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Das Ende der Diktatur

Im Dokument am Beispiel der Entwicklung Indonesiens (Seite 196-200)

der indonesischen Gesellschaft

6.3. Das Ende der Diktatur

Seit Anfang Februar 1998 nahmen die Studentendemonstrationen in Indonesien zu.

Das Militär versuchte, die Demonstranten und Oppositionellen einzuschüchtern, wo-bei die NRO- und studentischen Aktivisten sowie die Führer der illegalen Parteien, der PDI Perjuangan und der PRD, entführt und nach brutalen Verhören und Folte-rungen wieder freigelassen wurden. Das machte die Aktionen nur noch geschlosse-ner und umfassender, da sie nun die Unterstützung von Hochschullehrern und von

34 Siehe Vatikiotis, a.a.O., S. 79ff. 82-89.

35 Vgl. Interview Gus Dur durch Adam Schwarz, in: Schwarz, a.a.O. S. 176 und Ramage, Douglas E.:

Politics in Indonesia. Democracy, Islam and the Ideology of Tolerance. London, 1995. S. 142ff.

36 Siehe zur Interpretation von Webers Theorie der Rationalisierung des Mittelstandes Robison, Rich-ard: Problem of Analysing The Middle Class As a Political Force in Indonesia, in: Tanter, Richard und Young, Kenneth (ed.), S. 128-130.

verschiedenen Opponenten Soehartos bekamen. Die Besetzung des Kabinettes durch umstrittene Vertraute Soehartos und Familienmitglieder im März 1998 sowie die Steigerung des Ölpreises Anfang Mai 1998 führten zu einer weiteren Imagever-schlechterung der Regierung. Die Studentenproteste konnten mehr und mehr Un-terstützung aus den städtischen Unterschichten und Mittelschichten gewinnen.

Denn durch die Massenentlassungen infolge der mit der andauernden asiatischen Krise verbundenen Firmen- und Bankenschließungen konnten sie ihren Unterhalt nicht mehr sichern. Die Legitimierung ihrer Aktionen machte die Studenten mutiger und ihre Proteste schärfer. Die Zusammenstöße mit Antidemonstrationstruppen nahmen an Umfang und Intensität zu. Sie erreichten am 12. Mai 1998 ihren Höhe-punkt, als vier Studenten aus der größten christlichen Universität Indonesiens, Uni-versität Trisakti, und zwei andere Studenten getötet wurden.37

Der Tod der Studenten, die für die breite Bevölkerung als Symbole für die reine Be-wegung für Gerechtigkeit und politische Reformen galten, löste die Wut der Massen aus. Als der Präsident sich am 9. Mai 1998 auf eine Dienstreise nach Kairo begab, wurden die Massendemonstrationen größer und nicht mehr kontrollierbar. Am 14.

und 15. Mai 1998, als die Studenten friedliche Solidaritätsaktionen für ihre getöteten Kommilitonen durchführten, stürmte, plünderte und zerstörte die wütende Masse in Jakarta, Tangerang, Bekasi und Solo Geschäfte und Häuser der Reichen und der Chinesen. Die Soldaten und Polizisten schienen machtlos gegen den Massenan-sturm und schauten den Verwüstungen nur zu.38 Dabei wurden 1.200 Menschen getötet (meist verbrannt), Hunderte verletzt, und Dutzende Frauen, meistens

37 Die sogenannte Antiunruhentruppe, Pasukan Anti Huru Hara, benutzte Wasserwerfer und Gummi-geschosse. Am 12. Mai 1998 wurden jedoch scharfe Patronen im Körper der getöteten Studenten gefunden. Die meisten Analysen deuteten darauf hin, dass die Schüsse aus einer anderen Rich-tung als von der den Studenten gegenüberstehenden Antiunruhentruppe kamen. Die politischen Beobachter vermuten, dass eine zweite Militärgruppe darin verwickelt gewesen sein könnte, die daran interessiert war, dass sich die Situation zuspitzte.

38 Vermutlich wurden die Unruhen durch eine organisierte (Militär)Gruppe initiiert (Vgl. z. B. Analyse Ariel Heryanto in: The Jakarta Post, 15.07.1998 und Republika, 28.08.1998, „Sutiyoso: Ada Agitator Kerusuhan Mei“). Generalleutnant Prabowo Subiyanto, Soehartos Schwiegersohn, wurde dafür und auch für die Entführung der Pro-Demokratie-Aktivisten verantwortlich gemacht. Vgl. z. B. Zeitung Waspada, 13.08.1998, „Prabowo Mengaku Buat Kesalahan“ sowie ein Artikel in ders., 03.08.1998,

„Amien: Prabowo Jangan Sembunyikan Fakta“.

