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Von 1430 bis 1435 war Vasilij Dmitrievi č Korsak auf der Seite der Aufstän- Aufstän-dischen als Statthalter und Wortführer der Polocker aktiv.7 1436 wurde Fedor

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 98-108)

Korsak

– der

Enkel

des

Fedor,

der 1412

herrschte

– zum

Statthalter

des obsiegen-den

Großfürsten

in

Polock.8 Möglicherweise bestimmten oder wählten

die

1 PG 1, Nr. 43, S.122; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.136; PG 5, S.202.

2 ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.65.

3 PG 3, Nr. 53, 1439, S.139; PG 4, S.112; CHOROŠKEVIČ(1982a), S.72. Die Einführung der Wojewodschaft erfolgte nicht erst zu Beginn des 16. Jh. Anders: LJUBAVSKIJ (1893), S.67;

Gleichfalls anders: PIETKIEWICZ (1995), S.202. Erst 30 Jahre später wurde auch in Kiew ein Wojewode eingesetzt.

4 PG 3, Nr. 323, 1511, S.90; PG 5, S.24f. JAKUBOVSKIJ vertritt die ebenfalls plausible An-sicht, der Zusatz sei bereits im Privileg des Fürsten Vytautas enthalten gewesen.

JAKUBOVSKIJ (1903), S.298.

5 VITOLDIANIA, Nr. 1, 1392–1399, S.5f. In dieser Edition ist plausibel „ich spravy“mit

„ispravyersetzt. Vgl. PG 3, Nr. 323, S.91.

6 Der Kreuzkuss des Wojewoden beim Amtsantritt kann zu Ende des 16. Jh. als Praxis nachgewiesen werden. ZAŁĘSKI (1905), S.197; VS 5, Nr. 121, S.226.

7 ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.118; PG 1, Nr. 51, 1435–1436, S.132; LECUB Abt. 1 8, Nr. 998, S.610.

8 PG 5, S.210; PG 3, Nr. 52, 1436–1437, S.133; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.137.

Polocker damit schon

im

Kontext

der

herrschaftlichen Krise

der

ersten Hälfte

der 30er

Jahre ihre Statthalter.

Die

Herrschaft

der

Korsak,

des bald

mächtigsten

Ge-schlechts

des

Polocker Landes, konnte sich aber nicht durchsetzen:

Bis ins 16. Jh.

bekleideten

das

höchste Polocker

Amt

stets litauische Würdenträger,

die nur sel-ten

ostslawischer Abstammung waren.

Die

überregionale Bedeutung

des

Amtes

im

peripheren Nordosten nahm jedoch

ab. In der

zweiten Hälfte

des 15. Jh.

be-kleideten Magnaten zunehmend mehrere Ämter gleichzeitig,

so

dass

oft kein

Wojewode,

ja

nicht einmal

sein

Statthalter,

sich in der

Polocker

Burg

aufhielt.1

Neben

dem

wenig veränderten Tätigkeitsfeld

des

„decki

fehlen

für eine

lange

Zeit

Hinweise

auf das Amt des

Tivun.

Es

kann

zu

Ende

der 30er

Jahre

des 15. Jh.

(zunächst

nur für

eine kurze Zeit) wiedereingeführt worden sein,

als die

Polocker Statthalterei

zur

Wojewodschaft umgestaltet wurde.2

Erst die

Woje-woden

und

ihre Statthalter

der

zweiten Hälfte

des 15. Jh.

verfügten über speziali-sierte Schreiber.3

Laut

einem

als

älter eingeschätzten Grundsatz

im

Landesprivileg stand

die

Burgstadt zunächst unter

der

Gerichtsbarkeit

des

„burgstädtischen tivun

“ des

Fürstenhofes, dann erst

der des

Fürsten.

Der

Tivun

war

auch

für die

Eintreibung

von

Abgaben zuständig

und

hatte

dem

Fürstenhof täglich

eine

Geldabgabe

zu ge-ben.

