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Kapitel 5 : Beweisrechtliche Behandlung moderner Kommunikationstechnologie

II. Elektronische Dokumente

5. Lösungsvorschlag für elektronische Dokumente

Diese Vorschrift stellt klar, daß sich die Beweisführung mittels elektronischer Dokumente nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Beweis durch Augenschein richten soll. Unter den Voraussetzungen des neuen § 130a Abs. 1 ZPO soll der Beweisantritt durch elektronische Übermitt-lung des Dokuments an das Gericht möglich sein. In den Fällen, in denen sich das elektronische Do-kument im Besitz des Beweisgegners oder eines Dritten befindet, sollen die für den Urkunden-beweis geltenden Bestimmungen über den Beweisantritt und die Vorlegungspflicht entsprechend anwendbar sein.

5. Lösungsvorschlag für elektronische Dokumente a) Analoge Anwendung des § 416 ZPO

Eine analoge Anwendung des § 416 ZPO, mit der eine formelle Beweiskraft begründet werden soll, kommt bei elektronischen Dokumenten schon nicht in Betracht, falls ihre Echtheit nicht feststeht, da ansonsten die notwendige Vergleichsgrundlage für die Analogie fehlt. Hierauf zielen jedoch die Be-fürworter der formellen Beweiskraft durch die analoge Anwendung von § 416 ZPO. Dies wider-spricht aber allen Regeln der Analogie. § 416 ZPO regelt ausschließlich die Rechtsfolgen einer nachweisbar echten Urkunde und kann bei elektronischen Speicherungen, deren Echtheit nicht fest-steht, nicht deren Echtheit mittels der Analogie beweisfest machen. Steht die Echtheit der gesamten Urkunde noch nicht fest, ist § 416 ZPO auch analog nicht anwendbar. Steht die Echtheit des elekt-ronischen Dokuments hingegen nachweisbar fest, so läuft die formelle Beweiskraft im Wege der Analogie zu § 416 ZPO ebenso leer wie bei herkömmlichen Urkunden. 397

397 Fraglich erscheint bereits, welchen Vorteil die formelle Beweiskraft dem Beweisführer bei elektronischen Doku-menten in der Praxis bringen würde. So ist die Zahl der tatsächlich erbrachten Urkundsbeweisen gering, was aller-dings damit zusammenhängen könnte, daß es nach § 34 Abs. 1 BRAGO keine Beweisgebühr für Rechtsanwälte gibt. Auch ist der Wunsch, gem. § 416 ZPO formale Beweiskraft für elektronische Dokumente zu erlangen, des-halb nicht verständlich, weil daraus nur folgt, daß die Erklärung von dem Aussteller abgegeben wurde, also echt ist im Sinne des § 440 ZPO. Allerdings erstreckt sich diese formelle Beweiskraft nicht auf die Richtigkeit des Inhalts

b) Vereinbarungen zwischen den Prozeßparteien

Teilweise wird eine Lösung darin gesehen, in einer privaten Vereinbarung zwischen den Vertrags-parteien festzuschreiben, daß den elektronischen Urkunden der gleiche Beweiswert wie Privatur-kunden nach § 416 ZPO zugebilligt werde. Die Frage der Rechtsnatur derartiger Vereinbarungen war schon früh umstritten. Teilweise wurde darin ein rein privatrechtlicher Vertrag gesehen, der nicht gem. §§ 888, 894 ZPO erzwingbar sei und dessen Verletzung lediglich zum Schadensersatz verpflichte.398 Andere hielten sie für einen rein prozessualen Vertrag399 und wieder andere für einen durch Klage erzwingbaren materiellrechtlichen Vertrag.400 Hier ist folgendermaßen zu differen-zieren.

In dem Fall, daß das Gericht unmittelbar daran gebunden sein soll, handelt es sich um eine prozeß-rechtliche Vereinbarung. Ist der Adressat hingegen nur in den Parteien zu sehen, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Vereinbarung.

