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2 Gesellschaftliche Hintergründe

3.3 Verteilung von Risiken

Was Beck unter Risiken versteht und was der Systemgedanke der Risiko-gesellschaft ist, wurde nun ausführlich erläutert. Doch wie verteilen sich die Risiken nun tatsächlich und was ist der Unterschied zur bisherigen Reich-tumsverteilung? Diese beiden Fragen werden im folgenden Unterkapitel nä-her betrachtet.

Reichtumsverteilung und Risikoverteilung unterscheiden sich grundsätzlich voneinander, dennoch gibt es Überschneidungen zwischen der Klassen- und der Risikogesellschaft. Betrachtet man die Historie der Verteilung von Risiken, könnte man im ersten Moment meinen, dass sich diese auch an das Klassenschema halten, nur umgekehrt wie bisher. So verteilen sich die Risiken auf die unteren Schichten und die Menschen sind hier viel mehr von diesen betroffen. Zum Mangel an ausreichender Versorgung durch wenig Geld können sich die Menschen beispielsweise nur wenig Essen, eine klei-nere Wohnung oder eine Wohnung in gefährlicherer Lage leisten, kommt nun durch die Risikoverteilung auch noch ein Mangel an Sicherheit dazu.

So sind die unteren Schichten viel mehr belastet und es wird der Anschein erweckt, dass das Klassenschema, in der ungleichen Reichtumsverteilung besteht, nun noch mehr verstärkt wird. Doch genau das trifft nicht den Kern der Risikoverteilung, so Beck. (Beck 1989) Verschärft sich nämlich eine Ri-sikolage, verringern sich dadurch automatisch die persönlichen Auswege und Eindämmungsmöglichkeiten. In Bezug auf „kleinere Risiken“, wie die Belastung von Nahrungsmittel, kann der Einzelne durch Reichtum dem Ri-siko ausweichen. Doch bei Risiken, die beispielsweise die Wasserversor-gung betreffen, kann der Einzelne durch Reichtum nicht mehr viel ausrich-ten, da alle Haushalte, egal welche Schicht, an der gleichen Wasserversor-gung hängen. Bei den Modernisierungs- und Zivilisationsrisiken werden also alte Klassenschemata aufgebrochen und es ergibt sich ein Wandel in der Verteilung. Beck beschreibt diesen Sachverhalt mit folgendem Satz:

„Not ist hierarchisch, Smog demokratisch.“ (Beck 1989, S.47) So wird noch-mal deutlich, dass neue Risiken, sobald sie eine gewisse Größe haben,

21 keine Grenzen mehr kennen und alle Schichten und Klassen gleich betref-fen. Auf nationaler Ebene betrachtet, bringt das Risiko eine egalisierende Wirkung mit sich und überdeckt die bisher geltenden sozialen Ungleichhei-ten. Statt Klassenkonflikte treten nun Konflikte über den Umgang mit den neuen Risiken und die Definition dieser in den Fokus. Nun ergibt sich zwar eine Gleichstellung der Gefährdungslagen, dennoch darf nicht übersehen werden, dass neue soziale Ungleichheiten unter den Betroffenen internati-onal produziert werden. So entsteht nun nicht eine ungleiche Verteilung zwi-schen der Klassen eines Landes wie bisher, sondern die Verteilung verla-gert sich international auf die verschiedenen Länder. Vor allem Entwick-lungsländer sind von den neuen sozialen Ungleichheiten betroffen, so wer-den Produktionen von verschiewer-densten Gütern ins Ausland verlegt. Hier sind die Menschen von den Risiken, die mit der Produktion einhergehen, schneller betroffen und müssen versuchen mit diesen zu leben. Dies hält die Risiken aber auch nicht immer von den reicheren Ländern fern, irgend-wann kommen die Risiken auch in diese Länder zurück. Ulrich Beck spricht hier von einer Boomerang-Wirkung, diese schrumpft die Weltgesellschaft nach einer gewissen Zeit auf eine Gefahrengemeinde zusammen. Wie beim Werfen eines Boomerangs können die reicheren Länder zunächst die Risi-ken von sich wegschieben durch z.B. die Auslagerung der Gefahren in ein Entwicklungsland. Nach einer gewissen Zeit kommen die Risiken aber wie-der zu dem „Werfer“ des Boomerangs zurück und alle sind nun betroffen von den Risiken. Es wird deutlich, dass sich in der Risikogesellschaft klas-sen- und risikogesellschaftliche Ungleichheiten überlagern oder bedingen können. So werden die Folgen, die aus einer klassengesellschaftlichen Un-gleichverteilung resultieren, beispielsweise unterschiedlicher Reichtum und daraus resultierende Nöte, verwendet, um das Ignorieren von unsichtbaren Risiken zu rechtfertigen. Genau dieser Sachverhalt ist die politische und kulturelle Grundlage, damit Risiken und Gefährdungen sich weiterentwi-ckeln können. Durch den Nachweis von Not wird aber nur die Wahrneh-mung der Risiken unterdrückt, Wirklichkeit und Wirkung bleiben weiterhin bestehen. So wachsen die Gefahren täglich ein wenig mehr an, unsere

