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Die Gründe für die Entscheidung zur Zentralverwaltung

Im Dokument am Beispiel der Entwicklung Indonesiens (Seite 123-130)

der indonesischen Gesellschaft

4.1. Die Gründe für die Entscheidung zur Zentralverwaltung

Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung im August 1945 befand sich die selbst ernannte Republikregierung Indonesiens in einer kritischen Situation. Die hol-ländische Kolonialverwaltung versuchte mit allen Mitteln die Kolonie wieder zurück-zubekommen. Der Republik selbst drohte infolge der niederländischen Wirtschafts-blockade und militärischen Aktionen der Zusammenbruch. Es bestand die Gefahr der Rückkehr der holländischen Kolonialherren. Damit war die Angst der Indonesier verbunden, ihre selbsterklärte Unabhängigkeit zu verlieren, was die Entscheidung der indonesischen Elite für oder gegen eine zentralisierte Verwaltung beeinflusste.

Politische Umstände

Anfang 1946 traf der niederländische Gouverneur für Indonesien, van Mook die ein-seitige Entscheidung, dass in Indonesien eine Staatsföderation unter niederländi-scher Herrschaft errichtet würde.2 Am 12. November 1946 unterzeichneten die Nie-derlande und Indonesien in Linggajati (Westjava) eine Vereinbarung, wobei die donesische Republik und die Niederlande sich gemeinsam um die Bildung eines in-donesischen Staatenbündnisses bemühen wollten, das die Republik einschloss.

Darauf sollte eine niederländisch-indonesische Union gegründet werden.3 Dieses Abkommen, das in den Niederlanden als Niederlage bezeichnet wurde, wurde bald von den Niederländern selbst übertreten, indem van Mook aus Angst vor republika-nischen Einflüssen die Gründung der ostindonesischen Staaten im Alleingang insze-nierte. Da die meisten ostindonesischen Führer sich lieber der indonesischen Repu-blik mit dem Hauptsitz in Java anschließen wollten und Widerstand leisteten, ließ er die republikanischen Herrscher und Jugendlichen in Ostindonesien liquidieren.4 Mit

2 Siehe Wolf Jr., Charles: The Indonesian Story. The Birth, Growth and Structure of the Indonesian Republic, New York 1948, zunächst S. 35, dann S. 40f.

3 Siehe Artikel 2 des Linggajati Abkommens in Taylor, Alastair M.: Indonesian Independence and the United Nations, London 1960, S. 29.

4 Van Mook arrangierte im Juli 1946 in Malino (Südsulawesi) ein Zusammentreffen mit den „Vertretern”

der Ostregionen, die aus lokalen Herrschern (Fürsten oder Sultans) und den „Volksvertretern” be-standen. Da die Teilnehmer größtenteils absichtlich aus Nichtmuslimen ausgesucht waren, die einst für die niederländische Kolonialregierung gearbeitet hatten und jetzt nicht für die Republik waren, konnte er das gewünschte Ergebnis erzielen. Allerdings musste er der Realität gegenüberstehen, dass die lokalen Herrscher, die die Minderheit in der Malino-Konferenz bildeten, nationalistisch ge-sinnt waren, und mehr Zuneigung für die Republik hatten, so dass es ihm nicht gelang, seinen Plan, Staaten in den Ostregionen zu gründen, durchzuführen. Siehe dazu Reid, Anthony: The Indonesian National Revolution 1945-1950, Hawthorn, Victoria 1974, S. 107ff. und Kahin, George McTurnan (G.M’T.): Nationalism and Revolution in Indonesia, Ithaca 1952, S. 145.

der sogenannten „Polizeiaktion” startete er im Juli 1947 einen Eroberungsfeldzug in den Republikgebieten Javas und Sumatras. Dadurch wurden zwei Drittel Javas und mehrere wichtige Städte Sumatras erobert (siehe Abb. 4.1.).