Abgesehen von der oben dargestellten Sinnlosigkeit der Vorschrift des § 416 ZPO ist hierbei jedoch zu beachten, daß der staatliche Richter durch eine solche private prozeßrechtliche Verein-barung nicht gebunden ist. Denn eine Beschränkung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung durch die Parteien ist nur soweit möglich, wie es ihnen die Verhandlungs- und Dispositionsmaxime erlaubt. Durch den Verhandlungsgrundsatz ist es ihnen möglich, die zu würdigenden Tatsachen und Beweismittel zu beschränken. Allerdings ist es Sache des Gerichts, die Beweise in das System der Beweismittel einzustufen, wobei die ZPO einen numerus clausus der Beweismittel enthält. Eine ge-setzlich nicht vorgesehene Beweisregel kann nicht auf vertraglichem Wege geschaffen werden, sie besteht gem. § 286 ZPO nur in den durch die Zivilprozeßordnung bestimmten Fällen. Eine Pflicht des Richters zur Berücksichtigung einer derartigen prozeßrechtlichen Vereinbarung ergibt sich auch nicht über § 242 BGB im Wege der Arglisteinrede. Zwar sieht die Rechtsprechung bei der Verlet-zung vertraglich vereinbarter Rechtsmittelverzichte eine prozeßrechtliche Einrede,401 wobei das vertragswidrige Verhalten ein „venire contra factum proprium“ darstellt, das zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führt. Jedoch ist die Zulässigkeit des Rechtsmittelverzichts anders zu beurteilen als

und die Vollständigkeit der abgegebenen Erklärung. Eine tatsächliche Vermutung hierfür wurde allein von der Rechtsprechung für Vertragsurkunden entwickelt, vgl. Thomas/Putzo, § 416 Rdnr. 3.

398 Schüller, S. 28, 35; Oertmann, ZZP 45 (1915), 405.

399 Sachse, ZZP 54 (1929), 409 ff; Schiedermair, S. 80 ff; Dickhoff, S. 33, 69.

400 Tägert, S. 54.

401 Vgl. BGH, NJW 1963, 243; BGH, NJW 1986, 198.

die Vereinbarung des Beweiswertes eines Beweismittels, da die Einlegung des Rechtsmittels402 anders als die Frage der Urkundsqualität zur Disposition der Parteien steht.403 Über die Arglistein-rede darf es nicht zu einer Bindung des Richters an die Beurteilung der Parteien über die Urkunds-qualität kommen. Daher binden derartige Vereinbarungen der Parteien nicht das Gericht.404 Sie sind unwirksam.405

Handelt es sich um eine materiell-rechtliche Vereinbarung, sind die Parteien daran gebunden.

Bei einer Unterlassungserklärung, wonach die Partei im Fall eines Prozesses nicht bestreiten darf, daß die im Dokument enthaltene Erklärung von ihr oder der Gegenpartei abgegeben wurde, wäre die Partei hingegen nicht daran gehindert, im späteren Verfahren vertragswidrig die Beweiskraft des Dokuments (allerdings mit der Folge einer eventuellen Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverlet-zung gegenüber dem Partner) anzuzweifeln.406

Diese Urkundsklauseln erhalten als Schiedsklausel vor dem Schiedsgericht Bedeutung, da dort die Beweismittel der ZPO nicht zwingend sind.407 Ein Schiedsvertrag gem. § 1029 Abs. 1 ZPO bewirkt, daß dem Beklagten eine prozeßhindernde Einrede erwächst (§ 1032 ZPO), wenn der Klä-ger doch das staatliche Gericht anruft. Die Parteien könnten auf diesem Wege sogar bindend verein-baren, daß die Echtheit des elektronischen Dokumentes nicht angezweifelt werden darf.408 Nach

§ 1042 Abs. 4 ZPO wird das Verfahren, soweit nicht die Parteien eine Vereinbarung getroffen ha-ben, von den Schiedsrichtern nach freiem Ermessen bestimmt. Allerdings kann vertraglich nur er-reicht werden, daß den elektronischen Dokumenten eine der Privaturkunde vergleichbare Beweis-kraft beigemessen wird, nicht jedoch, daß sie durch eine solche Klausel zu Privaturkunden werden.

c) Beweisrechtliche Gewichtung des § 1 Abs. 1 SigG a.F.

