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2.5.1 Erblichkeit von Verhaltensmerkmalen

Begriffe wie ‘Wesen’ und ‘Temperament’ sind nur schwer biologisch exakt zu definieren und es gibt nur wenige Studien, die sich mit der Erblichkeit solcher Merkmale befassen (WILLIS 1995). Es handelt sich dabei um quantitative Eigenschaften, die durch polygene Erbgänge bestimmt werden; Umwelteinflüsse, maternale Effekte sowie das Geschlecht des Individuums spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle (MACKENZIE et al. 1986).

So ist beispielsweise die Form des Aggressionsverhaltens bei Hunden innerhalb der Art genetisch fixiert, dennoch bestehen große quantitative Unterschiede hinsichtlich des Ausprägungsgrades zwischen Rassen und Individuen (STUR 1987). BEAVER (1991) beschreibt eine hohe Erblichkeit für Aggression zwischen Rüden, „Dominanzaggression“ und protektive Aggression.

Die Erblichkeit oder Heritabilität kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen, niedrige Heritabilitätswerte bewegen sich zwischen 0 und 0,1, bei Werten zwischen 0,8 und 1 spricht man von einer hohen Erblichkeit. Bei Untersuchungen an Blindenhunden in Australien fanden GODDARD und BEILHARZ (1982) eine relativ niedrige geschätzte Heritabilität für Erregbarkeit (0,09), dagegen eine recht hohe Erblichkeit für Ängstlichkeit (0,46). Für Nervosität geben sie ebenfalls eine hohe Erblichkeit an (0,58), Konzentrationsvermögen (0,28) und Geräuschempfindlichkeit (0,14) weisen bei den untersuchten Labrador Retrievern niedrigere Erblichkeiten auf (GODDARD und BEILHARZ 1983). Die Autoren fanden außerdem hohe positive Korrelationen zwischen Kooperationsbereitschaft und Konzentrationsvermögen (Korrelationsfaktor 0,67) auf der einen Seite sowie zwischen Nervosität und Geräuschempfindlichkeit (Korrelationsfaktor 0,89) auf der anderen Seite.

Auch YUYING und SERPELL (2003) konnten positive Korrelationen zwischen Geräuschangst und der Angst vor Fremden sowie anderen Formen des Angstverhaltens beobachten. Eine negative Korrelation zwischen „Schussfestigkeit“ und „Jagdleidenschaft“

wurde durch STUR (1987) beschrieben: während Schussfestigkeit ein ruhiges Temperament erfordert, setzt Jagdleidenschaft demgegenüber eine höhere Erregbarkeit voraus, so dass es nicht möglich ist, zeitgleich auf beide Merkmale zu selektieren.

WILLIS (1995) bezeichnet Nervosität bei Arbeitshunderassen als Wesensmangel, nimmt hiervon Hütehunderassen aber aus, für die er eine generell höhere Neigung zu ängstlichem Verhalten annimmt. FINGER (1996) hingegen sieht schreckhaftes Verhalten von

Hütehundewelpen als angeborene Wesensschwäche und empfiehlt, diese Hunde weder zur Arbeit an Vieh noch zur Zucht einzusetzen. CHIFFLARD und SEHNER (1996) betonen, dass Hütehunde auf ungewohnte Reize ruhig und selbstsicher reagieren sollten. Sie sehen Wesensfestigkeit als wichtige Voraussetzung für Arbeitshunde und betrachten ein gewisses Maß an Schärfe und Lebhaftigkeit kombiniert mit guter Führigkeit als weitere wichtige Eigenschaften.

ITO et al. (2004) lieferten durch Untersuchungen der Frequenz und Verteilung der Allele des Dopaminrezeptor-Gens bei 23 Hunderassen erste Hinweise für einen Zusammenhang zwischen genetischen Variationen und Verhaltensunterschieden auf molekularer Ebene;

Gene, die das Verhalten modulieren, können so möglicherweise zukünftig als Marker für die Selektion von Arbeitshunden genutzt werden.

