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3. Die Erfahrung des Schönen

3.3. Ontologische Fragestellung nach dem Schön-Sein des Schönen

3.3.3. Befindlichkeit

3.3.3.4. Die Regulierbarkeit der Stimmungen

Dass die Befindlichkeit für das menschliche Welt- und Selbstverhältnis von grundle-gender Bedeutung ist und worin diese Bedeutung besteht, dürfte nach dem bisher Ge-sagten klarer geworden sein. Es stellt sich nun jedoch - insbesondere aus einer therapeu-tischen Perspektive - die Frage, ob und inwieweit (bzw. auf welche Art und Weise) der Mensch auf seine Stimmung überhaupt Einfluss nehmen kann, wo er doch selbst von ihr als dem „tragenden Grund“ seiner Seele permanent stimmt wird. Die Stimmung be-stimmt jedoch nicht im Sinne einer Determination oder kausalen Verursachung – ihre

„Funktion“ ist eher die einer Ermöglichung bzw. Verunmöglichung, d.h. einer Konfron-tation mit diesen oder jenen (Un-)Möglichkeiten des Wahrnehmens, Erkennens,

183 Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, 253.

184 Heidegger unterscheidet in Sein und Zeit zwei grundlegende Formen von „Fürsorge“ (womit er das konstitutive Sein des Menschen zu seinen Mitmenschen meint): Die „einspringende“ Fürsorge „über-nimmt das, was zu besorgen ist, für den Anderen. Dieser wird dabei aus seiner Stelle geworfen, er tritt zurück, um nachträglich das Besorgte als fertig Verfügbares zu übernehmen, bzw. sich ganz davon zu entlasten. In solcher Fürsorge kann der Andere zum Abhängigen und Beherrschten werden, mag diese Herrschaft auch eine stillschweigende sein und dem Beherrschten verborgen bleiben. […] Ihr gegenüber besteht die Möglichkeit einer Fürsorge, die für den Anderen nicht so sehr einspringt, als daß sie ihm in seinem existenziellen Seinkönnen vorausspringt, nicht um ihm die ‚Sorge‘ [„Sorge“ meint bei Heidegger das Strukturganze des menschlichen In-der-Welt-seins, L.H.] abzunehmen, sondern erst eigentlich als solche zurückzugeben. Diese Fürsorge, die wesentlich die eigentliche Sorge – das heißt die Existenz des Anderen betrifft und nicht ein Was, das er besorgt, verhilft dem Anderen dazu, in seiner Sorge sich durch-sichtig und für sie frei zu werden.“ (Heidegger, Sein und Zeit, 122.)

pretierens und Verhaltens. Sie eröffnet einen Spielraum, der den Menschen zur freien Stellungnahme herausfordert.

In diesem Sinn be-stimmt die Stimmung also einerseits alle auf ihr aufbauenden „höhe-ren Leistungen“ des Bewusstseins – diese jedoch wirken ihrerseits wiederum (mehr oder weniger und auf unterschiedliche Art und Weise) auf den jeweiligen Stimmungs-untergrund zurück. „Schließlich schlägt sich alles Erlebte und Erfahrene in der Form eines nicht-mehr-intentionalen Zumute-seins nieder.“185 Dabei hängt es von der Art der jeweiligen Akte und Eindrücke, der jeweiligen Erfahrung ab, ob und inwieweit der da-runter liegende Stimmungsboden resoniert, konsoniert, dissoniert, seine Gestalt beibe-hält oder verändert - und es wird die Kunst insbesondere des Therapeuten sein, hier die entsprechenden Mittel und das jeweils erforderliche Maß des Einen oder Anderen zu finden. Wenn es stimmt, dass ästhetische - und insbesondere musikalische186 - Akte, Eindrücke und Erfahrungen in einem besonderen Bezug zur Befindlichkeit des Men-schen stehen, spricht dies nicht zuletzt auch für ihre therapeutische Relevanz. Sofern denn Therapie überhaupt etwas mit (der Modulation von) Befindlichkeit zu tun hat – doch wie sollte sie das nicht, in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung der Befind-lichkeit als einem entscheidenden Schlüssel zu Wahrnehmung, Interpretation und Ver-halten/Motivation eines Menschen?

Angesichts ihrer Unumgänglichkeit und Unhintergehbarkeit kann Befindlichkeit grund-sätzlich nicht von einem ungestimmten Außerhalb her betrachtet, moduliert, therapeu-tisch „behandelt“ werden. „Herr werden wir der Stimmung nie stimmungslos, sondern je aus einer Gegenstimmung.“187

185 Strasser, Stephan: Das Gemüt. Grundgedanken zu einer phänomenologischen Philosophie und Theorie des menschlichen Gefühlslebens, zitiert nach Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, 37.

