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2.6 Verhaltensstörungen und Verhaltensprobleme

2.6.7 Unerwünschtes und fehlgeleitetes Jagd- bzw. Hüteverhalten

Unerwünschtes Jagdverhalten wird von einigen Autoren auch als „Beuteaggression“

bezeichnet, obwohl es keine Elemente des Drohverhaltens enthält (O’FARREL 1991). Das Verhalten kann sich gegen jedes Lebewesen aber auch gegen bewegte Objekte richten.

Besonders häufig wird Jagdverhalten gegenüber Kindern, kleineren Hunden, Kleintieren sowie Autos, Joggern und Fahrrädern beobachtet; oft sind mehrere Hunde beteiligt (O’FARREL 1991). Auslöser des Verhaltens sind schnelles Laufen oder rasche Bewegungen. Der Angriff beginnt mit einer Hetze, die beispielsweise durch das Weglaufen des Opfers hervorgerufen wird (O’FARREL 1991). Jagen stellt eine lustvolle und selbstbelohnende Verhaltensweise dar; ein vollständiges Abgewöhnen ist kaum möglich, da es eine normale Verhaltensweise ist, welche eigentlich der Arterhaltung dient (BERNAUER-MÜNZ und QUANDT 1995). Eine Geschlechts- oder Altersdisposition besteht hierbei laut BORCHELT und VOITH (1982) nicht; auch CHRISTIANSEN et al. (2001) konnten keine Geschlechtsdisposition, wohl aber Unterschiede hinsichtlich des Alters feststellen.

Viele der Verhaltensauffälligkeiten, die für Hütehunde als typisch erachtet werden, leiten sich von Verhaltenssequenzen ab, die für die Arbeit an Vieh unabdingbar sind und sich aus dem Jagdverhalten entwickelt haben (PRICE 1999; SYKES 1999; HEBELER 2003). Dies bezieht sich insbesondere auf Verhaltensweisen wie das Blickfixieren, Hetzen und Nachlaufen mit oder ohne Schnappen (FRANCK 1998). SCOTT und FULLER (1965) zählen die Tendenz des Nachlaufens, einen gewissen Grad an Aggressivität kombiniert mit einer Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen sowie einer emotionalen Reaktivität als Eigenschaften auf, die den Shetland Sheepdog zum Hüten von Schafen befähigen. Laut FRANCK (1998) wird unerwünschtes Jagd- und Hüteverhalten von Border Collies häufig gegenüber Autos, Wild, Menschen und anderen Hunden gezeigt; LAMBRICH (2007) nennt Bälle, Autos, andere Hunde, Kleintiere und Menschen als Auslöser. Hüteverhalten ist wie Jagdverhalten selbstbelohnend (COPPINGER und SCHNEIDER 1995) und besitzt einen hohen Stellenwert für den Hund, so dass eine Beeinflussung oft schwierig ist.

HEINE (2000) fand bei ihren Untersuchungen, dass alle beobachteten Border Collie-Welpen schon im Alter von acht Wochen typische Hüteverhaltensweisen gegenüber Geschwistern zeigten. Hiervon leitet sie die Forderung ab, jedem erwachsenen Border Collie eine Hüteaufgabe an Vieh zu stellen. BLOCH (2004) hingegen sieht die Arbeit mit dem Targetstick sowie das Anpirschen an Bälle als geeignete Alternativen, die zu einer reizspezifischen Ermüdung führen sollen. PRICE (1996) hingegen warnt ausdrücklich davor, das Jagdverhalten des Border Collies mit Ball- oder Frisbeespielen zu legitimieren. Auch die Ergebnisse von LAMBRICH (2007) widerlegen die These von BLOCH: sie beobachtete, dass bei Border Collies, die als reine Sport- und Familienhunde ohne Kontakt zu Vieh gehalten werden, Hüteverhalten insgesamt häufiger auftritt aber weniger differenziert ist als bei Junghunden, die Kontakt zu Herdentieren haben und als Hütehunde ausgebildet werden. Sie sieht die Ursache hierfür darin, dass das Hüteverhalten als angeborenes Verhalten auch von Familien- und Sporthunden gezeigt wird, hier aber v.a. gegenüber unbelebten Objekten auftritt; anders als Herdentiere geben diese Objekte dem Hund keine adäquate Rückmeldung in Bezug auf sein Verhalten, so dass er die Suche nach besser geeigneten Auslösern bzw. Objekten fortsetzt.

Systematische Untersuchungen über das Verhalten von Australian Shepherds liegen zur Zeit nicht vor, in der Literatur finden sich jedoch kaum Hinweise auf fehlgeleitetes Hüteverhalten bei dieser Rasse.

