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2.3 Ethogramm des Hundes

2.3.1 Sozialverhalten

Unter dem Begriff Sozialverhalten findet eine Zusammenfassung aller auf Artgenossen gerichteten Verhaltensweisen, u.a. das Sexualverhalten, die Brutpflege, Verhalten in der Gruppe sowie aggressives Verhalten statt (IMMELMANN 1982). Je nach Ausrichtung werden agonistisches Verhalten (kämpferische Auseinandersetzungen), allelomimetisches Verhalten (gleichgerichtetes Verhalten) und kooperatives Verhalten (gegenseitige Hilfeleistung) unterschieden. FEDDERSEN-PETERSEN (2004) betont den Zusammenhang zwischen Sozialverhalten und Kommunikation: eine fein abgestimmte Kommunikation ist Voraussetzung für komplexe soziale Verhaltensweisen. Kommunikation bezeichnet die kooperative Signalübertragung von einem Signalgeber auf einen Signalempfänger (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Der Sender beeinflusst das Verhalten des Empfängers durch das Aussenden von Signalen; je nach beteiligter Sinnesform werden optische, taktile, akustische und chemische Kommunikation unterschieden (IMMELMANN 1982).

2.3.1.1 Rangordnungsbezogenes Verhalten

Als Rangordnung wird eine soziale Hierarchie innerhalb einer Gruppe bezeichnet, durch die die Verteilung von Rechten und Pflichten geregelt ist. Ranghohe Tiere haben bevorzugten Zugang zu Ressourcen, müssen meist aber auch bestimmte Verpflichtungen wie die Verteidigung der Gruppe übernehmen (IMMELMANN 1982). Soziale Rangordnungen sind nur dort möglich, wo sich die Gruppenmitglieder in individualisierten Verbänden als Einzelwesen kennen (HEIDENBERGER 2000). Innerhalb einer etablierten Rangordnung tragen Dominanzverhältnisse zur Stabilisierung der sozialen Beziehungen bei, da Auseinandersetzungen meist nur im Zusammenhang mit der Bildung oder mit Änderungen in der Rangordnung vorkommen, die Rollenverteilung sonst aber in der Regel akzeptiert wird (IMMELMANN 1982). Durch eine feststehende Rangordnung werden kämpferische Auseinandersetzungen und damit Verletzungen vermieden, die Tiere setzen stattdessen ritualisierte Droh- und Unterwerfungsgesten ein um das Ranggefüge zu stabilisieren (HEIDENBERGER 2000). Die soziale Rangordnung von Caniden ist durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

2.3.1.1.1 Soziale Annäherung

Die soziale Annäherung umfasst Verhaltensweisen wie Analwittern, Violwittern, Fellwittern, Fellstoßen, Felllecken und -beknabbern; Schnauzenkontakt und Schnauzenlecken;

Umeinanderlaufen, Vorlaufen und Folgen; Sich-Aneinanderreiben und Drängeln (SCHÖNING 2004). Auch die aktive und passive Unterwerfung rangniederer Tiere sind Ausdrucksweisen zur Verminderung der sozialen Distanz und zählen zu den sozio-infantilen Verhaltensweisen (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Die aktive Unterwerfung ist durch eine hohe Bewegungsaktivität und eine niedrige Körperhaltung mit auf den Partner gerichtetem Blick gekennzeichnet und entwickelt sich aus dem Futterbetteln (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Sie wird häufig bei der Begrüßung ranghöherer Gruppenmitglieder gezeigt, auch das Anheben einer Vorderpfote ist Ausdruck sozialer Unterordnung (HEIDENBERGER 2000).

Bei der passiven Unterwerfung lässt sich das unterlegene Tier auf den Rücken rollen und signalisiert damit das Akzeptieren der Handlungsfreiheit des Überlegenen. Diese Starre des rangniederen Hundes entwickelt sich aus dem infantilen Passivbleiben des Welpen während der Anogenitalreinigung durch die Mutterhündin (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

2.3.1.1.2 Agonistik

Agonistisches Verhalten umfasst alle mit der kämpferischen Auseinandersetzung zwischen Individuen im Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen wie Aggression und Flucht (IMMELMANN 1982). Submissive Verhaltensweisen werden meist nicht einbezogen (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). SCHÖNING (2004) nimmt eine weitere Unterteilung in freies aggressives Verhalten, gehemmt aggressives Verhalten, offensives Drohverhalten, defensives Drohverhalten und Fluchtverhalten vor.

Das Drohverhalten eines Hundes ist immer gerichtet (FEDDERSEN-PETERSEN).

