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Kapitel 6: Videokonferenztechnik und Web-CAM

VIII. Verwendung einer Web-CAM

Fraglich ist, ob es möglich und ratsam ist, statt oder neben der Videokonferenztechnik Web-CAMs (Internet-Kameras) zur Übertragung einzusetzen. Die Öffentlichkeit könnte auf diese Weise der Verhandlung im Internet in unbegrenzter Zahl folgen. Technisch ist die Übertragung via Web-CAM zweifellos möglich. Allerdings kann das Internet einem Fernseher gleich genutzt werden, da jeder auf seinem Monitor zeitgleich die Verhandlung verfolgen könnte. Bei der Übertragung des Verfah-rens über das Internet, ist es für einen Dritten auch ein leichtes, sich diese Daten aus dem Internet herunterzuladen oder den Vorgang auf dem Bildschirm selbst zu filmen. Eine derartige Möglichkeit besteht bei einer Direktübertragung mittels der Videokonferenztechnik grundsätzlich nicht. Denn im Gegensatz zum Internet werden die Daten bei der Videokonferenztechnik von einem Punkt zu ei-nem anderen übertragen. Beim Internet läuft die Übertragung aber über viele zufällige Knotenpunk-te, bei denen der Zugriff auf die Daten möglich ist. Somit würde sich das gleiche Problem wie bei der Fernsehberichterstattungen von Gerichtsverfahren aufgrund des § 169 S. 2 GVG ergeben.

Gemäß § 169 GVG sind Ton- Fernseh- und Rundfunkaufnahmen sowie Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung und Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig. Dieses Verbot wurde 1964 eingefügt. Mittelpunkt der Diskussion um Fernsehberichterstattung sind hauptsächlich die Übertragung von Strafprozessen und Prozessen vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis 1993 gab es hinsichtlich dieses Verbots keine nennenswerte Auseinandersetzung. Dies änderte sich, als der private Nachrichtensender n-tv am 08. 04. 1993 die Urteilsverkündung des

558 SieheMusielak-Stadler, § 128 a Rdnr. 9.

gerichts im AWACS-Verfahren live übertrug.559 Seitdem hat eine lebhafte Diskussion eingesetzt.

Im Mai 1993 hatte der Präsidialrat des Zweiten Senats die Praxis des Bundesverfassungsgerichts in

„einstweiligen Rahmenbedingungen für Pressevertreter sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten“

festgehalten. Danach galt für die mündliche Verhandlung beim BVerfG, daß Foto-, Film- und Ton-aufnahmen bis zum Abschluß der Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten zulässig sind. Mit bestimmten Modalitäten konnten Urteilstenor und -gründe aufgezeichnet werden. Der Hörfunk durfte Urteilsgründe insgesamt zeitversetzt, d.h. nach Abschluß der Verkündung, senden.

Ein Plenumsbeschluß vom Jahr 1995 hatte diese Praxis insgesamt sanktioniert und die grundsätzli-che Wiedergabe von Tenor und Entsgrundsätzli-cheidungsgründen durch die Medien zugelassen.

Im Rahmen dieser Diskussion beim Bundesverfassungsgericht ist allerdings zu beachten, daß § 169 GVG gem. § 17 BVerfGG nur entsprechend anwendbar ist, also Modifizierungen im verfassungs-rechtlichen Verfahren möglich sind. Durch das Gesetz vom 16.07.1998 wurde in das BVerfGG der

§ 17a über die Zulässigkeit von Ton- und Fernsehaufnahme eingeführt. Dieser läßt, abweichend von

§ 169 GVG, die dort genannten Aufnahmen sowohl in der mündlichen Verhandlung bis zur Fest-stellung der Anwesenheit der Beteiligten durch das Gericht als auch bei der öffentlichen Verkün-dung der EntscheiVerkün-dung zu, wobei das Gericht gem. Abs. 2 im Einzelfall derartige Aufnahmen ganz oder teilweise ausschließen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen kann. Dadurch wurde das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Ange-klagten und die aus der Berichterstattung resultierenden Gefahren für die Wahrheits- und Rechts-findung in angemessemer Weise berücksichtigt.