2.6.7.1 Jagen und Nachlaufen

Laut MCLEAVY (1996) ist bei einigen Border Collies der „Jagdinstinkt“ so stark entwickelt, dass der Hund, dem die Gelegenheit nicht gegeben wird seine Arbeitsveranlagung auszuüben, beginnt Schafen, Vieh, Katzen, Eichhörnchen, Kaninchen, Vögeln, Kindern, Fahrrädern, Joggern, Autos, Rücklichtern, Blättern, Zigarettenrauch, Kondensstreifen oder Schatten nachzujagen. Auch GERBER-MATTLI (2002) betont, dass es für einen Hund mit ausgeprägter Hüteveranlagung nur ein kleiner Schritt vom Treiben zum Jagen ist, da das Hüteverhalten aus dem Jagdverhalten entstanden ist. FRANCK (1999) hingegen vertritt die Meinung, dass Verhaltensprobleme, die mit dem Hüteverhalten zusammenhängen nicht deshalb entstehen, weil der Hund nicht zur Arbeit an Vieh eingesetzt wird, sondern weil der Besitzer nicht in der Lage ist, das Verhalten zu kontrollieren.

2.6.7.2 Blickfixieren

Der Border Collie hat ein starkes „Working Eye“ und wird durch sich schnell bewegende Gegenstände angezogen (MCLEAVY 1996); das Blickfixieren stellt beim Border Collie den größten Anteil des Hüteverhaltens dar (LAMBRICH 2007). Allein die Erwartung einer Bewegung der vermeintlichen Beute kann bei erwachsenen Hunden das Blickfixieren auslösen; die Bewegungsmuster wie das ‘Auge-Zeigen’ sind den Hunden angeboren (HEINE 2000), selbstbelohnend (COPPINGER und SCHNEIDER 1995) und können auch bei einer Haltung der Hunde ohne Vieh nicht unterdrückt werden (LAMBRICH 2007). Alles, was sich im Blickfeld des Hundes bewegt, kann als Auslöser für das Blickfixieren fungieren – haben die Hunde die Möglichkeit zum Fixieren von Lebewesen, so werden diese gegenüber unbelebten Objekten bevorzugt (HEINE 2000; LAMBRICH 2007). PRICE (1996) vermutet, dass ein Hund, der einen Gegenstand fixiert, welcher sich dann bewegt, dadurch eine Verstärkung erfährt und das Fixieren in Zukunft häufiger zeigt. Laut HEBELER (2003) wird das ‘Auge-Zeigen’ nicht nur bei der Zucht von Arbeitshunden sondern auch noch bei der Zucht auf Exterieurmerkmale bzw. bei der Zucht von Familienhunden weiterhin stark vererbt.

LAMBRICH (2007) konnte zeigen, dass hier auch Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle spielen: Hunde, die die Gelegenheit zum Hüten von Lebewesen haben, zeigen ein sehr viel restriktiveres und differenziertes Hüteverhalten als Hunde, die ohne diese Möglichkeit aufgezogen werden.

HEINE (2000) misst dem Blickfixieren noch eine weitere Bedeutung zu, da dieses Verhalten von Border Collies oft im Spiel gegenüber Artgenossen gezeigt wird, von Hunden anderer

Rassen aber auch als Agonistik missverstanden werden und so zu aggressiven Zwischenfällen führen kann.

Vom Blickfixieren im Jagd- oder Hütekontext sind fokale epileptische Anfälle und stereotype Verhaltensweisen wie das bewegungslose Vor-sich-hin-Starren oder das Fangen imaginärer Fliegen abzugrenzen – allerdings beschreibt LAMBRICH (2007), dass sich solche Stereotypien v.a. aus exzessivem Objektspiel entwickeln können.

2.6.7.3 Schnappen und Beißen

Je nach Autor wird der Fangbiss im Zusammenhang mit Jagd- oder Hüteverhalten auch als

„Zwicken“, „Schnappen“, „Greifen“, „Griff“ oder „Packen“ (englisch: „grab-bite“, „heeling“,

„gripping“) bezeichnet. COPPINGER und COPPINGER (2001) betonen zwar, dass dieser Fangbiss bei Hütehunden im Vergleich zum ursprünglichen Jagdverhalten nur abgeschwächt auftritt, aber durchaus noch vorkommt. Laut FINGER (1996) schnappen Hütehunde angelsächsischen Ursprungs im Vergleich zu anderen Rassen bei der Arbeit an Vieh nur selten, PRICE (1996) hingegen beschreibt das Greifen als ein Verhalten, das der Hund an Schafen einsetzt um diese anzutreiben oder zurückzuhalten. Sie fordert eine eindeutige Abgrenzung gegenüber aggressivem Verhalten, sieht in einigen Fällen das Schnappen aber auch als eine Stressreaktion des Hundes. Im Gegensatz zu Border Collies wird der gezielte Griff von Australian Shepherds häufiger eingesetzt (BOSSELMANN 2008).