Das nächste Abkommen in Renville vom Januar 1948, das unter dem Einfluss des amerikanischen Gesandten5 unterzeichnet wurde, führte dann zur Teilung Javas, Sumatras und Maduras in mehrere Provinzen sowie deren Eingliederung in die „Ver-einigten Staaten von Indonesien” und zur Herrschaft der Niederlande über Gesamt-indonesien bis zu einer (unbestimmten) Zeit, in der die Indonesier als regierungsfä-hig eingeschätzt würden. In den neuen besetzten Republikregionen, in Ost- und Südsumatra, West- und Ostjava sowie auf Madura, setzten die Niederlande die Bil-dung neuer Staaten fort. Parallel dazu kündigte van Mook im März 1948 ohne Ab-sprache mit der Republik die Gründung der Übergangsregierung eines indonesi-schen Bundesstaates an.6

Erstellt nach der Schätzung von Anthony Reid, a.a.O., S. 173

Abb. 4.1. Indonesien (1948 - 1949)

5 Es war der indonesienfreundliche Dr. Frank P. Graham, der Vertreter des dritten Landes, USA, der vor der indonesischen Kabinettsversammlung in Jogjakarta die eingereichten zwölf Prinzipien der Niederländer analysierte und dabei die Durchführung der Volksabstimmung, die Anerkennung der Existenz der indonesischen Republik und die Überwachung der Gerechtigkeit durch ein UNO-Komitee zusicherte. Die Indonesier, die sich unter der militärischen Drohung der Niederländer be-fanden, – wenn sie innerhalb von fünf Tagen diesen Prinzipien nicht zustimmen würden, würden die Niederlande ihre militärische Aktion fortsetzen – hatten dabei keine andere Wahl und mussten sich diesen Bedingungen fügen. Vgl. Kahin, S. 225-228.

6 Vgl. ebenda, S. 245.

Währenddessen herrschte in Mitteljava, dem Zentrum der Republik, wo der Regie-rungssitz lag, wegen der durch die Niederländer verhängten Blockade7 Hungersnot.

Die Lebensmittelknappheit verschlimmerte sich dann durch die Einwanderung von Millionen Menschen8 aus von den Niederländern besetzten Gebieten in West- und Ostjava. Gleichzeitig wurden die republikanischen Militäreinheiten nach Mitteljava evakuiert. Arbeitslosigkeit und Unterernährung waren die Folge dieser Massenflucht.

Die Sozial- und Wirtschaftskrise war allerdings nicht das einzige Problem der Repu-blik. Ihr drohte auch die sozialistische Opposition, die sich mit der Bauern-, Arbeiter- und Sozialistenpartei der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) anschloss und sich zum Kommunismus bekannte. Nach der Ermordung wichtiger Regierungsbeam-ter und der Besetzung öffentlicher Einrichtungen unRegierungsbeam-ternahm die sogenannte Natio-nale Frontregierung sogar einen Putschversuch. Die Regierung Hattas konnte je-doch nach zweimonatigem Kampf diesen Putsch abwehren und war darin erfolg-reich, die allgemeine Lage zu verbessern. Das hatte die niederländische Kolonialre-gierung nicht erwartet, die mit ihrer Blockade gehofft hatte, dass durch dieses innen-politische Chaos die Republik geschwächt und nachgeben, oder von alleine zusam-menbrechen würde. Dadurch würde die von den Niederlanden vorgeworfene Un-selbständigkeit der Indonesier sich als wahr erweisen und die Republik bald kein Hindernis für die Rückeroberung Indonesiens sein.9

7 Die Republik Indonesien hatte durch die niederländische Polizeiaktion die ertragreichen Regionen verloren. Die Niederländer selbst rechtfertigten diese Attacke mit der Begründung, dass sie und die Bevölkerung in ihren besetzten Gebieten sonst nicht überleben könnten, da die Republikregierung beim Lebensmittelhandel nicht geschäftstüchtig genug sei. In Wirklichkeit war es eine ausgeklügelte Politik der Niederländer. Sie wollten die Republik unter Druck setzen, da sie wussten, dass nach der Annektierung der Lebensmittelvorräte die Republik selbst von der Hungerkatastrophe betroffen wür-de. Die Niederländer erschwerten nicht nur die Lebensmitteleinfuhr in die Republik, sondern auch die Medikamentenlieferungen. Siehe zur niederländischen Blockade ebenda, S. 250-255.

