Korsak
– der
Enkeldes
Fedor,der 1412
herrschte– zum
Statthalterdes obsiegen-den
Großfürstenin
Polock.8 Möglicherweise bestimmten oder wähltendie
1 PG 1, Nr. 43, S.122; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.136; PG 5, S.202.2 ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.65.
3 PG 3, Nr. 53, 1439, S.139; PG 4, S.112; CHOROŠKEVIČ(1982a), S.72. Die Einführung der Wojewodschaft erfolgte nicht erst zu Beginn des 16. Jh. Anders: LJUBAVSKIJ (1893), S.67;
Gleichfalls anders: PIETKIEWICZ (1995), S.202. Erst 30 Jahre später wurde auch in Kiew ein Wojewode eingesetzt.
4 PG 3, Nr. 323, 1511, S.90; PG 5, S.24f. JAKUBOVSKIJ vertritt die ebenfalls plausible An-sicht, der Zusatz sei bereits im Privileg des Fürsten Vytautas enthalten gewesen.
JAKUBOVSKIJ (1903), S.298.
5 VITOLDIANIA, Nr. 1, 1392–1399, S.5f. In dieser Edition ist plausibel „ich spravy“mit
„ispravy“ersetzt. Vgl. PG 3, Nr. 323, S.91.
6 Der Kreuzkuss des Wojewoden beim Amtsantritt kann zu Ende des 16. Jh. als Praxis nachgewiesen werden. ZAŁĘSKI (1905), S.197; VS 5, Nr. 121, S.226.
7 ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.118; PG 1, Nr. 51, 1435–1436, S.132; LECUB Abt. 1 8, Nr. 998, S.610.
8 PG 5, S.210; PG 3, Nr. 52, 1436–1437, S.133; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.137.
Polocker damit schon
im
Kontextder
herrschaftlichen Kriseder
ersten Hälfteder 30er
Jahre ihre Statthalter.Die
Herrschaftder
Korsak,des bald
mächtigstenGe-schlechts
des
Polocker Landes, konnte sich aber nicht durchsetzen:Bis ins 16. Jh.
bekleideten
das
höchste PolockerAmt
stets litauische Würdenträger,die nur sel-ten
ostslawischer Abstammung waren.Die
überregionale Bedeutungdes
Amtesim
peripheren Nordosten nahm jedochab. In der
zweiten Hälftedes 15. Jh.
be-kleideten Magnaten zunehmend mehrere Ämter gleichzeitig,
so
dassoft kein
Wojewode,ja
nicht einmalsein
Statthalter,sich in der
PolockerBurg
aufhielt.1Neben
dem
wenig veränderten Tätigkeitsfelddes
„decki“
fehlenfür eine
langeZeit
Hinweiseauf das Amt des
Tivun.Es
kannzu
Endeder 30er
Jahredes 15. Jh.
(zunächstnur für
eine kurze Zeit) wiedereingeführt worden sein,als die
Polocker Statthaltereizur
Wojewodschaft umgestaltet wurde.2Erst die
Woje-wodenund
ihre Statthalterder
zweiten Hälftedes 15. Jh.
verfügten über speziali-sierte Schreiber.3Laut
einemals
älter eingeschätzten Grundsatzim
Landesprivileg standdie
Burgstadt zunächst unter
der
Gerichtsbarkeitdes
„burgstädtischen tivun“ des
Fürstenhofes, dann erst
der des
Fürsten.Der
Tivunwar
auchfür die
Eintreibungvon
Abgaben zuständigund
hattedem
Fürstenhof täglicheine
Geldabgabezu ge-ben.
DiesesAmt
(„
tivunstva horodskoh(o)“)
sollten gemäßder
Regelungnun
aber keine „Dienerdes
Wojewoden“
(„
voevodinym slugam“ )
mehr ausüben, son-dern offenbar Vertreterder
adligen regionalen Elite. Zudem sollteder
Tivun nicht außerhalbdes
„horod“ mit
Dienstleutendes
Wojewoden richten.4 Damit gliederteder
Großfürstden
Tivunund den
burgstädtischen Bezirk,für den
dieser unterdem
Statthalter verantwortlich war,bis zu
einem gewissenGrad aus der
Wojewod-schaftsverwaltung aus.5Zwei Versuche
zur
Stärkungder
örtlichen fürstlichen Amtleutein der
zweiten Hälftedes 15. Jh. – die
Einsetzung eines „Horodnič ij“
(1475)6und
mehrerer Zehnerschaftsführer (1486)7–
scheiterten. Mindestensim
erstenFall lag der
Grundim
Widerstandder
städtischen Bevölkerung inklusiveder
Bojaren.In
Herrschaftskrisen Endedes 14. Jh.8 und in den 30er
Jahrendes 15. Jh.
