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Kapitel 6: Videokonferenztechnik und Web-CAM

III. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme

3. Videovernehmung im Strafverfahren

Die Videovernehmung wird in bestimmten Fällen im Strafverfahren bereits unter dem Aspekt des Zeugenschutzes praktiziert. Fraglich ist, ob hieraus Rückschlüsse für den Zivilprozeß gezogen wer-den können.

a) Videotechnik im Rahmen der StPO

Das Unmittelbarkeitsprinzip ist auch ein fundamentales Prinzip der Strafprozeßordnung. Es kommt hauptsächlich in den §§ 244 Abs. 2, 250, 261 und 264 Abs. 1 StPO zum Ausdruck. Die gesetzlichen

500 Heckel, a.a.O., S. 1.

Bestimmungen sind an die „bestmögliche Sachnähe der Beweiserhebung“ geknüpft. Danach ist der Tatrichter verpflichtet, das bestmögliche, d.h. das dem Beweisthema nächste Beweismittel heranzu-ziehen, um sich so einen unvermittelten Eindruck zu verschaffen (sog. materielles Verständnis der Unmittelbarkeit).501 Dagegen erfordert die formelle Unmittelbarkeit nur, daß die Entscheidung aus-schließlich auf Wahrnehmungen beruhen darf, die das Gericht in der Hauptverhandlung selbst ge-macht hat.502 Unter dem Aspekt der materiellen Unmittelbarkeit muß das Gericht die Tatsachen aus der Quelle selbst schöpfen, d.h. es darf keine Beweissurrogate verwenden.503 Anders als bei der Verwendung der Videotechnologie als bloßes Speichermedium handelt es sich bei der Videokonfe-renztechnik als simultanes Übertragungsmedium jedoch nicht um ein Beweissurrogat, welches das bestmögliche Beweismittel des sachnächsten Zeugen ersetzt, sondern der Zeuge steht unmittelbar zur Verfügung. Somit wird dem Prinzip des bestmöglichen Beweises bei der Liveübertragung durch Verzicht auf ein Beweissurrogat entsprochen.504 Daß die Aussage erst mittels Technik in die Haupt-verhandlung übertragen werden muß, macht sie nicht zu einem Surrogat. Nach § 250 StPO sind nur solche Surrogate verboten, die als Beweis dafür dienen sollen, was die jeweilige Aussageperson frü-her als eigene Wahrnehmung bekundet hat.505 Dies ist bei der Videokonferenz nicht der Fall. Auch wird man die Unmittelbarkeit nicht verneinen, wenn der Richter den Zeugen erst mit Hilfe einer Brille visuell wahrnehmen kann. Bei der Liveübertragung handelt es sich ebenfalls allein um eine technische Hilfe.

Am 01.12.1998 trat das Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes – Zeugenschutzgesetz (ZSchG) vom 30.04.1998506 in Kraft. Es enthält mit den §§ 247a, 255a, 58a, 168e StPO Rechtsgrundlagen für den Einsatz der Vi-deotechnik in der gerichtlichen Hauptverhandlung, wobei § 247a StPO die Videovernehmung eines Zeugen und § 255a StPO die Vorführung der Bild- und Ton-Aufzeichnung einer Zeugenver-nehmung betrifft. Anlaß dieser Verbesserung des Opfer- und Zeugenschutzes war vor allem das Anliegen, bei Kindesmißbrauchsfällen der primären Traumatisierung durch die Tat selbst nicht noch eine sekundäre durch das Strafverfahren folgen zu lassen. Neben dem Zeugenschutz ist hier vor

501 Vgl. Meurer, JuS 1999, 937, 939; Geppert, Jura 1991, 538, 541.

502 Dannecker, ZvglRWiss 97 (1998), 407, 408.

503 Roxin, § 44 Rdnr. 2.

504 Meurer, JuS 1999, 937, 940.

505 Geppert, Jura, 1996, 550, 553.

506 BGBl I, 820.

allem die zügige und praktische Durchführung des Verfahrens und die Vermeidung von Beweis-verlusten die ratio legis der Regelung.507

Die Videovernehmung wird durch einen Gerichtsbeschluß angeordnet, wobei die Anordnung im Ermessen des Gerichts steht. Nach § 247a StPO darf sich der Zeuge während der Vernehmung an einem anderen Ort und nicht nur in einem anderen Raum als das Gericht (inklusive des Vor-sitzenden508 und der übrigen Verfahrensbeteiligen) aufhalten. Seine Aussage wird simultan, also zeitgleich in Bild und Ton (§ 247a S. 3 StPO) in den Gerichtssaal übertragen. Die Auskunftsperson kann hierbei auch während der Vernehmung in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Entscheidend ist, daß die Übertragung derart stattfindet, daß eine möglichst umfassende Wahrnehmung der ver-balen und körperlichen Äußerungen des Zeugen gewährleistet ist. Vorschriften zur technischen Ges-taltung wurden hingegen nicht festgelegt.509

