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Kapitel 6: Videokonferenztechnik und Web-CAM

V. Das Mündlichkeitsprinzip

In jedem Verfahren muß feststehen, was das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen darf. Dar-in wird heute die Hauptbedeutung des MündlichkeitsprDar-inzips gesehen: nur das mündlich Vorge-brachte ist Entscheidungsgrundlage. Das in diesem Sinne verstandene Mündlichkeitsprinzip (§ 128 Abs. 1 ZPO) hat das zuvor im Prozeß geltende Schriftlichkeitsprinzip abgelöst, nach dem nur das schriftlich Festgehaltene bei der Entscheidung berücksichtigt werden durfte („quod non est in actis, non est in mundo“).

Aus dem Blickwinkel des Mündlichkeitsprinzips ergeben sich keine ernsthafte Bedenken gegen die Videokonferenztechnik, da das mündlich gesprochene Wort auch bei videotechnischer Übertragung eine mündliche Äußerung bleibt.524

VI. Regelungen anderer Staaten und Organisationen

In der Bundesrepublik Deutschland war eine Videovernehmung im Zivilprozeß bis zur Schaffung des § 128 a ZPO nicht vorgesehen.525 Aus Ländern, in denen diese Möglichkeit bereits länger schon existiert, können eventuell Rückschlüsse auf die Möglichkeit und Grenzen der Verwendung derarti-ger Technik in Deutschland – auch im Rahmen des § 128 a ZPO – gezogen werden. Eine Vorreiter-rolle übernimmt bei der Nutzung der Videokonferenztechnik vor allem Australien.

1. Australien

Heutzutage ist die Videokonferenztechnik in Australien die bei der Beweisaufnahme meist genutzte Technologie. Sie hat die ehemals herrschenden Telefonkonferenzen abgelöst.

Auch in Australien wurde die Videokonferenztechnik zunächst zur Vernehmung von Kindern und anderen schutzbedürftigen Zeugen eingeführt. Seine Anwendung hat sich allerdings ausge-weitet, so z.B. auf überseeischen Beweisaufnahmen,526 auf Fälle, in denen der Zeuge in Haft ist527

524 Geppert, Jura, 1996, 550, 553; vgl. ausführlich Heckel, a.a.O., S. 1 f.

525 Dies hat sich nach Erstellung der Arbeit durch den neuen § 128 a ZPO geändert.

526 Australien Law Reform Commission, Technology – what it means for Federal Dispute Resolutions, Issues Paper No 23 (1998) [5.37].

527 Practice Note No 2 of 1998 issued under Section 42Q of the Evidence Act 1958 (Victoria) „Courts and Tribunals Practice Notes“(May 1998) Vol 72 No 5 ,Law Institute Journal 71.

und auf die Sachverständigenvernehmung.528 Die Videokonferenztechnik wird grundsätzlich ge-nutzt, wenn die unmittelbare persönliche Zeugenaussage kostspielig, unbequem (umständlich) oder aus anderen Gründen nicht wünschenswert ist.529

Am Beispiel Australiens wird deutlich, daß die Anwendung der Videotechnik über den in den

§§ 247a, 255a StPO geregelten Rahmen hinaus möglich ist und von Nutzen sein kann. Dabei ist allerdings zu beachten, daß Australien vor der Videokonferenz sogar über Telefonkonferenzen Zeu-genvernehmungen durchführte, was in Deutschland nicht möglich wäre. Der Beweggrund, auch diese Form der Zeugenaussage zu akzeptieren liegt wohl ebenso wie die jetzt weit verbreitete Nut-zung der Videokonferenz in den großen, schwer zu überwindenden Distanzen, die dort zwischen zwei Orten liegen können.

2. Die Vereinigten Staaten von Amerika

In den Zivilprozessen der Vereinigten Staaten ist die auf Videoband aufgenommene eidliche Aussa-ge (deposition) eine alltäglich Aussa-genutzte Technologie, so z.B. bei dem Anti-Trust-Prozeß des U.S.

Department of Justice gegen die Microsoft Corporation.

Hierbei handelt es sich aber grundsätzlich nicht um Direktübertragungen, sondern um Video-aufnahmen. Da diese in Deutschland lediglich Augenscheinsobjekte und keine Zeugenaussagen oder Parteivernehmungen darstellen und für Verfahrenshandlungen auch nicht ausreichend sind, können hieraus keine Rückschlüsse zu der hier aufgeworfenen Problematik gezogen werden.

Bei dem Projekt „Courtroom 21“530 des National Center for State Courts (NCSC) in Williamsburg (Virginia), welches bereits am 13.09.1993 eingeweiht wurde, können hingegen über Großbildlein-wände jederzeit Zeugen, Anwälte oder Sachverständige zugeschaltet werden. Im Extremfall müßte keiner der Verfahrensbeteiligten im Gerichtssaal physisch anwesend sein.

In den Vereinigten Staaten wird somit die Anwendung audiovisueller Medien im Rahmen der mündlichen Verhandlung befürwortet und gefördert.

528 Australian Law Reform Commission, Technology – what it means for Federal Dispute Resolutions, Issues Paper No 23 (1998) [5.41].

529 Practice Note No 2 of 1998 issued under Section 42Q of the Evidence Act 1958 (Victoria) „Courts and Tribunals Practice Notes“(May 1998) Vol 72 No 5 ,Law Institute Journal 71; Federal Court Rules Order 24 Rule 1A.

