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4 Klimawandel und Gesellschaft

4.1 Jugendpartizipation

Betrachtet man das Wort Jugendpartizipation genauer, besteht es eigent-lich aus zwei Teilen. Jugend zu definieren fällt nicht weiter schwer und jeder kann sich darunter etwas vorstellen. Doch was heißt eigentlich Partizipation genau? Schlägt man das Wort in einem Wörterbuch nach, findet man dort folgende Bedeutung:

Partizipation kommt vom lateinischen Wort participare und hat mehrere Be-deutungsmöglichkeiten. (PONS GmbH 2016) Es kann einerseits bedeuten, sich an etwas zu beteiligen, zu etwas Zugang zu haben, beispielsweise im Bildungssystem oder am Arbeitsmarkt. Andererseits kann es bedeuten, et-was mitzugestalten. Hier unterscheidet man zwischen zivilgesellschaftlicher Partizipation in Nachbarschaftsgruppen, Vereinen etc., und politischer Par-tizipation, welche formal sein kann (Wahlgang, Parteimitglied) oder eher in-formell und spontan wie in Demonstrationen.

30 Vereint man nun die Partizipation noch mit dem politischen Charakter, ver-steht man alle freiwilligen Handlungen, die ein Jugendlicher unternimmt, mit dem Ziel Einfluss auf politische Prozesse auszuüben. Es gibt verschiedene Formen wie diese Beteiligung aussehen kann, die genauen Arten, die ge-nannt werden, dienen nur als Beispiel, natürlich passen mehrere Dinge zu den verschiedenen Formen. (Gürlevik und Hurrelmann 2016)

1. Verfasste oder nicht-verfasste Form: Unter der verfassten Form ver-steht man eine Form, die gesetzlich verankert und institutionalisiert ist wie beispielsweise die Wahlen. Die zweite Möglichkeit ist nichts von beiden, wie z.B. eine Bürgerinitiative. (ebd.)

2. Konventionelle oder unkonventionelle Form: Unter ersterem ist eine Mitgliedschaft in einer Partei gemeint, die zweite Form wäre eine Teilnahme an einer genehmigten Demonstration. (ebd.)

3. Legale oder illegale Form: Eine legale Form wäre eine Wahl. Bei der illegalen Möglichkeit gibt es nochmals zwei Unterkategorien. So ist es hier wichtig zu unterscheiden ob die Form gewaltfrei oder gewalt-sam vorliegt. Ersteres wäre dann beispielsweise eine Hausbeset-zung, unter zweiterem sind alle Arten von Personen- und Sachbe-schädigungen gemeint. (ebd.)

4. Direkte und indirekte Form: diese Unterscheidung ist seltener zu fin-den, sollte aber dennoch erwähnt werden. Unter Ersterem zählt ein Plebiszit, also eine Volksabstimmung oder eine Volksbefragung, zur zweiten Form zählen Wahlen. (ebd.)

5. Akzeptierte und nicht akzeptierte Form: Hier sind vor allem die For-men unter Punkt drei ausschlaggebend. Ob die ForFor-men von der Ge-sellschaft akzeptiert werden oder nicht, ist auch damit verbunden, ob die Dinge legal oder illegal geschehen sind. (ebd.)

Zwar sind Wahlen in vielen der Partizipationsformen zu finden, wie oben erwähnt reicht aber die Ausweitung des Wahlrechts nicht allein, um Kinder und Jugendliche eine größere Beteiligung zu ermöglichen. Mehr noch würde die Berechtigung zu den Wahlen nur die Stärkung der Starken zu Folge haben. Das soll nicht heißen, dass man weiterhin Kindern und

31 Jugendlichen die Teilnahme an Wahlen verwehren soll. Sondern neben die-sem Schritt müssen viele weitere begleitende Maßnahmen unternommen werden, damit soziale Ungleichheiten nicht gestärkt werden und alle davon profitieren. Die Maßnahmen, die ebenfalls noch notwendig sind, sollen sich aber auch an Gruppen richten, die schon wählen dürfen. Denn die Möglich-keit wählen zu können, ohne die FähigMöglich-keit wählen zu können oder zu wol-len, ergibt keinen Sinn. (Gürlevik und Hurrelmann 2016) Doch was für Maß-nahmen müssen unternommen werden, um die Kinder und Jugendlichen zu befähigen? Der Ansatz der Verwirklichungschancen von Amartya Sen führt die individuelle Befähigung zur Partizipation und die Frage nach den Handlungsspielräumen zusammen. Der Ansatz beschreibt „Möglichkeiten und Fähigkeiten von Menschen, ein Leben führen zu können, für das sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten, und das die Grundlage der Selbstachtung nicht in Frage stellt.“ (Sen 2001) Hier werden zwei bestim-mende Faktoren der Verwirklichungschance unterschieden. Das eine ist das individuelle Potenzial und das andere die instrumentelle Freiheit, wich-tig hierbei ist, dass das Ineinanderwirken beider den Umfang der Verwirkli-chungschance bestimmt. (Gürlevik und Hurrelmann 2016) Der Kernge-danke wird von Peter Bartelheimer passend mit Hilfe einer Illustration des Soziologen Jean-Michl Bonvin folgend zusammengefasst:

