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2 Gesellschaftliche Hintergründe

3.2 Interpretation und Definition von Risiken

Doch was versteht Beck nun eigentlich genau unter diesen Risken? Und gab es Risiken nicht eigentlich schon vor der Neuzeit? Wer die Geschichte der Menschheit näher betrachtet, stößt auf viele Risiken, welche die Men-schen in verschiedensten Situationen auf sich nahmen. Diese Risiken be-zeichnet Beck, aber als „persönliche Risken“, welche mit den Worten Aben-teuer und Mut in Verbindung gebracht wurden. Die neuen Gefahren wie beispielsweise die Kernspaltung, betreffen aber jetzt nicht nur die persönli-che Ebene, sondern die gesamte Menschheit ist gleich betroffen. Außerdem werden die Risiken nicht mehr mit Abenteuer oder Mut assoziiert, sondern nun stehen diese mit der Vernichtung des Lebens auf der Erde in Verbin-dung. Des Weiteren waren frühere Risiken sinnlich wahrnehmbar, heutige Gefahren entziehen sich der menschlichen Wahrnehmung und sind nur durch chemische oder physikalische Formeln im Theoretischen sichtbar, im Praktischen können sie aber nicht durch Sinne wahrgenommen werden. Ein letzter Unterschied ist, dass wie oben schon beschrieben wurde, die heuti-gen Risiken aus dem modernen Fortschritt resultieren, deshalb werden sie auch als Zivilisations- oder Modernisierungsrisiken bezeichnet. Sie werden anders als frühere Risiken nicht durch einen bestimmten Auslöser hervor-gebracht, sondern wachsen mit dem technischen Fortschritt der Epoche.

(Beck 1989) In der folgenden Tabelle (sh. Abbildung 4) werden die Unter-schiede nochmal anschaulich gegenübergestellt:

Frühere Risiken Becks Risikointerpretation

Persönlich Global

Erkennbar mit den Sinnen Latente Erscheinung Werden aus bestimmtem Grund

hervorgebracht

Resultieren aus modernem Fort-schritt (Nebenfolge)

Abbildung 4:Unterschiede Risiken früher und heute

Nimmt man nun die drei beschriebenen Merkmale von Becks Risikointer-pretation, lassen sich verschiedene Modernisierungs- oder Zivilisationsrisi-ken erZivilisationsrisi-kennen. Zu diesen zählen in erster Linie ökologische Gefahren wie

17 die Verschmutzung der Luft oder des Wassers, aber auch atomare Bedro-hungen sind neue Risiken und die Folgen, die daraus resultieren. Auch der Klimawandel kann zu einem neuen Risiko gezählt werden, er betrifft global alle Menschen auf der Erde, kann nur selten mit den Sinnen erkannt werden und alle Teile des Klimawandels resultieren aus dem modernen Fortschritt.

(Beck 2016)

Doch wenn die neuen Risiken nicht sichtbar sind und ein latentes Erschei-nungsbild haben, wie werden sie dann dennoch für uns als Gefährdung sichtbar? Hier kommt, laut Beck die Wissenschaft bzw. die Naturwissen-schaft ins Spiel. So bestimmt die WissenNaturwissen-schaft beispielsweise welcher Stoff und in welcher Menge dieser für die Menschen schädlich ist. Die Wissen-schaft bekommt dadurch eine Art Schlüsselposition, Ulrich Beck sieht dies aber nicht etwa positiv, sondern kritisiert dies auch stark in seinem Buch.

Beck sieht hier den Fehler im Umgang mit Risikomessungen, erfordert hier mehr den Einbezug einzelner Menschen und nicht die Pauschalisierung al-ler. Er ist also dafür mehr die Menschen in die Wissenschaft einzubeziehen und sie zu Themen direkt zu befragen als allgemein über sie zu sprechen.

„Eine natur- und produktorientierte Schadstoffanalyse ist nicht in der Lage, die Unbedenklichkeitsfrage zu beantworten, jedenfalls solange Bedenklich-keit oder UnbedenklichBedenklich-keit etwas mit dem Menschen zu tun hat, die das Zeug schlucken, einatmen.“ (ebd., S. 34)

Dennoch fungiert die Naturwissenschaft in der Risikogesellschaft als Wahr-nehmungsorgan, durch Theorien, Experimente und Messinstrumente wer-den die Gefährdungen erst überhaupt sichtbar. Aussagen über Risiken be-inhalten im Wesentlichen immer eine theoretische, als auch eine normative Komponente, d.h. sie sind nicht auf reine Tatsachenaussagen reduzierbar.

Was Beck damit sichtbar machen möchte ist, dass eine reine Feststellung von beispielsweise Pestizide in Muttermilch keine zivilisatorische Gefähr-dungslage im Generellen darstellt. Erst wenn diese Erkenntnis mit einer kausalen Deutung verbunden wird, welche deutlich macht, dass dies eine Nebenfolge von Modernisierungsprozessen ist, wird es zu einem Risiko.