2.5.2 Erblichkeit von Hüteverhalten

Verhaltensmuster, die Hütehunde bei der Arbeit an Vieh zeigen, sind angeboren, weitgehend genetisch bedingt und somit erblich (BURNS und FRASER 1966; COPPINGER und SCHNEIDER 1995; FINGER 1996). SERPELL (1987) sieht bei Border Collies eine angeborene Prädisposition Schafe zu hüten, betont aber, dass für den Arbeitshund ein angemessenes Training und das Sammeln von Erfahrungen unabdingbar sind.

COPPINGER und SCHNEIDER (1995) sehen insbesondere das Vorstehen, das „Auge-Zeigen“ sowie das Nachlaufen und Beißen als Verhaltensweisen, die nicht erlernt werden.

HARTNAGLE (1985) beschreibt, dass auch die Tendenz, bevorzugt zum Kopf („Header“) oder zum Hinterteil des Viehs („Heeler“) zu laufen, den Hunden angeboren ist. BURNS und FRASER (1966) weisen jedoch darauf hin, dass die besonderen Fähigkeiten erwachsener Hunde verschiedener Rassen wie die Fährtensuche, die Arbeit an Vieh oder der Einsatz zur Jagd, Kombinationen mehrerer unabhängiger Merkmale sind, die sehr wohl durch Erfahrungen und Training beeinflusst werden.

Erste systematische Untersuchungen zur Erblichkeit von Hüteverhalten wurden von KELLEY (1949), BURNS und FRASER (1966) und BURNS (1969) durchgeführt. Die Autoren untersuchten mit Hilfe von Kreuzungsexperimenten einzelne Verhaltenssequenzen wie das

‘Auge-Zeigen’, das Arbeitsbellen und die Körperhaltung der Hunde auf deren Vererbungsmodi. Innerhalb des Hüteverhaltens können so mehrere Verhaltenselemente unterschieden werden, die sich vermutlich auf den genetischen Einfluss bestimmter

Ursprungsrassen bzw. anderer Hundetypen zurückführen lassen. BURNS und FRASER (1966) nennen das ‘Auge-Zeigen’, die ‘Kraft’ und den ‘Arbeitsstil’ als Hauptkomponenten des Hüteverhaltens. Sie grenzen einen kauernden Stil von der stehenden Arbeitsweise ab und unterteilen das Auge-Zeigen zum einen in die Neigung, sich bewegende Gegenstände zu beobachten, zum anderen in die Neigung, vor diesen Gegenständen in einer bestimmten Entfernung vorzustehen. Das Interesse an bewegten Objekten findet sich in ähnlicher Weise bei Windhunden, das Vorstehen bei Pointern und Settern. Eine Tendenz zum Niederkauern stellen sie ebenfalls bei Spaniels fest. KELLEY (1949) führt die Ausprägung des Auges auf einen Vererbungsmodus zurück, an dem verschiedene, sich summierende Gene beteiligt sind. BURNS und FRASER (1966) vermuten, dass eine unvollständige Dominanz für die Vererbung des ‘Auge-Zeigens’ und des liegenden Arbeitsstils besteht. Ihre Annahmen stützen sich u.a. auf die Ergebnisse von Kreuzungsversuchen zwischen Border Collies und Pointern. BURNS (1969) untersuchte außerdem Border Collies und andere an Vieh arbeitende Hunderassen in Bezug auf deren Hütetrieb an sich, das Bellverhalten während der Arbeit, die Vorliebe für das liegende bzw. stehende Arbeiten und die Ausprägung des Auges. Durch Kreuzungsexperimente konnte gezeigt werden, dass bellend arbeitende Hunde selten Auge zeigen und den stehenden Stil bevorzugen, während Hunde ohne Arbeitsbellen in der Regel liegend arbeiten und Auge zeigen.

Neuere Untersuchungen von HOFFMANN et al. (2003) zur Erblichkeit von erwünschten und unerwünschten Verhaltensmerkmalen bei Hütewettbewerben der Arbeitsgemeinschaft Border Collie Deutschland (ABCD) e.V. ergaben mit Werten zwischen h2 < oder = 0,001 bis h2 = 0,07 sehr niedrige geschätzte Heritabilitäten.

