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Kapitel 6: Videokonferenztechnik und Web-CAM

III. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme

2. Pro Videokonferenztechnik

Das Unmittelbarkeitsprinzip wird durch die Simultanübertragung weitestgehend gewahrt und formal nur insofern beeinträchtigt, als auf die körperliche Anwesenheit des Zeugen im Gerichtsaal verzich-tet wird.489

Bei schlechter Qualität der Übertragung kann es sicher zu einer erheblichen Beeinträchtigung der richterlichen Überzeugungsbildung kommen. Bei einer guten Übertragungsqualität, wie sie heute Standard ist, kann der Richter hingegen auch via Videoübertragung all jene Eindrücke sammeln, die sich ihm auch bei der persönlichen Vernehmung des Zeugen darböten. Durch die Videoüber-tragung kann den Verfahrensbeteiligten oft optisch und akustisch eine sehr viel bessere Wahrneh-mungsmöglichkeit als bei einer Vernehmung im Gerichtssaal gewährt werden,490 wenn die Verneh-mung auf eine 2x2 m große erhöhte Leinwand übertragen wird. Dadurch erscheinen die beteiligten Personen in Überlebensgröße. Auch leidet die Tonqualität nicht bei einer derartigen Vernehmung, da die Technik heute hoch qualitative Übertragungen zuläßt und die reale Phonstärke anders als bei der Vernehmung im Gerichtssaal durch Bedienung des Tonreglers erhöht werden kann.

Auch stellen Bender/Nack klar, daß Ursache der oben auszugsweise genannten Merkmale der Körpersprache nicht die nur Lügen, sondern auch seelische Zustände wie Angst, Nervosität, Verle-genheit, aber auch Spannung und Konzentration sein können. Dies seien Zustände, die oftmals durch eine Lüge veranlaßt sind, aber auch ganz andere Gründe haben können.491 Körpersymptome seien daher grundsätzlich nur Anlaß zu besonderer Aufmerksamkeit. Auch gestehen Bender/Nack ein, daß sie in der forensischen Praxis nur in wenigen Fällen einige dieser Symptome feststellen konnten. Somit ist festzuhalten, daß aus derartigen Körpersymptomen höchstens auf bestimmte Zu-stände oder Gefühlsregungen der Aussagenden geschlossen werden kann, nicht jedoch auf deren Ursache. Daher kann und darf das Gericht bei seiner Beweiswürdigung derartige Zustände höchs-tens berücksichtigen, wenn diese bei dem Aussagenden unerklärlich oder unüblich sind. Ein derarti-ges Urteil wird der Richter im Normalfall nicht treffen können, da er mit der Aussageperson grund-sätzlich nur im Rahmen einer Beweisaufnahme oder der mündlichen Verhandlung in Kontakt tritt.

Er kann nicht wissen, wie sie sich normalerweise außerhalb der besonderen Situation einer Ge-richtsverhandlung verhält. Im Ergebnis kann es auf derartige Körpersymptome bei der Frage der Zulässigkeit und Zuverlässigkeit von Übertragungen mittels Videotechnik nicht ankommen.

489 Diemer, NJW 1999, 1667, 1671.

490 Vgl. LG Mainz, NJW 1996, 209 f.

491 Bender/Nack, Rdnr. 206.

Fraglos ist eine derartige Vernehmung gewöhnungsbedürftig und kann zu zusätzlichen Hem-mungen führen. Andererseits wird für den normalen Zeugen eine Gerichtsverhandlung an sich eine ungewohnte Situation darstellen. Vielleicht kann eine Übertragung über Videokonferenz sogar die Hemmungen, die dadurch entstehen, daß der Zeuge eventuell vor einer größeren Anzahl von Men-schen aussagen muß, ein wenig mildern, da er sich diesen nicht direkt gegenübergestellt sieht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß weiterhin die unmittelbare Zeugenvernehmung die Regel und die Video-vernehmung die Ausnahme für Fälle sein soll, in denen andere Instrumentarien versagen.

