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Verschiedene Herrschaftsformen

1.2. Theorien der politischen Entwicklung 1. Nationenbildung und Staatenbildung

1.2.2. Verschiedene Herrschaftsformen

„Herrschaftssystem“ ist nach verschiedenen Autoren119 der soziologische Begriff für politisches System. Der Begriff „Herrschaft“ selbst wurde durch Max Weber bekannt und soziologisch erklärt. Er betrachtet „Herrschaft“ – ebenso wie „Autorität“ – als Möglichkeit jedes Befehlenden, dass der von ihm ausgehenden Bestimmung von anderen gefolgt wird. „Herrschaft“ setzt also „ein bestimmtes Minimum an Gehor-chen wollen, also Interesse (äußerem oder innerem) am GehorGehor-chen“120 von den Be-herrschten sowie auch die Legitimität als die Grundlage der Herrschaftsausübung voraus, und beinhaltet „Macht“121 als die Möglichkeit, den eigenen Willen bei den anderen durchzusetzen. Soziologisch wird Herrschaft von Weber nach ihrer Legiti-mitätsart in drei reine Typen klassifiziert: „legale Herrschaft“, die aufgrund rationaler Bürokratie, sachlicher Kompetenz und fachlicher Fähigkeit des Herrschenden legiti-miert wird; „traditionale Herrschaft“, deren Legitimierung in der traditionalen (Her-kunft, Verwandtschaft und primordiale Beziehungen) und religiösen, mit dem Glau-ben an göttliche Fügung verbundenen Grundlage der Herrschaft liegt; und schließ-lich „charismatische Herrschaft“, die sich durch die Anmut, vorbildschließ-lichen Charakter oder beeinflussende Persönlichkeit des Herrschenden legitimiert.122

Die quantitative Typologisierung des Herrschaftssystems stellt die verschiedenen Staatsformen dar. Die antike Kategorie von Aristoteles unterscheidet zwischen Al-leinherrscher, „Herrschaft durch wenige“ und „Herrschaft durch viele“, und charakte-risiert sie in positiv und negativ bewertete Typen: Monarchie (Alleinherrschaft des Königtums) vs. Monokratie (Königtumherrschaft zum Nutzen des Monarchen), Aris-tokratie (Herrschaft durch die Besten oder durch den Adel) vs. Oligarchie (Herrschaft durch Wenige zum Vorteil der Reichen) und schließlich Politie (Volksherrschaft zum

119 Zum Beispiel bei Sommer, Gerlinde und Westphalen, Raban Graf von: Staatsbürger Lexikon. Staat, Politik, Recht und Verwaltung in Deutschland und der Europäischen Union, München 1999, S. 439;

Nohlen, Dieter: Wörterbuch Staat und Politik, 3. Aufl., München 1995, S. 252; Frevel, Bernhard: Po-litik und Gesellschaft. Ein einführendes Studienbuch, Baden-Baden 1998, S. 87f.

120 Weber, Wirtschaft, S. 122.

121 Ebenda, S. 542. Weber versteht Macht auch als „Sonderfall“ von Herrschaft, wobei „Macht“ auch ohne Legitimität erfolgen könne.

122 Ebenda, S. 124.

allgemeinen Nutzen; heute heißt sie Demokratie) vs. Demokratie (Herrschaft durch die Mehrheit zum Vorteil der Armen).123

Die gegenwärtige Politikwissenschaft erkennt nur drei Herrschaftssysteme an, die im 20. Jahrhundert vorkommen, nämlich das totalitäre, das autoritäre und das demo-kratische. Diese modernen Herrschaftssysteme sind wie auch die der Antike ideal-typisch. In der Praxis treten diese Systeme mit verschiedenen Abweichungen oder oft gemischt auf.

Das totalitäre Herrschaftssystem sieht den Staat als Zentrum aller gesellschaftlichen Lebensbereiche, die vom Staat ganz monopolisiert sind. Es zeichnet sich aus durch eine autoritäre und charismatische Führungsperson mit Führungskult, die oft brutale, terrorisierende Gewalt als Machtausdruck verwendet und ihre Machtausübung durch eine inszenierte Volksideologie legitimiert.124 Totalitäre Herrschaft unterscheidet sich von der autoritären dadurch, dass der Staat die Mehrparteienbildung sowie auch An-dersdenkende völlig ausschaltet. Autoritäre Herrschaft toleriert dagegen in begrenz-ter Weise den Inbegrenz-teressenpluralismus, z. B. durch die Bildung von Parteien oder Or-ganisationen, wobei Zensur, Kontrolle und Manipulation statt völliger Steuerung hier gebraucht werden, um die Gefahren für die Regierung auszuschalten. Auch findet bei autoritärer Herrschaft keine Gleichschaltung des Denkens durch eine absolute Staatsphilosophie und keine religiöse oder rassische Säuberung statt, was bei Totali-tarismus das Hauptmerkmal ist.125 Wenn beim totalitären Regime massive und weit-räumige Mobilisierung des Volkes als Mittel des Staates (z. B. NS-Regime und japa-nischer Imperialismus) angewendet wird, um ein bestimmtes Staatsziel zu erreichen, wird sie vom autoritären Regime oft vermieden, weil dadurch die verschiedenen, nicht komplett unterdrückten Interessen des Volkes sich treffen und aufeinanderpral-len, was das System wiederum gefährden könnte.126

123 Vgl. Aristoteles: Politik. Übers. u. mit erkl. Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes, 4. Aufl. mit e.