lehn-ten die
Polocker ähnlichwie im 12. Jh.
schwache Fürstenab,
veranlassten etwa1 PG 4, S.81, S.86; CHOROŠKEVIČ(1972a), S.139f.; PG 6, S.112.
2 PG 5, S.25. Der Tivun war im 15. Jh. nicht der einzige fürstliche Beauftragte, der neben dem Fürsten richten durfte: Noch zu Ende des 15. Jh. richteten Bojaren ohne besondere Ämter im
Auftrag des Wojewoden ländliche Angelegenheiten vor Ort. PG 2, Nr. 230, 1499, S.162.
3 PG 2, Nr. 143, S.33.
4 PG 3, Nr. 323, S.90, PG 5, S.24f.; vgl. LJUBAVSKIJ (1893), S.420–424; DOVNAR-ZA-POL’SKIJ (1902), S.131–133. In der ersten Hälfte des 16. Jh. war es jeweils von Angehörigen des Geschlechts der Korsak besetzt.
5 Vgl. WERDT, V. (2003), S.168.
6 PG 2, Nr. 155, 1475, S.48. Im „ausführlichen Recht“der Rus’war der „gorodnik“für den Bau der Palisaden der Burgstadt verantwortlich und wurde durch Abgaben entlöhnt. GOETZ (1910), S.294.
7 PG 2, Nr. 195, 1486, S.111. Dennoch sind in der Revision von 1552 Zehnerschafts- und Hun-dertschaftsführer genannt.
8 1381 lehnten „die Polotschanen“den ungetauften Skirgaila ab, der ihnen vom Großfürsten 1377 oder 1378 anstelle Andrejs zum Fürsten gegeben worden war: „Großfürst Jagiello gab
Polock seinem Bruder Skirgaila und sie nahmen ihn nicht an.“PRSL 17, S.73; PSRL 17,
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 99
durch eigene Gesandte Vereinbarungen
mit
anderen Fürsten1und
hatten Einflussauf die
Einsetzung neuer Fürsten. Möglicherweise schlossensie mit
ihnengar
Verträge
ab und
empfingen Eidleistungen seitensder
Herrschaftsträger.Aber
le-diglich
im
Kontext dieser Krisen schlossenund
verweigerten nichtnur
Fürsten oder Großfürsten militärische Frieden, sondern auchdie
Städter.2Die
Versammlungen
der
Polocker,die
möglicherweise hinter diesen kollektiven Handlungen standen, fandenwie im 12. Jh. in
Krisenzeiten fürstlicher Herrschaft stattund
hatten folglichnur
Einflussauf
Angelegenheiten,die sich in
solchenSi-tuationen ergaben. Zwar glichen
sie im
Ansatzden
älteren Versammlungen,blie-ben
aber wegender
Abhängigkeitvom
Kontextder
Herrschaftskrisefür das 15.
Jh.
insgesamt nicht charakteristisch.Im
Unterschiedzu
Novgorod entmachtetenin
Polock nichtdie
Stadtbewoh-ner, sondernder
litauische Großfürstden
Teilfürsten. Großfürst Vytautas stellteein
neuartiges Dreiecksverhältnis zwischendem
Großfürsten, seinem Statthalterund der
Stadtbevölkerungher: Er gab den
Städtern neue kollektive Rechte,ließ sie
einenEid auf sich
schwörenund
ersetzteden
Teilfürstensitz durch eine Statt-halterei,die er
nichtals
Lehen vergab. Unter diesen Bedingungenund mit den da-mals
verliehenen Privilegien bildetensich in der
ersten Hälftedes 15. Jh.