Dieses

Amt

(

tivunstva horodskoh(o)

“)

sollten gemäß

der

Regelung

nun

aber keine „Diener

des

Wojewoden

(

voevodinym slugam

“ )

mehr ausüben, son-dern offenbar Vertreter

der

adligen regionalen Elite. Zudem sollte

der

Tivun nicht außerhalb

des

„horod

“ mit

Dienstleuten

des

Wojewoden richten.4 Damit gliederte

der

Großfürst

den

Tivun

und den

burgstädtischen Bezirk,

für den

dieser unter

dem

Statthalter verantwortlich war,

bis zu

einem gewissen

Grad aus der

Wojewod-schaftsverwaltung aus.5

Zwei Versuche

zur

Stärkung

der

örtlichen fürstlichen Amtleute

in der

zweiten Hälfte

des 15. Jh. – die

Einsetzung eines „Horodni

č ij“

(1475)6

und

mehrerer Zehnerschaftsführer (1486)7

scheiterten. Mindestens

im

ersten

Fall lag der

Grund

im

Widerstand

der

städtischen Bevölkerung inklusive

der

Bojaren.

In

Herrschaftskrisen Ende

des 14. Jh.8 und in den 30er

Jahren

des 15. Jh.

lehn-ten die

Polocker ähnlich

wie im 12. Jh.

schwache Fürsten

ab,

veranlassten etwa

1 PG 4, S.81, S.86; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.139f.; PG 6, S.112.

2 PG 5, S.25. Der Tivun war im 15. Jh. nicht der einzige fürstliche Beauftragte, der neben dem Fürsten richten durfte: Noch zu Ende des 15. Jh. richteten Bojaren ohne besondere Ämter im

Auftrag des Wojewoden ländliche Angelegenheiten vor Ort. PG 2, Nr. 230, 1499, S.162.

3 PG 2, Nr. 143, S.33.

4 PG 3, Nr. 323, S.90, PG 5, S.24f.; vgl. LJUBAVSKIJ (1893), S.420–424; DOVNAR-ZA-POL’SKIJ (1902), S.131–133. In der ersten Hälfte des 16. Jh. war es jeweils von Angehörigen des Geschlechts der Korsak besetzt.

5 Vgl. WERDT, V. (2003), S.168.

6 PG 2, Nr. 155, 1475, S.48. Im „ausführlichen Recht“der Rus’war der „gorodnik“für den Bau der Palisaden der Burgstadt verantwortlich und wurde durch Abgaben entlöhnt. GOETZ (1910), S.294.

7 PG 2, Nr. 195, 1486, S.111. Dennoch sind in der Revision von 1552 Zehnerschafts- und Hun-dertschaftsführer genannt.

8 1381 lehnten „die Polotschanen“den ungetauften Skirgaila ab, der ihnen vom Großfürsten 1377 oder 1378 anstelle Andrejs zum Fürsten gegeben worden war: „Großfürst Jagiello gab

Polock seinem Bruder Skirgaila und sie nahmen ihn nicht an.“PRSL 17, S.73; PSRL 17,

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 99

durch eigene Gesandte Vereinbarungen

mit

anderen Fürsten1

und

hatten Einfluss

auf die

Einsetzung neuer Fürsten. Möglicherweise schlossen

sie mit

ihnen

gar

Verträge

ab und

empfingen Eidleistungen seitens

der

Herrschaftsträger.

Aber

le-diglich

im

Kontext dieser Krisen schlossen

und

verweigerten nicht

nur

Fürsten oder Großfürsten militärische Frieden, sondern auch

die

Städter.2

Die

Versammlungen

der

Polocker,

die

möglicherweise hinter diesen kollektiven Handlungen standen, fanden

wie im 12. Jh. in

Krisenzeiten fürstlicher Herrschaft statt

und

hatten folglich

nur

Einfluss

auf

Angelegenheiten,

die sich in

solchen

Si-tuationen ergaben. Zwar glichen

sie im

Ansatz

den

älteren Versammlungen,

blie-ben

aber wegen

der

Abhängigkeit

vom

Kontext

der

Herrschaftskrise

für das 15.