Der Ansicht Abels und Roßnagels zu § 1 Abs. 1 SigG a.F. (siehe hierzu die Darstellung in diesem Kapitel unter Punkt II. 1. lit. c) widerspricht bereits, daß in der Entwurfsbegründung zum SigG a.F.

klar zum Ausdruck kommt, daß Änderungen im Beweisrecht wenn überhaupt, erst in Zukunft

402 Vgl. BGH NJW 1996, 198.

403 Hoeren, CR 1995, 513, 515.

404 So im Ergebnis auch Kilian/Picot, S. 150 f; zum Ergebnis der Unzulässigkeit gelangt auch schon Baumgärtel, S.

254 f.

405 RGZ 96, 57, 5; LG Köln, MDR 60, 846; Bülow, AcP 64, 64; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einf. § 284 Anm. 34; Zöller-Greger, § 286, Rdnr. 8.

406 Hoeren, CR 1995, 513, 516.

407 Schwab/Walter, S. 120 Rdnr. 10 ff.

408 Kilian, jur-pc 1996, S. 62.

gen sollten. Daraus muß der Rückschluß gezogen werden, daß mit dem alten SigG gerade keine derartige Regelung getroffen werden sollte. Dieser Rückschluß ist heute aber aufgrund der Ablö-sung des alten durch das neue Signaturgesetz ohne Belang. Das neue Signaturgesetz enthält eine derartige Aussage nicht mehr. Soweit gegen die Ansicht Roßnagels dieselben Argumente sprechen, die auch bei dem festgeschriebenen Anscheinsbeweis der neuen Beweisregel greifen, werden diese unten dargestellt.

d) Herkömmlicher Anscheinsbeweis

Es wird teilweise409 vorgeschlagen, elektronisch signierte Dokumente allein dem prima-facie-Beweis zu unterwerfen.

Zweifellos bietet der Anscheinsbeweis den Verwendern elektronischer Dokumente Vorteile im Hinblick auf eine gewisse Kalkulierbarkeit von Gerichtsentscheidungen. Dennoch darf der An-scheinsbeweis als Regelung typisierter Geschehensabläufe nicht überschätzt werden. Nach herr-schender Meinung kommt es durch den Anscheinsbeweis nicht zu einer Umkehr der Beweislast; er hat auf die Verteilung der Beweislast keinen Einfluß.410 Er greift nur dann, wenn ein bestimmter Tatbestand vom Richter festgestellt wurde, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ur-sache oder einen bestimmten Ablauf hinweist.411 Voraussetzung für den Anscheinsbeweis ist, daß überhaupt ein Erfahrungssatz mit entsprechend starker Beweiskraft existiert. Auch auf noch so aus-sagekräftige Indizien kann ein Anscheinsbeweis nicht gestützt werden.412 Gelingt aber der Nach-weis des atypischen Geschehensablaufes, entfällt die BeNach-weiserleichterung. Es genügt bereits ein Tatsachenvortrag, der die typischen Geschehensabläufe erschüttert, wobei der Begriff der Erschütte-rung der tatrichterlichen Beweiswürdigung unterliegt. Bei dem Anscheinsbeweis handelt es sich letztlich um eine Frage der Beweiswürdigung. Die Freiheit des Richters wird insoweit nicht mehr als in anderen Fällen eingeschränkt, der Richter ist auch sonst nicht zur Willkür berechtigt, sondern an das Erfahrungswissen seiner Zeit gebunden.413 Auch erfordern streitige Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Berufung auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises in der Praxis re-gelmäßig die Beiziehung von Sachverständigen. Aufgrund dieser Anfälligkeit des Anscheinsbewei-ses im Hinblick auf die Erschütterung der typischen Geschehensabläufe, welche die

409 Melullis, MDR 1994, 109, 111.

410 Statt vieler Lüke, Rdnr. 281.

411 Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, S. 35.