neue soziale Gruppenbindungenin der
Stadt.C.II.2 Ständische Rechte
und
soziale Gruppen (1400–
1470)Aus den
früheren Vereinbarungen zwischendem
Fürstenund den
Polockern wurde nach1385 ein
Privileg,das den
freien Polockern nach lateinischem Vorbildvom
Großfürsten verliehen wurdeund das sich von
einem Übereinkommen zwi-schen zwei Vertragspartnern wesentlich unterschied.Es wies den
Polockerneine
gänzlich neue Rollezu: Mit dem
Privileg,das
sicherlich auchfür die
ehemaligen Gefolgsleute Geltung hatte, wurdedie
freie Bevölkerungdes
früheren Teilfürsten-tumszum
privilegierten lokalen Garantenfür die
Ordnung,die der
ferne Großfürstfür
Polockund den
Statthalter vorsah. Gemäß einer Urkundevon
1486,die in
Teilenauf die Zeit von
Vytautas zurückgehen soll, verlangteder
Großfürstim
Gegenzug
für
Rechte,die er den
Polockern verliehen hatte, dasssie ihm
kollektiv einenEid
darauf leisteten, Verpflichtungen einzuhalten. Insbesondere solltensie mit ihm in den
Krieg ziehen oder eine allgemeine Landesabgabe („ dlja
potrebizny zemskoe“)
entrichten.3S.156; PSRL 3, S.92. Die Stadt überstand in der Folge eine lange Belagerung erfolgreich, ohne Beistand eines eigenen Fürsten und dessen Gefolgschaft. KOLANKOWSKI (1930), S.15, S.20f.; ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.42f. „Die Polotschanen“konnten somit wie in ähnlichen Situationen im 12. Jh. ihr Handeln zu einer gemeinsamen kollektiven Aktion im herrschaftspolitischen Bereich bündeln und mittelfristig erfolgreich umsetzen.
1 PSRL 3, 1381, S.92.
2 Auch 1435 weigerten sich die Polocker, sich ihren Angreifern zu ergeben, und entschieden sich für die Weiterführung des Krieges. 1436 ergaben sie sich. PSRL 17, S.64.
3 Vgl. MACIEJEWSKA (1933), S.46. Der 1486 genannte Eid und die Landabgabe kann auf diese Zeit zurückgehen: 1486 wurde in diesem Zusammenhang geschrieben, „wir haben
Im Eid
gegenüberdem
Großfürsten konstituiertensich
damit„ die
Polocker“ in
einer gegenseitigen Treuebeziehungals
kollektiver Akteurund
festigtensich
weiterin
Richtung einer herrschaftlichen Genossenschaft.Der
Schwur begründete aber keinen einheitlichenund
keinen expliziten Friedensbezirk.Auch
verschie-dene Gruppen außerhalbder
Burgstadt leisteten ihn.1 Zudem waren gerichtliche Angelegenheitenvon ihm
nicht explizit berührt.2 Gemäßdem Text von 1486 hat-ten die im Eid
vereinten verschiedenen lastenpflichtigen Gruppendes
Landesund der
Burgstadt „gemeinsam“
(„
pospolu“) die
Landesabgabezu
leisten.Erst nach der
Mittedes 15. Jh. ist
nachweisbar, dassdie
Polocker diese Abgabein
eigener Regie genossenschaftlich organisiert umlegten, sammeltenund
abgaben.Die
Or-ganisation
der
Eintreibungder
Abgabewar
inzwischenan sie
delegiert worden.Kriegsdienst, Wachdienste
und
vielerlei Abgaben sowiedie
Reparaturder
Palisaden
der
Burg,der
Burgstadtund der
Brücke überdie
Polota sindfür „ die
Polocker“im 15. Jh.
hinreichend belegt. Umgekehrt genossen „die Polotschane“
oder einzelne Gruppen Weide-, Biberjagd-, Fischerei-und
Forstrechte, Zollfrei-heitund
nicht zuletztdie in den
Verträgenmit Riga
ausgehandelten Rechte.3 Zahl-reiche Pflichten waren zunächst persönliche.Sie
sowie ihre Erfüllung variiertenvon
Gruppezu
Gruppeund von
Bezirkzu
Bezirk.Die
gemeinsame Leistungvon
Pflichten durchdie
unterschiedlichen Gruppenim
Landeshauptort Polock kann erstnach der
Mittedes 15. Jh. und
lediglichfür die
allgemeine Landesabgabe nachgewiesen werden.4Die
Ursprünge dieser Nutzungsrechteund
Pflichten werdenoft auf die Rus ’
zurückgeführt. Ihre monetär ausgerichtete Organisation
im
Rahmender staatli-chen
Steuerpolitikist
aber erstim 15. und 16. Jh.