Jh.

insgesamt nicht charakteristisch.

Im

Unterschied

zu

Novgorod entmachteten

in

Polock nicht

die

Stadtbewoh-ner, sondern

der

litauische Großfürst

den

Teilfürsten. Großfürst Vytautas stellte

ein

neuartiges Dreiecksverhältnis zwischen

dem

Großfürsten, seinem Statthalter

und der

Stadtbevölkerung

her: Er gab den

Städtern neue kollektive Rechte,

ließ sie

einen

Eid auf sich

schwören

und

ersetzte

den

Teilfürstensitz durch eine Statt-halterei,

die er

nicht

als

Lehen vergab. Unter diesen Bedingungen

und mit den da-mals

verliehenen Privilegien bildeten

sich in der

ersten Hälfte

des 15. Jh.

neue soziale Gruppenbindungen

in der

Stadt.

C.II.2 Ständische Rechte

und

soziale Gruppen (1400

1470)

Aus den

früheren Vereinbarungen zwischen

dem

Fürsten

und den

Polockern wurde nach

1385 ein

Privileg,

das den

freien Polockern nach lateinischem Vorbild

vom

Großfürsten verliehen wurde

und das sich von

einem Übereinkommen zwi-schen zwei Vertragspartnern wesentlich unterschied.

Es wies den

Polockern

eine

gänzlich neue Rolle

zu: Mit dem

Privileg,

das

sicherlich auch

für die

ehemaligen Gefolgsleute Geltung hatte, wurde

die

freie Bevölkerung

des

früheren Teilfürsten-tums

zum

privilegierten lokalen Garanten

für die

Ordnung,

die der

ferne Großfürst

für

Polock

und den

Statthalter vorsah. Gemäß einer Urkunde

von

1486,

die in

Teilen

auf die Zeit von

Vytautas zurückgehen soll, verlangte

der

Großfürst

im

Gegenzug

für

Rechte,

die er den

Polockern verliehen hatte, dass

sie ihm

kollektiv einen

Eid

darauf leisteten, Verpflichtungen einzuhalten. Insbesondere sollten

sie mit ihm in den

Krieg ziehen oder eine allgemeine Landesabgabe (

„ dlja

potrebizny zemskoe

“)

entrichten.3

S.156; PSRL 3, S.92. Die Stadt überstand in der Folge eine lange Belagerung erfolgreich, ohne Beistand eines eigenen Fürsten und dessen Gefolgschaft. KOLANKOWSKI (1930), S.15, S.20f.; ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.42f. „Die Polotschanenkonnten somit wie in ähnlichen Situationen im 12. Jh. ihr Handeln zu einer gemeinsamen kollektiven Aktion im herrschaftspolitischen Bereich bündeln und mittelfristig erfolgreich umsetzen.

1 PSRL 3, 1381, S.92.

2 Auch 1435 weigerten sich die Polocker, sich ihren Angreifern zu ergeben, und entschieden sich für die Weiterführung des Krieges. 1436 ergaben sie sich. PSRL 17, S.64.

3 Vgl. MACIEJEWSKA (1933), S.46. Der 1486 genannte Eid und die Landabgabe kann auf diese Zeit zurückgehen: 1486 wurde in diesem Zusammenhang geschrieben, „wir haben

Im Eid

gegenüber

dem

Großfürsten konstituierten

sich

damit

„ die

Polocker

“ in

einer gegenseitigen Treuebeziehung

als

kollektiver Akteur

und

festigten

sich

weiter

in

Richtung einer herrschaftlichen Genossenschaft.

Der

Schwur begründete aber keinen einheitlichen

und

keinen expliziten Friedensbezirk.

Auch

verschie-dene Gruppen außerhalb

der

Burgstadt leisteten ihn.1 Zudem waren gerichtliche Angelegenheiten

von ihm

nicht explizit berührt.2 Gemäß

dem Text von 1486 hat-ten die im Eid

vereinten verschiedenen lastenpflichtigen Gruppen

des

Landes

und der

Burgstadt „gemeinsam

(

pospolu

“) die

Landesabgabe

zu

leisten.