Auch die Videovernehmung eines Zeugen nach § 247a StPO ist eine Vernehmung in der Hauptverhandlung, wenngleich gefiltert durch ein technisches Medium.510 Sie ist nur zulässig, so-weit sie zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist und eine dringende Gefahr eines schwerwie-genden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht, z.B. bei alten, kranken, und gebrechlichen Zeu-gen.511 Allerdings sind die mit der Vernehmung verbundenen Störungen des Wohlbefindens (v.a.

seelische) nach der gebotenen engen Auslegung der Vorschrift und im Hinblick auf die durch die Videovernehmung in Mitleidenschaft gezogenen Prozeßmaximen bis zu einem gewissen Grad hin-zunehmen.512

Die Videokonferenzvernehmung ist ebenfalls zulässig, wenn nach § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 StPO dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung besondere Hindernisse entgegen-stehen oder ihm dieses nicht zuzumuten ist. Die unmittelbare persönliche Vernehmung im Gerichts-saal gem. § 250 S. 1 StPO bleibt dennoch die Regel, die Videovernehmung nur die Ausnahme. Das Gericht ist verpflichtet, vor der Anordnung einer Videovernehmung alle rechtlichen und tatsäch-lichen Möglichkeiten zur optimalen Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen gerichtlicher Aufklärungspflicht, Verteidigungs- und Zeugeninteressen auszuschöpfen. Damit hat sich der

507 Diemer, a.a.O., S. 1667, 1670.

508 Bei dem „Mainzer Modell“ hält sich der Vorsitzende dagegen mit dem Kind in einem anderen Raum auf und ist über eine Tonübertragungsanlage vom Sitzungssaal erreichbar, siehe hierzu NJW 1996, 208.

509 Diemer, a.a.O., S. 1667, 1668.

510 Diemer, a.a.O., S. 1667, 1668.

511 Vgl. BT-Drs. 19/7165, S. 4.

512 Diemer, a.a.O., S. 1667, 1669.

setzgeber für einen Vorrang der unmittelbaren persönlichen Vernehmung entschieden.513 § 247a StPO vervollständigt das Instrumentarium für den bestmöglichen Beweis514 in Fällen, in denen auf eine an sich gebotene unmittelbare Befragung des Zeugen verzichtet und statt dessen auf die Ver-lesung von Protokollen oder auf die Vernehmung mittelbarer Zeugen (z.B. bei einem V-Mann) zu-rückgegriffen werden müßte.

Die Videovernehmung stellt, wenn selbst die Entfernung des Angeklagten und der Ausschluß der Öffentlichkeit zur Abwendung eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen nicht ausreichen, ein sachnäheres und effektiveres Beweismittel dar als die Verlesung einer Verneh-mungsniederschrift. Ihr kann gegenüber der Verlesung von Niederschriften ein höherer Beweiswert zugewiesen werden. Auch ermöglicht § 247a StPO es dem Tatrichter, einen sich im Ausland aufhal-tenden Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung durch eine zeitgleiche Bild- und Tonübertragung zu vernehmen. So hat der BGH515 eine Revision als begründet angesehen, in der gerügt wurde, daß das Landgericht in seiner Entscheidung unzutreffend von der Unerreichbarkeit eines sich in New York befindlichen Zeugen, welcher nicht zur Aussage in Deutschland zu bewegen war, ausgegan-gen ist. Das Landgericht hatte in diesem Fall nicht geprüft, ob der Zeuge mittels Videokonferenz im Rahmen der Hauptverhandlung gehört werden kann. Nach dem erweiterten Erreichbarkeitsbegriff umfasse ein Antrag auf Ladung eines Zeugen im Ausland vor das Prozeßgericht, wie ihn die Vertei-digung des Angeklagten stellte, zugleich jedes Weniger, das der Tatrichter nicht als für die Wahr-heitsfindung wertlos erachtet. Als ein solches Weniger, das unter Umständen als das effektivere Beweismittel gegenüber der Verlesung des Protokolls einer kommissarischen Vernehmung in Be-tracht zu ziehen sei, sieht der BGH die audiovisuelle Vernehmung. Andererseits hat der BGH516 in einer späteren Entscheidung klargestellt, daß die audiovisuelle Vernehmung eines am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhinderten Auslandszeugen dann nicht erforderlich ist, wenn von ihr keine weiter gehende oder bessere Sachaufklärung zu erwarten ist als durch das Verlesen eines bereits vorliegenden richterlichen Vernehmungsprotokolls. Damit korrespondieren die Überlegungen zur Zulässigkeit der Videokonferenz, die im Rahmen der Arbeiten an einem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedern der Europäischen Union angestellt werden.517

513 Vgl. BT-Drs. 19/7165, S. 5, 10, in dem der Gesetzgeber der unmittelbaren persönlichen Vernehmung weiterhin einen hohen Stellenwert einräumt.