Gegen das Argument, die Atmosphäre im Gerichtssaal und der persönliche Kontakt mit dem Richter erschwere es, die Unwahrheit zu sagen, ist anzuführen, daß auch bei gerichtlicher Verneh-mung mittels Videokonferenz eine besondere Situation und Atmosphäre vorliegt und sich Zeuge und Richter sowohl akustisch als auch visuell gegenseitig wahrnehmen können. Auch Geiger zwei-felt an, ob die Wahrheit sich am ehesten erkennen lasse, wenn sich alle Beteiligten in einem Raum versammeln und dort ganz unmittelbar Beweise erheben.492

In der Vergangenheit wurden bereits mehrere Modellversuche durchgeführt, um die Möglichkeit der Anwendung der Videokonferenztechnik in Gerichtsverhandlungen zu untersuchen.

Schon Ende 1995 wurde in Rastatt in einem Modellversuch eine zivilprozessuale Verhandlung unter Einsatz der Videotechnik durchgeführt.493 Dabei waren der Richter, der Beklagtenanwalt und der Sachverständige in einem Gerichtssaal mit ISDN-Anschluß anwesend während der Klägervertreter von seinem Schreibtisch aus verhandelte. Zu Beginn der Verhandlung wurde ein Prozeßvertrag ge-schlossen, wonach alle Beteiligten damit einverstanden waren, daß der Klägervertreter nicht persön-lich anwesend war. Ein Prozeßvertrag über den Verzicht auf die Unmittelbarkeit der Beweisauf-nahme gem. § 355 Abs. 1 ZPO ist zulässig.494 Einen derartigen Vertrag sieht Splietorp495 als unab-dingbare aber auch ausreichende Voraussetzung für Verfahren nach der ZPO.496 Er führt an, ein derartiges Verfahren führe zu einer Zeit- und Geldersparnis.

Die Justizministerkonferenz hat im November 1995 „zur Prüfung der Einsatzmöglichkeit e-lektronischer Medien in Gerichtsverfahren“ eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Landes

492 Geiger, ZRP 1998, 365, 366.

493 Splietorp, AnwBl 1996, 160 f.

494 Vgl. Kilian/Picot, S. 150 f; BGH, NJW 79. 251 f.; BGH ZZP 74, 93, 96.

495 Dieser bezeichnet das Verfahren aus markenrechtlichen Gründen selbst als Splietorp-Verfahren.

496 Splietorp, AnwBl 1996, 160, 161.

Württemberg eingesetzt. Diese führte in Planspielen eine mündliche Verhandlung mittels Video-konferenz durch und erachtete sie für möglich.497

Beim Finanzgericht Karlsruhe wurde im Januar 1998 ebenfalls in einem Modellversuch der Einsatz der Videokonferenztechnik für alle das Finanzamt Heidelberg betreffende Gerichtsverfahren gestartet.498 Dazu sind Videoanlagen im Finanzgericht Karlsruhe, im Finanzamt und bei der Steuer-beraterkammer Nordbaden in Heidelberg eingerichtet worden. In der Mehrzahl der Fälle befanden sich Kläger und Steuerberater im Karlsruher Sitzungszimmer. Die Videoanlagen waren dabei mit einer Dokumentenkamera ausgestattet, die die Übermittlung von Aktenauszügen zeitgleich ermög-lichte. Die Qualität der Übermittlung wurde insgesamt als gut beschrieben. Aufgetretene Lese-schwierigkeiten bei kleinen Schriften und Ziffern könnten durch die richtige Regulierung der Tech-nik oder durch elektronische Übertragung der Dokumente vermieden werden. Die technischen An-lagen wurden von dem Karlsruher Richter selbst bedient während im Finanzamt Heidelberg eine andere Person diese Aufgabe erfüllte. Die Datenübertragung erfolgte über eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung im Telefonnetz; unzulässige Zuschaltungen waren deshalb nicht ohne weiteres mög-lich. Von Seiten des Gerichts wird hinsichtlich des Datenschutzes darauf verwiesen, daß der techni-sche Aufwand für das theoretisch mögliche Abhören der Datenleitung jedenfalls nicht geringer sei als für einen illegalen Lauschangriff auf eine Gerichtsverhandlung in einem Gerichtssaal. Der Um-gang mit der neuen Technik wird von den Beteiligten als problemlos und auch nicht besonders ge-wöhnungsbedürftig beschrieben. Seitens des Gerichts wird darauf hingewiesen, daß bei der Video-konferenz die Wahrnehmung der Körpersprache begrenzt war, der unmittelbare Eindruck von Per-sonen sei zurückgegangen. Dies sei jedoch in Prozessen vor dem Finanzgericht von untergeordneter Bedeutung. Allerdings kann dieses Manko mit der richtigen Kameraeinstellung und der Vergröße-rung der Leinwand behoben werden. Auch das Finanzamt wies darauf hin, daß es im wesentlichen auf den Akteninhalt ankomme. Jedoch gibt das Gericht an, daß diese in der Mehrzahl der Fälle im-mer noch persönlich in das Gericht in Karlsruhe kämen. Das Finanzamt vermutet dahinter die Hoff-nung, daß die Anwesenheit für eine aus ihrer Sicht positive Entscheidung förderlich sei, wobei die Urteile diese Schlußfolgerung aber tatsächlich nicht zuließen.

