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Heute besteht allgemein Einigkeit darüber, dass der Wolf als einziger Stammvater des Hundes anzusehen ist (ZEUNER 1963; ZIMEN 1988; FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

ZEUNER (1963) sieht den Beginn der Domestikation des Hundes spätestens im Mesolithikum. Er vermutet, dass Wölfe dem Menschen wahrscheinlich zunächst als Abfallvertilger folgten, dass der Mensch aber schon bald die Nützlichkeit des Wolfes für die gemeinsame Jagd erkannte. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Fähigkeit des Wolfes, Wildwiederkäuer zu treiben und einzukreisen. ZEUNER (1963) sieht dies ebenfalls als Voraussetzung für die spätere Domestikation von Ziege, Schaf und Rentier. ZIMEN (1988) vermutet, dass vor allem die Tatsache, dass Wölfe ähnlich wie Menschen als soziale Wesen in kleinen Gruppen leben, eine Domestikation erst ermöglicht hat.

2.1.1 Domestikation und Entstehung der Rassenvielfalt

IMMELMANN (1982) bezeichnet die Haustierwerdung sowie das Züchten von Tieren in Menschenobhut als Domestikation. Durch einen populationsgenetischen Veränderungsprozess werden aus Wildarten Haustiere (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

Voraussetzung hierfür ist die genetische Isolation von Wild- und Haustier (ZIMEN 1988).

Im Zuge der Domestikation lassen sich bei den meisten Tierarten bestimmte Veränderungen bezüglich Körpergröße, Haarkleid, Knochenbau und Weichteilentwicklung feststellen. So sind die frühen Haustierformen in der Regel kleiner als ihre wilden Vorfahren, ihr Haarkleid zeigt aufgrund von Mutationen eine größere Variabilität in Bezug auf Farbe und Länge, der Gesichtsschädel der Haustiere ist kürzer, der Gehirnschädel sowie das Gehirn selbst sind von geringerem Volumen als bei der Stammform (ZEUNER 1963).

Durch das Leben in Menschenobhut werden für die vorhergehenden Umweltbedingungen charakteristische evolutionäre Zwänge durch neue selektive Faktoren ersetzt, so dass die Entwicklung der Art in eine neue Richtung geht (ASKEW 2003). Viele Verhaltensweisen des Wolfes, wie seine Zurückhaltung gegenüber allem Neuen, waren für das Überleben nicht länger notwendig; der veränderte Selektionsdruck förderte u.a. die Entwicklung einer früheren Geschlechtsreife und die Ausbildung eines Repertoires vokaler Verhaltensweisen,

die Bereitschaft zur Unterwerfung gegenüber dem Menschen sowie flexibles Verhalten und erhöhte Lernbereitschaft (ASKEW 2003).

ZEUNER (1963) beschreibt verschiedene Zwischenformen in der Entwicklung vom Wolf hin zu den verschiedenen Hunderassen. Als Stammform der Schäfer- und Polarhunde sieht er den vom nordischen Wolf abstammenden Canis familiaris inostranzewi, als Vorfahren der Hütehunde nennt er den vom indischen Wolf stammenden Canis familiaris matris-optimae.

Wann die ersten Rassen entstanden, ist heute unklar. Laut ZIMEN (1988) belegen Funde aus dem Mesolithikum, dass die Hunde bereits in dieser Zeit eine große Variabilität einzelner Merkmale aufwiesen, folglich das Modell der Urrassen nicht zutreffen kann. Früher als andere Haustierarten wurde der Hund zu verschiedenen Zwecken genutzt, so dass es hier nicht zur Bildung einheitlicher geographischer Formen kam. Erst als am gleichen Ort verschiedene Nutzungstypen mit ähnlichem Aussehen und Verhalten in sexueller Isolation getrennt gezüchtet wurden, entstanden auch die ersten Hunderassen (ZIMEN 1988).

COPPINGER und COPPINGER (1998) beschreiben einen anderen Mechanismus der Haustierwerdung des Hundes: sie unterscheiden fünf Gruppen von Hunden, die jeweils einem bestimmten Verhaltenstyp entsprechen und sich phylogenetisch nacheinander entwickelt haben.

1. Dorfhunde („Villagedogs“)

2. Herdenschutzhunde und Jagdbegleiter („Livestock guarding dogs“ / „hunting companions“)

3. Schlittenhunde („Sled dogs“)

4. Hütehunde und Jagdhunde („Herding dogs / „Gun dogs“) 5. Haushunde („Household dogs“)

Angehörige dieser fünf Gruppen sind auch heute noch überall auf der Welt zu finden. Dabei vertreten die Autoren die Ansicht, dass die Domestikation auf eine von selbst herbeigeführte Reduktion der Fluchtdistanz sowie auf interspezifisches Futterbetteln zurückzuführen ist. Die körperlichen Veränderungen, die den Hund vom Wolf unterscheiden, werden dabei nicht als Anpassungen, sondern als nun mögliche saltatorische Mutationen angesehen. Die Entstehung spezialisierter Rassen erfolgte dann wesentlich später durch Hybridisierung von Hunden verschiedener Typen. Dabei kann eine künstliche Selektion nach äußerlichen Merkmalen im Welpenalter von einer Selektion nach Verhaltensmerkmalen beim erwachsenen Hund unterschieden werden.