sischer Abstammung, vergewaltigt.39 Der Sachschaden wurde auf ca. 250 Millionen Dollar geschätzt.40 Da Soeharto, der am 15. Mai 1998 aus Ägypten zurückgekehrt war, nicht zurücktreten wollte, sondern mit einer Erklärung über eine geplante Kabi-nettsneubesetzung reagierte, belagerten die Studenten die Volksversammlungsge-bäude und planten zusammen mit Amien Rais die größte Massenkundgebung für den 20. Mai 1998, den Tag des Nationalen Aufstands. Wegen der Drohung des Mili-tärs, daraus ein Massenblutbad wie in Tiananmen in Peking zu machen, wurde die Massenversammlung abgesagt. Nachdem der Vorsitzende der Volksversammlung, Harmoko, ein enger Freund Soehartos, ihn zwei Tage zuvor öffentlich um den Rück-tritt gebeten hatte, legte Soeharto am Abend des 21. Mai 1998 sein Amt nieder.

Die politische Erklärung für den Zusammenbruch der Neuen Ordnung ist, dass Soe-harto am Ende seiner Herrschaft keine politische Unterstützung mehr von den Mili-tärs und keine wirtschaftliche von den indonesischen Unternehmern chinesischer Herkunft bekam. Internationaler Druck kam von der Seite des IWF, der Soehartos Regierung keine sofortige Hilfe zusagte, sodass die Wirtschaftskrise und ihre sozial-politischen Folgen eskalierten. Die Studentenbewegung konnte die politische Re-form erzwingen, weil sie Unterstützung von politischen und vor allem militärischen Opponenten Soehartos fand. Die sozialpolitischen Unruhen wurden absichtlich von einer bestimmten politischen Gruppe, die die Absetzung Soehartos wünschte, unbe-herrschbar gemacht, um die Situation zu verschlimmern. Die politischen Analytiker vermuten dabei, dass die Armee hinter den Kulissen im Spiel war.41

Der Fall der Neuen Ordnung hat Ähnlichkeiten mit dem Ende der Alten Ordnung Soekarnos. Beide Diktatoren wurden von der Wirtschaftskrise, von sozialpolitischen Unruhen mit einer großen Zahl von Todesopfern und von Studentenprotesten zum Rücktritt gezwungen. Im Hintergrund spielte die Unterstützung des Militärs eine wichtige Rolle, wobei die Spaltung des Militärs in Pro- und

39 Quelle: TGPF: Laporan Akhir Tim Gabungan Pencari Fakta Peristiwa Tanggal 13. – 15.05.1998, Ringkasan Eksekutif, 23.10.1998, Bab IV (Exekutive Zusammenfassung vom Abschlussbericht der Gemeinsamen Gruppe von Faktensuchern, TGPF, vom 23. Oktober 1998, Kapitel 4).

40 Vgl. Kompas, 19.05.1998, „Kronologi Krisis“.

41 Vgl. z. B. Eklöf, Stefan: Indonesian Politics in Crisis. The Long Fall of Suharto, 1996-98, Copenha-gen 1999, S. 189-197.

Regierungsgruppen und die Rivalität zwischen ihnen zu einer wirksamen politischen Veränderung führte. Die Soziologie sieht jedoch mehr Unterschiede als Ähnlichkei-ten zwischen beiden Fällen. Die Hauptunterschiede liegen im sozialkulturellen Ent-wicklungstand der Bevölkerung, bei der damit verbundenen Legitimierung des Re-gimes und schließlich bei der Anti-Regime-Bewegung.

Als in den 60er Jahren Soekarno von seinem Amt abgelöst wurde, waren die Indo-nesier überwiegend analphabetisch (60 %) und ohne Grundausbildung (75 %). Der Mittelstand, gemessen an der Bevölkerung mit Ober- und Hochschulabschluss, be-trug am Anfang von Soehartos Herrschaft gerade einmal 2,3 %. Für den größten Teil der Bevölkerung zählte bei der Auswahl der Leitfigur weniger dessen politisches Programm, seine politische Ausbildung und seine demokratischen oder autoritären Neigungen als sein wibawa dan kebijaksanaan (Charisma und Weisheit). Der Füh-rungswechsel 1965 war nicht aus der Unzufriedenheit der Bevölkerung und dem Wunsch nach einem anderen politischen System hervorgegangen, das nicht mehr diktatorisch war. Die breite Masse hatte Soekarno immerhin als ihren Führer noch gewollt und hatte kein Problem mit seinem Führungsstil. Der Militärputsch wurde dadurch von den Indonesiern (zwangsweise) legitimiert, dass sie Angst vor dem Mili-tär und wütenden islamistischen Jugendlichen hatten, die – manipuliert von Soehar-tos Armeegruppe – zusammen mit den Soldaten hunderttausende Anhänger der Kommunistischen Partei, PKI, und der chinesischen Minderheit, töteten. Soeharto wurde als Nachfolger von Soekarno akzeptiert, da er sich durch seine Quasi-Heldentat als Retter der indonesischen Nation vor dem Kommunismus und vor der korrupten Regierung Soekarnos von den (falsch informierten) Studenten feiern ließ.