Erst nach der

Mitte

des 15. Jh. ist

nachweisbar, dass

die

Polocker diese Abgabe

in

eigener Regie genossenschaftlich organisiert umlegten, sammelten

und

abgaben.

Die

Or-ganisation

der

Eintreibung

der

Abgabe

war

inzwischen

an sie

delegiert worden.

Kriegsdienst, Wachdienste

und

vielerlei Abgaben sowie

die

Reparatur

der

Palisaden

der

Burg,

der

Burgstadt

und der

Brücke über

die

Polota sind

für „ die

Polocker

“im 15. Jh.

hinreichend belegt. Umgekehrt genossen „die Polotschane

oder einzelne Gruppen Weide-, Biberjagd-, Fischerei-

und

Forstrechte, Zollfrei-heit

und

nicht zuletzt

die in den

Verträgen

mit Riga

ausgehandelten Rechte.3 Zahl-reiche Pflichten waren zunächst persönliche.

Sie

sowie ihre Erfüllung variierten

von

Gruppe

zu

Gruppe

und von

Bezirk

zu

Bezirk.

Die

gemeinsame Leistung

von

Pflichten durch

die

unterschiedlichen Gruppen

im

Landeshauptort Polock kann erst

nach der

Mitte

des 15. Jh. und

lediglich

für die

allgemeine Landesabgabe nachgewiesen werden.4

Die

Ursprünge dieser Nutzungsrechte

und

Pflichten werden

oft auf die Rus ’

zurückgeführt. Ihre monetär ausgerichtete Organisation

im

Rahmen

der staatli-chen

Steuerpolitik

ist

aber erst

im 15. und 16. Jh.

belegt

und

eher

mit der

verein-heitlichenden Umgestaltung

der

Landesorganisation

nach der

Integration

des

Teil-fürstentums

ins

Großfürstentum Litauen

an der

Wende

zum 14. Jh. zu

erklären.5

Für

eine damalige weitgehende Neuorganisation

und

Intensivierung unterschiedli-cher Lasten

und

Pflichten spricht

das

Auftreten neuer Dienstgruppen

wie der

„Wegeleute

(

ljudi putnye

“ ).6 Die

Binnenkolonisation

im

Umland

von

Polock nachgesehen im Schreiben unseres Großvaters, des Großfürsten Vytautas, der ihnen dieses Recht (...) gegeben hatte (...).V ITOLDIANA, Nr. 2, S.6; vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.110.

1 Vgl. PG 2, Nr. 226, 1498, S.154.

2 Vgl. BADER (1967), S.272f.

3 ŁOWMIAŃSKI (1923–1924), S.412; vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.110; PG 2, Nr. 221, 1497:

„auch heute können die Polocker Bürger auf diesen Flüssen für sich Biber jagen und töten“. Vgl. auch die Befreiung von diesen Abgaben im Privileg von 1498: PG 2, Nr. 226, S.154– 156. Auf der Grundlage der Revision von 1552: PANOV (1915), S.8.

4 Vgl. DOVNAR-ZAPOLSKIJ (1902), S.805f.; vgl. GIERKE (1873), S.392–396.

5 Vgl. DOVNAR-ZAPOLSKIJ (1902), S.805–807; MACIEJEWSKA (1933), S.50–53;

LJUBAVSKIJ (1910), S.54. Zu neuen ländlichen Abgaben und Diensten (14.–15. Jh.) HELL-MANN (1989), S.806f. Beispielsweise ist erst 1535 vom Amt des „mostovničij“zu erfahren.

Er sorgte sich darum, dass die Domänenleute ihren Anteil an der Reparatur der Brücken be-ziehungsweise der üblicherweise mit Holzbalken belegten Straßen in und am Rand der Stadt leisteten. BA 2, Nr. 371, S.262. Die Pflicht freilich mag auch in Polock viel älter sein. So ist im „ausführlichen Recht“der Rus’der „mostnik“als ein durch Abgaben entlöhnter Bauver-antwortlicher genannt. GOETZ (1910), S.294. Vgl. u. a. zum Straßen-, Wege- und Brücken-bau (Weg und Steg“): BADER (1962), S.241.