COPPINGER und COPPINGER (1998) betonen, dass die Gruppe der Hüte- und Jagdhunde eine insgesamt noch sehr junge Rassegruppe ist und sich viele dieser Rassen oftmals auf einzelne Gründertiere zurückführen lassen. Die Zuchtwahl erfolgte aufgrund bestimmter Verhaltensmerkmale; diese wurden dabei z.T. so stark ritualisiert oder übertrieben, dass die Hunde in einem bestimmten Verhaltensmuster gewissermaßen „stecken bleiben“. Solche Verhaltensmuster sind meist Teil des Jagdverhaltens und dadurch selbstbelohnend. Sie werden jedoch oft auch in anderen Zusammenhängen als in jagdlichem Kontext gezeigt, ins Sozialspiel eingebaut oder gegenüber imaginären Objekten ausgeführt. Dies trifft laut COPPINGER und COPPINGER (1998) in besonderem Maße für Border Collies und Pointer zu.

2.1.2 Hirten-, Hüte- und Treibhunde

Die Vielfalt umweltbedingter und wirtschaftlicher Gegebenheiten ist für die Entwicklung verschiedener Systeme der Viehhaltung verantwortlich; in Anpassung an diese haben sich unterschiedliche Rassen von Hirten-, Hüte- und Treibhunden entwickelt (FINGER 1996).

Dabei wurden durch züchterische Selektion unterschiedliche Verhaltenssequenzen besonders hervorgehoben (COPPINGER und SCHNEIDER 1995). Um die Typen von Hunden, die zur Arbeit an Vieh eingesetzt werden, zu klassifizieren, schlägt FINGER (1996) folgende Einteilung vor:

Herdenhunde bzw. Herdengebrauchshunde (Gesamtheit aller Hunde, die für den Schäfer oder Hirten arbeiten)

1) Herdenschutz- bzw. Hirtenhunde („Livestock guarding dogs“)

=> Funktion: Schutz des Viehs vor Menschen und Raubtieren 2) Treib- oder Kuhhunde („Driving or cattle dogs“)

=> Funktion: Weideauf- und -abtrieb von (Groß-)vieh 3) Hüte- bzw. Schäferhunde („Tending or shepherd dogs“)

=> Funktion: Hutung unter beengten Verhältnissen auf Feld- und Wegeweiden

4) Schaf- bzw. Koppelgebrauchshunde („Sheep- or herding dogs“)

=> Funktion: Arbeit an Kleingruppen auf weitläufigen Weiden

Die Gruppen 2), 3) und 4) werden von anderen Autoren meist unter dem Begriff „Hütehunde“

zusammengefasst und von HANCOCK (1999) durch die Beschreibung ihrer Arbeitsweise als

„Header-Stalker-Breeds“ bezeichnet.

Während Herdenschutzhunde vor allem dort entstanden, wo das Vieh in unübersichtlichem Gelände geweidet wurde und durch große Raubtiere wie Wölfe und Bären bedroht war, erforderte eine Haltung mit häufigen Weidewechseln beweglichere und leichtere Hunde (CHIFFLARD und SEHNER 1996). Mit der Umwandlung des Grünlands in so genanntes enges Gehüt entstanden wendige, intelligente Hütehundschläge (FINGER 1996). Die Verhaltensweisen, die Herdenschutzhunde Schafen gegenüber zeigen, unterscheiden sich deutlich von denen, die Hütehunde an Vieh ausführen. Während Herdenschutzhunde bewusst mit Schafen sozialisiert werden, zeigen Hütehunde Vieh gegenüber Verhaltensweisen aus dem Funktionskreis des Jagdverhaltens (COPPINGER und SCHNEIDER 1995; COPPINGER und COPPINGER 2001). Während COPPINGER und COPPINGER (2001) darauf hinweisen, dass bei Hütehunden eine Sozialisation mit Schafen im eigentlichen Sinne vermieden werden muss, konnte LAMBRICH (2007) durch ihre Untersuchungen belegen, dass dennoch die Kontaktmöglichkeit zu Herdentieren während der Sozialisierungsphase für die Verhaltensentwicklung von Hütehunden enorm wichtig ist.

ARONS et al. (1992) untersuchten Unterschiede zwischen Hütehunden, Herdenschutzhunden und Schlittenhunden auf der Basis von Neurotransmitterspiegeln im Gehirn. Dabei fanden sie u.a. bei Border Collies höhere Dopaminspiegel als bei Herdenschutzhunden. Dopamin spielt eine wesentliche Rolle im limbischen System, es ist an der Entstehung von Emotionen wie Lust und Freude beteiligt, es beeinflusst das Lernverhalten, die Motorik und das endogene Belohnungssystem positiv, steigert gleichzeitig aber auch das Angstempfinden (BRANDT 2004; FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

Hütehunde gelten gemeinhin als intelligent und aktiv, häufig aber auch als nervös und empfindlich (SYKES 1999; GERBER-MATTLI 2002; PELZ 2004; SEIDEL 2004).