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Periode der „Reformation” (1998 – jetzt)

Im Dokument am Beispiel der Entwicklung Indonesiens (Seite 101-105)

2.3. Politischer Entwicklungsgang nach der Unabhängigkeit

2.3.4. Periode der „Reformation” (1998 – jetzt)

Habibie übernahm von Soeharto einen Staat mit einer sowohl wegen der Asienkrise als auch wegen der Zerstörung, Plünderung und Ermordung bzw. Vertreibung der wichtigsten (chinesischen) Wirtschaftsakteure kaputten Wirtschaft und mit einer labi-len politischen und inneren Sicherheit. Von Anfang an schätzte man ihn wenig, da er erstens als der Ziehsohn Soehartos bekannt war und wie Wiranto bereits beteuert hatte, er könne auch weiterhin „die Ehre Soehartos und seiner Familie” nicht verlet-zen. Mit anderen Worten, er durfte keine andere Politik machen, als diejenige, die von Soeharto – und den anderen alten Machthabern – auch gewollt war. Außerdem hatte Habibie als ziviler Technokrat auch keinen Einfluss auf das Militär, das im Grunde allein sowohl die politische als auch wirtschaftliche Macht über Indonesien besessen hatte. Er konnte jedoch zwei politisch bedeutende Entscheidungen durch-setzen: die Befreiung Osttimors und den Parteienwettbewerb bzw. die nach drei Jahrzehnten freieste und fairste Volkswahl.

Die von der Übergangsregierung versprochene Neuwahl fand am 7. Juni 1999 statt.

Noch nie waren die Indonesier mit so vielen Parteien konfrontiert gewesen. Insge-samt wurden 48 Parteien nach dem neuen Parteigesetz für die Volkswahl zugelas-sen. Die Gewinner dieser Volkswahl waren die alten Parteien, jedoch in einer ande-ren Reihenfolge.80 Die Demokratische Partei Indonesien-Kampf (PDI-Perjuangan) mit ihrer Präsidentenkandidatin, Megawati Soekarnoputri, hatte die meisten Stimmen (33,76 %) gewonnen, konnte aber keine absolute Mehrheit im Parlament bilden.

Golkar folgte ihr mit 22,46 % dank des Einsatzes der Dorfvorsteher, die den von der schnellen politischen Wende unberührt gebliebenen Dorfbewohnern nach der

79 Vgl. Kompas, 22.05.1998, „BJ Habibie Minta Dukungan Rakyat”.

80 Siehe zu dem Ergebnis der indonesischen Volkswahl Kompas, 27. Juli 1999 und The Jakarta Post, 27. Juli 1999.

tion der Neuen Ordnung immer noch empfahlen Golkar zu wählen, während die Ver-einigte Entwicklungspartei (PPP) als Vierte 10,72 % der Stimme erhielt. Die neuen favorisierten Parteien, die Nationale Auferstehungspartei (PKB) mit Abdurrahman Wahid und die Nationale Mandatspartei (PAN) mit Amien Rais als deren Führer, die durch ihren Einsatz gegen die Machthaber der Neuen Ordnung populär geworden waren und als die Gewinner der Wahl eingeschätzt worden waren, besetzten nur den dritten und fünften Platz von der Gesamtsumme der Stimmen mit 12,62 % und 7,12 %. Bei der Wahl des Regierungschefs in der Beratenden Volksversammlung (MPR) wurde am 20. Oktober 1999 Abdurrahman Wahid aus den drei Kandidaten von den Wahlgewinnern als Präsident gewählt. Megawati Soekarnoputri, die von Wahid’s Partei vorgeschlagen wurde, konnte einen Tag später Hamzah Haz von der Vereinigten Entwicklungspartei (PPP) bei der Vizepräsidentenwahl schlagen.81

Die Massen und die meisten Politiker bzw. die politische Elite waren zufrieden mit dem neuen Präsidenten und seiner Vizepräsidentin. In der Tat waren die beiden Staatsführer die besten, die Indonesien sich in dieser Zeit wünschen konnte. Von Abdurrahman Wahid, dem Führer der größten Moslemorganisation, NU, der seit Soehartos Herrschaft immer wieder versucht hatte, verschiedene religiöse und politi-sche Strömungen zu harmonisieren, ist seine Bepoliti-scheidenheit, Toleranz, Einsichtig-keit und sein Einflussvermögen in den Parteien und Gesellschaftsgruppen, bei Ar-meeoffizieren und besonders unter den Muslimen bekannt. Deshalb hoffte man, dass er als Bindeglied für die zu Separation neigende Gesellschaft Indonesiens fun-gieren und die Demokratisierung Indonesiens vorantreiben könnte. Megawati Soe-karnoputri, die aus dem nationalistischen und säkularistischen Kreis kommt, ist we-gen ihres Charismas und ihrer Nähe zum Volk unter den „kleinen Leuten”, den säku-laristischen und Nicht-Muslimen sehr beliebt. Dies ist der Grund für ihren starken Einfluss in diesem Kreis, was die indonesische Führung gegenwärtig auch benötigt.

