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Demokratisierung als postmodernes Phänomen

1.3. Die Spannungen zwischen gesellschaftlicher und politischer Entwicklung 1. Der Sonderfall der Postkolonialgesellschaften

1.3.3. Demokratisierung als postmodernes Phänomen

Der Verlauf der politischen Entwicklung erfolgt nach Inglehart vom religiös oder tradi-tionell legitimierten Herrschaftssystem mit auf Religion gestützter absoluter

156 Vgl. ebenda, S. 72.

157 Ebenda, S. 71.

158 Ebenda, S. 73.

159 Siehe ausführlich ebenda, S. 78-81.

rungsmacht in der traditionellen Gesellschaft, über rational anerkannte, bürokrati-sche und meist zentralisierte Staatssysteme mit rational gewählter Führungspersön-lichkeit in der modernen Gesellschaft; darauf folgt schließlich ein sich auf Demokra-tie stützendes, Partizipation förderndes, jedoch immer mehr an Autorität verlierendes Staatssystem mit unbedeutend gewordener Führungsrolle in der postmodernen Ge-sellschaft.160 Die politische Entwicklung werde von dem Sicherheitsgefühl der Men-schen und somit auch von ihrer Wirtschaftslage beeinflusst.

In der traditionalen, vorindustriellen Gesellschaft, wo extreme Unsicherheit über die Menschen herrscht, nicht nur durch knappe Nahrung und Krankheiten, sondern auch durch Überfälle und Kämpfe um Nahrung und Nahrungsquellen, würden die Men-schen etwas brauchen, was ihnen ein sicheres Gefühl und Geborgenheit geben kann.161 Die Religion könne diese Funktion erfüllen, da sie den Menschen, die in der statischen Umwelt ihr Leben nicht ändern können und das Schicksal akzeptieren müssen, Hoffnung auf ein besseres (jenseitiges) Leben mache. Wegen der ständi-gen Gefahren suchen die Menschen außerdem nach Autoritätsfiguren, die das Gött-liche widerspiegeln, und hoffen, so aus dem Leiden geführt zu werden. Dies sei meist durch königliche oder religiöse Führer erfolgt.

In der frühen modernen Gesellschaft kämen die säkularen Ideologien neben der all-mählich an Bedeutung verlierenden Religion als Überzeugungssysteme hinzu. In solchen Gesellschaften, deren Entwicklungsjahre noch zur Vormoderne zählen, sei die Unsicherheit der Menschen noch vorhanden, obwohl nicht so extrem wie bei der traditionellen Gesellschaft. Wenn eine solche moderne Gesellschaft in der An-fangsphase in eine politische oder wirtschaftliche Krise gerät, neigt sie laut Inglehart dazu, sich wie die traditionelle Gesellschaft zu verhalten, indem sie starke,

160 Vgl. Inglehart, a.a.O., S. 48f. und 111.

161 S. ebenda, S. 60, 66. Ingleharts These beruht darauf, dass die Menschen in einer unsicheren Um-welt ein Überzeugungssystem brauchen, das Ereignisse erklären kann und durchschaubar macht, Problemlösungen und Lebensstrategien bietet und den Menschen hilft, mit Stress fertig zu werden.

Als Überzeugungssystem dienen Religion und säkulare Ideologien (S. ebenda, S. 59f.)

tische, jedoch diesmal säkulare162 Führer unterstützt.163 Dies führt dann zur Bildung der diktatorischen Herrschaft .

Damit versucht Inglehart, das Phänomen der zahlreichen autoritären Regime in den nicht mehr als traditionell bezeichneten Gesellschaften – wie etwa in der deutschen oder japanischen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg oder in manchen Entwick-lungsgesellschaften heute – zu erklären. Hier geht es nach ihm um mehr als nur darum, warum die (von der Bevölkerung gewählten) Führer zur autoritären Haltung neigen, sondern es handelt sich vor allem darum, warum die Bevölkerung solche Führer bevorzugt – denn immerhin kommt ja ein politischen System erst zustande, wenn es von der (Kultur der) Bevölkerung legitimiert wird.164 Für Inglehart hat es mit dem Sicherheitsgefühl zu tun, das mit dem Wohlstand stark verbunden sei. Bei ei-ner Gesellschaft, die noch um ihre Existenz fürchtet und sich noch unsicher fühlt, könnten die demokratischen Werte und Systeme nicht überleben. Aber sobald diese Gesellschaft einen längeren, stabileren Wohlstand erlebt habe und nicht mehr um ihre Existenz kämpfen müsse, beginne sie sich über andere Dinge als die Existenz-sicherung zu kümmern, wie seelische Zufriedenheit und Selbstverwirklichung. Im Bereich der Politik wolle man aktiver mitbestimmen, was dann die Erhöhung und In-tensivierung der Partizipation und letztendlich die Demokratisierung zur Folge haben könne.165 Diese Theorie stellt er in der Tabelle 1.1. dar.

