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Demokratie und Demokratisierung

1.2. Theorien der politischen Entwicklung 1. Nationenbildung und Staatenbildung

1.2.3. Demokratie und Demokratisierung

Demokratie alias Volksherrschaft, die mittlerweile als Ziel und Zukunft aller politi-schen Entwicklung gilt, hat heute viele Gesichter. Die internationale Bestrebung, Demokratie als alleiniges politisches Ideal in der Welt – unter anderem auch durch ökonomischen Druck – durchzusetzen, erzeugt eine Kette von Reaktionen der Län-der, ihr politisches System in die Demokratie umzuwandeln oder zweifelsfalls als Demokratie auszugeben. In den Entwicklungsländern sind unter dem Namen Demo-kratie häufig Diktaturen in Institutionen der DemoDemo-kratie versteckt. Volksherrschaft ist nicht gleich Demokratie, denn Volksherrschaft wird oft nur als Herrschaft durch Nicht-Adlige (= Volk) übersetzt, was auch die Unterdrückung des Volkes durch das (wenige) Volk erlaubt. Nicht selten wird Gerechtigkeit und erfolgreiche

128 Vgl. ebenda, S. 102.

129 Siehe Lenk, Kurt: Probleme der Demokratie, in: Lieber, Hans J. (Hrsg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2000, S. 939.

entwicklung als Legitimierung solcher Diktatoren angeführt, die behaupten, dass ge-rechtes Vorgehen und Wirtschaftsaufschwung ihren autoritären Charakter entschul-digen könnten. So hat „Demokratie“ zahlreiche Bedeutungen bekommen, die weit von ihrer tatsächlichen Idee entfernt sind. Das unterschiedliche Verständnis von De-finitionen der Demokratie ist wie folgt zu finden:130

1. „Demokratie als komplexe Systembeziehung“, deren Kontext sich an der Herkunft der Führungselite und deren Konsequenzen orientiert, wobei unter Demokratie die Herrschaft von Nichtmonarchen und Nichtaristokraten verstanden wird. Hier grenzen sich die pluralistischen (westlichen, liberalistischen) Regierungssysteme von den monoistischen ab, wie etwa der Demokratie der Asiaten und der sozialis-tisch-sowjetischen Art.

2. „Demokratie als Legitimation politischer Systeme“ wurde von den Regierungen für ihre (weltweite) Anerkennung als legitime Volksvertretung benutzt.

3. „Demokratie als Ordnungsprinzip (Herrschaftsform)“, das bestimmte Gestalten und Verfahren des Herrschaftssystems für eine funktionierende Herrschaftskon-trolle beinhaltet, ist in zwei Kategorien zu finden: die oft in revolutionären Situatio-nen vorkommende direkte Rätedemokratie und die repräsentative, sowohl präsi-dentiale als auch parlamentarische Demokratie.

4. „Demokratie als Verhaltensprinzip“ oder als Lebensstil wird in den der Demokratie zugeschriebenen zivilisierten, freiheitlichen, menschenrechtsachtenden und an Fairness orientierten Werten Ausdruck finden.

Wie auch der Begriff „Demokratie“, wandelt sich der Demokratisierungsbegriff mit der Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstand man unter Demokratisierung eine geplante und gesteuerte Aktion – sowohl von innen als auch von außerhalb der Ge-sellschaft –, eine allgemeine Wahl mit der anschließenden Errichtung eines parla-mentarischen Staatssystems und Institutionen der Gewaltenteilung durchzuführen.

Heute bedeutet ein solcher Prozess allein keine Bewegung in Richtung Demokratie, denn die Erfahrung in den Entwicklungsländern lehrt, dass das Vorhandensein der Organisationsformen der Demokratie nicht automatisch bedeutet, dass das politi-sche System dort demokratisch ist. Tetzlaff definiert daher die Demokratisierung „als

130 Siehe ebenda S. 938.

eine Kombination von sich wechselseitig verstärkenden Faktoren [...], die sich aus den konkurrierenden Intentionen und (gegenläufigen) Handlungen der strategischen und konfliktfähigen Gruppen einerseits und den begrenzenden Systemsstrukturen andererseits ergeben und sich in Richtung auf einen Systemwechsel bewegen.“131 Mit Faktoren, die den auf ein demokratisches System zielenden Prozess korrelativ unterstützen sollen, meint er die herrschende Elite und ihre starke, verlässliche Op-position, plurale und kulturell sowie ressourcenbedingt ungleiche Bevölkerung und schließlich Einfluss ausübende außerstaatliche Faktoren.

