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Kapitel 5 : Beweisrechtliche Behandlung moderner Kommunikationstechnologie

II. Elektronische Dokumente

1. Beweisregeln für elektronische Dokumente

a) Elektronische Dokumente als Urkunde im Sinne der ZPO?

Privaturkunde im Sinne des § 416 ZPO ist die Verkörperung einer Gedankenäußerung in Schrift-form.255 Nach herrschender Meinung ist die Art der Herstellung und das Material der Urkunde nicht von Bedeutung.256 Es wird weder Eigenhändigkeit noch Handschriftlichkeit verlangt.257 Die Schrift-form ist für den Begriff allerdings konstitutiv.258 Zwar existiert keine Legaldefinition des Urkun-denbegriffs, zur Begründung des Erfordernisses der Schriftform wird aber allgemein auf den Ge-samtzusammenhang der Regeln über den Urkundenbeweis259 und auf die Funktion der Urkunde verwiesen.260 Deutlich ist hier § 593 Abs. 2 S.1 ZPO, der für den Urkundenprozeß die Vorlage der Urkunden in „Urschrift“ oder „Abschrift“ fordert.261 Schon aufgrund der Verwendung dieser Be-griffe und nicht der allgemeineren wie „Original“ und „Kopie“ fallen elektronische Dokumente nicht unter den zivilprozessualen Urkundenbegriff.

Teilweise wird darüber hinaus gefordert, der Gedankeninhalt müsse rechtliche Relevanz262 bzw. Beweiskraft oder Beweisgeeignetheit263 besitzen. Dabei würde man allerdings aus dem gerin-geren Beweiswert auf die Urkundeneigenschaft schließen, wodurch erst nach der Verwendung im Prozeß die Beweiserheblichkeit einer Urkunde und damit ihre Urkundenqualität selbst aus-schließlich ex post festgestellt werden könnte.264 Auch ohne diese Beweiskraft handelt es sich aber um eine Urkunde, da nicht erforderlich ist, daß die zivilprozessuale Urkunde für Beweiszwecke bestimmt und geeignet ist.265

255 BGHZ 65, 300 ff., 301.Thomas/Putzo, vor § 415 Anm. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Übers. § 415 Rdnr. 3; OLG Köln, CR 1991, 612; Schreiber, S. 19; Balzer in: Gedächtnisschrift für Bruns, S. 73, 79.

256 So z.B. auch Thomas/Putzo, Vor § 415, Anm. 1; BGH NJW 1992, 1774; vgl. zum Meinungsstand von Sponeck, CR 1991, 269, 270.

257 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 416 Anm. 4; Hoeren, CR 1995, 513.

258 Bergmann/Streitz, a.a.O., S. 77, 78.

259 BGHZ 65, 300 ff., 301.

260 MüKo-ZPO-Schreiber, § 415 Rdnr. 4; Zöller-Geimer, vor § 415 Rd. 2.

261 Vgl. auch § 131 Abs. 1 ZPO.

262 Reithmann, S. 2.

263 Zöller-Geimer, Vorb. § 415 Rdnr. 2; Heusler, AcP 1879 (62), 209, 280.

264 Vgl. Wendt, AcP 1880 (63), 254, 316 ff.

265 Vgl. Schlosser, ZPR, Rdnr. 352.

Teilweise wird die Erkennbarkeit des Ausstellers in der Urkunde verlangt. Hier kann aber nur der echte Aussteller gemeint sein, was dazu führen würde, daß für die Urkunde stets ihre Echtheit verlangt wird, diese sogar erkennbar sein muß.266 Die ZPO selbst unterscheidet hingegen – etwa in

§ 416 ZPO – zwischen der Prüfung der Urkundenqualität und deren Echtheit. Auch unechte Urkun-den sind und bleiben UrkunUrkun-den.