8 Nach dem Renville-Abkommen sollte ein Volksentscheid durchgeführt werden, wobei die Bevölke-rung der Republikregionen (Java, Sumatra und Madura) sich entscheiden musste, ob ihr Land bei der Republik Indonesien blieb oder sie sich den Vereinigten Staaten von Indonesien anschließen wollten. Bevor allerdings die Volksabstimmung stattfand, wanderten in Mitteljava Millionen Menschen ein, teils aus Angst vor der Vergeltung der Niederländer, teils weil sie gegen die Einordnung ihrer Be-zirke in die Vereinigten Staaten von Indonesien unter niederländischer Herrschaft waren.

Vgl. Ricklefs, M.C. : A History of Modern Indonesia. c. 1300 to the present, London 1981, S. 215.

9 Siehe Kahin, S. 255.

Nach gescheiterte Verhandlungen bombadierten die Niederländer am 19. Dezember 1948 Jogjakarta,10 nahmen Soekarno, Hatta und Kabinettsmitglieder der Republik gefangen und eroberten Jogjakarta, den Regierungssitz, sowie alle wichtigen Städte der Republik auf Sumatra und Java. Der UN-Sicherheitsrat forderte daraufhin nach-drücklich die Befreiung der indonesischen Regierung mit der Wiederherstellung der vollen Souveränität und anschließenden Bildung einer Übergangsregierung.11 Ame-rika drohte mit dem Abbruch seiner Geldlieferungen an die niederländische Regie-rung in Indonesien und wollte sämtliche Entwicklungshilfen für die Niederlande stop-pen. So zogen die Niederländer ihre Aktion wieder zurück. Am 27. Dezember 1949 übergaben die Niederlande nach der Konferenz in Den Haag offiziell die volle Souve-ränität an die neue Bundesrepublik Indonesiens, RIS.

Unter den Führern der Bundesländer des neuen indonesischen Staates herrschte danach aber Unsicherheit. Die meisten waren mehr an der Eingliederung ihres Staates in die Republik interessiert als allein zu regieren.12 Für die Mehrheit der Be-völkerung war die Föderation keine Idee der Indonesier, sondern ging mehr von den Niederländern aus, und wurde nur als diplomatischer Weg zur vollen Souveränität angesehen.

Die Fusion der indonesischen Staaten kam nach der sogenannten Westerling-Affäre in Bewegung. Die Unfähigkeit der Regierung des Westjavanischen Staates (Pasun-dan), den Putschversuch durch die gerade entwaffneten niederländischen Truppen unter der Führung von Kapitän Paul Westerling zu bewältigen,13 sorgte für die

10 Siehe hierzu Reid, S. 151-153.

11 Vgl. ebenda, S. 159.

12 Die Freilassung der politischen Gefangenen der niederländischen Regierung, die meistens auch die wichtigen republikanischen Politiker waren, und die Rückkehr der nationalistischen Führer auf ihre Heimatinseln, die nach der Ankunft der Niederländer 1945 in republikanische Regionen geflüchtet waren, sorgte in den Staaten für die Machtübergabe. Die (neuen, nationalistisch gesinnten) Regie-rungen der indonesischen Staaten fühlten sich mit der Republik verbunden. Diese Einstellung wur-de dann durch die Rückkehr wur-der republikanischen Guerillakämpfer verstärkt. Der internationale Er-folg der Republik sowie ihre militärische Stärke waren außerdem ein Anlass, sich mit der Republik zu vereinen. Dazu muss man verstehen, dass die Angst vor fremden Angriffen bei den indonesi-schen Führern immer noch so stark war, dass sie lieber an die Republik anknüpfen wollten, die be-reits eine internationale Unabhängigkeitsgarantie besaß.