Für Inglehart ist es insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung, die die Demokrati-sierung unterstützt und nicht umgekehrt.166 Die Wirtschaftsentwicklung bringt be-stimmte sozialstrukturelle und kulturelle Veränderungen mit sich, die das Überleben

162 Was Inglehart hier mit säkularen Führern meint, sind nicht mehr die aus religiösen, sondern aus rationalen Gründen legitimierten Führer. Das heißt aber nicht, dass sie qualifizierte Führer sind, sondern Führungsfiguren, die die Gesellschaft von ihren Fähigkeiten und ihrem Willen zur Verbes-serung der Situation überzeugen können.

163 Vgl. ebenda, S. 61.

164 Siehe Anm. 141.

165 S. ausführlich ebenda, S. 66-69, außerdem auch S. 62f.

166 Vgl. ebenda, S. 230f, 255f, 259f., 293 und 288f. Inglehart stützt diese Theorie mit der Tatsache, dass Industrialisierung und hohes Wirtschaftswachstum ebensogut mit einem nicht-demokratischen System (in der Sowjet Union und in den arabischen Ölländern) wie von einem demokratischem er-reicht werden können, die Demokratie aber nicht unbedingt das Wirtschaftswachstum fördert. In den postmodernen Gesellschaften, wo das Demokratieniveau am höchsten ist, findet sogar ein Rückgang des Wirtschaftswachstums statt.

der Demokratie begünstigen. Sozialstrukturell löst die ökonomische Entwicklung zunächst Industrialisierung und Urbanisierung aus, die dann später Alphabetisierung, Arbeiterorganisierung und Mobilisierung der Massen zur Beteiligung an der Politik fördern. Ferner erhöht sie das Einkommen, was schließlich zum Wohlstand, zum Aufkommen des Sicherheitsgefühls sowie zur Veränderung des Hauptzieles vom Wirtschaftswachstum zur seelischen Befriedigung und Selbstverwirklichung und spä-ter zur Ablehnung starker Autoritäten führt. Kulturell erhöht dies den Bedarf und die Chance zur Bildungserweiterung, die dann die Informations- und Urteilsfähigkeit des Einzelnen steigert. Die weitere Wirtschaftsentwicklung, die Verlagerung des Produk-tionsschwergewichts vom Industrie- zum Dienstleistungssektor, fördert Kreativität und Autonomie und macht zentralisierte, hierarchische Produktionssysteme über-flüssig. Dieser, durch wirtschaftliche Entwicklung verursachter sozialstruktureller und kultureller Wandel erschwert das Überleben der autoritären Systeme und hat eine Erhöhung und Intensivierung der Massenbeteiligung bei der Entscheidungsfindung in allen Lebensbereichen zur Folge.

Tabelle 1.1. Der universelle Entwicklungspfad der Menschen nach Inglehart (von traditionaler zur postmodernen Gesellschaft)

Quelle: Inglehart, Ronald: Modernisierung und Postmodernisierung. Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel in 43 Gesellschaften, Frankfurt/Main-New York 1998, S. 114

All diese Überlegungen sind auch der Grund dafür, warum Inglehart zu dem Ergeb-nis kommt, dass es die PostmoderErgeb-nisierung ist, die mit dem höchsten Sicherheitsge-fühl der Gesellschaft, mit der maximalen Lebensqualität als gesellschaftlichem Ziel zur Demokratie führt und nicht die Modernisierung, bei der die Gesellschaft sich mit ihrem labilen Wohlstand noch Sorgen um ihre Existenz macht und sich um die

Exis-tenzsicherung bemüht.167 Trotzdem stimmt Inglehart zu, dass die Modernisierung die Grundlage für die Demokratie schafft, da sie sozial die Verbreitung der Ausbil-dung, die Rationalisierung und damit auch die Steigerung des Urteilsvermögens so-wie wirtschaftlich die Industrialisierung und damit die Einkommenssteigerung mit sich bringt.