belegtund
ehermit der
verein-heitlichenden Umgestaltungder
Landesorganisationnach der
Integrationdes
Teil-fürstentumsins
Großfürstentum Litauenan der
Wendezum 14. Jh. zu
erklären.5Für
eine damalige weitgehende Neuorganisationund
Intensivierung unterschiedli-cher Lastenund
Pflichten sprichtdas
Auftreten neuer Dienstgruppenwie der
„Wegeleute
“
(„
ljudi putnye“ ).6 Die
Binnenkolonisationim
Umlandvon
Polock nachgesehen im Schreiben unseres Großvaters, des Großfürsten Vytautas, der ihnen dieses Recht (...) gegeben hatte (...).“V ITOLDIANA, Nr. 2, S.6; vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.110.1 Vgl. PG 2, Nr. 226, 1498, S.154.
2 Vgl. BADER (1967), S.272f.
3 ŁOWMIAŃSKI (1923–1924), S.412; vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.110; PG 2, Nr. 221, 1497:
„auch heute können die Polocker Bürger auf diesen Flüssen für sich Biber jagen und töten“. Vgl. auch die Befreiung von diesen Abgaben im Privileg von 1498: PG 2, Nr. 226, S.154– 156. Auf der Grundlage der Revision von 1552: PANOV (1915), S.8.
4 Vgl. DOVNAR-ZAPOL’SKIJ (1902), S.805f.; vgl. GIERKE (1873), S.392–396.
5 Vgl. DOVNAR-ZAPOL’SKIJ (1902), S.805–807; MACIEJEWSKA (1933), S.50–53;
LJUBAVSKIJ (1910), S.54. Zu neuen ländlichen Abgaben und Diensten (14.–15. Jh.) HELL-MANN (1989), S.806f. Beispielsweise ist erst 1535 vom Amt des „mostovničij“zu erfahren.
Er sorgte sich darum, dass die Domänenleute ihren Anteil an der Reparatur der Brücken be-ziehungsweise der üblicherweise mit Holzbalken belegten Straßen in und am Rand der Stadt leisteten. BA 2, Nr. 371, S.262. Die Pflicht freilich mag auch in Polock viel älter sein. So ist im „ausführlichen Recht“der Rus’der „mostnik“als ein durch Abgaben entlöhnter Bauver-antwortlicher genannt. GOETZ (1910), S.294. Vgl. u. a. zum Straßen-, Wege- und Brücken-bau („Weg und Steg“): BADER (1962), S.241.
6 Vgl. PG 5, S.19f.; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.167; PR 1552, S.233; BA 2, S.339;
JAKUBOVSKI (1928), S.13.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 101
im 15. Jh.
brachteeine
Zunahmedes
genutztenund
rechtlich gesicherten Grund-besitzes,der
Gutswirtschaft,mit
sich.Sie
bedrohte alte, kollektive Nutzungsprak-tikenvon
Flüssen, Seen, Wäldernund
Weiden,die
bishernur
lockerund
weit-räumig beanspruchtund
kaum geregelt waren.Nun
warensie,
ähnlichwie die
Allmendenim
westlichen Mitteleuropa, festerzu
gestaltenund
abzugrenzen.Alte
Gemeinnutzung dürfte erst damals genossenschaftlich geordnet worden sein.1In
ihren Pflichten
und
Nutzungsrechten warendie
Bewohnerdes
Burgstadtbezirks, viele Gruppenim
Umlandund
teilweise auchder
Adel weitgehend gleichgestellt.Die
gemeinsamen Lastenund
Pflichten festigten zahlreiche Gruppendes
Polocker Gebietsin der
ersten Hälftedes 15. Jh. als
Nutznießungs-und
Leistungsverband.Diese Konsolidierung
ging
überdie
bisherige frühe uneinheitliche herrschaftliche Genossenschaft ohne institutionalisierte Organe hinaus.Mit ihr
einhergingeine
sozialeund
rechtliche Gliederungder
freien Polockerin
mehrere ständisch privi-legierte Gruppen.C.II.2.1 Bojaren
Die vom
Endedes 14. Jh. an
durchden
Großfürsten eingesetzten Statthalter konnten nicht mehr nach alter fürstlicher sozialer Praxis eine Gefolgschaftum sich
scharen.Mit dem
Verschwindendes
Polocker Teilfürstensitzes büßteder
ge-folgschaftliche Adel damit seine persönliche Dienststellung
ein, die
bisherfür
seinen Status entscheidend gewesen war.2 Gemäß
den
alten Regelnder
gefolg-schaftlichen Verbindungmit
einem Fürsten verlorennach der
Niederlagedes
Fürsten Andrej Ende
des 14. Jh.