Die jeweils angemessene „Gegenstimmung“ lässt sich allerdings nicht ohne weiteres künstlich bzw. willentlich herbeiführen. Zwar sind wir in vielen alltäglichen Situationen dazu genötigt, uns zu „beherrschen“ (d.h. eine bestehen-de, jedoch gerade nicht erwünschte/erlaubte Befindlichkeit und das damit verbundene Verhalten zu unterdrücken und mit der jeweils geforderten zu überformen) – dies ge-lingt jedoch allenfalls nach außen hin; wir selber bemerken die „Verstellung“, sie kostet

186 Vgl. Kap. 3.2.2.4.

187 Heidegger, Sein und Zeit, 136.

uns Kraft und macht uns zu schaffen, womöglich sogar krank, wenn sie zur Gewohnheit wird. Analog dazu können Befindlichkeiten auch scheinbar „erfolgreich“ künstlich in-duziert werden (Drogen, Medikamente etc.) – die damit einhergehenden Neben- und Nachwirkungen, Ernüchterungen und Abhängigkeiten relativieren aber auch hier zu-meist den ersten Augenschein.

Auch Bollnow hält fest: „Eine Herrschaft in dem Sinn, daß der Mensch seine Stimmun-gen von sich aus willkürlich hervorbrinStimmun-gen könnte, ist nach dem bisher Entwickelten selbstverständlich ausgeschlossen, denn die Stimmungen […] sind ursprünglicher als der bewußte zielsetzende Wille.“ Für eine dennoch unumgängliche „‚Hygiene‘ der See-le“ folgt daraus, „daß sich die erwünschte Stimmung erst auf einem Umweg ergibt, ge-wissermaßen hinten herum, indem der Mensch, was dem direkten Zugriff unerreichbar ist, durch geeignete Vorkehrungen doch noch von sich aus herbeizuführen versucht.“188 Wiederum erweist sich somit als Aufgabe und eigentliche Tätigkeit von Therapie, „ge-eignete Vorkehrungen“ zu treffen und einen ge„ge-eigneten Rahmen zu schaffen, in dem sich dann die jeweils aktuellen Stimmungen (gehobene wie gedrückte – mitsamt all den jeweils darauf aufbauenden „höheren“ Bewusstseinsleistungen) möglichst ungehindert entfalten können, wie dies für viele Menschen unter alltäglichen Bedingungen oft nicht (mehr) oder nur ansatzweise möglich und erlaubt ist. In weiterer Folge kann dieser Rahmen dann auch auf die Beförderung ganz bestimmter (Gegen-)Stimmungen ausge-richtet werden, die das jeweilige, gemeinsam formulierte Therapieziel am besten unter-stützen.

Auf diese Weise wird in der Therapie dem Umstand Rechnung getragen, dass sich alle

„echten“/authentischen Stimmungen letztendlich (auch) von sich aus einstellen, ja im Falle der gehobenen Stimmungen wie ein Geschenk über uns kommen. Ein solcher Umgang mit Befindlichkeiten unterscheidet sich prinzipiell von jenen weitverbreiteten

„Glücks“- und „Beglückungs“-Strategien, die da lautstark (wenn auch meist nur impli-zit) versprechen, unmittelbar über die Stimmung eines Menschen verfügen zu können („Wenn du nur dieses hast oder jenes tust, wird es dir sofort gut gehen, wirst du sofort

188 Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, 132ff.

glücklich sein…!“), und doch letztendlich nur falsche Hoffnungen und flüchtige Gefüh-le provozieren.

3.3.4. R

ESÜMEE

Die Frage, was es denn heißt, mit dem Schön-Sein des Schönen eine Erfahrung zu ma-chen, brachte es mit sich, den Begriff der Erfahrung einer vorgängigen Analyse zu un-terziehen. Dabei wurden wir aufmerksam auf jenen vergleichsweise aktiven Beitrag des erfahrenden Subjekts, jene zu erbringende Öffnung und Offenheit gegenüber dem zu Erfahrenden, welche sich wesentlich als unsere Befindlichkeit ereignet. In Absetzung von dem existenzphilosophischen Vorrang der Angst sollte anhand einer genaueren Un-tersuchung der gehobenen Stimmungen plausibel werden, inwiefern sich „[e]rst aus dieser Haltung […] das von der eigenen Befangenheit befreite Anschauen [ergibt], das offen für die Schönheiten der Welt ist und bereit, jedes Ding von seiner eignen Mitte her und in seinem eignen Wesen aufzufassen.“189 Befindlichkeit, verstanden als Exis-tenzial (d.h. als grundlegende, unumgängliche und unhintergehbare Weise des mensch-lichen In-der-Welt-seins), hat ihre je eigene Zeitstruktur. Als zeitliches Charakteristi-kum der gehobenen Stimmungen im Allgemeinen erwies sich eine spezifische Form der Gegenwärtigkeit, wie sie bereits im Kontext der Ästhetischen Erfahrung angeklungen ist.