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3. Die Erfahrung des Schönen

3.2. Die ästhetische Deutung des Schönen

3.2.4. Schön, Gut oder Wahr

Gemäß der ästhetischen Deutung wird das Schöne also letztendlich auf einen Bewusst-seinsinhalt reduziert. Es verdankt seine Existenz den inneren Regungen und angeneh-men Gefühlen eines Subjekts, das im Gefühlstaumel und Überschwang sein subjektiv-Inneres auf eine äußerlich-objektive Wirklichkeit projiziert und damit eine Sache über-haupt erst schön macht – die doch eigentlich (d.h. nach dem nun vorherrschenden Ver-ständnis von Wahrheit/Wirklichkeit als bloßer Faktizität) lediglich vorhanden ist und mir neutral gegenüber steht.

67 Pöltner, Philosophische Ästhetik, 226. „Die Gegenreaktion auf eine so verstandene Schönheit, die etwa das Scheußliche und Ekelhafte pflegt und die Konsumentenhaltung gegenüber dem Ästhetischen in Form von Provokationen kritisiert, ist zwar nachvollziehbar, bleibt aber unfruchtbar, weil sie als Anti-Ästhetik mit dem Kritisierten insgeheim dieselben Voraussetzungen teilt – die Subjektivierung des Schönen durch die Ästhetik.“ (Pöltner, Philosophische Ästhetik, 226.)

68 Pöltner, Philosophische Ästhetik, 229. Zum hier verwendeten Welt-Begriff vgl. Kap. 3.2.2.1. bzw.

3.3.3.1.

„Der ästhetischen Deutung des Schönen als eines wirklichkeits-leeren Scheins liegt ein Seinsbegriff zugrunde, der von der Entgegensetzung von Sein und Gutsein (Sinn) bestimmt ist. Ist nämlich Sein gleichbedeutend mit sinn-loser, bedeutungs-freier Faktizität, kann Sinn nur dem Subjekt entstammen. Sinn wird zum Resultat einer subjektiven Sinngebung des Sinnlosen. Erträglich wird die an ihr selbst sinn-lose Wirklichkeit nur in Form eines Auf-enthalts in der Scheinwelt des Schönen. […] Das Schöne wird zum Gegenstand eines meta-physischen Narzißmus: Im Schönen begegnet das Subjekt nur mehr sich selbst.“69

Gutsein bzw. Sinn kann analog zum Wahrsein einerseits als Setzung des Subjekts, ande-rerseits aber auch als „Grundzug des Seienden selbst“ verstanden werden. Das Seiende selbst kann uns als in sich sinnvoll und erstrebenswert erscheinen – gerade darin, d.h. in einem Sinn, der sich nicht ausschließlich einer Sinngebung durch ein Subjekt verdankt (etwas ist als Mittel für meine jeweiligen Zwecke gut), wird auch seine Schönheit zu suchen sein. Dieser „Eigensinn“ des Seienden soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher herausgestellt werden70 – dass es sich dabei nicht primär um einen begriffli-chen Gehalt bzw. eine Tauglichkeit für die Erfüllung bestimmter Zwecke handeln kann, liegt nach dem bisher Gesagten auf der Hand.

Teilt man jedoch gemäß der klassischen Differenzierung den Weltbezug des Menschen in ein Erkenntnis- und ein Strebevermögen (Wille), und ordnet vor diesem Hintergrund das Schöne (wie in der rationalistischen Tradition, der auch Baumgarten - wenn auch mit gewissen Akzentverschiebungen - noch verpflichtet ist) explizit dem Erkenntnis-vermögen zu,71

69 Pöltner, Philosophische Ästhetik, 230. „Die Frage ist nicht mehr, ob etwas schön ist, sondern ob und wie es auf mich ästhetisch wirkt, welchen Eindruck es auf mich macht. […] Wie ist mir, wenn ich das Schöne erfassen will? Das ist die Frage. Man ist wie einer, der jemanden für sich haben will, um sich als ein Liebender zu erleben. Er liebt im anderen nur sich selber. Der andere muß dazu geeignet sein, Selbst-genuß und –befriedigung zu erregen.“ (Wucherer-Huldenfeld, Augustinus Karl: „Sein und Wesen des Schönen“, in: Pöltner, Günther/Vetter, Helmuth (Hg.): Theologie und Ästhetik. Wien u.a.: Herder 1985, 26f.)

so ergibt sich daraus eine Trennung des Schönen (nun verstanden als sinnlich-verworrene Wahrheit) und des Guten, in sich Sinnvollen und Erstrebenswerten.