nichtnur er,
sondern auch dreider
vier wich-tigsten bekannten Gefolgsleute ihren Besitz.Die
Ausnahme waren Fedor,der
mächtigste unter ihnen,
und sein Sohn
Dmytrij.Sie
hatten schonvon
AndrejLand
verliehen bekommen, behielten diesen Besitz aber.3Nur von
einem adligen Polocker, Trichon Boloto,ist
bekannt, dasser in
dieserZeit des
UmbruchsLand
erwarb.4 Dieser Schrittwar eine der
Möglichkeiten,die
einem ehemaligen Gefolgsmann offen standen,um
einen Statuszu
erlangen,der dem
neuen sozialen Vorbilddes
privilegierten, landsässigen polnischen Adelsso
weitals
möglich ent-sprach.Erst mit der
Parteinahmedes
orthodoxen Adels währenddes
Aufstandesvon
Švitrigaila,der
Sigismundnach
seiner Absetzungin den 30er
Jahrendie
Groß-fürstenwürde streitig machte, gruppiertesich der
lokale Adel erneut. Polock diente 1 Vgl. ŁOWMIAŃSKI (1923–1924), S.416, S.424, S.429–432, S.441; BADER (1962), S.126.2 Vom Ende des 14. Jh. bis zu Beginn der 30er Jahre des 15. Jh. wurden in den Quellen nur zwei Polocker explizit als Bojaren bezeichnet. PG 1, Nr. 43, vor 1412, S.122. Ansonsten wurden als Absenderformeln von Urkunden aus Polock Mal „ot vsech mužPoločan ot mal(a)
i do velik(a)“, ein anderes Mal einfach „ot mužPoločan’
“benutzt. PG, 1, Nr. 50, 1430–1432, S.131; PG 1, Nr. 49, 1420–1429, S.130. Bojaren wurden jedoch nicht als Absender genannt.
Sie sind jedoch unter ihnen zu vermuten, denn nach 1435 wurden sie in solchen Dokumenten wieder meist als Gruppe mitgenannt. PG 1, Nr. 51, 1435–1436, S.132; Nr. 66, ca. 1440–1443, S.150; Nr. 67, 1445–1448, S.151.
3 PG 5, S.139–141; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.208f.
4 PG 2, Nr. 15, 1392–1430, S.63.
den
Aufständischenals
wichtiges Lager.1 Švitrigaila setztein
Polock einen Statthalterein, der sich
wieder Fürstvon
Polock nannte,als ob
erneutein
Teil-fürstensitz etabliert werden sollte.2Sigismund verlieh 1434
dem
Adel (auchdem
orthodoxen) Standesprivilegien,um
seinem aufständischen Rivalen Švitrigailadie
ostslawische Unterstützungzu
entziehen.3 Nach
der
Eroberungvon
Polock1436
galt dieses Privileg auch hier.Das
alte, sicherlich mündlich vereinbarte, personale Dienstverhältnis gegenüberdem
Teilfürsten wurde damitauf
einige schriftliche Verpflichtungen gegenüberdem
Großfürsten dauerhaft festgelegt.Zu
diesem Zeitpunkt setzteder
Wandelder
sozial mobilen Gefolgschaft
hin
zum rechtlich gesicherten und regional veran-kerten Adelsstandder „ Bojaren “ ein. Wie der
katholische litauische Adel besaßen diesenun als
rechtliche Gruppewie auch als
einzelne Personen Standesrechte,die
unabhängig
vom
örtlichen Herrschaftsträger garantiert waren.Der
Polocker Gefolgschaftsadelwar von
altersher in der
Burgstadt ansässig.4In den 40er und 50er
Jahrendes 15. Jh.
