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2. Das Spiel der Kunst

2.1. Kennzeichen des Spiels

2.1.2. selbstzweckhaft

Das Spiel basiert auf Freiheit, das heißt also: es richtet sich nicht (primär) nach Zwe-cken, die außerhalb seiner selbst liegen. Sowenig es (primär) von außen verursacht wird, sowenig verfolgt es (primär) ein äußeres Ziel, erfüllt es (primär) eine äußere Funktion. Es ruht im Wesentlichen in sich selbst. An dieser Selbstgenügsamkeit finden auch all jene Erklärungsversuche eine Grenze, die das Wesen und die Bedeutung des Spiels aus bestimmten biologischen, psychologischen, pädagogischen… Funktionen herleiten: das Spielt dient dem Abbau überschüssiger Lebensenergie, dem Erproben und

7 Huizinga, Homo ludens, 16.

8 Vgl. Kap. 1.1.1.f.

Messen der eigenen Kräfte, soll Artgenossen beeindrucken und anwerben, ist Darstel-lung und Bewahrung bestimmter (kultureller) Inhalte, befriedigt auf fiktive Art und Weise Bedürfnisse und Wünsche, die in der Wirklichkeit unerfüllt bleiben, basiert auf Imitation und dem Ausprobieren neuer Verhaltensformen und bereitet als Lernprozess auf den „Ernst des Lebens“ vor, usw.

Es tritt hier ein ähnliches Problem auf wie bereits eingangs im Zusammenhang mit den verschiedenen künstlerischen Therapieschulen und ihrem Verhältnis zur Kunst. Auch dort gab es eine Tendenz, die Kunst (wie hier das Spiel) in erster Linie aus bestimmten Forschungs- bzw. Erkenntnisstrategien und -interessen heraus und auf diese bezogen zu bestimmen. Auch dort ging es weniger um „die Sache selbst“ als vielmehr um die Sa-che, insofern sie sich in etwas anderes - nämlich das eigene Konzept mit seinen eigenen Voraussetzungen, Ansprüchen, Interessen, und Zielsetzungen - einfügt.9

Der Versuch, diese methodische Einschränkung aufzuheben, um dem Spiel als Spiel gerecht werden zu können, bedeutet freilich nicht die Verwerfung oder Diskreditierung derartiger einzelwissenschaftlicher Erklärungen. Es ist durchaus sinnvoll und legitim, die Kunst therapeutisch bzw. das Spiel biologisch, psychologisch, pädagogisch zu inter-pretieren, und zweifellos erfüllt das Spiel auch viele der oben genannten Funktionen (was nicht zuletzt wiederum für künstlerische Therapien von besonderer Bedeutung sein mag). Entscheidend ist dabei jedoch immer das Bewusstsein über die eigene Perspekti-ve und die damit einhergehenden Begrenzungen, aus dem heraus dann auch jene vielzi-tierte „wissenschaftliche Bescheidenheit“ erwachsen kann, die die eigenen Ergebnisse nicht für das Ganze hält und den letztendlich unergründbaren Reichtum der Wirklich-keit anerkennt.10

9 Vgl. dazu Seel, Martin: „Vom Nutzen und Nachteil der evolutionären Ästhetik“, in: Seel, Martin: Die Macht des Erscheinens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1867), 107 - 122.

In diesem Sinne ist es auch und gerade in Bezug auf das Spiel

ange-10 Dabei reicht es schon, zu wissen und sich einzugestehen, dass man zwangsläufig eine begrenzte Per-spektive einnimmt, wenngleich man auch gerade diese eigene PerPer-spektive inhaltlich nie zur Gänze wird einholen können. In Kap. 1.1.3.f. war bereits die Rede davon, inwiefern die eigene Perspektivität und Endlichkeit in einem ästhetischen Kontext auch als Bereicherung und lustvoll erlebt werden kann. In diesem Sinn verstehe ich auch (künstlerische) Therapie als einen Versuch, die Perspektive eines Men-schen auf sich selbst und seine Welt als eine von vielen möglichen (nicht: beliebigen) sichtbar zu machen und die Dominanz und Übermacht bestimmter Perspektiven (sofern diese als leidvoll erlebt werden) zu

bracht, es als „selbständige Kategorie“11 gelten zu lassen und sich in der Frage, warum der Mensch spielt, damit zu begnügen, dass es (immer auch) um des Spielens selbst willen geschieht.

Martin Seel weist darauf hin, dass Spielen „nicht immer eine exklusive, vielmehr oft eine inklusive Tätigkeit [ist] […], die mit weiteren [spielexternen, L.H.] Zwecken ver-bunden sein kann, aber nicht verver-bunden sein muß.“12 Entscheidend ist dabei die Rang-ordnung der jeweiligen Zwecke:

„Das Spielen läßt sich für externe Zwecke instrumentalisieren […], wenn Zwecke die mit dem Spielen verbunden werden, gegenüber den internen Zwecken des Spielhandelns in den Vordergrund treten – mit der Folge einer Gefährdung oder Zerstörung der Gegenwärtigkeit des Spielens.“

„Im Spielen geht es nicht primär um etwas, das erspielt, also durch das Spiel erreicht wird, sondern primär um die Anregung des Spiels selbst. Ziel des Spielens ist ein Involviertsein in und Agitiertsein durch die Situation einer durch die Regeln, Verläufe oder Zeiten des Spiels begrenzten Gegenwart.“13

Grundsätzlich bezieht das Spiel also seinen Sinn und seinen Wert nicht über ein be-stimmtes Äußeres, ja noch nicht einmal über einen bestimmten internen Ort wie seinen eigenen Ausgang – es ist kein Spiel, wenn es sich nur für den „auszahlt“, der gewinnt.

Spiel ist kein Nullsummen-„Spiel“, bei dem der Eine gewinnt auf Kosten eines Ande-ren, der verliert, sodass am Ende die Bilanz wieder ausgeglichen ist. Gerade darin liegt ja eines seiner magischen Momente, dass es ein ursprüngliches Kraftfeld erzeugt, das für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellt.14

Dass sich ein Spiel durchaus auch (und insbesondere für einen etwaigen Gewinner) über das Spielen selbst hinaus „auszahlen“ und den Spielenden nützen kann - z.B.

relativieren, indem neue Aspekte und Dimensionen von Wirklichkeit zugänglich und erfahrbar gemacht werden.

11 Huizinga, Homo ludens, 14f.

12 Seel, Versuch über die Form des Glücks, 162.

13 Seel, Versuch über die Form des Glücks, 164, 160.

14 Über „Eigensein“ und „Eigensinn“, Ursprünglichkeit und Gabe-Charakter wird im Zusammenhang mit der Erfahrung des Schönen noch ausführlicher die Rede sein (vgl. Kap. 3.3.5f.).

dem es einige der oben genannten Funktionen erfüllt - steht außer Zweifel. Die damit einhergehende Gefahr der Instrumentalisierung muss jedoch stets im Auge behalten werden.

Gerade dieses Merkmal, dass das Spiel, sofern es nicht instrumentalisiert wird, primär um seiner selbst willen gespielt wird, dass es (primär) keine äußeren Interessen verfolgt, nicht nur als Mittel zu etwas anderem, sondern wesentlich als Spiel gefällt und anzieht, macht den Zusammenhang zwischen Spiel, Kunst und Schönheit deutlich, um den es hier in erster Linie geht. Die Kunst bzw. die ästhetische Erfahrung im Allgemeinen er-weist sich nicht zuletzt insofern als ein ausgezeichneter Ort des Schönen, als ihr eben diese selbstzweckhafte Struktur des Spiels innewohnt.