13 Westerling war Kommandant der niederländischen Aktion in Südsulawesi, wo Tausende republika-nische Politiker und Jugendliche umgebracht wurden (Siehe S. 115). Die Westerling-Truppen hatten die republikanischen Pasundan-Kabinettsmitglieder beseitigt (Reid, S. 163) und planten, die

republi-sung dieses Staates und dessen Integration in die Republik. Dieser Entscheidung folgten dann die anderen Staaten. Allerdings lehnten zwei der fünfzehn indonesi-schen Staaten, der großflächige Ostindonesische Staat (NIT) und der Ostsumatrani-sche Staat (NST), die Integration in die indonesiOstsumatrani-sche Republik zunächst ab. Die Eingliederung dieser Staaten erfolgte, nachdem die Aufstände der ehemaligen nie-derländischen Soldaten14 und der Versuch des molukkanisches Teils des NIT einen eigenen Staat, die Republik Südmolukken (RMS)15 zu gründen, von zurückgekehrten prorepublikanischen Soldaten niedergeschlagen werden konnten. Die Regierung des NST, die die Konsequenzen solcher militärischen Aufstände wie auf den Molukken erkannte, gab anschließend im Mai 1950 zusammen mit dem NIT die Einwilligung, die Einheitliche Republik Indonesiens zu errichten. Am Tag der Unabhängigkeits-proklamation, dem 17. August 1950, wurde dann die Geburt der neuen (einheitli-chen) Republik Indonesiens erklärt.

Zweckrationalität der Entscheidung zur Zentralverwaltung

Der historische Weg Indonesiens zur Unabhängigkeit und zur politischen Einheit zeigt, wie die indonesische Gesellschaft die vorhandenen Möglichkeiten nutzte. Es gab einerseits die militärische und wirtschaftliche Unterlegenheit der Indonesier, an-dererseits aber eine aus verschiedenen Ethnien zusammengesetzte Gruppe von

kanische Armee (TNI) durch Ermordung ihrer wichtigen hohen Offiziere zu entmachten (Kahin, S.

454f.). Diese Aktion wurde sogar von den niederländischen Pasundan-Regierungsmitgliedern und dem föderalistischen Sultan Hamid II von Westborneo unterstützt, weshalb nach dieser Aktion Miss-trauen gegen die Regierung des Ostindonesischen Staates herrschte.

14 NIT war die Basis der niederländischen Regierung für Indonesien und deren Armee, KNIL, zu der viele indonesische, vor allem molukkanische Soldaten gehört hatten. Diese Ex-KNIL-Soldaten, die um ihren Status fürchteten und Angst vor der Vergeltung der Republikaner hatten, leisteten Wider-stand, als die geflüchteten prorepublikanischen Soldaten zurückkehrten, und besetzten die Haupt-stadt von NIT, Makasar.

15 Die Molukken mit der Hauptstadt Ambon hatten engere und vertraulichere Beziehungen zu den Nie-derländern, da dort weniger die militärische, sondern mehr die missionarische Annäherung stattge-funden hatte. Die Bevölkerung der Molukken ist christlich und die meisten befürchteten, dass die In-tegration in die Republik mit der Unterdrückung der Christen durch die Muslime gleichbedeutend sein würde. Außerdem waren viele Molukkaner Funktionäre und Soldaten der niederländischen Re-gierung, so dass sie mit der Eingliederung der Molukken in die Indonesische Republik ihren Status quo verlieren würden. Trotzdem wollte der größte Teil der Bevölkerung der Molukken die Aufständi-schen nicht unterstützen. Während die meisten Regierungsmitglieder und die Bevölkerung dieses Staates die Integration in die Republik forderten, schlug der molukkanische Justizminister eine ande-re Richtung ein und proklamierte die Gründung der Republik Südmolukken (Republik Maluku Sela-tan, RMS). Die RIS-Regierung, die die Rebellion als Disziplinlosigkeit der Soldaten durch die Ver-antwortungslosigkeit der niederländischen Regierung bei der Demobilisierung ihrer Armee ansah, griff nach einem gescheiterten Kompromissversuch zu militärischen Maßnahmen, und konnte im November 1950 die Kontrolle über diese Region erreichen. (Kahin, S. 459).