Auch beim Verwaltungsgericht Sigmaringen werden im Rahmen des bundesweiten Pilotpro-jekts „Virtuelles Verwaltungsgericht“ seit dem Frühjahr 2000 mündliche Verhandlungen mittels Videokonferenztechnik durchgeführt.499 Hier findet die Verhandlung im Gerichtssaal statt, wobei

497 Vgl. den Bericht in DRiZ 1996, 189 f.

498 Vgl. ausführlich Geiger, ZRP 1998, 365 ff.

499 Vgl. den ausführlichen Bericht von Heckel, a.a.O., S. 1 ff.

die beteiligte Behörde bzw. die Klägerseite über Videokonferenz zugeschaltet wird. In den Übertra-gungsräumen befinden sich Mikrofone und schwenkbare Kameras, deren Einstellung durch Fernbe-dienung verändert werden kann. Im Gerichtssaal wird das Bild mit einem Projektor auch für die Öffentlichkeit wahrnehmbar auf die Seitenwand projeziert. Dabei ist in einem kleineren einge-blendetem Bild das Bild zu sehen, das jeweils der andere Konferenzpartner auf seinem Bildschirm hat. Da die Rechtslage über die Zulässigkeit des Einsatzes von Videokonferenzen in der mündlichen Verhandlung bisher umstritten war, erklärten die Prozeßbeteiligten sich auch hier im Vorfeld der mündlichen Verhandlung damit einverstanden und verzichten am Ende der mündlichen Verhand-lung auf Rügen. Heckel500 stellt im Rahmen dieses Projekts keinen merkbaren zeitlichen Mehrauf-wand für die Richter fest und verneint auch die Ansicht Edingers, wonach der Richter zu einem Technoanimateur werde, der den Gerichtsfall nur noch nebenbei behandeln würde. Seiner Ansicht nach bestehe nach einer kurzen Eingewöhnung wieder das gewohnte Gesprächsklima.

Die Resultate aus den Modellversuchen sprechen für die Verwendung dieser Technik vor al-lem in Verfahren, in denen es im wesentlichen auf den Akteninhalt ankommt. Da auch bei Verfah-ren außerhalb der Finanzgerichtsbarkeit in den mündlichen Verhandlungen hauptsächlich auf Akten Bezug genommen wird, spricht nichts dagegen, außerhalb der Beweisaufnahme die Video-konferenztechnik anzuwenden. In den Fällen, in denen der Schwerpunkt nicht auf dem Akteninhalt, sondern z.B. auf Aussagen von Parteien oder Zeugen liegt, kann bei der Verwendung der Videokon-ferenztechnik eine ähnlich gute Wahrnehmungsmöglichkeit geschaffen werden wie bei dem persön-lichen Kontakt. Teilweise ist die Wahrnehmungsmöglichkeit aufgrund der Größe der Leinwand oder Zoom-Möglichkeiten sogar besser. Dies spricht dafür, auch die Zeugenvernehmung mittels Videokonferenztechnik zuzulassen.