70 Vgl. Kap. 3.3.5.1.

71 Baumgarten unterscheidet ein oberes (Logik/Verstand) und ein unteres Erkenntnisvermögen (Ästhe-tik/Sinnlichkeit). „Die Ästhetik (als Theorie der freien Künste, als untere Erkenntnislehre, als Kunst des schönen Denkens und als Kunst des der Vernunft analogen Denkens) ist die Wissenschaft der sinnlichen

„Mit der betonten Zuordnung zum Erkenntnisvermögen wird die Erfahrung des Schönen um ihre ganzheitliche, den Menschen in seiner ‚Herzmitte‘ erfassenden Dimension ge-bracht. Dabei gerät zweierlei in den Hintergrund. Zum einen, daß Schönes sich nicht schon einer ästhetisch distanzierten Einstellung erschließt, die am bloßen Anblick bereits ihr Ge-nüge findet, sondern uns in Anspruch nimmt. Und zum anderen, daß das Schöne etwas Gu-tes, in sich Sinnvolles, sich selbstlos Verschenkendes ist, und umgekehrt nur etwas Gutes schön sein kann.“72

Das Schöne steht uns nicht einfach neutral und teilnahmslos gegenüber. Es spricht und geht uns an, fordert uns heraus, zieht uns in seinen Bann, gibt uns zu Denken…73 Das ihm entsprechende Verhalten vonseiten des Subjekts ist kein neutrales und distanziertes begriffliches zur (Er-)Kenntnis nehmen seiner relativ dauerhaften und stabilen, intersub-jektiv zugänglichen Eigenschaften, wie es gegenüber dem neuzeitlich verstandenen Wahren gefordert wird.

Doch auch der Bezug zum Erkenntnisvermögen und zur Wahrheit, wie er dem Schönen etwa noch bei Baumgarten zukommt, wird in dem Maße unterlaufen, in dem das Schöne nur noch als künstlerisches Phänomen in den Blick kommt. Während Kunst im Sinne der mittelalterlichen „artes liberales“ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik bzw. Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie) bzw. „artes mechanicae“ (Techniken wie beispielsweise Musizieren, Malerei, Weberei, Ackerbau etc.) noch keineswegs explizit auf die Hervorbringung von Schönheit bezogen war, wurde sie (vor allem die bildende Kunst) im Selbstverständnis der Renaissance-Künstler erstmals zum genuinen und aus-schließlichen Ort des Schönen erklärt. „Aber: weder gehört Schönheit zum Wesen der Kunst noch ist die Kunst zum Zwecke des Schönseins da. Kunst und Schönheit wurden

Erkenntnis.“ (Baumgarten, Alexander Gottlieb: Theoretische Ästhetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der „Aesthetica“ (1750/58). Übers. und hg. von Hans Rudolf Schweizer. Hamburg: Meiner 1983 (= Phi-losophische Bibliothek 355), 2.)