6 Vgl. PG 5, S.19f.; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.167; PR 1552, S.233; BA 2, S.339;

JAKUBOVSKI (1928), S.13.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 101

im 15. Jh.

brachte

eine

Zunahme

des

genutzten

und

rechtlich gesicherten Grund-besitzes,

der

Gutswirtschaft,

mit

sich.

Sie

bedrohte alte, kollektive Nutzungsprak-tiken

von

Flüssen, Seen, Wäldern

und

Weiden,

die

bisher

nur

locker

und

weit-räumig beansprucht

und

kaum geregelt waren.

Nun

waren

sie,

ähnlich

wie die

Allmenden

im

westlichen Mitteleuropa, fester

zu

gestalten

und

abzugrenzen.

Alte

Gemeinnutzung dürfte erst damals genossenschaftlich geordnet worden sein.1

In

ihren Pflichten

und

Nutzungsrechten waren

die

Bewohner

des

Burgstadtbezirks, viele Gruppen

im

Umland

und

teilweise auch

der

Adel weitgehend gleichgestellt.

Die

gemeinsamen Lasten

und

Pflichten festigten zahlreiche Gruppen

des

Polocker Gebiets

in der

ersten Hälfte

des 15. Jh. als

Nutznießungs-

und

Leistungsverband.

Diese Konsolidierung

ging

über

die

bisherige frühe uneinheitliche herrschaftliche Genossenschaft ohne institutionalisierte Organe hinaus.

Mit ihr

einherging

eine

soziale

und

rechtliche Gliederung

der

freien Polocker

in

mehrere ständisch privi-legierte Gruppen.

C.II.2.1 Bojaren

Die vom

Ende

des 14. Jh. an

durch

den

Großfürsten eingesetzten Statthalter konnten nicht mehr nach alter fürstlicher sozialer Praxis eine Gefolgschaft

um sich

scharen.

Mit dem

Verschwinden

des

Polocker Teilfürstensitzes büßte

der

ge-folgschaftliche Adel damit seine persönliche Dienststellung

ein, die

bisher

für

seinen Status entscheidend gewesen war.2 Gemäß

den

alten Regeln

der

gefolg-schaftlichen Verbindung

mit

einem Fürsten verloren

nach der

Niederlage

des

Fürsten Andrej Ende

des 14. Jh.

nicht

nur er,

sondern auch drei

der

vier wich-tigsten bekannten Gefolgsleute ihren Besitz.

Die

Ausnahme waren Fedor,

der

mächtigste unter ihnen,

und sein Sohn

Dmytrij.

Sie

hatten schon

von

Andrej

Land

verliehen bekommen, behielten diesen Besitz aber.3

Nur von

einem adligen Polocker, Trichon Boloto,

ist

bekannt, dass

er in

dieser

Zeit des

Umbruchs

Land

erwarb.4 Dieser Schritt

war eine der

Möglichkeiten,

die

einem ehemaligen Gefolgsmann offen standen,

um

einen Status

zu

erlangen,

der dem

neuen sozialen Vorbild

des

privilegierten, landsässigen polnischen Adels

so

weit

als

möglich ent-sprach.

Erst mit der

Parteinahme

des

orthodoxen Adels während

des

Aufstandes

von

Švitrigaila,

der

Sigismund

nach

seiner Absetzung

in den 30er

Jahren

die

Groß-fürstenwürde streitig machte, gruppierte

sich der

lokale Adel erneut. Polock diente 1 Vgl. ŁOWMIAŃSKI (1923–1924), S.416, S.424, S.429–432, S.441; BADER (1962), S.126.

