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2.6 Verhaltensstörungen und Verhaltensprobleme

2.6.3 Angstverhalten

Während Angst ein negatives Gefühl in einer scheinbar bedrohlichen Situation ohne spezifischen Auslöser ist, wird Furcht durch einen genau definierbaren, konkreten Auslöser

hervorgerufen; beide Begriffe werden jedoch häufig synonym verwandt (SCHALKE 2004).

SHULL-SELCER und STAGG (1991) unterscheiden drei Komponenten, die dabei eine Rolle spielen: eine Verhaltenskomponente, die Flucht, Angriff oder Erstarren umfasst, eine physiologische Komponente, die die Reaktionen des vegetativen Nervensystems beinhaltet sowie eine emotionale Komponente, die die subjektive Wahrnehmung des Individuums darstellt.

Angstreaktionen sind angeboren oder durch klassische Konditionierung erworben und werden auf unbekannte oder aversive Reize gezeigt (HART und HART 1985a; O’FARREL 1991). Angeborene Angstreaktionen beobachteten TUBER et al. (1982) auf unbekannte große Objekte, besonders wenn diese sich plötzlich bewegen; die Autoren nennen die Reaktion auf Insekten nach einem Stich als Beispiel für erlerntes Angstverhalten.

Angst oder Furcht bei Hunden ist durch Flucht- und Meideverhalten sowie durch einen hohen Erregungszustand mit Zittern, Hecheln, Winseln oder Harnabsatz gekennzeichnet (O’FARREL 1991). Im Ausdrucksverhalten werden zurückgelegte Ohren, eine zurückgezogene Gesichtsmuskulatur, eingeknickte Gliedmaßen, eine eingezogene Rute sowie Beschwichtigungsgesten beobachtet; durch die Ausschüttung von Adrenalin kommt es zu Pupillendilataion, Blutdruckanstieg, Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz und Hecheln (SCHALKE 2004). Die individuellen Reaktionen können dabei unterschiedlich ausfallen, manche Hunde reagieren auf angstauslösende Reize mit einer Zunahme an Aktivität, bei anderen sinkt das Aktivitätsniveau (GODDARD und BEILHARZ 1983).

Während Furcht eine angemessene adaptive Reaktion darstellt, die als Schutzfunktion dem Überleben dient, gibt es auch Angstreaktionen, die in unangebrachten Situationen oder als überschießende Reaktion gezeigt werden und eine Fehlanpassung darstellen (SHULL-SELCER und STAGG 1991). Als Phobie wird eine stark ausgeprägte unkontrollierbare Angst bezeichnet (IMMELMANN 1982). Die Reaktion des Tieres bleibt auf unverändert hohem Niveau, obwohl der bedingte Reiz nicht wieder mit dem unbedingten Reiz gekoppelt wird.

Hierfür können zwei Mechanismen verantwortlich sein: der ursprünglich bedingte Reiz wurde selbst bereits als Trauma empfunden oder die Erfahrung der Furcht an sich war für das Tier so schlimm, dass sie wie ein unbedingter Reiz wirkt (O’FARREL 1991). Oftmals entsteht eine Phobie schon durch einmalige Konfrontation mit dem auslösenden Reiz, weitere Konfrontationen verstärken das Verhalten (SHULL-SELCER und STAGG 1991). Phobien beim Hund werden häufig in Bezug auf Schüsse, Verkehr sowie bestimmte Menschentypen beobachtet (O’FARREL).

Bei der Entstehung von Ängsten und Phobien spielen genetische Faktoren, ein Mangel an Erfahrungen oder vorwiegend schlechte Erfahrungen sowie eine Verstärkung durch den Besitzer eine Rolle; außerdem können Erkrankungen wie Hypo- oder Hyperthyreosen beteiligt sein (SCHALKE 2004). SHULL-SELCER und STAGG (1991) vermuten, dass außerdem häufig eine Dysregulierung des noradrenergen Systems beteiligt ist.