167 Vgl. ebenda, S. 63, 68, 237f. und S. 294.

Die indonesische Fläche erstreckt sich von 6° nördlicher Breite über den Äquator bis 11° südlicher Breite, und mit der Position zwischen 95° und 141° östlicher Länge bil-det Indonesien die Verbindung zwischen Asien und Australien. Indonesien besteht aus 13.677 Inseln und ist mit seiner Gesamtfläche von 9,8 Mio. km2 der größte In-selstaat der Welt. Davon nimmt die Landfläche allerdings nur 1,9 Mio. km2 ein, die rund ein Fünftel der Gesamtfläche ausmachen; der Rest (81%) ist Wasserfläche.1 Ein großer Teil der Landfläche wird von Gebirgsketten eingenommen. Von insge-samt 300 Vulkanen sind rund 71 aktiv; mehrere erreichen über 3500 m Höhe. Weil es immer wieder zu katastrophalen Explosionen kommt, zählt Indonesien zu den un-ruhigen Gebieten der Erde. Dies hat jedoch den Vorteil, dass bei Vulkanausbrüchen die mineralreichen Materialien, Tuff und Asche den ursprünglich ertragsarmen, aus Sandstein und Kalk bestehenden Boden fruchtbar machen. Da solche Aschenböden außerdem besonders standfest sind, können selbst steile Hänge für Reis-Terrassen-Bau genutzt werden.

Indonesien ist reich an natürlichen Rohstoffen. Es verfügt über die größten Zinn- und Nickelvorräte der Welt. Neben Kohle, Erdgas- und Erdölvorräten sind Mangan, Bauxit, Kupfererze, Gold, Silber und Eisensand die wichtigsten Naturressourcen In-donesiens.2 Zu den bedeutsamen Rohstoffen gehören auch die zahlreichen Wälder, die rund die Hälfte der indonesischen Landfläche (Stand von 1990) bedecken.3 Das Klima Indonesiens ist durch seine geographische Lage am Äquator sowohl von wechselnden feuchtschwülen und regenreichen als auch trockenen Monsunen ge-prägt. Allgemein lässt es sich durch hohe Luftfeuchtigkeit (65-97 %) und durch tropi-sche Temperaturen (16-37°C) charakterisieren.4

1 BPS: Statistik Indonesia - Statistical Year Book of Indonesia 1998, Jakarta 1999, S. 5.

2 Ebenda, S. 278.

3 Im Jahr 1990 umfasst die Gesamtfläche der indonesischen Wälder nach Angaben der Weltbank 1,095 Mio. km2 (Weltbank: Weltentwicklungsbericht 1996. Vom Plan zum Markt, Washington D.C., 1996, S. 240). Vergleicht man diese Zahl mit der Gesamtfläche des indonesischen Staatsgebietes (s. BPS, S. 6), ergibt sich der Anteil der Waldfläche am gesamten Staatsgebiet. Nach der Veröffent-lichung der Weltbank (World Bank: Indonesia. Environment and Development Executive Summmary, im Internet, http://www.worldbank.org/html/extdr/offrep/eap/inenvdev.htm [Stand: 10.12.1995]) be-trägt die Waldfläche Indonesiens sogar fast 75% der gesamten Landfläche.

4 BPS, S. 19f.

Diese geographischen Gegebenheiten prägen das Verhältnis zwischen dem Men-schen und seiner Umwelt. In der Umgebung der Vulkane (u. a. in Java, Sumatra, Sulawesi und Bali), wo der Boden fruchtbar ist, wird meist Landwirtschaft betrieben.

Die Arten der angebauten Pflanzen sind je nach Klima unterschiedlich. Die meisten Nassreisfelder gibt es auf Java; die Hälfte der gesamtindonesischen Reiserträge kommt von dort.5 Auf Sumatra sind häufig Ölpalmen-, Kautschuk-, Kaffee-, Tee- und Tabakplantagen zu finden, während auf den Molukken und auch auf Sulawesi ver-schiedene Gewürze wie Nelken, Muskatnuss, Pfeffer und Zimt kultiviert werden.