2 Vom Ende des 14. Jh. bis zu Beginn der 30er Jahre des 15. Jh. wurden in den Quellen nur zwei Polocker explizit als Bojaren bezeichnet. PG 1, Nr. 43, vor 1412, S.122. Ansonsten wurden als Absenderformeln von Urkunden aus Polock Mal „ot vsech mužPoločan ot mal(a)

i do velik(a)“, ein anderes Mal einfach „ot mužPoločan’

benutzt. PG, 1, Nr. 50, 1430–1432, S.131; PG 1, Nr. 49, 1420–1429, S.130. Bojaren wurden jedoch nicht als Absender genannt.

Sie sind jedoch unter ihnen zu vermuten, denn nach 1435 wurden sie in solchen Dokumenten wieder meist als Gruppe mitgenannt. PG 1, Nr. 51, 1435–1436, S.132; Nr. 66, ca. 1440–1443, S.150; Nr. 67, 1445–1448, S.151.

3 PG 5, S.139–141; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.208f.

4 PG 2, Nr. 15, 1392–1430, S.63.

den

Aufständischen

als

wichtiges Lager.1 Švitrigaila setzte

in

Polock einen Statthalter

ein, der sich

wieder Fürst

von

Polock nannte,

als ob

erneut

ein

Teil-fürstensitz etabliert werden sollte.2

Sigismund verlieh 1434

dem

Adel (auch

dem

orthodoxen) Standesprivilegien,

um

seinem aufständischen Rivalen Švitrigaila

die

ostslawische Unterstützung

zu

entziehen.3 Nach

der

Eroberung

von

Polock

1436

galt dieses Privileg auch hier.

Das

alte, sicherlich mündlich vereinbarte, personale Dienstverhältnis gegenüber

dem

Teilfürsten wurde damit

auf

einige schriftliche Verpflichtungen gegenüber

dem

Großfürsten dauerhaft festgelegt.

Zu

diesem Zeitpunkt setzte

der

Wandel

der

sozial mobilen Gefolgschaft

hin

zum rechtlich gesicherten und regional veran-kerten Adelsstand

der „ Bojaren “ ein. Wie der

katholische litauische Adel besaßen diese

nun als

rechtliche Gruppe

wie auch als

einzelne Personen Standesrechte,

die

unabhängig

vom

örtlichen Herrschaftsträger garantiert waren.

Der

Polocker Gefolgschaftsadel

war von

alters

her in der

Burgstadt ansässig.4

In den 40er und 50er

Jahren

des 15. Jh.

wuchs

der

bojarische Landbesitz dank zahlreicher großfürstlicher Verleihungen stark.

Der Adel

wurde

nun

zunehmend landsässig.5

Erst mit dem

neuartigen, vererbbaren Grundbesitz

und dem

genealogischen Adelsbegriff bildeten

sich

Geschlechter heraus. Beides ermög-lichte

es dem

Adel, sich nach litauischem

und

polnischem Vorbild

auf der

Grundlage

der

Privilegien

zu

einem mehr

und

mehr geschlossenen, regional ver-ankerten Stand

zu

entwickeln,

der sich aus

einigen mächtigen

und

vielen schwa-chen, rechtlich jedoch gleichgestellten Geschlechtern zusammensetzte.

Fedor,

der

bereits erwähnte Gefolgsmann

des

Fürsten Andrej,

war der

erste Adlige,

der

nachweislich

von

einem Fürsten

von

Polock

Land

verliehen bekam,

und

noch dazu

in

bedeutendem Ausmaß.6

Auf

dieser Grundlage wurde

der

ortho-dox

getaufte Bojar litauischer Herkunft

zu

Beginn

des 15. Jh. zum

Stammvater

des

Geschlechts

der

Korsak.7 Allein dank

dem

Wandel

und der

Stabilisierung

des

Adels

im 15. Jh.

konnten

die

Angehörigen dieses Geschlechts

bis ins 18. Jh. mit

Abstand

die

mächtigsten Grundbesitzer

des

Landes Polock bleiben.