22 Gesellschaft geht dagegen aber nicht präventiv vor, sondern versucht im-mer noch den besten Gewinn aus einer Sache zu ziehen und deswegen die Risiken zu leugnen. So sind die Länder zwar alle „gleichermaßen“ von den Gefahren betroffen, trotzdem schaffen sie es nicht eine gemeinsame Politik zu bilden. Es wurde zwar ein Anfang gemacht durch internationale Abkom-men und Absprachen, diese liegen aber bei weitem noch nicht in dem Um-fang vor, den es bräuchte, um gemeinsam präventiv gegen Risiken vorge-hen zu können. Auch wenn sich kein einheitlicher politischer Weg erkennen lässt, wandelt sich das ganze Wertesystem der Gesellschaft. Es steht nun nicht mehr wie bisher das Ungleiche im Fokus, sondern der Wert der Unsi-cherheit. Anders als beim vorherigen Wertesystem ist es nun nicht mehr zentral etwas Gutes zu erreichen, sondern es ist wichtig das Schlimmste zu verhindern. Ziel der Risikogesellschaft ist es also, dass alle von den Gefah-ren verschont bleiben. Mit der Veränderung des Wertesystems geht auch ein Wandel der Grundsituation einher. Daher ist nun die treibende Kraft für alle die Angst und nicht mehr der Hunger. Es entsteht eine Solidarität der Angst, welche zur politischen Kraft wird. Wie die Bindekraft der Angst wirken wird, ist aber noch völlig offen. Diese Angst kann vieles bewirken, so kann sie entweder das Bewusstsein für die Gefahr stärken oder es wird die Leug-nung der Gefahr provoziert. So kommt es, dass die Gefahr zwar immer grö-ßer wird, mit ihr aber auch die Wahrscheinlichkeit der Leugnung und Ver-harmlosung. Hier kommt wieder das Wissen ins Spiel, Risiken werden durch Wissen erkannt, können aber auch durch dieses verkleinert und ver-harmlost werden. Durch das Wachsen der Gefahren und der Tatenlosigkeit der Politik wird die Risikogesellschaft selbst zum Sündenbock. So provozie-ren nun nicht mehr die Gefahprovozie-ren Unruhen und Angst, sondern diejenigen, die die Risiken aufzeigen. Durch diesen Prozess werden radikale und fana-tische Reaktionen begünstigt und die Politik bekommt immer mehr Gegen-wind. Hilflosigkeit und Angst stützen Aussagen über Schuldige und führen dazu, dass die Menschen die absurdesten Theorien glauben. In der Risiko-gesellschaft werden nun also neue Fähigkeiten benötigt, die Menschen müssen lernen mit den Gefahren zu leben und mit diesen umzugehen, sei

23 es politisch oder biographisch. Systeme, die bis jetzt zur Bewältigung bei-getragen haben, beispielsweise Familie oder Ehe, verlieren an Bedeutung.

Die Verarbeitung liegt nun bei jedem selbst und jeder muss seine eigene Art der Bewältigung finden. Daraus ergeben sich auch neue Anforderungen und Aufgaben an Institutionen, Politik und Therapie. Der Umgang mit Angst und Unsicherheit wird laut Ulrich Beck politisch und biographisch zu einer zivilisatorischen Schlüsselqualifikation. Welche Fähigkeiten dafür ge-braucht werden und wie diese erlernt werden, wird eine neue Herausforde-rung für die Pädagogik. (Beck 2016)

Was bedeutet dies nun für das Leben in einer Risikogesellschaft? Zusam-menfassend kann über das Leben in der Risikogesellschaft folgendes ge-sagt werden:

1. Die Menschen sind mit drohenden Gefahren konfrontiert, diese kön-nen ausbrechen, müssen aber nicht. Zeigen aber immer wieder durch verschiedene Vorkommnisse (z. B. Tschernobyl, Coronavi-rus), dass sie durchaus real sind. (Beck 1989)

2. Würden die Menschen die Gefährdungen erkennen und sehen, käme das laut Beck einer Selbstvernichtung gleich, dieses Argument aktiviert Handlungen und macht die Gefahr real. Gefährdungslagen werden nun für alle Menschen gleich zur Gefahr und haften nicht mehr am Klassenbegriff, Risiken sind universell und nicht spezifisch.