wuchsder
bojarische Landbesitz dank zahlreicher großfürstlicher Verleihungen stark.Der Adel
wurdenun
zunehmend landsässig.5Erst mit dem
neuartigen, vererbbaren Grundbesitzund dem
genealogischen Adelsbegriff bildeten
sich
Geschlechter heraus. Beides ermög-lichtees dem
Adel, sich nach litauischemund
polnischem Vorbildauf der
Grundlageder
Privilegienzu
einem mehrund
mehr geschlossenen, regional ver-ankerten Standzu
entwickeln,der sich aus
einigen mächtigenund
vielen schwa-chen, rechtlich jedoch gleichgestellten Geschlechtern zusammensetzte.Fedor,
der
bereits erwähnte Gefolgsmanndes
Fürsten Andrej,war der
erste Adlige,der
nachweislichvon
einem Fürstenvon
PolockLand
verliehen bekam,und
noch dazuin
bedeutendem Ausmaß.6Auf
dieser Grundlage wurdeder
ortho-dox
getaufte Bojar litauischer Herkunftzu
Beginndes 15. Jh. zum
Stammvaterdes
Geschlechtsder
Korsak.7 Allein dankdem
Wandelund der
Stabilisierungdes
Adels
im 15. Jh.
konntendie
Angehörigen dieses Geschlechtsbis ins 18. Jh. mit
Abstanddie
mächtigsten Grundbesitzerdes
Landes Polock bleiben.1 So setzten 1432 unzufriedene „ruthenische Fürsten und Bojaren“Švitrigaila in Smolensk auf einen großfürstlichen ‘Gegenthron’: „Und es kam Švitrigaila in Polock an und in Smolensk und die Bojaren der Rus’setzten den Fürsten Švitrigaila auf den Großfürstenthron der Rus’“. PSRL 17, S.133; KROM (1994), S.482f.; JABLONOWSKI (1955), S.143–146;
ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.52; vgl. PSRL 17, S.61, S.78.
2 PSRL 17, S.397; ALEKSANDROV / VOLODICHIN (1994), S.65; LEWICKI (1892), S.386.
3 KRASAUSKAITE (1927), S.35f. Damit sollte gerade den Forderungen des ostslawischen, orthodoxen Adels von Polock, Vitebsk und Smolensk entgegengekommen werden. Dessen vorherige Benachteiligung gegenüber dem litauischen Adel war eine Ursache des Kriegs
in-nerhalb des Großfürstentums in den 30er Jahren. JABLONOWSKI (1955), S.145–147; KROM (1994), S.484.
4 Erst nach 1450 kann aber belegt werden, dass Adlige Gehöfte in der Burg, in der unmittelba-ren Nähe des Landesherrschaftsträgers und des Bischofs, oder in der Stadt besaßen. Vgl. PG 2, Nr. 195, 1486, S.111f.
5 In den 60er Jahren des 15. Jh. begannen Adlige, Höfe („dvory“oder „dvorcy“) auf dem Land anzulegen. CHOROŠKEVIČ(1974a), S.21, S.47; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.212; PG 5, S.86;
PG 2, Nr. 220, 1497, S.144; Nr. 231, 1499, S.165.
6 PG 1, Nr. 6, 1350–1378 oder 1381–1387, S.43.
7 CHOROŠKEVIČ(1974b), S.206; PG 1, Nr. 6, 1350–1378 oder 1381–1387, S.43; PG 3, S.149.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 103
Von 1470 bis 1490
wuchsendie
Besitzungendes
Adels durch weitere Verlei-hungenund – das war neu –
durch Käufe:Die
reichsten Bojaren decktensich mit Land ein, um aus der
steigenden Nachfragenach
Waldproduktenwie
Ascheund
Mastbäumen, aber auch nach Getreide, Gewinn
zu
ziehen.1 Obwohlder
Adelim 15. Jh.
vermehrtaus der
Stadtaufs Land zog,
fühlteer sich bis in die 80er
Jahredes 15. Jh. als Teil der
burgstädtischen Bevölkerung.Mit der
Beseitigungdes
Polocker Teilfürsten verschwandalso der
bisherige Gefolgschaftsadel.Die
lokalen sozialen Kommunikationsstrukturen verändertensich in
einem neuen überregionalen Kontext: Durchdie
neuen Privilegiendes
Großfürsten
in den 30er
Jahrendes 15. Jh.
wurdedas seit dem
Endedes 14. Jh.
nicht mehr bestehende persönliche Dienstverhältnis
der
Adligenzum
Fürsten durch einen rechtlichund
schriftlich abgesicherten Status gegenüberdem
fernen Großfürsten ersetzt. Bereitszur
Mittedes 15. Jh.