2.5.3 Wesens- und Verhaltenstests

Wesenstests versuchen, die emotionale Reaktivität von Individuen systematisch zu erfassen und zu beurteilen. Eine besondere Bedeutung haben solche Tests bei der Ausbildung von Service- und Diensthunden sowie bei der Beurteilung von Hunden, die durch aggressives Verhalten auffällig geworden sind. Für Arbeits- und Gebrauchshunde gibt es darüber hinaus verschiedene Leistungsprüfungen, in denen spezielle Fähigkeiten getestet werden (Jagdhundprüfungen, Schutzhundprüfungen, Fährtenhundprüfungen). In Deutschland führt der Verein für Deutsche Schäferhunde (SV) Herdengebrauchshundprüfungen durch, die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL) veranstaltet Leistungshüten und

von der Arbeitsgemeinschaft Border Collie Deutschland (ABCD) e.V. werden Koppelgebrauchshundeprüfungen ausgerichtet.

SCOTT und FULLER (1965) untersuchten Basenjis, Beagle, Fox Terrier, Shelties, Cocker Spaniel und Kreuzungen dieser Rassen als Welpen und als Junghunde im Laufe des ersten Lebensjahres. Dabei waren vor allem Unterschiede bezüglich des Verhaltens, der Entwicklung und der Genetik bei den verschiedenen Rassen von Interesse. Außerdem wurden Einflüsse von Erfahrungen während der Sozialisationsphase untersucht.

GODDARD und BEILHARZ (1985) unterzogen 102 potentielle Blindenführhunde der Rassen Labrador Retriever, Boxer, deutscher Schäferhund und Kelpie sowie deren Kreuzungen im Alter von 4 Wochen bis 6 Monaten verschiedenen Verhaltensstests. Sie beurteilten deren Reaktionen bei Konfrontationen mit fremden Menschen, ungewöhnlichen Objekten und Geräuschen, im Training einfacher Kommandos und beim Laufen an der Leine. Annäherung und Meideverhalten, die Schwanzhaltung der Hunde und deren generelle Aktivität wurden mit Hilfe einer Punkteskala bewertet. Während anhand der Beurteilung der Reaktionen bei Welpen im Alter von vier bis sieben Wochen kaum Aussagen über deren Verhalten als erwachsene Hunde getroffen werden konnten, nahm die Aussagekraft der Tests mit zunehmendem Alter ebenfalls zu. Vor allem für das Merkmal „Ängstlichkeit“ erscheint eine Selektion im Alter von etwa sechs Monaten sinnvoll.

WILSSON und SUNDGREN (1997) testeten 630 deutsche Schäferhund Welpen im Alter von acht Wochen in einem schwedischen Trainingszentrum für Servicehunde. Sie fanden nur eine geringe Aussagefähigkeit der Testergebnisse für die Trainierbarkeit der erwachsenen Hunde, stellten jedoch signifikante Geschlechtsunterschiede fest. So zeigten sich weibliche Welpen aktiver und unabhängiger als ihre männlichen Geschwister und untersuchten mehr unbekannte Objekte als diese. Die Autoren nahmen eine mittlere bis hohe Erblichkeit für die untersuchten Merkmale an und konnten durch Varianzanalysen außerdem einen deutlichen Einfluss maternaler Effekte nachweisen.

In einer niederländischen Studie untersuchten NETTO und PLANTA (1997) 112 Hunde vor dem Hintergrund, Tiere mit gesteigerter Aggressivität zu identifizieren und von der Zucht auszuschließen. Dabei wurden die Hunde in 43 Untertests mit Menschen und Hunden konfrontiert, einige dieser Tests hatten ein starkes Potential aggressives Verhalten auszulösen und die aggressive Motivation der Hunde nahm im Verlauf des Tests zu. So zeigten insgesamt 97% der Hunde mindestens einmal irgendeine Form der Aggression, von 67% der Tiere wurde mindestens einmal Beißen oder Angriff gezeigt. Da ein gewisser Grad an Aggression als normal angesehen werden kann, wurde ein Modell für die Erfassung

unakzeptablen Aggressionsverhaltens (MUA) entwickelt. Es konnte ein Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten gegenüber Menschen oder Hunden während des Tests und der Vorgeschichte des Hundes (schon vorher auffällig gegenüber Menschen oder Hunden) nachgewiesen werden.