesigen arbeitsteiligen Betrieb ist alles in Sektionen abgeschnitten, schmal, aber sehr tief. Jeder hat seine Domäne, seine Zuständigkeit.

Fragt jemand grenzüberschreitend, fühlt man sich als zwangsweise Folge der starken Arbeitsteilung auf den Schlips getreten. Ist man der Spezialist und der Kollege gibt die Antwort, fühlt man sich übergangen.“271 Quelle I ist sich dieser Notwendigkeit bewusst. Wissen, welches auf verschiedene Personen verteilt angelegt wird, wirkt Informationsverlust bei Krankheit oder aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels entgegen.

Darüber hinaus sind Mitarbeiter in mehreren Themen bewandt. Der Wegfall von Themengebieten aufgrund einer strategischen Neuausrichtung wirkt sich weniger gravierend aus. Quelle X ergänzt ihre Sichtweise, der Notwendigkeit klarer Zuständigkeiten, um folgenden Aspekt: Es ist „[…] die Chance der Bereicherung, dass in unterschiedlichen Organisationseinheiten, unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, mit unterschiedlichen Kundensegmenten ähnliche oder artverwandte Themen bearbeiten. Bearbeiten zwei Leute das Thema Prozessoptimierung, dann gibt es nur das Wissen von zwei Leuten. Während es, wenn fünf oder sechs Leute mit unterschiedlichem Schwerpunkt daran arbeiten, eine breitere Wissens- und Erfahrungsbasis gibt. Nutzungsaktivitäten zielen darauf ab unabhängig von der organisatorischen Zuordnung, das vorhandene Wissen zur Verfügung zu

270 Zitat Quelle Q.

271 Zitat Quelle S.

stellen, zu bündeln, gemeinsam weiterzuentwickeln, gemeinsam auszutauschen. Rigide Strukturen mit eindeutiger Verantwortlichkeit sind letztendlich für das Thema Wissensaustausch hinderlich. Dann geht es wieder um das Thema Machtpolitik, dann geht es wieder darum, bin ich dafür zuständig? Bei der Nutzung von Wissen geht es nicht um Zuständigkeiten, sondern darum, dass die Entwicklungen, die es dazu gibt, erfasst und sich gegenseitig zugänglich gemacht werden.“ Eine Balance klarer Zuständigkeiten bei gleichzeitiger personenübergreifender Themenverwebung fördert den Wissensfluss. Ansatzpunkt könnte sein, dass die Grenzen der Kernfelder nicht den Grenzen der Teams entsprechen.

Strukturelle Verankerungen reichen für effiziente Nutzungsprozesse alleine nicht aus. Es erfordert zusätzlich die Einbettung der WM-Prozesse in die täglichen Arbeitsabläufe. Wissen integriert und multipliziert sich nicht von selbst, dafür müssen prozessuale Voraussetzungen geschaffen werden: „Ich muss Standards generieren, um letztendlich Wissensmanagement als Prozess in eine Organisation hinein zu implementieren.“272 „Der Umgang mit Wissen muss ein Kernprozess werden, um Führung zu unterstützen. Derzeit ist es ein Stützprozess, Wissensmanagement funktioniert eher informell.273

Die Gesprächspartner weisen auf die Notwendigkeit der prozessualen Verankerung des Themas hin. Sie nennen in diesem Zusammenhang jedoch keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen. Diesen Aspekt greift die Dimension Wissensplattform in Kapitel 5.5.2.5 auf.