Intellektuellen auf Java (als Zentrum ihrer Aktivität) mit politischer Erfahrung in der kolonialen nationalistischen Bewegung. Schließlich waren da noch die für indonesi-sche Verhältnisse gut aufgebauten und ethnisch pluralen Militäreinheiten und die moralische Unterstützung seitens internationaler Foren. Diese oben genannten, günstigen Voraussetzungen wurden konzertiert genutzt, um die politische Souveräni-tät Indonesiens zu erreichen. Diese standen sich allerdings bei der Entscheidung zur zentralen Verwaltung konkurrierend gegenüber.

Wie oben bereits erklärt, war die Zentralverwaltung von Anfang an das eigentlich angestrebte Ziel der indonesischen Führungselite, während sich das internationale Interesse mehr auf ein föderalistisches System richtete. Die Indonesier hatten also zwei Möglichkeiten zur Auswahl, die sie weniger nach ihren Inhalten als nach den Trägern der Ideen unterschieden. Dass die breite Masse sich lieber für die Idee der Republik als für den Vorschlag der Niederländer entschied, war mehr psychologisch bedingt, nämlich lieber den Unabhängigkeitskämpfern zu folgen als den Unterdrü-ckern. Wegen des hohen Analphabetismus (57,1 % der Bevölkerung ab 10 Jahren im Jahre 1961)16 und des Mangels an Massenkommunikation bzw. an Informationen gab es freilich keine echte politische Massenpartizipation. Politische Beteiligung er-folgte überwiegend durch die politische Elite, die auch infolge ihres geringen Ausbil-dungsniveaus und des (damit verbundenen) Mangels an Kenntnis der modernen Staatssysteme sich eher für das erlebte und daher vertraute zentralisierte System entschied. Diejenigen, die sich gegen die einheitliche Republik stellten, taten es we-niger, weil sie von der föderalistischen Idee überzeugt waren als deshalb, weil sie ihre Führungsposition retten wollten. Die Entscheidung, sich der Republik anzu-schließen, war außerdem von der Tatsache begünstigt, dass die Führungselite der Republik in Mitteljava der anerkannte Ansprechpartner der Westmächte war, und sich dadurch, dass ihre Verhandlungen mit dem Westen die volle Souveränität Indo-nesiens eingebracht hatten, als politisch fähig erwiesen hatte.

Die Vertreter der Republik wählten das zentralisierte System aus zweckrationalisti-schen Überlegungen, die zweifellos von der geringen politizweckrationalisti-schen Ausbildung und der Unerfahrenheit der Führungselite in der Politik beeinflusst wurde. Mag sein, dass

16 Quelle: BPS: Sensus Penduduk Indonesia, 1963.

Soekarno als Absolvent einer technischen Hochschule in Jakarta, Mohammad Hatta mit seiner Universitätsausbildung in einer holländischen Handelshochschule sowie Sjahrir mit seinem Jurastudium in Holland schon einmal vom föderalistischen Staats-system gehört hatten. Wie es jedoch in solch einem großflächigen und dazu eth-nisch und kulturell vielfältigen Land wie Indonesien funktioniert, hatten sie noch nie erlebt.