Viehzucht und Fischerei kommen oft in den trockenen Gebieten mit vielen Küsten vor wie auf Nusatenggara. Auf der vulkanlosen, jedoch bodenschatz- und waldrei-chen Insel Borneo werden viele Holzunternehmen und Minen gebaut. Diese natur-geprägte Spezialisierung wurde erst in der Zeit der Kolonialisierung durch intensive Plantagenbetriebe und Niederlassungen der Kolonialherren bewusst genutzt. Diese Struktur wird auch heute noch beibehalten.

Die Lage Indonesiens zwischen Asien und Australien beeinflusst nicht nur die geo-graphischen Verhältnisse sondern auch die rassische und kulturelle Vielfalt der indo-nesischen Menschen. Durch Forschungen und Ausgrabungen wurde festgestellt, dass die heutigen Indonesier aus einer Mischung von australischen (austromelane-sischen) und asiatischen (mongolischen) Rassen hervorgegangen sind.6 Im Laufe der Zeit, durch den Umgang mit ihrer Umwelt, zerfiel das indonesische Urvolk in mehrere Kultureinheiten. Heute existieren in Indonesien etwa 300 ethnische Grup-pen mit über 250 Sprachen und Dialekten, wobei die Javaner, die mehr als 40% der Gesamtbevölkerung ausmachen, die Mehrheit darstellen.

Die Behauptung, dass die Modernisierung Indonesiens erst nach der Unabhängig-keit, also nach der Einführung der Entwicklungsprogramme durch die eigene

5 Ebenda, S. 162.

6 Die Ureinwohner Indonesiens stammten von den sogenannten Austromelanesiern ab, der gleichen Rasse wie die Stammeltern der australischen Einheimischen, der Aborigines. Um 3000-1000 v. Chr.

kamen die ersten mongolischen Volksstämme, die Altmalaien, zunehmend von Japan über Taiwan und die Philippinen nach Sulawesi und vermischten sich mit den indonesischen Ureinwohnern. Sie brachten für jene Zeit neue Techniken in Jagd und Ackerbau. Später, ca. 300 v. Chr. kam die zweite Einwanderungswelle der Mongolen, der sogenannten Jungmalaien, von Südchina über Burma und Thailand nach Sumatra, Java und Borneo bis zu den Philippinen. Sie beherrschten reifere Techni-ken wie Nassfeldbau, Bronze- und Eisenbearbeitung und verdrängten die kulturell niedriger stehen-den Ureinwohner, die Austromelanesier, auf die Molukken, auf Timor und das heutige Neuguinea.

Diese Jungmalaien sind die Vorfahren der meisten indonesischen Volksstämme. Vgl. Koentjaranin-grat: Manusia dan Kebudayaan di Indonesia, Jakarta 1995, S. 3-20.

rung beginnt oder gestartet worden sei, ist zweifelsohne irrtümlich. Diese Meinung kommt von der Annahme, dass in der Kolonialzeit, die oft mit der Unterdrückung und Gewalt durch die Kolonialherren gleichgestellt wird, keine Modernisierung vorge-nommen worden sei, sondern nur die Zerstörung der Kolonien einerseits und der wirtschaftliche Aufbau der jeweiligen Mutterländer andererseits. Man kann nicht ver-leugnen, dass diese negativen Ereignisse in der Kolonialgeschichte tatsächlich statt-fanden. Jedoch kann man sich auch dessen sicher sein, dass die Modernisierung oder zumindest deren Vorbereitungsphase in dieser Zeit stattgefunden hat, auch wenn sie womöglich unbeabsichtigt gewesen ist.7 Dieser Überzeugung stimmt auch Richard F. Behrendt zu, indem er die historischen Kenntnisse für grundlegend und unentbehrlich hält.8 Kößler ist sich sogar sicher, dass die Entwicklungsländer ihre in der Kolonialzeit gelegte Sozialstruktur immer noch beibehalten.9 Aus diesem Grun-de wird in diesem Kapitel auch die soziologisch beGrun-deutenGrun-de Geschichte Grun-der über 350-jährigen Kolonialepoche Indonesiens als ein wichtiger Bestandteil der indonesi-schen Entwicklung beleuchtet.