Wie oben beim elektronischen Scheck (siehe Kapitel 3 III.) dargestellt, sind elektronische Doku-mente keine Urkunden im Sinne der ZPO. Trotz der Verneinung der Urkundeneigenschaft elektroni-scher Dokumente wollen einige Stimmen die Regeln des Urkundenbeweises de lege lata entspre-chend anwenden oder de lege ferenda eine dahingehende Veränderung der Zivilprozeßordnung er-reichen.267

b) Elektronische Dokumente als öffentliche Urkunden i.S.d. §§ 415 ff. ZPO

Öffentliche Urkunden erweisen sich bei der Frage des Beweiswertes praktisch als problemlos, weil bei der Umstellung auf elektronische Dokumentation grundsätzlich ausdrücklich bestimmt wird, welche Bedeutung einerseits ein Eintrag in die elektronische Dokumentation und andererseits Aus-drucke aus der elektronischen Dokumentation haben sollen.268 So ist beispielsweise der Eintrag in das Grundbuch als automatisierte Datei materiellrechtlich die Eintragung in das Grundbuch, und prozeßrechtlich wird der Inhalt des Grundbuches durch Ausdrucke nachgewiesen, für welche § 131 GBO differenzierte Anforderungen stellt.

c) Die Anwendung der Vorschriften des Urkundenbeweisrechts

Bereits zu Beginn der Diskussionen über die Beweisqualität elektronischer Dokumente wurde vor-geschlagen, das Urkundenbeweisrecht hierauf entsprechend anzuwenden, da elektronische Doku-mente Urkunden in ihrem Beweiswert nicht nachstünden.269 Für die analoge Anwendung des Ur-kundenbeweisrechts wird teilweise von elektronischen Dokumenten verlangt, daß sie bestimmte Anforderungen an die Authentizität erfüllen,270 teilweise wurde als ausreichend angesehen, daß sie im Verkehr dazu hergestellt wurden, rechtlich erhebliche Tatsachen zu beweisen.271 Andere zogen

266 Zoller, a.a.O., S. 429, 432.

267 Vgl. die Ausführungen von Britz, S. 25 ff., auf die hier als Ausgangsbasis zurückgegriffen wird.

268 Rüßmann, jur-pc 1995, 3212, 3213.

269 Lampe, NJW 1970, 1097, 1100.

270 Kilian, DuD 1993, 606, 609.

271 Jöstlein, DRiZ 1973, 409 ff.

eine gesetzliche Regelung der Analogie vor.272 Die Vorstellungen über diese Regelungen variierten zwischen der Einführung einer reinen formellen Beweiskraft für elektronische Dokumente und der Einführung einer gesetzlichen Vermutung nach Vorbild der eigenhändigen Unterschrift.273 Von der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. (AWV) 274 und von der Bundesnotar-kammer275 wurden neue Regeln entworfen. Letztere verlangte dabei für die Einhaltung der Schrift-form durch eine elektronische Unterschrift nach ihrem § 126a BGB-E den Verweis auf eine nota-rielle Urkunde.

Die Frage, ob und inwieweit auf elektronisch signierte Dokumente die prozeßrechtlichen Bestim-mungen über den Urkundenbeweis Anwendung finden können, regelt das Signaturgesetz nicht.276 Nach der Begründung des alten Signaturgesetzes277 wurden digital signierte Dokumente durch die-ses Gesetz nicht im Prozeß anerkannt.278 Die Beweisfunktion sollte laut Regierungsbegründung nicht über eine zusätzliche Beweisregel im SigG a.F. erreicht werden, sondern über die faktische Sicherheit der digitalen Signatur. Es wurde aber auch die Meinung vertreten, aufgrund dieser gesetz-lichen faktischen Unverfälschbarkeitsvermutung sei eine digital signierte elektronische Willenser-klärung ein Beweismittel mit ausgesprochen hoher Beweiskraft.279

Abel verstand § 1 Abs. 1 SigG a.F. so, daß bei signierten Dateien die Datenintegrität zumin-dest vermutet werden sollte, sofern die Rahmenbedingungen erfüllt sind. Hierbei sollte es sich ledig-lich um eine widerlegbare Vermutung handeln.280 Dabei berief er sich sowohl auf den Wortlaut des