Offensives Drohverhalten umfasst die Beißdrohstellung, das Über-dem-Gegner-Stehen, die Überfalldrohung und das Anschleichen (SCHÖNING 2004). Der Gegner wird mit dem Blick fixiert (HEIDENBERGER 2000). Im Bereich der Rückenlinie wird das Fell gesträubt, der Schwanz wird über die Rückenlinie angehoben und die vorderen Zähne werden gebleckt, so dass die Mundwinkel kurz und rund erscheinen; mit zunehmender Unsicherheit wird die Maulspalte länger (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Während das Drohverhalten bei Wölfen stark ritualisiert und durch eine deutliche Angriffshemmung gekennzeichnet ist, wird dieses bei Hunden häufiger durch Bisse unterbrochen (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

Abwehrdrohen wird bei sozialer Unsicherheit und gleichzeitiger voller Verteidigungsbereitschaft des Hundes gezeigt; Angriffs- und Fluchtbereitschaft können sich in gegensätzlichen Körpersignalen zeigen, der Ausdruck im Bereich des Körpers ist variabel (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Abwehrhandlungen wie Abwehrdrohen, Abwehrschnappen, Gebissklappern, Abwehrbeißen, Abwehrstoßen und Abwehrkreiseln sind Teile des Defensivdrohens; mit zunehmender Bedrohung und Abwehrbereitschaft werden die Zähne gebleckt und die Mundwinkel nach hinten gezogen (SCHÖNING 2004).

Gehemmt aggressives Verhalten umfasst Verhaltensweisen wie Schieben, Anrempeln und Anspringen, Aufreiten, Herunterdrücken und Beißen in die Luft, in das Fell oder über die Schnauze des Gegners (SCHÖNING 2004). Ein Überfall entspricht einem Angriff in Imponierhaltung und kann in gehemmt aggressives Imponierverhalten oder in einen ernsthaften Kampf übergehen (HEIDENBERGER 2000). Das freie aggressive Verhalten wird auch als Ernstkampf bezeichnet; es beinhaltet Verfolgung, Angriff, Beißen über den Rücken sowie Beißschütteln (SCHÖNING 2004). Das Beißen geschieht als Beschädigungsbeißen ohne Beißhemmung (HEIDENBERGER 2000).

2.3.1.1.3 Imponierverhalten

Imponierverhalten wird von selbstsicheren Hunden gegenüber Sozialpartnern gezeigt und kann als ungerichtetes Drohen verstanden werden. Die Tiere bewegen sich steifbeinig mit durchgedrückten Gelenken und hoch getragenem Schwanz umeinander und beriechen sich, dabei wird jedoch ein direkter Blickkontakt vermieden (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Die Individualdistanz des Gegenübers wird respektiert (HEIDENBERGER 2000). SCHÖNING (2004) zählt Demonstrieren, Imponierschieben, Imponierscharren, Imponierjagen, Imponiertragen, Abdrängeln und Halsdarbieten zum Imponierverhalten. Das Imponierverhalten ist durch eine starke soziale Hemmung gekennzeichnet, kann jedoch in aggressives Verhalten übergehen (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

2.3.1.2 Spielverhalten

Spiel ist durch Verhaltensweisen gekennzeichnet, die in dieser Situation keinen unmittelbaren Ernstbezug haben und tritt vor allem bei Jungtieren auf. Bewegungen werden erfunden, frei kombiniert oder stark übertrieben; sind mehrere Individuen beteiligt, kommt es häufig zu Rollenwechseln. Die biologische Funktion des Spielverhaltens ist vermutlich im Einüben motorischer Fähigkeiten, im Einüben kognitiver Fähigkeiten sowie im Einüben

sozialer Fähigkeiten zu sehen (IMMELMANN 1982). Es existieren verschiedene Ansätze, Spielformen zu klassifizieren; in der Regel wird zwischen Solitärspielen, Spielen des Nahrungserwerbs, Objektspielen und Sozialspielen unterschieden. Letztere lassen sich wiederum in Kampf-, Beiß-, Flucht-, Kommunikations- und sexuelle Spiele einteilen (FEDDERSEN-PETERSEN 2004). Das Initialspiel stellt eine Spielaufforderung dar, typische Spielbewegungen sind die Vorderkörpertiefstellung, Hopsen, Hochschleudern des Kopfes oder des Vorderkörpers, Spieltragen und Spielbeißen, Beißschütteln, Anstoßen mit der Schnauze, Spiel-Vorderbeinstoßen und plötzliches Losrennen (SCHÖNING 2004), in diesem Zusammenhang wird ein „Spielgesicht“ gezeigt (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

HEIDENBERGER (2000) beschreibt, dass sich in den jeweiligen Spielvorlieben rassetypische Besonderheiten widerspiegeln.

2.3.1.3 Sexualverhalten

Zum Werbeverhalten des Rüden werden Folgelaufen, Urinlecken, Ohren-, Flanken- und Genitallecken und -riechen, das Herandrängen, das Auflegen der Pfote auf Kopf oder Rücken und Aufsprungsintention gerechnet (HEIDENBERGER 2000). Das Verhalten der Hündin ist abhängig vom Zyklusstatus; im Östrus lockt sie durch Spielaufforderungen, Pföteln, Herandrängen und häufiges Urinieren. Hündinnen bevorzugen bestimmte Rüden gegenüber anderen, Deckbereitschaft wird durch Stehenbleiben und das Zurseitelegen der Rute signalisiert (HART und HART 1985a). Beim eigentlichen Deckakt reitet der Rüde auf und führt Friktionsbewegungen mit dem Becken aus, es kommt zur Intromission mit Hinterbeintrippeln während der Ejakulation. Der Rüde steigt ab, die Partner bleiben in umgekehrt paralleler Stellung stehen, da die Tiere durch die starke Schwellung des Penisknotens für zehn bis 30 Minuten hängen (HEIDENBERGER 2000).