Einl. von Günther Bien, Hamburg 1981, S. 91.

124 Vgl. Friedrich, Carl Joachim und Brzenzinski, Zbigniew: Totalitarian Dictatorship and Autocracy, Cambridge 1956, S. 9f. und 24ff.

125 Ebenda, S. 7f.

126 Vgl. Frevel, S. 90.

Als totalitäre Regime werden das Dritte Reich, der italienische Faschismus, die Sow-jetunion und die afghanische Talibanregierung genannt. Das autoritäre Regime wird oft als Misch- oder Übergangsform vom totalitären System zur Demokratie gesehen, weil es einerseits den Charakter des Totalitarismus, wie den Einsatz einer erschaffe-nen Volksideologie und terrorisierende Politik zur Ausschaltung seines Feindes, be-sitzt, andererseits wie bei der Demokratie den Pluralismus trotz einiger Beschrän-kungen erlaubt. Autoritarismus kommt in verschiedenen Formen vor. Linz nennt hierzu sieben Typen:127

1. bürokratisch-militärischer Typ, der durch Militär geführt ist, das nicht fähig ist, ein regierungsloyales und stabiles System zu erzeugen,

2. autoritär-korporativer Typ, der den Interessenpluralismus zulässt, diesen wieder-um durch erzwungenen Kooperativismus beschränkt, wieder-um Konflikte zu vermeiden (Spanien unter Franco oder Portugal in der Salazar-Zeit),

3. mobilisierender postdemokratischer Typ, der sich durch charismatische bzw. tradi-tionelle Autorität legitimiert und die Partizipation des Volkes zur Unterstützung sei-nes Regimes durch eine demokratische Struktur gewährt, jedoch die allgemeine Freiheit begrenzt,

4. mobilisierender nachkolonialer Typ, der durch koloniale willkürliche Zusammenfü-gung verschiedener Regionen von ethnischen, religiösen und regionalen Unter-schieden seines Volkes gekennzeichnet ist, und dadurch Mobilisierung zur Förde-rung der Einheit im Staatenbildungsprozess benutzt,

5. rassisch und ethnisch demokratischer Typ, der sein demokratisches Prinzip be-grenzt auf eine bestimmte Rasse oder Ethnie gelten lässt, wobei die Andersaus-sehenden bzw. Anderssprechenden von der politischen Partizipation und Gerech-tigkeit unberührt bleiben (Südafrika vor 1994, Rhodesien),

6. unvollständig totalitärer und prätotalitärer Typ, der sich entweder von einem de-mokratischen System in den Totalitärismus bewegt, wie etwa das Dritte Reich in seiner ersten Herrschaftsphase, oder dessen Entwicklung in Richtung Totalitaris-mus aufgehört hat, zum Beispiel Spanien gleich nach dem Bürgerkrieg, und

7. posttotalitärer Typ, der sich nach einem totalitären Herrschaftssystem in Richtung Demokratie entwickelt, z. B. DDR, Rumänien, Ex-Sowjet-Staaten.

127 Linz, Juan J.: Autoritäre Regime, in: Nohlen, Dieter: Wörterbuch Staat und Politik, München 1995, S. 41f.

Die demokratische Herrschaft wird von allen als die idealste bezeichnet. Anders als beim aristotelischen Demokratiebegriff handelt es sich hier um die Demokratie als Produkt der Moderne. Wenn sie dort für die Rechte der Unterschichten kämpft, be-deutet sie hier Volksherrschaft, was Abraham Lincoln als „Herrschaft von dem Volk, durch das Volk und für das Volk“ nennt.128 Kennzeichnend für die Demokratie ist die Gewährleistung der Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen durch funktio-nierende Rechtstaatlichkeit, Rede-, Presse-, und politische Freiheit, breite politische Beteiligung der Massen durch faire Wahlen sowie durch Parteien- und Organisati-onsbildung als Zusammenfluss und Ausdruck verschiedener Volksinteressen, exis-tierender Regierungswechsel und freier Parteienwettbewerb. Die Demokratie soll das Prinzip der Rechtsgleichheit und der politischen Chancengleichheit, das Mehr-heitsprinzip, das Prinzip des relativen Wahrheitsanspruchs der herrschenden Regie-rung, was den Regierungswechsel bedingt, und schließlich funktionierende Gesetze als Ergebnis eines gelungenes Mehrheitsprinzips beinhalten.129 Der Grundstock der Demokratie beruht auf der Beeinflussbarkeit der politischen Entscheidungen durch die Bürger, also die aktive politische Beteiligung, so dass Demokratie die Volkssou-veränität reflektiert.