beanspruchten Adligefür sich
die polnische Höflichkeitsanrede „pan“
(„
Herr“).2 Für
den Adelist
folglich zwi-schender
Beseitigungdes
Teilfürstenund den
neuen Privilegienin den 30er Jah-ren des 15. Jh.
einetief
greifende Umbruchphasezu
verzeichnen.3Dabei setzte
sich der
neue Adel größtenteilsaus
ostslawischen ehemaligen Gefolgsleuten zusammen. Andersals
etwain der
rotruthenischen Wojewodschaft Beiz,die seit der
Mittedes 14. Jh. zu
Polen gehörte, brachteder
Landesausbau keinevom
Staat geplante, massive Einwanderung polnischer Adligermit
sich.4 Vielmehr glichsich in
Polockder
gewandelte ruthenischeAdel dem
polnischen Adelan.
C.II.2.2 Bürger
Traten
die
Polockerzu
Beginndes 15. Jh.
insgesamtals
Einheit,als „ alle
Polocker Männer“
(„ vse
muž i
Poloč
ane“)
nach außen auf, begannenvon 1435 an
nicht
nur die
„Bojaren“,
sondern auchdie
„Bürger“
(„
mě
stiči“) sich als
separateGruppe
zu
definieren.Der
Terminus wurde abgeleitetvon
ruth. „mě
sto“ , und da-mit von
poln. „miasto“, was
wiederum eine Übersetzungvon
mhd. „stat“,
nhd.„Stadt
“
war.5Der
Aufrührer Švitrigaila verliehum 1435 an
nichtadlige Polockerein
ähnli-ches Privileg,wie es
Sigismund 1434dem
Adel (auchdem
orthodoxen)zugestan-1 Mindestens ein Bojar begab sich noch in der ersten Hälfte des 15. Jh. selbst auf Handelsreise nach Riga. Von den 60er Jahren an nahmen die Bojaren dazu die Dienste von Bürgern und vor allem von Schuldknechten in Anspruch. CHOROŠKEVIČ(1974b), S.140–144. Schon in der ersten Hälfte des 15. Jh. benutzten die Bojaren und die übrigen Kaufleute Stempel, die hanseatischen Hausmarken glichen. CHOROŠKEVIČ(1972a), S.144f.
2 PG 1, Nr. 80, 1447–1458, S.170. Ab 1435 nannte sich erst der Statthalter so. Vgl. PG 4, S. 149, S.211. 1466 kombinierte man die alte Form „Mann“mit der neuen: „šljachotnyi muž pan“. PG 2, S.149, Nr. 131, S.17.
3 CHOROŠKEVIČentgeht der damalige Umbruch, da sie den adligen Landbesitz für älter hält und den gefolgschaftlichen Charakter des früheren Adels außer Acht lässt. CHOROŠKEVIČ (1982b), S.205; analog: DVORNIČENKO (1993), S.76.
4 JANECZEK spricht gar von „Import“. JANECZEK (1993), S.122f., S.301f., S.322.
5 PG 1, Nr. 89, S.179; LUDAT (1975), S.77–80.
den
hatte.Wie
Sigismund suchtesich
auch Švitrigaila damit einer breiterenUn-terstützung unter
den
bisher minderprivilegierten Orthodoxenzu
versichern.Po-lock
wurde1435 von
Sigismund eine Woche lang erfolglos belagert,erst 1436
ergab sich die Stadt.1Im
Gegenzug bestätigte Sigismund das Privilegvon
Švitri-gaila.2Es
berechtigtedie
„Bürger“zu
Besitzund
verpflichtetesie, wie die Boja-ren in den
Kriegzu
ziehen,die
Burgbefestigungzu
unterhalten sowie gewisse Geldabgabenzu
entrichten.3Erst 1447
besaßenalle
„Städte“ und
„Stadtbewoh-ner “
(„
civitatibus“
beziehungsweise „cives“ ) des
Großfürstentums vergleichbare Rechte.4Dieses Privileg rückte
die
Bürger näheran den Adel
heran:Der
Großfürst bewidmetesie und den
Adelmit
nahezuden
gleichen Rechten hinsichtlich ihrer Person, ihres Statusvor
Gerichtund
ihres Eigentums.5 Diese neuen Artikeldes
Landesprivilegs