Vor allem aber sein Charme und seine freundliche Art machten ihn bei den Indone-siern beliebt. Seine autoritäre und feudale Art störte die Bevölkerung weniger als die Studenten und die andere politischen Eliten, zumal die indonesische Mehrheit an ein (koloniales) diktatorisches politisches System und an einen revolutionären Zustand gewöhnt war.

Der Zusammenbruch von Soehartos Neuer Ordnung war dagegen eine Veränderung des politischen Systems, die gewollt war, wenn nicht von der Mehrheit der Bevölke-rung, so doch von einer breiteren Masse aus dem Mittelstand, aus den Unterschich-ten sowie auch aus der politischen Elite und einem Teil der Armee. Die

Unzufrie-denheit der Bevölkerung mit der feudalen, autoritären und terroristischen Herrschaft der Neuen Ordnung sowie mit einem nepostistischen und korrupten Wirtschaftssys-tem und der dadurch verursachten High cost economy war die Hauptursache des Sturzes von Soehartos Regierung. Dabei ist der Wille der Bevölkerung zu einer Wandlung von der Diktatur zur Demokratie und zu einer Demilitarisierung sowie für die Professionalisierung des Militärs groß. Hier geht es, anders als 1965, um das Bewusstsein der Indonesier für die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Effizienz, der Ab-schaffung der Korruption, der Professionalität der Arbeitskräfte und des damit ver-bundenen gründlichen Systemwechsels, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Po-litik, um die Entwicklung voranzutreiben. Der Beweggrund des Führungswechsels 1998 war also, anders als 1965, zweckrationalistisch, was mit der Steigerung des allgemeinen Bildungsniveaus zusammenhängt. Die Zahl derjenigen, die nicht lesen und schreiben können, betrug in den 90er Jahren nur noch 8 %. Die Zahl der Er-werbstätigen mit mindestens sekundärer Ausbildung hingegen belief sich jetzt auf rund 30%.

Wie bereits in früheren Abschnitten dieses Kapitels gezeigt wurde, besteht innerhalb der Träger der indonesischen Entwicklung, dem Mittelstand, also bei circa 21 % der Bevölkerung, sowohl aus zivilen als auch aus militärischen Kreisen, der Wunsch nach mehr Professionalität und Effizienz, was die Rationalisierung der Arbeit und deren Säuberung von Korruption und Bestechung bedeutet. Das Engagement von Generalleutnant Agus Wirahadikusumah, Korruption im Militär aufzudecken ist z. B.

ein Beweis dafür.42 Der Mittelstand interessiert sich also mehr für die wirtschaftliche Entwicklung als für die Teilnahme an der Politik.43 Der Bedarf nach einem rationalen und liberalen Arbeitsverhältnis in der Wirtschaft führte zur Ablehnung des feudalen und autoritären Politiksystems. Hier wurde also ein passendes politisches System benötigt, um das Bedürfnis der wirtschaftlichen Entwicklung zu erfüllen. Die Demo-kratisierung geht in diesem Fall also von der wirtschaftlichen Entwicklung aus, und nicht umgekehrt.

42 Siehe über Wirahadikusumah in der Zeitschrift Tempo, No. 22/XXIX/ 31.07.– 06.08.2000, „Agus Wirahadikusumah: ’Ini Pertarungan Yang Berat’“ und „Pati Geni Jenderal Wirahadikusumah“. Er wurde im Juli 2000 von seinem Amt als Befehlshaber der Kostrad, dem Strategischen Kommando der Armee, abgesetzt und starb am 30. August 2001 an einem Herzinfarkt. Viele vermuten, dass sein Tod mit seiner „terlalu berani“, „zu mutigen“ Handlung zu tun hat.

43 Siehe Kap. 6.1. Im Kreis der Soldaten mehren sich die Stimmen gegen Dwi Fungsi, die Doppelrolle des Militärs im sozialen und politischen Bereich. Vgl. außerdem Interview Tempo mit Majorgeneral Agus Wirahadikusumah in Tempo Edisi 30.09.1999, „Mayjen TNI Agus Wirahadikusumah: ‚Domi-nasi ABRI Itu Terlalu Jauh’“.

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