1 So setzten 1432 unzufriedene „ruthenische Fürsten und Bojaren“Švitrigaila in Smolensk auf einen großfürstlichen ‘Gegenthron’: „Und es kam Švitrigaila in Polock an und in Smolensk und die Bojaren der Rus’setzten den Fürsten Švitrigaila auf den Großfürstenthron der Rus’“. PSRL 17, S.133; KROM (1994), S.482f.; JABLONOWSKI (1955), S.143–146;

ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.52; vgl. PSRL 17, S.61, S.78.

2 PSRL 17, S.397; ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.65; LEWICKI (1892), S.386.

3 KRASAUSKAITE (1927), S.35f. Damit sollte gerade den Forderungen des ostslawischen, orthodoxen Adels von Polock, Vitebsk und Smolensk entgegengekommen werden. Dessen vorherige Benachteiligung gegenüber dem litauischen Adel war eine Ursache des Kriegs

in-nerhalb des Großfürstentums in den 30er Jahren. JABLONOWSKI (1955), S.145–147; KROM (1994), S.484.

4 Erst nach 1450 kann aber belegt werden, dass Adlige Gehöfte in der Burg, in der unmittelba-ren Nähe des Landesherrschaftsträgers und des Bischofs, oder in der Stadt besaßen. Vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.111f.

5 In den 60er Jahren des 15. Jh. begannen Adlige, Höfe (dvory“oder „dvorcy“) auf dem Land anzulegen. CHOROŠKEVIČ(1974a), S.21, S.47; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.212; PG 5, S.86;

PG 2, Nr. 220, 1497, S.144; Nr. 231, 1499, S.165.

6 PG 1, Nr. 6, 1350–1378 oder 1381–1387, S.43.

7 CHOROŠKEVIČ(1974b), S.206; PG 1, Nr. 6, 1350–1378 oder 1381–1387, S.43; PG 3, S.149.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 103

Von 1470 bis 1490

wuchsen

die

Besitzungen

des

Adels durch weitere Verlei-hungen

und – das war neu –

durch Käufe:

Die

reichsten Bojaren deckten

sich mit Land ein, um aus der

steigenden Nachfrage

nach

Waldprodukten

wie

Asche

und

Mastbäumen, aber auch nach Getreide, Gewinn

zu

ziehen.1 Obwohl

der

Adel

im 15. Jh.

vermehrt

aus der

Stadt

aufs Land zog,

fühlte

er sich bis in die 80er

Jahre

des 15. Jh. als Teil der

burgstädtischen Bevölkerung.

Mit der

Beseitigung

des

Polocker Teilfürsten verschwand

also der

bisherige Gefolgschaftsadel.

Die

lokalen sozialen Kommunikationsstrukturen veränderten

sich in

einem neuen überregionalen Kontext: Durch

die

neuen Privilegien

des

Großfürsten

in den 30er

Jahren

des 15. Jh.

wurde

das seit dem

Ende

des 14. Jh.

nicht mehr bestehende persönliche Dienstverhältnis

der

Adligen

zum

Fürsten durch einen rechtlich

und

schriftlich abgesicherten Status gegenüber

dem

fernen Großfürsten ersetzt. Bereits

zur

Mitte

des 15. Jh.

beanspruchten Adlige

für sich

die polnische Höflichkeitsanrede „

pan“

(

Herr

“).2 Für

den Adel

ist

folglich zwi-schen

der

Beseitigung

des

Teilfürsten

und den

neuen Privilegien

in den 30er Jah-ren des 15. Jh.

eine

tief

greifende Umbruchphase

zu

verzeichnen.3

Dabei setzte

sich der

neue Adel größtenteils

aus

ostslawischen ehemaligen Gefolgsleuten zusammen. Anders

als

etwa

in der

rotruthenischen Wojewodschaft Beiz,

die seit der

Mitte

des 14. Jh. zu

Polen gehörte, brachte

der

Landesausbau keine

vom

Staat geplante, massive Einwanderung polnischer Adliger

mit

sich.4 Vielmehr glich

sich in

Polock

der

gewandelte ruthenische

Adel dem

polnischen Adel

an.