2.6.3.1 Geräuschangst

SHULL-SELCER und STAGG (1991) untersuchten 30 geräuschempfindliche Hunde und fanden bei 93% Angst vor Feuerwerk und Schüssen, bei 87% Reaktionen auf Donner, bei 7% Angst vor Geräuschen aus Fernsehen oder Stereoanlage und jeweils bei 3% Angst vor Staubsauger, Martinshorn und Motorengeräuschen. Laut HART und HART (1985a) handelt es sich dabei häufig um Geräuschphobien. Diese können schon nach einmaliger Konfrontation mit einem lauten Reiz entstehen, eine Gewöhnung an das Geräusch ist oft nicht möglich (TUBER et al. 1982; BEAVER 1991). Die Tiere versuchen zu fliehen oder sich zu verstecken, oft kommen starke vegetative Reaktionen wie Zittern, Hecheln oder Harn- und Kotabsatz hinzu (TUBER et al. 1982). BEAVER (1991) hält eine erhöhte Geräuschempfindlichkeit zumindest teilweise für ein genetisch bedingtes Problem, SHULL-SELCER und STAGG (1991) vermuten eine ererbte individuelle Prädisposition. GODDARD und BEILHARZ (1983) fanden bei ihren Untersuchungen an Blindenführhunden der Rasse Labrador Retriever einen Heritabilitätswert von 0,14 für Geräuschempfindlichkeit, für die Hörempfindlichkeit fanden sie einen Wert von 0,00. Rassebedingte Unterschiede scheinen also nicht bezüglich des Hörvermögens selbst, sondern vielmehr bezüglich der Reaktion auf akustische Reize zu bestehen.

Geräuschphobien scheinen bei Hütehunden stark verbreitet zu sein, SERPELL (1987) spricht von einer Häufung bei Collies, FRANCK (1999) beobachtet bei Border Collies oft Angst vor Schussgeräuschen, Feuerwerk und Gewitter. SCHALKE (2004) berichtet von einer rassebedingten Neigung zu Geräuschphobien bei Border Collies und Bearded Collies.

PRICE (1996) sieht eine niedrige Erregungsschwelle bei Border Collies als logische Konsequenz einer jahrhundertelangen Zucht auf Sensibilität und schnelle Reaktionen.

2.6.3.2 Trennungsangst

Ursache von Trennungsstress ist die psychische Belastung des Hundes, wenn dieser von seinem Besitzer allein gelassen wird (HART und HART 1985a). Hunde mit Trennungsangst

sind häufig in Haushalten aufgewachsen, in denen immer jemand zu Hause war; die Probleme treten auf, wenn es zu plötzlichen Veränderungen in der Familie oder im Tagesablauf kommt. Außerdem zeigen viele Tierheim- und Fundhunde eine Trennungsstressproblematik (HEIDENBERGER 2000). TUBER et al. (1982) beobachten bei Hunden mit Trennungsangst eine starke emotionale Abhängigkeit vom Besitzer.

Symptome von Trennungsangst sind unruhiges Umherlaufen, das Suchen des Besitzers, Lautäußerungen wie anhaltendes Jaulen, Bellen oder Winseln sowie das Zerkauen von persönlichen Gegenständen des Besitzers. Darüber hinaus kann es zu Harn- und Kotabsatz in der Wohnung kommen, da das Ausscheidungsverhalten nicht mehr kontrolliert wird (HEIDENBERGER 2000). Die Symptome beginnen, während der Besitzer sich anschickt, die Wohnung zu verlassen und steigern sich meist in der ersten halben Stunde der Abwesenheit (TUBER et al. 1982). Die bei Trennungsangst auftretenden Symptome müssen von anderen Problemen abgegrenzt werden. Als Differentialdiagnosen für unerwünschtes Ausscheidungsverhalten in der Wohnung kommen mangelnde Stubenreinheit, Erkrankungen des Harnapparates, Urinieren aus Unterwürfigkeit bei der Begrüßung sowie Markierverhalten in Frage. Das Zerstören von Gegenständen kann auch bei jungen Hunden aktiver Rassen oder im Zahnwechsel auftreten. Lautäußerungen in Abwesenheit des Besitzers können durch Reize von außen hervorgerufen werden (HEIDENBERGER 2000).