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2. Das Spiel der Kunst

2.1. Kennzeichen des Spiels

2.1.4. vollzugsorientiert

Das Spiel beruht auf einem „Ausnahmezustand eines nicht den sonstigen Zwecken und Regeln und Zeiten entsprechenden Verhaltens“, auf einer gegenüber dem Alltag „ver-wandelten Wirklichkeit, in der es für die Dauer dieser Verwandlung besondere Mög-lichkeiten und Ziele des Handelns gibt.“19 Die interne Funktionalität und Zweckmäßig-keit des Spiels darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um eine

„Zweckmäßigkeit ohne Zweck“20

18 Das „Seinlassen“ wird in Kap. 4ff noch ausführlicher erörtert.

im Kantischen Sinn handelt. Die Zwecke, die im Spiel verfolgt werden und das daraus erwachsende Handeln sind von grundsätzlich an-derer Natur als die Zwecke und das Handeln des Alltags. Hans-Georg Gadamer, der in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode der Frage nach dem spezifischen Wahrheits-gehalt der Geisteswissenschaften und Künste nachgeht und im Zuge dessen eine

Onto-19 Seel, Versuch über die Form des Glücks, 160.

20 Kant, Kritik der Urteilskraft, 143.

logie des Kunstwerks am Leitfaden des Spiels entwirft, unterscheidet diesbezüglich zwischen (Alltags-)Zweck und (Spiel-)Aufgabe:

„Jedes Spiel stellt dem Menschen, der es spielt, eine Aufgabe. Er kann sich gleichsam nicht anders in die Freiheit des Sichausspielens entlassen, als durch die Verwandlung der Zwecke seines Verhaltens in bloße Aufgaben des Spiels. […] und diese Aufgaben sind Spielaufga-ben, weil der wirkliche Zweck des Spieles gar nicht die Lösung dieser Aufgaben ist, sondern die Ordnung und Gestaltung der Spielbewegung selbst. […] Das Spiel ist wirklich darauf beschränkt, sich darzustellen. Seine Seinsweise ist also Selbstdarstellung.“21

Die (Spiel-)Aufgabe ist somit gleichsam wiederum nur Mittel zu einem übergeordneten Zweck, nämlich dem Selbstzweck des Spielens als solchem.

Für gewöhnlich bewerten wir unser Tun und Lassen nach dem Maßstab der Effektivität und Ökonomie, d.h. in Abhängigkeit von den Ergebnissen, der Zu- bzw. Abträglichkeit der Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Nicht das Tun und Lassen als solches, hier und jetzt, steht dabei im Vordergrund, sondern wie sich dieses Tun und Lassen zu sei-nem Vorher und Nachher als ein (ersetzbares) Mittel zum Zweck verhält. Das Spielen hingegen hat keinen „guten Grund“ und läuft auf nichts Bestimmtes hinaus. „[D]as Sichausgeben an die Spielaufgabe [ist] in Wahrheit ein Sichausspielen. Die Selbstdar-stellung des Spieles bewirkt so, daß der Spielende gleichsam zu seiner eigenen Selbst-darstellung gelangt, indem er etwas spielt, d.h. darstellt.“22

Es gilt also zu unterscheiden zwischen dem spielerischen Handeln als der vordergründi-gen Erfüllung bestimmter spielinterner Aufgaben einerseits, und dem „dahinter“ lievordergründi-gen- liegen-den Sinn dieser Handlungen als der Ermöglichung einer „Selbstdarstellung“, eines

„Sichausspielens“ und Sich-(an-ihnen-)selbst-zeigens der Spielenden (bzw. des im Spiel

21 Gadamer, Hans Georg: Hermeneutik 1. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: Mohr Siebeck 51986, 113f, meine Hervorhebung, L.H.

22 Gadamer, Wahrheit und Methode, 113f. Ähnlich argumentiert auch Martin Seel „Denn sein [gemeint ist das ästhetische Verhalten, L.H.] primärer Sinn liegt in ihm selbst – in einer als Weltbegegnung vollzoge-nen Selbstbegegnung, der es um nichts weiter als diese Begegnung geht. In ihr haben die Menschen eine ihrer besten Möglichkeiten, sich in der Zeit ihres Daseins da sein zu lassen.“ (Seel, „Ein Schritt in die Ästhetik“, 26.) Vgl. auch Kap. 1.2.2.1.

sich Ereignenden) andererseits. Das eine kann von den Spielenden bewerkstelligt, kon-trolliert und trainiert (bzw. als messbare Leistung festgehalten und verglichen) werden, das andere hingegen verdankt sich der Tatsache, dass sich dies alles als Spiel, d.h. im übergeordneten Rahmen einer konstitutiven Freiheit, Offenheit und Unberechenbarkeit ereignet. Von hier aus wird sowohl der Unterschied als auch der Zusammenhang klarer zwischen dem kalkulierbaren Nutzen und Gewinn, den man sich von einem Spiel erwar-ten und um den man darin „wettkämpfen“ kann, und der Gabe des Schönen, das im Spiel – sofern es als Spiel, als Selbstdarstellung gelingt und „aufgeht“ - einen besonders günstigen Nährboden findet. Günther Pöltner macht darauf aufmerksam, „daß sich das Schöne nicht herstellen oder planen läßt. Es muß sich schenken oder glücken. Und so erfahren wir auch umgekehrt alles, was sich schenkt und glückt, als schön.“23 Das We-sen des Schönen wird uns im dritten Teil dieser Arbeit noch ausführlicher beschäftigen.

Wir bleiben vorerst noch bei der Beschreibung des Spiels.

2.1.5. (R

AUM

-)Z

EITLICH BEGRENZT

Das Spiel hat einen zeitlich (und räumlich) klar begrenzten Rahmen, der es vom Nicht-Spiel abhebt und unterscheidet. Die Auflösung dieser Grenzen stellt laut Martin Seel gewissermaßen das entgegengesetzte Extrem zur Instrumentalisierung des Spiels dar:

„[D]ie Agitation des Spiels kann absolut gesetzt werden […], wenn die Gegenwart des Spiels als einzig lohnende Wirklichkeit des Lebens erscheint; wer so spielt, verfällt der Ge-genwart des Spiels ähnlich demjenigen, der den Augenblick auf Dauer stellen möchte […].

Die Agitation des Spielens läuft leer, wenn das Spielen nicht länger im Abstand von übri-ger, ihrerseits lohnender Lebenstätigkeit vollzogen werden kann. In der Spielsucht gehen die beiden Perversionen des Spielens [Instrumentalisierung und Absolut-Setzung, L.H.]

nicht selten eine Verbindung ein; es wird in zwanghafter Weise um Geldgewinne gespielt, aber so, daß die Erregung des Gewinnenkönnens zu einem alles andere verdrängenden Zent-rum der Lebensweise wird […].“24

23 Pöltner, Günther: „Die Erfahrung des Schönen“, in: Pöltner, Günther/Vetter, Helmuth (Hg.): Theologie und Ästhetik. Wien u.a.: Herder 1985, 14. Vgl. Kap. 3.3.5.2.

24 Seel, Versuch über die Form des Glücks, 164.