C.II.2.2 Bürger

Traten

die

Polocker

zu

Beginn

des 15. Jh.

insgesamt

als

Einheit,

als „ alle

Polocker Männer

(

„ vse

mu

ž i

Polo

č

ane

“)

nach außen auf, begannen

von 1435 an

nicht

nur die

„Bojaren

“,

sondern auch

die

„Bürger

(

m

ě

sti

či“) sich als

separate

Gruppe

zu

definieren.

Der

Terminus wurde abgeleitet

von

ruth. „m

ě

sto

“ , und da-mit von

poln. „miasto

“, was

wiederum eine Übersetzung

von

mhd. „stat

“,

nhd.

„Stadt

war.5

Der

Aufrührer Švitrigaila verlieh

um 1435 an

nichtadlige Polocker

ein

ähnli-ches Privileg,

wie es

Sigismund 1434

dem

Adel (auch

dem

orthodoxen)

zugestan-1 Mindestens ein Bojar begab sich noch in der ersten Hälfte des 15. Jh. selbst auf Handelsreise nach Riga. Von den 60er Jahren an nahmen die Bojaren dazu die Dienste von Bürgern und vor allem von Schuldknechten in Anspruch. CHOROŠKEVIČ(1974b), S.140–144. Schon in der ersten Hälfte des 15. Jh. benutzten die Bojaren und die übrigen Kaufleute Stempel, die hanseatischen Hausmarken glichen. CHOROŠKEVIČ(1972a), S.144f.

2 PG 1, Nr. 80, 1447–1458, S.170. Ab 1435 nannte sich erst der Statthalter so. Vgl. PG 4, S. 149, S.211. 1466 kombinierte man die alte Form „Mann“mit der neuen: „šljachotnyi muž pan“. PG 2, S.149, Nr. 131, S.17.

3 CHOROŠKEVIČentgeht der damalige Umbruch, da sie den adligen Landbesitz für älter hält und den gefolgschaftlichen Charakter des früheren Adels außer Acht lässt. CHOROŠKEVIČ (1982b), S.205; analog: DVORNIČENKO (1993), S.76.

4 JANECZEK spricht gar von „Import“. JANECZEK (1993), S.122f., S.301f., S.322.

5 PG 1, Nr. 89, S.179; LUDAT (1975), S.77–80.

den

hatte.

Wie

Sigismund suchte

sich

auch Švitrigaila damit einer breiteren

Un-terstützung unter

den

bisher minderprivilegierten Orthodoxen

zu

versichern.

Po-lock

wurde

1435 von

Sigismund eine Woche lang erfolglos belagert,

erst 1436

ergab sich die Stadt.1

Im

Gegenzug bestätigte Sigismund das Privileg

von

Švitri-gaila.2

Es

berechtigte

die

„Bürger

“zu

Besitz

und

verpflichtete

sie, wie die Boja-ren in den

Krieg

zu

ziehen,

die

Burgbefestigung

zu

unterhalten sowie gewisse Geldabgaben

zu

entrichten.3

Erst 1447

besaßen

alle

„Städte

“ und

„Stadtbewoh-ner “

(

civitatibus

beziehungsweise „cives

“ ) des

Großfürstentums vergleichbare Rechte.4

Dieses Privileg rückte

die

Bürger näher

an den Adel

heran:

Der

Großfürst bewidmete

sie und den

Adel

mit

nahezu

den

gleichen Rechten hinsichtlich ihrer Person, ihres Status

vor

Gericht

und

ihres Eigentums.5 Diese neuen Artikel

des

Landesprivilegs

aus

polnischen Standes-

und

Landesprivilegien brachten ebenso wenig

wie die

Privilegien

der

ersten Hälfte

des 15. Jh. eine

Trennung

der

Stadt

vom

Land.6 Trotz

der

neuen kollektiven Berechtigungen waren

die

Bürger nicht

vom

Land.6 Trotz

der

neuen kollektiven Berechtigungen waren

die

Bürger nicht

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 98-108)