412 Malzer, DNotZ 1998, 96, 110.

413 Lüke, Rdnr. 280; vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald § 115 III 3; Roßnagel, RDV 1998, 5, 15.

terung wieder entfallen läßt, und wegen der damit einhergehenden Abhängigkeit vom Sachverstän-digenbeweis ist eine allein hierauf beruhende Lösung des Beweiswertes elektronischer Dokumente abzulehnen.414 Der Anscheinsbeweis ist derzeit noch mangels ausreichender Erfahrungen im tägli-chen Leben auf elektronisch signierte Dokumente nicht anwendbar.415 Fraglich ist auch aufgrund des immer schneller werdenden Fortschritts der Technik, ob sich die Technik der elektronischen Signatur solange nicht ändert, bis man von einer derartigen Erfahrung ausgehen kann. Sollten sich zum Beispiel aufgrund immer schneller werdender Computer die Zahlenreihen immer mehr verlän-gern, müßte wohl für die jeweils geltende Zahlenlänge eine Lebenserfahrung vorliegen, die für die Sicherheit der Signatur spräche. Dies könnte dazu führen, daß man einer ausreichenden Lebenser-fahrung immer „hinterher laufen“ würde, obwohl man in dem jeweiligen Zeitpunkt mathematisch jeweils von einer Sicherheit ausgehen kann. Deshalb ist es ratsam, eine gesetzliche Regelung zu-mindest für mittels einer akkreditierten elektronischen Signatur signierten Dokumente zu schaffen, wobei die jeweiligen technischen Daten über die SigV dem jeweiligen Stand der Technik entspre-chen können.

e) Gesetzesänderung

Nachdem weder eine analoge Anwendung des § 416 ZPO zu einer Lösung führt noch dem Signa-turgesetz alter und neuer Fassung eine Regelung bezüglich des Beweiswertes zu entnehmen ist und auch ein Anscheinsbeweis nicht der Sicherheit der (akkreditierten) elektronischen Signatur als an-gemessen betrachtet werden kann, stellt sich die Frage, ob und wie der Gesetzgeber handeln sollte.

(1) Formelle Beweiskraft elektronischer Dokumente

Durch den von der AWV erarbeiteten Vorschlag416 wird die von ihr gewollte gesetzliche Beweisre-gelung, die die freie Beweiswürdigung ausschließt, nicht geschaffen.417 Mit der in dem § 416a ZPO des Entwurfs vorgeschlagenen Gleichbehandlung erfolgt eine Verweisung auf die Rechtsfolge des

§ 416 ZPO, also eine Anordnung der formellen Beweiskraft. Die elektronischen Dokumente sollen als unwiderleglich vom Aussteller stammend gelten. Dies soll nach der AWV der Fall sein, wenn

414 So auch Geis, CR 1993, 653, 655.

415 A.A. anscheinend Bieser/Kersten, S. 32

416 AWV-Schrift 06 531, S. 17; wortgleich mit dem Vorschlag eines § 418a ZPO von Geis/Müthlein, S.4; diese Vor-schläge entsprechen auch im wesentlichen dem § 10 des deutschen EDI-Rahmenvertrages.

417 Britz, S. 239 f.

die Erkennbarkeit geeigneter Verfahren zur Authentizität und der Einsatz geeigneter Sicherungs-techniken vorliegen. Nicht gefordert wird die nachgewiesene Echtheit des gesamten Dokumentes.

Erst dadurch erhält die Regelung einen Anwendungsgehalt. Denn, sollte die nachgewiesene Echtheit vorausgesetzt werden, um als Rechtsfolge anzuordnen, das Dokument stamme von dem Aussteller, wäre die Regelung wie § 416 ZPO völlig überflüssig und sinnlos.