(ebd.)

3. Dennoch sind die Menschen unterschiedlich betroffen und je weniger die Existenz direkt betroffen ist, desto mehr Risikobewusstsein und Engagement entwickeln die Menschen. (ebd.)

4. Durch die Universalität der Risiken entwickelt sich nicht wie bei an-deren Gefährdungen eine soziale Einheit. Es bestimmt nun also das Bewusstsein (Wissen) das Sein, d.h. durch das Wissen wird

24 bestimmt, wer man ist, bisher wurde das Wissen, das man besaß, bestimmt durch mein Sein. Hier wird wieder sehr deutlich, was für eine große Rolle die Wissenschaft spielt. So konnten die Menschen bis jetzt immer Wissen erlangen durch Selbsterfahrung, dies ist jetzt nicht mehr möglich und die Gesellschaft ist angewiesen auf Verfah-ren der Wissenschaft, um herauszufinden, was ein persönliches Ri-siko darstellt. In der RiRi-sikogesellschaft sind wir Menschen also auf eine gewisse Weise fremdwissensabhängig. (ebd.)

5. Die zunehmende Sichtbarkeit von Risiken, wächst einerseits die Ver-wissenschaftlichung dieser und andererseits wird ein wirtschaftlicher Aufschwung bedingt. Durch verschiedene Risikodefinitionen, die von der Wissenschaft gemacht werden, können unterschiedliche Bedürf-nisse entstehen. Daraus ergeben sich neue Märkte, die einen Auf-schwung erleben. Folgendes Beispiel soll dies etwas deutlicher ma-chen: Bisher galten Autos, egal welchen Kraftstoff sie brauchten, als nützliches Fortbewegungsmittel. Die Menschen kauften diese in un-terschiedlichsten Farben, Formen und Ausstattungen, es war normal ein Auto zu fahren. Nun hat die Wissenschaft entdeckt, dass es ab-gasintensivere Autos gibt und welche, die nicht so viele Abgase pro-duzieren. Wegen dieser Erkenntnis verlieren einige Autos nun an An-sehen und werden weniger gekauft. Andere Autos, in diesem Bei-spiel Elektroautos, erleben nun einen Aufschwung und es werden neue Märkte geschaffen. Die Wirtschaft ist also selbst-referentiell, sie assimiliert die Risiken und gebraucht sie für die eigene Logik, anstatt die Risiken von Grund auf zu vermeiden. Dies gelingt aber nur so lange wie die Risiken bestehen bleiben und nicht beseitigt werden.

Die Industriegesellschaft profitiert also von den Risiken, die sie selbst produziert, und schafft so soziale Gefahren und politisches Potenzial.

(ebd.)

25 6. Mit der Risikogesellschaft kommt ein ungewisses und nicht

bestän-diges Zeitalter auf die Menschen zu, dies führt zum Hinterfragen von alltäglichem Wahrnehmen und Denken. (ebd.)

7. Durch die neuen Gefährdungen entsteht eine „Solidarität der leben-den Dinge“ (Beck 2016, S.99) ,d.h. alle Lebewesen auf der Erde sind gleich von den Bedrohungen betroffen und es entsteht eine Gemein-samkeit zwischen Erde, Pflanzen, Tieren und Menschen.

8. Die neuen Risiken bringen Angst und Unsicherheit mit sich, dadurch entsteht eine Leugnung der Gefahrenlagen. Dies bedingt wiederum das Suchen nach einem Schuldigen, welches zur Folge hat, dass die Gefahren nun nicht mehr eine Unruhe provozieren, sondern die Per-sonen, die auf Gefahren aufmerksam machen. (ebd.)

9. Durch die ständige Angst vor Risiken ergeben sich neue Herausfor-derungen für die Menschen, so müssen sie lernen mit diesen biogra-phisch und politisch umzugehen. Dieser Umgang bzw. die Selbstver-arbeitung wird zu einer neuen zivilisatorischen Schlüsselqualifika-tion. (ebd.)