„Wer die Chance haben soll, Rad zu fahren, benötigt dafür zunächst ein Rad oder den Zugang zu einem Rad“. (Bartelheimer 2007, S.77ff) Darüber hinaus muss dieser jemand „Rad fahren können“ (ebd.; individuelles Poten-zial) „und es muss hierfür eine gesellschaftliche Infrastruktur geben, also Straßen und Wege, und schließlich muss das Radfahren auch erlaubt sein“

(ebd.; dies kann unter die instrumentellen Freiheiten bzw. die gesellschaft-lich bedingten Chancen subsumiert werden) „So kann Wahlfreiheit entste-hen: Wählt jemand das Radfahren als ihm angemessene Form der Mobilität oder hat er keine Wahl, weil ihm andere Verkehrsmittel nicht zur Verfügung stehen ? Erst im Wissen um all diese Faktoren lässt sich auch bewerten, warum eine Person mehr Rad fährt als eine andere. Fährt jemand nicht Rad, so kommt es in diesem Modell also darauf an, ob er es nicht will oder

32 ob er es nicht kann. Das Ziel wäre dann nicht, dass alle gleich viel Rad fahren, sondern dass alle so viel Rad fahren können, wie sie wollen“. (Bar-telheimer 2007, S.78f)

Der Ansatz der Verwirklichungschance zeigt, dass die politische Partizipa-tion mindestens von vier verschiedenen Seiten betrachtet werden muss und dass das Ändern des Wahlrechtalters allein bei weitem nicht genügt. Die vier Sichtweisen werden vorgestellt und erklärt was unter diesen verstanden wird.

1. „Darf ich Rad fahren?“- instrumentelle Freiheit: Hier wird die Frage gestellt, inwieweit Kinder und Jugendliche Zugang zu den verschie-denen Partizipationsformen haben. Werden ihnen Hürden beispiels-weise durch das Alter gestellt? (Gürlevik und Hurrelmann 2016)

2. „Kann ich Rad fahren?“- individuelles Potenzial: Alle Menschen soll-ten die Möglichkeit bekommen frühzeitig und fortlaufend befähigt zu werden, sich an politischen Prozessen mitbeteiligen zu können. Es ist wichtig zu lernen, was das eigene Interesse ist und wie sich dies mit den gesellschaftlichen Interessen deckt und wie jeder Einzelne mitbestimmen kann. Die Forderung nach mehr Partizipation muss also gleichzeitig einhergehen mit der Forderung nach mehr politi-scher Bildung. „Demokratische Gesellschaften müssen sicherstellen, dass all ihre Mitglieder die Möglichkeit haben, ihre individuellen Po-tentiale so weit zu entwickeln und fortdauernd zu reflektieren, dass sie dazu in der Lage sind, an der politischen Öffentlichkeit teilzuha-ben.“ (Gürlevik und Hurrelmann 2016)

3. „Will ich Rad fahren?“ – individuelles Potenzial: Aber nicht nur die Frage nach dem Handeln können ist wichtig, sondern auch die Frage nach der Verhaltensabsicht des Einzelnen. Jeder entscheidet selbst darüber, ob er bereit ist zur Ausführung einer politischen Aktivität.

Aus Sicht der politischen Bildung kann sich ein Mensch aber erst

33 gegen ein aktives Mitwirken entscheiden, wenn dieser über politische Minimalkompetenzen verfügt. (ebd.)

4. „Ist das Rad fahren erwünscht?“ bzw. „Wird Rad fahren gefördert?“- gesellschaftliche Chancen: Individuelles Potenzial muss auch immer unter gesellschaftlich bedingten Chancen betrachtet werden. Die Ori-entierung der Menschen eines politischen Systems steht in einer Be-ziehung mit der Gesamtheit seiner Mitglieder und entwickelt sich in Bezug auf diese. Daraus ergibt sich, dass mehr politische Jugend-partizipation eine politikfördernde Umwelt benötigt. (ebd.)

Es wird schnell deutlich, dass es in unserer Gesellschaft notwendig ist, weg von Debatten über das Wahlalter zu gehen und hin zu Diskussionen, die sich auf diese vier Dimensionen beziehen. Nur so kann sichergestellt wer-den, dass der Wille, die Fähigkeit und die Bereitschaft zusammen ausge-baut werden.