Grundlegend für die Demokratisierungsdefinition Tetzlaffs ist der Systemwechel zur Demokratie, den er in folgende Phasen einteilt: die Inkubationsphase, in der das be-stehende autoritäre Regime geschwächt und brüchig wird; die Liberalisierungsphase, in der die herrschende Elite sich öffnet, das frustrierte Volk mobilisiert und die Op-position gebildet bzw. gefördert wird; die Verhandlungsphase, in der die herrschende Elite und die Opposition über Veränderungen in der Konstitution und der Prinzipien des politischen Wettbewerbs erörtern; die Phase der neuen Machtverteilung durch eine faire Wahl als bedeutendes Zeichen des Systemwechsels; und schließlich die Institutionalisierungs- und Konsolidisierungsphase der Demokratie, in der mit dem Erlernen gewaltfreier Diskussion und Konfliktaustragung die zivilen Werte internali-siert werden sollen.132

Grob kann die Demokratisierung in der Praxis in vier Modelle gruppiert werden. Als Erstes ist der asiatische Demokratisierungspfad zu nennen, der zunächst mit einer kapitalistisch orientierten, wegen vernünftigen Entwicklungsprojekten im Industriali-sierungsprozess erfolgreichen und als Verteilerorgan dienenden Entwicklungsdikta-tur anfängt, die aber später für den Forderungen der sozialer mobilisierten und diffe-renzierten Bevölkerung nicht mehr angemessen ist bzw. zur fortschreitenden Ent-wicklung nicht mehr passt, und schließlich mit einem den EntEnt-wicklungsideen freien

131 Tetzlaff, Rainer: Demokratisierung - eine Universalie von Entwicklung, in: Opitz, Peter J. (Hrsg.), Grundprobleme der Entwicklungsregionen. Der Süden an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Mün-chen 1997, S. 43 u. 45.

132 Vgl. ebenda, S. 44f.

Raum gebenden demokratischen System ausgetauscht wird.133 Das zweite Muster ist die Demokratisierung lateinamerikanischen Typs, der ähnlich wie der asiatische Typ verläuft, jedoch aufgrund des Misserfolgs des Industrialisierungsprozesses, der dadurch bedingten stagnierenden Entwicklung und der damit verbundenen Unzufrie-denheit der Bevölkerung gefährdet ist.134

Die zwei letzten Demokratisierungsmodelle – der afrikanische und der osteuropäi-sche Typ – sind angesichts ihrer historiosteuropäi-schen Abläufe anders als der asiatiosteuropäi-sche und der lateinamerikanische Typ. Die afrikanische demokratische Transition geschieht nicht wie der asiatische Systemwechsel aufgrund des aktuellen Entwicklungsbedarfs, sondern umgekehrt wegen der Enttäuschung der Bevölkerung über die Leistung der unfähigen diktatorischen Regime.135 Als Ausnahme gilt auch die Demokratisierung in ex-sozialistischen Ländern. Sie ist weniger durch das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung als mehr durch den Zusammenbruch des sozialistisch-kommunistischen Systems bedingt. In den Gesellschaften solchen Typs erfolgt nicht nur der Wechsel des politischen Systems, sondern in erster Linie die Ablösung des sozialistisches Wirtschaftssystems durch die kapitalistische Marktwirtschaft.136 Wie auch von Köß-ler angedeutet ist,137 ist der Beweggrund dieser Transformation das allgemeine ge-sellschaftliche Interesse am Erfolg der westlichen Entwicklung.138

1.3. Die Spannungen zwischen gesellschaftlicher und politischer Entwicklung