§ 1 Abs. 1 SigG a.F. als auch darauf, daß laut der Begründung des Regierungsentwurfes zum SigG

272 Von Sponeck, a.a.O., S. 269, 273, der den Begriff der EDV-Urkunde in § 416 ZPO einführen wollte.

273 Roßnagel (Hrsg.), Die Simulationsstudie Rechtspflege, S. 236 f.; Roßnagel, CR 1994, 498, 505.

274 㤠416a ZPO РBeweiskraft von elektronischen Dokumenten

Gleich einer privaten Urkunde im Sinne von § 416 ZPO werden auf Datenträgern gespeicherte Dokumente und de-ren Ausdrucke behandelt, wenn es sich um eine Gedankenäußerung handelt, die nach dem Stand der Technik ge-eignete Verfahren der Datenauthentizität und die Identität des Ausstellers erkennen läßt und durch gege-eignete Techniken und organisatorische Maßnahmen vor Verfälschung gesichert ist.“

275 Der Entwurfstext ist unten in Anhang I Nr. 5 abgedruckt.

276 Bröhl, CR 1997, 73, 76; so auch Hohenegg/Tauschek, BB 1997, 1541, 1545 f.

277 Hier wird zum besseren Verständnis der Entwicklung in der Diskussion um den Beweiswert elektronischer Doku-mente nochmals auf das alte Signaturgesetz von 1997 eingegangen.

278 Vgl. die Begründung zum Signaturgesetz, BT-Drs. 13/7385, S. 26 unter III „Ziel des Gesetzes“.

279 Kaiser/Voigt, K&R 1999, 448, 451.

280 Abel, a.a.O., S. 644, 647, der es als zu weitgehend betrachtet, darin eine echte Fiktion zu sehen, da dann das sig-nierte Dokument beweisrechtlich besser stünde als die Schrifturkunde.

a.F. einerseits durch die Erhöhung der faktischen Sicherheit der Beweiswert digital signierter Daten erreicht und andererseits durch das Gesetz verhindert werden sollte, daß die Gerichte mit einer Viel-zahl gutachterlicher Untersuchungen zu den verschiedenen Signaturverfahren belastet werden.281 Würde § 1 Abs. 1 SigG a.F. aber keine widerlegbare Vermutung enthalten, sei nach Abel letzteres Ziel durch das SigG a.F. nicht erreicht.

Auch Roßnagel sah die Hauptanwendung des § 1 Abs. 1 SigG a.F. als prozessuale Vorschrift für Beweisaufnahmen in Gerichts- und Verwaltungsverfahren.282 Dieser stelle nicht bloß einen un-verbindlichen Programmsatz dar, sei aber ebensowenig eine gesetzlich statuierte Tatsachenvermu-tung gem. § 292 ZPO,283 da diese gem. § 286 ZPO ausdrücklich vorgeschrieben sein müßte.284 Vielmehr sah er in dieser Regelung eine Beweiserleichterung durch eine neue Vermutungsregel im Rahmen eines sogenannten „vorgezogenen Anscheinsbeweises.285 Statt der für den Anscheinsbe-weis notwendigen Rechtfertigung, daß nach der Erfahrung des täglichen Lebens vom Vorliegen einer Tatsache auf eine andere geschlossen werden kann, ermögliche beim „vorgezogenen An-scheinsbeweis“ die in § 1 Abs. 1 SigG a.F. ausgedrückte, vorab erwartete hohe technische Sicher-heit gesetzlicher digitaler Signaturen eine derartige tatsächliche Vermutung.286 Bei Feststehen der Tatsache, daß die digitale Signatur unverfälscht ist287 und aus einem gesetzeskonformen Signatur-verfahren stammt, führe die Vermutungswirkung zum Beweis der Sicherheit des SignaturSignatur-verfahrens und der Unverfälschtheit der Signatur. Es handele sich jedoch nur um eine widerlegbare Vermu-tung, die bereits durch die Erschütterung des Hauptbeweises widerlegt werden könne. Die Forde-rung des Beweises des Gegenteils sah Roßnagel als weder risiko- noch interessengerecht an, da in einem solchen Fall das gesamte Manipulationsrisiko dem eigentlich nicht beweispflichtigen Be-weisgegner aufgebürdet würde.288 Einen ausdrücklichen „elektronischen Dokumentenbeweis“ ma-che die Sima-cherheitsvermutung überflüssig.289 Weiterhin führte Roßnagel an, daß die

281 Abel, a.a.O., S. 644, 647.

282 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3313, ders., K&R 2000, 313, 315.