530 Siehe unter http://courtroom21.net .

3. England

In England kann das Gericht dem Zeugen gemäß den Civil Procedure Rules531 gestatten, über eine Videoverbindung oder andere Wege auszusagen.

Es steht hier somit im Ermessen des Gerichts, ob und wann es eine Vernehmung des Zeugen auch mittels Videokonferenztechnik gestattet.

4. Korea

Die Videokonferenz ist seit Dezember 1995 ins gerichtliche Verfahren in Korea eingeführt worden.

In zwei Provinzen (sowohl zwischen Landgericht Kyungju und Registeramt Ulreungdo als auch zwischen Landgericht Hongchun und Inje sowie Yangu) können Bagatellsachen, einvernehmliche Ehescheidungen und Schnellverfahren im Rahmen einer Videokonferenz verhandelt werden. Mittels Videokonferenz ist es derzeit bereits möglich, eine mündliche Verhandlung mit Rechtsgespräch, Parteianhörung und Zeugenvernehmung durchzuführen.532

5. Japan

In Japan ist die Videokonferenztechnik bei der Zeugenvernehmung erlaubt, wenn der Zeuge an einem weit entfernten Ort wohnt (Art. 204, 123 jCCP). Bei der Verwendung dieser Technik müs-sen alle Beteiligten in dem Gerichtsgebäude anwemüs-send sein, in dem der Fall anhängig ist. Der Zeuge soll in dem seinem Wohnort am nächsten gelegenen Gerichtsgebäude anwesend sein.533

531 „Civil Procedure Rules

Part 32.3 – Evidence. Evidence by video link or other means.

The court may allow the witness to give evidence through a video link or by other means.“

532 Vgl. hierzu den Korea-Report unter: http://ruessmann.jura.uni-sb.de/Wien1999/Reports/korea.html .

533 Siehe hierzu Einführung unter Outline of civil trial in Japan (Ziff. II. 2. (2), e), (b) ) auf folgender Internetseite:

http://www.courts.go.jp/english/procedure/index :

„In case that a witness or a party to be examined lives far away from the court, the court may examine the person to facilitate the examination by utilizing a so-called TV conference system which enables the person testify without his/her appearance at the court. The person may appear in a convenient courthouse and be questioned by the par-ties and the judge or the judges through this system because the person to be examined can be seen and heard by the parties and the court, and vice versa, by virtue of cameras, monitors and microphones consisting of this sys-tem.“

6. Europäische Union

Der Rat der Europäischen Union hat am 28.05.2001 die Council Regulation on cooperation be-tween the courts of the Member States in the taking of evidence in civil or commercial matters534 (im Folgenden: EuBeweisVO) verabschiedet. Gemäß Art. 10 Nr. 4535 EuBeweisVO soll das er-suchte Gericht dem Antrag des ersuchenden Gerichts, es z.B. in Form der Videokonferenz an der Durchführung der Beweisaufnahme (passiv) teilnehmen zu lassen, stattgeben. In Art. 17 EuBe-weisVO ist sodann die Beweisaufnahme unmittelbar durch das ersuchende Gericht geregelt, welche nur auf freiwilliger Basis stattfinden kann. In Art. 17 Nr. 4 Satz 3 EuBeweisVO536 wird klargestellt, daß auch bei der direkten Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht Kommu-nikationstechnologien, insbesondere die Video- und die Telefonkonferenz, genutz werden kön-nen.

7. Resümee der Erkenntnisse aus anderen Staaten und Organisationen

Aus den Regelungen in anderen Staaten und der EU ergibt sich, daß vor allem in den Fällen, in de-nen die zu vernehmende Person weit vom zuständigen Gericht entfernt wohnt, die Vernehmung mittels Videokonferenztechnik im Zivilverfahren akzeptiert wird. Derartige Situationen stellen in Deutschland einen Grund für die Vernehmung durch den ersuchten Richter dar. In diesen Fällen sollte auch in Deutschland alternativ eine Vernehmung durch das erkennende Gericht mittels Vi-deokonferenz ermöglicht werden.

Die Vernehmung mittels der Videokonferenztechnik ist wie oben dargestellt in anderen Staaten nur bei Vorliegen bestimmter Umstände erlaubt. Hierzu gehören beispielsweise bei einem Zeugen die hohen Kosten, der große Zeitaufwand und die Unzumutbarkeit einer Vernehmung am Ge-richtsort. In Korea wird für die Zulässigkeit der Videokonferenz darauf abgestellt, ob es sich um eine unkomplizierte Streitigkeit oder eine solche mit niedrigem Streitwert handelt. Die Verwen-dung der Videokonferenz stellt somit stets die Ausnahme dar. Diese Technik sollte auch in Deutschland nur als Ausnahme in den Fällen verwendet werden, in denen eine Vernehmung in

534 Verodnung (EG) Nr. 8607/2001; abrufbar unter http://www.ipr.uni-koeln.de

535 „4. The requesting court may ask the requested court to use communications technology at the performance of the taking of evidence, in particular by using videoconference and teleconference. The requested court shall comply with such a requirement unless this is incompatible with the law of the Member State of the requested court or by reason of major practical difficulties.…“

536 „The central body or the competent authority shall encourage the use of communications technology, such as vid-eoconferences and teleconferences.“

persona nicht erforderlich, angemessen oder möglich ist. Die reine Bequemlichkeit der Zeugen kann nicht ausreichen. Es müssen schon gewichtige Hinderungsgründe für eine Vernehmung in persona vorliegen.