Allerdings hängt nach dem Vorschlag die Beweisregel davon ab, ob die unbestimmten Rechtsbegriffe der Erkennbarkeit geeigneter Verfahren zur Authentizität und der Einsatz geeigneter Sicherungstechniken vorliegen. Dieses Instrument des unbestimmten Rechtsbegriffs wurde von der AWV gewählt, um offen für zukünftige technische Entwicklungen zu bleiben.418 Ob diese unbe-stimmten Rechtsbegriffe jeweils erfüllt sind, hat hingegen der Richter im Wege der freien würdigung zu entscheiden. Wollte man mit dieser Regelung eine Beschränkung der freien Beweis-würdigung des Richters erreichen, ist dieses Ziel nicht erreicht, da man die Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit den Richter in freier Beweiswürdigung bestimmen läßt. In diesem Fall bedarf es keiner Beweisregel, da letztendlich der Richter doch in freier Beweiswürdigung entscheidet. Zu kritisieren ist ebenfalls, daß eine formelle Beweiskraftregel dem Beweisgegner die Möglichkeit nehmen würde, die Unechtheit zu beweisen, sobald ein als geeignet geltendes Verfahren eingesetzt wurde. Dies würde auch gelten, wenn er die Unechtheit durch anderen Beweis, wie z.B. Zeugen führen könnte. Dies wäre eine extreme Verschärfung im Vergleich zum Urkundenbeweis, der ledig-lich eine Beweislastumkehr in § 440 Abs. 2 ZPO kennt, nicht jedoch eine derartige Beweisregel. Ein Verfahren, in dem 100%ig ausgeschlossen ist, daß der vermeintliche Aussteller nicht mit dem tat-sächlichen identisch ist, existiert heutzutage noch nicht. Selbst beim Einsatz von Authentifizie-rungsverfahren wie der digitalen Signatur nach dem alten Signaturgesetz zeigte die von provet und GMD durchgeführte „Simulationsstudie Rechtspflege“, daß durch sorglosen Umgang mit den Chip-karten, auf denen sich die Kodierungsschlüssel befanden, und durch die freizügige Offenbarung von Zugangscodes häufig nicht legitimierte Personen die Erklärungen abgaben. Ebenso kam es durch die Manipulation Dritter zu einer Abweichung zwischen vermeintlichem und tatsächlichem Ausstel-ler. So konnte durch technische Manipulation dem Aussteller ein Dokument untergeschoben wer-den, das er in fremder Umgebung signierte, obwohl er es gar nicht auf dem Bildschirm sah, da es von einem anderen Dokument, welches er eigentlich signieren wollte, überdeckt war.419 Um die Beweisfähigkeit von elektronischen Dokumenten, die in fremder Umgebung signiert wurden, zu gewährleisten, müssen daher hohe Anforderungen an die Integrität der jeweiligen Systemumgebung

418 Heidtmann/Heun in: Geis, S. 80.

419 Pordesch, DuD 1993, 665; siehe auch Roßnagel, CR 1994, 501, 503.

gestellt werden. Kann eine Manipulation nicht ausgeschlossen werden, muß der Nachweis der In-tegrität des Systems zum Unterzeichnungszeitpunkt durch nachträgliche Revision möglich sein.420 Auch ein Mitarbeiter der Vergabestelle der privaten Schlüssel für die digitale Signatur könnte seine Vertrauensstellung mißbrauchen. Selbst die Verwendung biometrischer Verfahren ändert an der Möglichkeit, daß ein anderer als der vermeintliche Aussteller die Erklärung abgegeben hat, nichts, da es sich bei diesen Verfahren grundsätzlich um Zugangsverfahren handelt. Nach Gewährung des Zugangs könnten Dritte die Möglichkeit zu Manipulationen bei der Signatur selbst ergreifen. Die Verwendung des Verfahrens der digitalen bzw. akkreditierten elektronischen Signatur rechtfertigt trotz seiner großen Fälschungssicherheit daher nicht per se eine unwiderlegliche Beweiskraft für die Echtheit eines elektronischen Dokuments, da auch außerhalb der Signatur stehende Momente wie z.B. die Sorgfaltspflicht des Signaturschlüssel-Inhabers Auswirkungen auf deren Sicherheit haben können. Eine unwiderlegbare Beweiskraft, wie sie die AWV fordert, ist somit abzulehnen.