283 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3316, der vertritt, daß durch das Signaturgesetz keine formellen Änderungen im Be-weisrecht durchgeführt werden sollten.

284 Vgl. BSGE 19, 54.

285 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3316.

286 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3318.

287 Die Unverfälschtheit der digitalen Signatur soll der Beweisführer dadurch nachweisen können, daß sie in der Be-weisaufnahme im Rahmen des Augenscheinsbeweises durch ein nach § 17 SigG bestätigtes Prüfprogramm über-prüft wird.

288 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3316 f.

289 Roßnagel, K&R 2000, 313, 315.

erleichterung durch den „vorgezogene Anscheinsbeweis“ mit dem Grundsatz der freien Beweis-würdigung korrespondieren würde, während Beweisregeln diesen Grundsatz einschränkten.290

Von anderer Seite wurde das alte Signaturgesetz dagegen sogar teilweise Torso291 bzw. als zahnloser Tiger bezeichnet, weil es keine Rechtsfolgen enthalte.292

Einige Stimmen sprachen sich vor der Schaffung der Beweisregel angesichts der fragwürdigen Be-weislage für Parteivereinbarungen über den Beweiswert aus.293 Im Hinblick darauf, daß der Richter an Parteivereinbarungen über die Beweiskraft nicht gebunden ist, wurde auch geraten, den ordentli-chen Rechtsweg ganz zu meiden und die Vereinbarung als Schiedsklausel zu gestalten.294

d) Die Anwendung der Beweisregeln für Augenscheinsobjekte nach § 371 ZPO a.F.

Standardkommentare und Lehrbücher zum Zivilprozeßrecht sehen elektronische Dokumente über-wiegend als Augenscheinsobjekte und nicht als Urkunden an.295 Auch die Rechtsprechung wendet den Augenscheinsbeweis und nicht den Urkundenbeweis an. Die „Abnahme“ technischer Aufzeich-nungen wird regelmäßig als Augenscheinsnahme nach § 371 ZPO a.F eingestuft.296

In der Literatur wird aber teilweise die Anwendung des Augenscheinsbeweises der schlichten Gleichstellung mit dem Urkundenbeweis vorgezogen,297 da in der freien Beweiswürdigung Vor-teile gesehen werden. 298 Auch die neue Beweisregel, auf die unten genauer eingegangen wird, ordnet das elektronische Dokument den Augenscheinsobjekten zu.

290 Roßnagel, NJW, 1998, 3312, 3318.

291 Geis, MMR 1998, 236, 237.

292 Mertes, CR 1996, 769, 771.

293 Bergmann/Streitz, a.a.O., S. 77, 79; Raubenheimer, a.a.O., S. 19 ff.

294 Kilian, CR 1994, 657, 660; Kilian/Picot, S. 151 f.

295 MüKo-ZPO-Schreiber, § 415 Rdnr.6; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann Übers. § 415 Rdnr. 3; Zöller-Geimer Vor § 415 Rdnr. 2; AK-ZPO-Rüßmann, vor § 415 Rdnr.2; Thomas/Putzo, Vorbem. § 371 Anm 6; Rosen-berg/Schab/Gottwald, § 121 I; Ebbing, CR 1996, 271, 277.

296 Vgl. Thomas/Putzo, vor § 371, Vorb. 6.

297 Balzer in: Gedächtnisschrift für Bruns, S. 73, 91.

298 Hammer/Bizer, DuD 1993, 619, 625; dies., DuD 1993, 689.