514 Vgl. BVerfG, NJW 1981, 1719; BVerfG, NJW 1983, 1043; Rebmann NStZ 1982, 315,320; Herdegen, NStZ 1984, 200.

515 BGH, NJW 1999, 3788.

516 BGH, JurPC, Web-Dok. 143/2000.

517 Seitz, JR 1998, 309, 311f.

Im Vorfeld des Zeugenschutzgesetzes wurde an dem Einsatz der Videotechnik viel Kritik ge-übt. Es wurde angeführt, es gehe bei § 250 StPO „nicht nur um den direkten visuellen und verbalen Kontakt, sondern auch um das sonstige Verhalten des Zeugen während der Aussage, ob er z.B.

weint, schwitzt, mit den Händen nestellt, bei bestimmten Themenbereichen zögerlich antwortet oder den Angeklagten verstohlen anschaut. All diese Wahrnehmungen, die sicherlich ihren Teil zur Wahrheitsfindung beitragen, sind im Rahmen einer Videoübertragung auf ein Minimum reduziert, wenn nicht gar unmöglich gemacht“.518 Eine derartige Vernehmung verstoße somit gegen das Un-mittelbarkeitsprinzip. Dieses Argument der mangelhaften Wahrnehmungsmöglichkeiten wird aber bereits durch das oben zu Bender/Nack Gesagte entkräftet.

Auch wurde vorgetragen, daß bei einer Videobefragung der Richter kein Gestaltungsrecht hät-te, ein „Nachhaken“ wäre nur erschwert möglich. 519 Dem ist aber entgegenzuhalten, daß dies nur bei Bandaufnahmen gelten kann, nicht jedoch bei direkter Videoübertragung, bei der ein Nachhaken und Fragen problemlos möglich ist.

Befürchtet wurde ebenfalls, daß die Hemmungen – gerade kindlicher Zeugen – auszusagen, steigen würden, wenn dies vor einer Videokamera geschehen soll.520 Dem ist aber entgegen-zuhalten, daß eine derartige Vernehmung viel schonender ist, da das Kind sich dann nicht einer Vielzahl unbekannter Menschen (Richter, Ergänzungsrichter, Staatsanwälte, Protokollführer, Ne-benklägern, Verteidiger, Sachverständige) ausgesetzt sieht, die es erwartungsvoll anblicken.

b) Rückschlüsse für den Zivilprozeß

Daß das Zeugenschutzgesetz trotz der Kritik, die der gegen die Videokonferenztechnik im Zivilver-fahren vorgebrachten entspricht, die Videovernehmung zuläßt, spricht dafür, daß dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch eine derartige Vernehmung auch im Zivilverfahren Ge-nüge getan ist. Denn im Strafverfahren sind die an diesen Grundsatz zu stellenden Anforderungen mindestens genauso hoch wie im Zivilverfahren. Da die ZPO nicht das Gebot der materiellen Un-mittelbarkeit kennt, d.h. das bestmögliche Beweismittel zu verwenden, sind audio-visuelle Zeugen-vernehmungen im Zivilprozeß sogar unproblematischer als im Strafverfahren.

Die Erfahrungen mit der Videokonferenztechnik im Bereich der StPO können in die Bewertung einer Videovernehmung im zivilrechtlichen Verfahren einfließen. So ist bei der Zeugenvernehmung

518 Hussels, ZRP 1995, 242, 243.

519 Arntzen, ZRP 1995, 241.

520 Arntzen, ZRP 1995, 241.

auch im Zivilprozeß die Videovernehmung nur als Ausnahme zu gestatten. Grundprinzip sollte die unmittelbare Vernehmung in persona durch den Richter bleiben. Videovernehmungen könnten aller-dings in den Fällen, in denen ausnahmsweise die Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter möglich ist, alternativ erlaubt werden. In diesen Fällen wird dem Grundsatz der Unmittelbarkeit durch die Videovernehmung besser entsprochen, da der erkennende Richter sich direkt an den Zeu-gen richten kann und sich nicht mit der Vernehmung durch den ersuchten Richter begnüZeu-gen muß.

Hierdurch könnte der erkennende Richter einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewinnen, was ihm bei der Vernehmung durch den ersuchten Richter nicht möglich ist. Die Video-konferenztechnik würde daher dem Richter die umfassende Beweiswürdigung ermöglichen. Ebenso verhält es sich in den Fällen, in denen Personen, z.B. aufgrund persönlicher Gebrechen oder eines Auslandsaufenthaltes, bisher zu einer schriftlichen Beantwortung der Beweisfragen aufgefordert wurden. Auch hier würde die Videokonferenztechnik zu besseren Ergebnissen führen.