Mit dem weniger traditionalen, den städtischen und intellektuellen Kreis vertretenden, politisch gebildeten und Föderalismus anstrebenden Amien Rais als Chef der Bera-tenden Volksversammlung, wurde die politische Führungsriege vervollständigt.

81 Vgl. Tempo, No. 34/XXVIII/ 25. – 31. Oktober 1999.

Die neue demokratisch gewählte Regierung und die Volksvertreter mussten jedoch die anfängliche Euphorie schnell gegen harte Arbeit und die daraus entstandenen Enttäuschungen umtauschen, denn das neue reformierte Gesicht Indonesiens ist von gewalttätigen zwischenreligiösen bzw. zwischenethnischen Konflikten, politi-schen Widerständen und Demonstrationen – als Ausdruck eines neuen Erregungs-zustandes der politischen Freiheit – gezeichnet . Außerdem kämpft es sozialökono-misch mit einer kaputten Infrastruktur, mit einer ehemals unter der Führung von chi-nesischen Konglomeraten und dem Soeharto-Clan funktionierenden Wirtschaftstruk-tur, die nun aber in der Krise ist, und dem daraus resultierenden staatlichen Haus-haltsdefizit, sowie mit dem Verschuldungsdruck sowohl auf staatlicher als auch auf privatwirtschaftlicher Ebene.

Unter der Führung der Wahid-Regierung wurde die Rolle des Militärs schrittweise reduziert und die Redefreiheit gewährleistet; er befürwortete sogar die Abschaffung des Verbotes des Sozialismus-Kommunismus in Indonesien,82 der seit fast 40 Jah-ren als ein Tabu galt. Jedoch sorgten die Unstimmigkeiten in seiner Regierung und die damit verbundene Unfähigkeit der Regierung, die schwerwiegenden und kompli-zierten politischen wie auch die Sicherheitsprobleme Indonesiens zu bewältigen, so-wie sein mutiger, aber für die Opposition zu radikaler Ansatz, die Freiheit in Indone-sien zu maximieren wie auch die alte Machtstruktur abzuschaffen, für seine Abset-zung.83 Am 23. Juli 2001 wurde er durch Megawati, die man damals als politisch unfähig und als (von der Opposition) steuerbar einschätzte, abgelöst. Innerhalb

82 Dies löste jedoch bei vielen, besonders bei der Armee Ressentiments gegen ihn aus, was unter anderem zu seiner Ablösung von der Präsidentschaft führte.

83 Wahid wurde unter anderem Folgendes von der Volksversammlung (MPR) vorgeworfen: 1) Das von ihm als durchführbar verordnete – jedoch bis zum Ende nie erlassene – Dekret zur Auflösung der Volksversammlung und die daraus resultierende, mögliche Wiederwahl haben „die politische Situa-tion, Sicherheit und Ordnung des Landes” verschlechtert. 2) Die Ersetzung des generellen Polizei-chefs im September 2000 ohne Zustimmung der Volksversammlung; 3) Festnahme und Verhör der politischen Opposition; 4) Unzulängliche Maßnahmen gegen Unabhängigkeitsbewegungen in West-papua, Aceh und Riau, sowie gegen brutale ethnische bzw. religiöse Unruhen in Zentralborneo und Ambon; 5) Billigung verschiedener Unternehmungen zur Ablösung der Golkar-Partei (Demonstratio-nen und Gerichtsverhandlungen gegen die Golkar-Partei wegen Korruption und Ungerechtigkeit in der Periode der Neuen Ordnung); 6) Unzulängliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft; 7) Verschiedene kleinere Verletzungen des Grundgesetzes sowie des Versammlungsverfahrens. Der Anlass zur Einberufung Wahids zur offiziellen Stellungnahme vor der Versammlung war jedoch die Anklage, er stände in Beziehung mit dem Korruptionsfall von Bulog, dem staatlichen Körper zur Nahrungsmittelverteilung, und des Sultans von Brunei. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass jeder Politiker immer mit irgendeinem Korruptionsfall verbunden sei. Die Ermittlung in diesen Fällen sei jedoch politisch bedingt.

nes Jahres konnte die Megawati-Regierung auch nicht mehr als Wahid gegen die wirtschaftlichen und politischen Probleme und die Sicherheits- und Ordnungssituati-on unternehmen. Die Lage spitzte sich sogar nach dem 11. September 2001 zu, da von innen gewalttätige Demonstrationen und Aktionen der radikalisierten Muslime gegen hellhäutige, besonders aber amerikanische Ausländer zunahmen und für die Beendigung der diplomatischen Beziehungen mit den USA und für die Übernahme der Scharia als Staatsverfassung plädiert wurde. Von außen drohten Wirtschafts-sanktionen, vor allem aber die Absage der versprochenen Hilfe vom IWF, wenn die indonesische Regierung die Lage nicht unter Kontrolle halten könnte. Erfolgreich war nur die Zustimmung der Volksversammlung zur Änderung des demokratiewidrigen Grundgesetzes von 1945, UUD’45

Im Dokument am Beispiel der Entwicklung Indonesiens (Seite 101-105)