Die Lösung der Bundesnotarkammer (s.o.) kann aufgrund der dort vorgesehenen Verbindung der

„elektronischen Unterschrift“ mit einer notariellen Urkunde nicht überzeugen. Eine derartige Lö-sung würde das elektronisch signierte Dokument unattraktiv machen, da aufgrund des erforderlichen Vorhandenseins eines elektronisch signierten Dokuments und einer zusätzlichen herkömmlichen Urkunde dessen Vorteile wegfallen würden.

Zu beachten ist auch, daß es weltweit keine formelle Beweiskraft für elektronischer Dokumente gibt.

(2) Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr

Das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr ent-spricht letztlich dem oben dargestellten Ansatz Roßnagels, da auch hierin ein Anscheinsbeweis fest-geschrieben ist.

Gegen diese Beweisregel in § 292a ZPO bestehen gewichtige Einwände. Das Gesetz kreiert hier durch die Festschreibung eines Anscheinsbeweises eine ganz neue Art von Beweiserleichte-rung, die nicht nachvollziehbar ist.421 Sie vermengt den Anscheinsbeweis mit der gesetzlichen

420 Hammer, CR 1992, 435, 439.

421 Daß es sich um eine neuartige Regel für die Beweiserleichterung handelt, macht das Gesetz dadurch deutlich, daß es diese Regelung als § 292a ZPO systematisch in den ersten Teil des ersten Abschnitts des Zweiten Buches der ZPO und gerade nicht in den sechsten Teil dieses Abschnitts (Beweis des Augenscheins) stellt.

mutung insofern, als daß der neue § 292a ZPO mangels Abstellen auf die Lebenserfahrung eigent-lich eine gesetzeigent-liche Vermutung darstellt, bei der statt der Notwendigkeit des Beweises des Gegen-teils bereits eine Erschütterung der Vermutungsbasis ausreichend ist, um die Beweisregel nicht grei-fen zu lassen.

Sieht man es aber unabhängig vom Einzelfall als feststehend an, daß qualifizierte elektronische Sig-naturen im Falle einer positiven Prüfung nach dem Signaturgesetz echt sind, so hätte es nahegele-gen, eine gesetzliche Vermutung zu schaffen, in der diese feststehende logische Verknüpfung ent-sprechend gewürdigt würde.

Ein Anscheinsbeweis kann dagegen nur gerechtfertigt sein, wenn sich zumindest aus der Erfahrung des täglichen Lebens ergibt, daß positiv geprüfte qualifizierte Signaturen echt sind. Eine solche Le-benserfahrung besteht nach hiesiger Ansicht derzeit noch nicht. Sollte eine derartige Lebenser-fahrung aber vorliegen, müßte der Anscheinsbeweis nicht explizit geregelt werden. Er sollte es auch nicht, da sich die Lebenserfahrung, auf der er beruht, ändern könnte. Der Lebenserfahrung ist gerade immanent, daß sie sich ändern kann, so daß eine Festschreibung des Anscheinsbeweises seinem Wesen widerspricht. Vor allem im technischen Bereich muß beachtet werden, daß Sätze allgemei-ner Lebenserfahrung dem Wandel unterliegen.422 Früher unsichere Tatsachen verfestigen sich infol-ge der technischen Entwicklung zu typischen Geschehensabläufen, wie auch uminfol-gekehrt Annahmen über „zwingende“ Kausalabläufe in Frage gestellt werden können, wie z.B. die Sicherheit der PIN-Nummer. Eine derartige Festschreibung widerspricht dem Wesen sowohl des Anscheinsbeweises als auch der gesetzlichen Vermutung.