72 Pöltner, Philosophische Ästhetik, 228.

73 Es „bringt sich nicht nur in der Gestalt zur Erscheinung, sondern läßt uns an ihm (seinem Sein) teil-nehmen, entrückt uns in seinen Grund, in das, weswegen und worumwillen es ist – und das ist eben Sein und Wesen des Guten.“ (Wucherer-Huldenfeld, „Sein und Wesen des Schönen“, 24f.)

erst in der Renaissance mit solcher Überzeugungskraft so zusammengedacht, daß sich daraus ein Dogma formte.“74

Die neuzeitlich-ästhetische Fragestellung nach dem Schönen bewegt sich innerhalb der Alternative von Naturschönem und Kunstschönem75, orientiert sich jedoch im Laufe der Zeit zunehmend an letzterem.76

„Die Frage nach dem Schönen wird zur Frage nach der Seinsart des Kunstwerks bzw. des im Kunstwerk Dargestellten. Das im Kunstwerk Dargestellte besitzt den Seinscharakter des Scheins. Das Schöne wird zum Schein, der dem Sein entweder als aufrichtiger oder täu-schender Schein entgegengesetzt bleibt. Daraus läßt sich folgern: Was schön ist, ist nicht, und was ist, ist nicht schön. Auf diese Weise wird Schönsein von Wahrsein getrennt. […] In der Schönheit kommt nicht Wirklichkeit zur Darstellung, vielmehr ist die Schönheit wirk-lichkeits-leerer (die Wirklichkeit verdeckender oder illusionär überhöhender) Schein.“77

74 Perpeet, Wilhelm: Das Kunstschöne. Sein Ursprung in der italienischen Renaissance. Freiburg, Mün-chen: Alber 1987, 17.

75 „Dieser Ansatz ist jedoch methodisch fragwürdig. Denn erstens ist in dieser Einteilung die Schönheit desjenigen nicht unterzubringen, der diese Unterscheidung allererst vorzunehmen imstande ist: Der Mensch ist weder bloßes Naturwesen noch ist er ein Kunstprodukt. Zweitens ist zur Hervorbringung eines Kunstschönen die Erfahrung der Schönheit der Natur und des Menschen schon vorausgesetzt (abgesehen von der Frage, ob Kunst immer schön zu sein hat). Schließlich begegnet uns Schönheit zuerst ohnehin nicht an Kunstdingen, sondern an der uns geschenkten Liebe, der wir unser Dasein verdanken.“ (Pöltner,

„Die Erfahrung des Schönen“, 10f.) Zur Bedeutung der Liebe für die vorliegende Abhandlung vgl. Kap.

4.5.1f.

76 Maßgeblich hierfür waren vonseiten der Philosophie die „Vorlesungen über die Ästhetik“, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel zwischen 1820 und 1829 gehalten hat. Aufgrund des Vorranges des Geistes vor der Natur orientiert sich Hegel am Kunstschönen, das bei ihm jedoch noch durchaus in Bezug zum Wah-ren steht. „[D]as Schöne ist [bei Hegel, L.H.] das sinnliche Scheinen der Idee (d.h. des sich in allem selbst setzenden und denkenden Absoluten, des Göttlichen). Der atheistischen Umdrehung Hegels bleibt freilich von der Schönheit nur mehr ihr Scheinen oder ihr Schein übrig im Sinne von Illusion, hinter der nichts ist.

Das leitende Welt- und Wahrheitsverhältnis wird in Wissenschaft und Forschung ausgemacht. Die Pflege der Kunst dient gewissen untergeordneten Erfordernissen der Kultur und wird z.B. in Österreich dem Bundesministerium für Unterricht anvertraut.“ (Wucherer-Huldenfeld, „Sein und Wesen des Schönen“, 25.)

77 Pöltner, Philosophische Ästhetik, 229f. „Die Wendung vom ontologischen zum ästhetischen Verständ-nis des Schönen wird besonders in der Theorie der Kunst sichtbar. Die Kunst gründet sich nicht mehr im Sein des Seienden, sondern gewissermaßen gegen dieses. Gilt nun als Sein die Wirklichkeit des nackten

Schönheit wird als „schöner Schein“ zur illusionären Seinsart des Kunstwerks verklärt (etwas schaut allenfalls so aus wie…, ist (es) aber „in Wahrheit“ nicht), dem gegenüber es die Wahrheit mit der Welt der „nackten Tatsachen“ zu tun hat, die schließlich für die darin lebenden (und nach Sinn verlangenden) Subjekte ja auch zu irgendetwas gut sein muss – nämlich zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und Interessen...