Indonesien war vor der Kolonialzeit nie ein einheitliches Land gewesen. Es gab viele in Größe, System, Sprache, Kultur und Religion unterschiedliche Königreiche, Fürs-tentümer sowie auch zahlreiche voneinander unabhängige Volksstämme. Erst durch die niederländische Kolonialregierung wurde ein einheitlicher, zentralisierter Koloni-alstaat aus den indonesischen Gebieten gemacht. Freilich verwendeten die Nieder-länder dieses zentralisierte System, um die Kontrolle über die zerstreuten Gebiete zu erlangen, wo ihre Herrschaft von zahlreichen Widerstandsversuchen bedroht war.

Die militärische Effizienz braucht eben ein zentralisiertes und autoritäres Verwal-tungssystem, um rasche und einheitliche Entscheidungen zu treffen und möglichst schnell zu reagieren.

Das Land, das die indonesische Führungselite in den 50er Jahren zu regieren hatte, war also ein großflächiges Land mit geringer Infrastruktur und einer in ihrer Religion, Sprache, ethnischen Zusammensetzung und Tradition sehr unterschiedlichen Bevöl-kerung mit niedrigem Ausbildungsniveau, meistens ohne formelle Ausbildung. Ihre Führer hatten keine Erfahrung mit und keine Kenntnisse über Verwaltung eines mo-dernen Staates. Sie interessierten sich für die eigene Herrschaft und Macht und neigten dazu, miteinander Krieg zu führen. Das föderale Staatssystem löste bei ih-nen die Angst aus, das Land könnte in ein Chaos verfallen. Es gab keine ausrei-chende Infrastruktur, die dieses System unterstützte. Die Kriegsneigung zwischen den Volksstämmen war groß, und die Führer der einzelnen Regionen mit ihrer Auto-nomie in einem Föderalstaat hätten keine Notwendigkeit gesehen, sich um ein Zu-sammenleben in einem Staat zu bemühen. Dies hätte die Existenz eines föderalisti-schen Staates wiederum gefährden können. Außerdem wurde befürchtet, dass es den Niederländern gelingen würde, einen Teil der gerade – aus der Sicht der ein-heimischen Regierung – befreiten Gebiete wieder auszubeuten.

Die indonesische Führungselite wussten aus ihrer Erfahrung nur, dass es der nieder-ländischen Kolonialregierung durch das zentralisierte System gelungen war, Ord-nung und Sicherheit in den indonesischen Gebieten mit geringer Infrastruktur zu schaffen und die indonesische Wirtschaft voranzutreiben. In der angespannten Si-tuation entschieden sie sich unter allen Handlungsmöglichkeiten also für das be-währte zentralisierte Verwaltungssystem. Hier spielt der Nachahmungstrieb eine Rolle, allerdings nicht im Sinne Fanons aus Neid, sondern eher aus einer Zweckrati-onalität heraus. Freilich wurde dieses zweckrationale Handeln der einheimischen Regierung von ihren theoretischen und praktischen Kenntnissen sowie auch von ih-rer damit zusammenhängenden Bewertung der Möglichkeiten beeinflusst. Das mi-nimale Vorhandensein von Wertrationalität bei aller Zweckrationalität schuf den Un-terschied zwischen der rationalen Denk- und Handlungsweise der indonesischen Führer und der der niederländischen Kolonialregierung. Das wiederum führte zur Unausgewogenheit bei der Wahl des Verwaltungssystems. Das föderalistische Sys-tem erfüllte dabei die niederländische Zweckrationalität insofern, als es den Zugang der Niederlande zu einigen niederländerfreundlichen Gebieten geschaffen und damit die Möglichkeit geöffnet hätte, mit ihnen das Kolonialverhältnis beizubehalten – mit der feindlich eingestellten und volle Autonomie anstrebenden Republikregierung hät-ten sie dies niemals erreicht.

Im Dokument am Beispiel der Entwicklung Indonesiens (Seite 123-130)