Liegt weder eine Verknüpfung vor, die eine widerlegbare Vermutung rechtfertigen, noch eine Le-benserfahrung, auf der ein Anscheinsbeweis beruhen könnte, existiert bloß eine gewisse Wahr-scheinlichkeit für das Vorliegen der Vermutungsfolge. Darauf aufbauend kann aber keine Beweiser-leichterung gerechtfertigt sein.

Eine neuartige widerlegbare gesetzliche Vermutung mit der Möglichkeit, allein durch die Er-schütterung der Vermutungsbasis die Vermutungsfolge zu verhindern, ist auch nicht deswegen er-forderlich, weil eine gesetzliche Vermutung unsachgerecht wäre und dem hohen Beweiswert eines mittels einer (akkreditierten) elektronischen Signatur signierten elektronischen Dokuments nicht

422 So konnte im September 2000 ein an der Universität Bonn programmierter Trojaner bei verschiedenen nicht zertifi-zierten Signierprodukten die PIN auslesen und sogar ein signiertes Dokument nachträglich elektronisch manipu-lieren. Allerdings schlug der Manipulationsversuch bei dem getesteten zertifizierten Produkt SafeGuard Sign

&Crypt 2.10 von Utimaco Safeware AG fehl. (siehe Roos, iX 2001, 38.)

gerecht werde, wie es die Regierungsbegründung behauptet. Eine sachgerechte Lösung ist auch in Form einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung möglich, wie unten dargestellt wird.

Als weitere Kritik an dem Gesetz ist anzuführen, daß dieses zwar zwischen elektronischen Dokumenten, die mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur und solchen, die durch eine weniger sichere elektronische Signatur signiert wurden, unterscheidet. Leider wird aber keine Un-terscheidung zwischen der qualifizierten elektronischen Signatur und der dieser gegenüber siche-reren akkreditierten elektronischen Signatur423 getroffen. Nur letztere, sicherere Signatur rechtfertigt aufgrund der vorherigen Genehmigung nach hiesiger Ansicht eine gesetzliche Vermutung.

Allein die akkreditierte elektronische Signatur kann auch die Sicherheit versprechen, auf der ein Anscheinsbeweis gegründet werden könnte. Bei qualifizierten elektronischen Dokumenten ist dies nicht der Fall, da die Zertifizierungsdiensteanbieter und die Signaturprüf- und Signatur-anwendungskomponenten nicht vorab überprüft werden. Auch sind nur die Zertifikate akkreditierter Signaturen mindestens 30 Jahre überprüfbar. Daher bestehen die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen, auf die ein angeordneter Anscheinsbeweis für qualifizierte Signaturen gestützt werden könnte, nicht.424

Auch bietet die Regelung des § 292a ZPO nicht die Beweiserleichterung, die sie verspricht.

Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit ist, daß die elektronische Form eingehalten, also eine qua-lifizierte elektronische Signatur nach § 126a BGB vorliegt. Demnach muß der Signaturempfänger als Beweisführer aber alle sechs Voraussetzungen dieser Signatur des Absenders gem. § 2 Nr. 2 und 3 SigG nachweisen. Kann er dies, was sich als schwierig erweisen wird, ist er eigentlich nicht mehr auf den Anscheinsbeweis angewiesen. Gelingt ihm dies nicht, hilft ihm auch § 292a ZPO

Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit ist, daß die elektronische Form eingehalten, also eine qua-lifizierte elektronische Signatur nach § 126a BGB vorliegt. Demnach muß der Signaturempfänger als Beweisführer aber alle sechs Voraussetzungen dieser Signatur des Absenders gem. § 2 Nr. 2 und 3 SigG nachweisen. Kann er dies, was sich als schwierig erweisen wird, ist er eigentlich nicht mehr auf den Anscheinsbeweis angewiesen. Gelingt ihm dies nicht, hilft ihm auch § 292a ZPO