Auch im Zivilprozeß wäre die Wahrheitsfindung beeinträchtigt, da bei einer Partei oder einem Zeu-gen das Wissen, von einer Masse von Menschen bei seiner Aussage beobachtet zu werden, zu Hemmungen führen kann. Der Betroffene muß die Möglichkeit haben, sein Anliegen unbefangen vor Gericht vortragen zu können. Das bedeutet, daß die Verfahrensbeteiligten, die in der Regel me-dienunerfahren sind, insbesondere durch die Live-Berichterstattung der elektronischen Medien nicht derart in ihrer Angriffs-, Verteidigungs- und Artikulationsfähigkeit eingeschränkt werden dürfen, daß sie ihre Interessen vor Gericht nicht mehr hinreichend nachkommen können.560 Die Ein-schränkung der rundfunkmäßigen Sitzungsberichterstattung erscheint im Hinblick darauf, daß

559 Huff, NJW 1996, 571, 572; siehe auch die spätere Honecker-Entscheidung vom 14.07. 1994 (BVerfG, NJW 1993, 3288), den Leeson-Beschluß vom 19.07.1995 (BVerfG, ZUM 1996, 233) und die Krenz-Entscheidung vom 11.01.

1996 (BVerfG, ZUM 1996, 234).

560 Eberle, NJW 1994, 1637, 1638.

fende Kameras und Mikrofone das unbefangene Auftreten und Agieren der Verfahrensbeteiligten und damit ihre prozessualen Rechte sowie ihren Persönlichkeitsschutz beeinträchtigen könnten, ge-rechtfertigt. In den Phasen, in denen die Verfahrensbeteiligten ihren Interessen noch nicht oder nicht mehr aktiv nachkommen, wie z.B. bei der Personenfeststellung oder der Urteilsbegründung und Verkündung, steht einer Berichterstattung durch die Medien nichts im Wege. Auch ist das Persön-lichkeitsrecht der Beteiligten nicht minder beeinträchtigt als bei anderen Prozessen. Die totale Me-dienöffentlichkeit, wie sie in den U.S.A. praktiziert wird, kann nur als abschreckendes Beispiel die-nen, da bei der dortigen Darstellung des Prozesses das Informationsinteresse durch die Sensa-tionsgier verdrängt ist und eine Gefahr zur Prozeßinszenierung besteht. Dies läuft den Intentionen, die mit der Gerichtsöffentlichkeit verfolgt werden, zuwider.

In Anbetracht dieser Problematik ist von der Verwendung der Web-CAMs abzuraten. Dem Grundsatz der Öffentlichkeit wird durch die derzeitige Handhabung zu genüge Rechnung getragen.

Nicht erforderlich ist, daß eine unbegrenzte Anzahl von Menschen über das Internet oder Fernsehen dem Verfahren beiwohnen können. Auch ist eine derartige Übertragungsart nicht notwendig, da durch die Videokonferenztechnik, wie bereits oben dargestellt, Übertragungen problemlos statt-finden können, ohne daß die oben genannten Probleme wie bei einer Übertragung über das Internet bestehen.

Soll eine Übertragung über das Internet in der Weise stattfinden, daß nur dem jeweils ande-ren Konfeande-renzpartner das zur Übertragung notwendige Signal zugänglich gemacht wird, müßte ähnlich wie beim Web-TV ein Conditional-Access-System eingesetzt werden. Damit gewährleis-tet ist, daß nur bestimmte Personen dieses Signal empfangen, müßte das Gericht, ein entsprechen-des Verschlüsselungsverfahren nebst Entschlüsselungscode selbst entwickeln bzw. entwickeln lassen. Dies würde einen Mehraufwand gegenüber einer herkömmlichen Videokonferenztechnik (v.a. hinsichtlich der Kosten) bedeuten, da die Einrichtungen für Videokonferenzen bei den Straf-gerichten von den ZivilStraf-gerichten mitbenutzt werden könnten. Die Verwendung einer Web-CAM ist im Ergebnis abzulehnen.