Erst wenn also eine normative Komponente und eine kausale Deutung

18 zusammenkommen, wird das Problem von der Gesellschaft als Risiko ge-sehen. Es zeigt sich, dass die neuen Risiken ortsspezifisch aber auch spezifisch universell auftreten können. Des Weiteren wird deutlich, wie un-beständig und ungewiss die Wege der Schadensentwicklung sind. Es wird hier nun also inhaltlich-sachlich, räumlich und zeitlich Getrenntes kausal zu-sammengebracht und in einen sozialen und rechtlichen Verantwortungszu-sammenhang eingegliedert. Vermutungen zur Beziehung von Ursache und Wirkung sind aber theoretisch und entziehen sich prinzipiell menschliche Wahrnehmung. Die Theorie muss also ohne wirkliche praktische Beweise geglaubt werden. Ein Risiko wird also von der Wissenschaft durch die The-orie als Gefährdungslage eingestuft, dies muss von uns Menschen geglaubt werden. Nimmt man nun den Klimawandel als Beispiel bedeutet dies, dass dieser von der Wissenschaft durch verschiedene Forschungen als Gefahr eingestuft wird. Wir Menschen können nun diese Theorie zum Klimawandel glauben und Maßnahmen treffen damit das Risiko nicht eintrifft oder wir leugnen die Theorie und warten, ob die Wissenschaft mit ihren Vermutun-gen richtig liegt. (Beck 1989)

Die Risikofeststellung kann nicht nur rein theoretisch stattfinden, sondern ist immer mit anderen Bereichen verbunden. So fließen auch eigene Werte und Interessen in den Prozess der Risikodefinition ein, je nach Standort, Auftraggeber und Bereich sind andere Faktoren zentral und beeinflussen die Definition mehr. Bei der Diskussion was nun Risiko ist und was nicht,

„werden die Risse und Gräben zwischen wissenschaftlicher und sozialer Rationalität im Umgang mit zivilisatorischen Gefährdungspotenzial deut-lich.“ (Beck 2016, S.39) Doch auch wenn sich beide Rationalitäten immer mehr auseinander bewegen, sind sie trotzdem immer noch miteinander ver-bunden und aufeinander angewiesen. Ulrich Beck macht diese wider-sprüchliche Aussage durch folgenden Satz anschaulich: „Wissenschaftlich ohne soziale Rationalität bleibt leer, soziale ohne wissenschaftliche Ratio-nalität blind.“ (Beck 2016, S.40)

Die Offenheit bei der Risikodefinition und die verschiedenen Einflüsse auf die Wissenschaft stehen einander gegenüber. In der Risikogesellschaft gibt

19 es daher keine einheitliche Interpretation, was eine Gefährdung ist und was nicht. Ein Unternehmen beispielsweise nutzt die Risikodefinition als Werk-zeug, um von selbst produzierten Gefährdungen abzulenken und diese im Vergleich von anderen produzierten Risiken verharmlosen bzw. zu beschö-nigen. Es ist also festzuhalten, dass die Reichweite, Dringlichkeit und Exis-tenz von Risiken sich je nach Wert- und Interessensvielfalt verändern.

Durch die Komplexität der Risiken ist es schwierig einen einzigen Akteur für ein bestimmtes Risiko verantwortlich zu machen. Je nach Lage können sich die Akteure eine Definition quasi aussuchen, die es ermöglicht die eigentli-che Verantwortung zu leugnen und bietet die Grundlage für das weitere Handeln. (ebd.) Nach Beck liegt genau hier der Systemgedanke der Risiko-gesellschaft: „Man kann etwas tun und weitertun, ohne es persönlich ver-antworten zu müssen.“. (Beck 2016, S.43) In der Risikogesellschaft ist also jeder Einzelne verantwortlich und auch wieder keiner, es wird physisch ge-handelt, ohne moralisch oder politisch zu handeln. Werden Risiken produ-ziert, wird diese Produktion legitimiert, indem diese den Status der latenten Nebenfolge bekommen. So gibt man die Gefährdung zwar zu, macht aber deutlich, dass man sie weder beabsichtigt noch vorhergesehen hat. „Das Denkschema der „latenten Nebenfolge“ steht also für eine Art Freibrief, ein zivilisatorisches Naturschicksal, das vermeidbar Folgen zugleich einge-steht, selektiv verteilt und rechtfertigt.“ (ebd., S.45)

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass in der Risikogesellschaft eine Gefährdung erst anerkannt wird, wenn diese von der Naturwissenschaft in Verbindung mit allen Einflussfaktoren als solche definiert wurde. Außerdem muss das Risiko von der Gesellschaft als solches anerkannt werden. Erst wenn diese beiden Schritte passiert sind, wird das Risiko gesehen. Einen Schuldigen für ein bestimmtes Risiko gibt es nicht, da durch neue Definitio-nen immer andere Mitakteure gefunden werden könDefinitio-nen. Durch die „latente Nebenfolge“ legitimiert sich das ganze System und wird zu einem Kreislauf.

(Beck 1989)

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