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Das Privileg von 1498 war deutlicher als je zuvor ein Text mit Bezug zu Po- Po-lock als ein Dokument mit dem pragmatischen Ziel entworfen worden, die

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 179-187)

rechtli-chen

Beziehungen unter

den

Stadtbewohnern tief greifend umzugestalten.

Die

1 BARDACH (1988), S.80f.; PG 2, Nr. 225, S.153–157.

2 PG 3, Nr. 306, S.55.

3 PG 2, Nr. 226, 1498, S.153.

4 Vgl. GAWLAS (1999), S.30.

5 EBERHARD (1988), S.273.

6 Vgl. HIGOUNET (1986), S.247, S.285.

7 BARDACH (1988); WERDT, V. (2003), S.90, S.139.

C.III

Nach der Verleihung des Magdeburger Rechts 1498 179

Handlungsvorstellungen,

die in

diesem Primärtext aufgesetzt wurden, sollten

die

bestehenden Grundsätze

und

Regeln

des

Zusammenlebens

der

größten sozialen

und

rechtlichen Gruppen

der

Stadt grundsätzlich verändern.

In der

Kommuni-kation zwischen

den

Gruppen

und den

Institutionen

der

Stadtbevölkerung über diesen Wirklichkeitsentwurf,

der auf den

Befehl

des

Großfürsten umzusetzen war, überlagerte

sich der

dargestellte Kommunikationsstrang,

der auf

Abgaben

und

Hintersassen

in der

Stadt bezogen

war, mit

einem Handlungsfeld städtischer

Ge-richtsbarkeit,

das sich

bereits

seit

einigen Jahrzehnten herausbildete. Welche

Be-standteile dieser Stadtkonzeption

von 1498

beeinflussten

die

Interaktion zwischen

den

Gruppen

und

Einrichtungen

so

stark, dass

von

einer nachhaltigen Wirkung gesprochen werden kann? Wurde Polock

nach 1498

wirklich

zur

Rechtsstadt?

C.III.1

Immunitäten

und

soziale Gruppen nach

1498

C.III.1.1

Das

Gericht

des

Wojewoden

Grenzen

der

„Stadt

gegenüber

dem

„Schloss

“ und dem

„Land

Sowohl die Burg

als

auch

die

Stadt waren

bis ins 15. Jh. als

„horod

bezeichnet worden.

Zur

Mitte dieses Jahrhunderts setzte sich aber,

wie

gezeigt, allmählich

der

Begriff „m

ě sto“für

die Handels- und Gewerbesiedlungen

um

die Burg durch.

Diese selbst wurde allerdings zunächst weiterhin „horod

genannt. Schon

1480

aber nannte

ein

großfürstlicher Statthalter

die Burg nach

mitteleuropäischem

Vor-bild „Schloss

(

zamok

“ ):1 Die

Burg

des

Trägers

der

Landesherrschaft wurde

zum

„Schloss

“.

Diese Teilung

des

früher terminologisch einheitlichen Burgstadt-gebietes

in

separate, sprachlich unterschiedene rechtliche

und

soziale Räume

war im

Privileg

von 1498 als

herrschaftliche Zielutopie ausführlich festgelegt

und

formuliert.

Der

Begriff „m

ě sto “

stand

von nun an – wie

seit

dem 13. Jh. in

Polen

– für das

Gebiet, über

das

eine Rechtsstadt

die

Gewalt ihrer Gerichtsbarkeit bean-spruchte,

die von der

Landesverwaltung theoretisch exemt war.2

Als

Gegenleistung

für die 400 Kop

Groschen (

hro

š y“ ,

eine „kopa

[

Haufe

“ ]

entsprach

60

Groschen),

die

jährlich

an den

Großfürsten

zu

entrichten waren, sprach dieser

den

neuen städtischen Behörden

1498 die

Gerichtsbarkeit über alle

„ in der

Stadt Wohnenden

“ z u, die

weder

dem

Adel noch

dem

geistlichen Stand angehörten:

1 Die neue Bezeichnung setzte sich im lokalen Sprachgebrauch bis zur ersten Hälfte des 16. Jh.

durch. Ursprünglich handelt es sich bei dem Wort um eine Lehnübersetzung von mhd. „slóz“ ins Tschechische. VASMER (1953) 1, S.440f.; PG 2, Nr. 165, 1477–1484, S.63; Nr. 198, S.117. Im 13. Jh. wurden zuerst in Schlesien, dann im übrigen Polen „zamkiangelegt, die sich von den älteren „grodydurch Steinmauern und die architektonische Nähe zu Burgen und Schlössern des westlichen römischen Reiches unterschieden. KAJZER (1993), S.96–98.

Ein Gerichtssitz eines Wojewoden dürfte mit der Zeit wie in Polen Schloss genannt worden sein, auch wenn er nicht steinern befestigt wurde. Die Palisade, die das so genannte Schloss in Polock schützte, blieb bis 1552 der „horod“. PG 2, Nr. 155, 1475, S.48; PR 1552, S.46.

2 Alle Polocker Suburbien wurden 1552 als einzelne „Ansiedlungen(posady“) aufgelistet und insgesamt der „Polocker Stadt(Mesto Poloc’

koe“) zugerechnet. PR 1552, S.15–27.

„Wir wollen auch, dass alle, die in der obgenannten Stadt wohnen (v měste pervorečennom meškajučy“), auf irgendeinem Platz (na kotorom kol(’)ve městcu) [vgl. poln. „ktokolwiek“für

„irgendeiner“, S. R.], dieses Magdeburger Recht benutzen und ihm in allen Dingen zum Gehor-sam verpflichtet sind, sowohl die Leute, die bei der Düna leben (živut(’)), als auch jene, die auf der anderen Seite des Flusses Düna und auf der Insel wohnen (meškajut(’)), und auch alle Leute des Bischofs und der Äbte und auch die der Mönche und Priester, und die der Bojaren, und auch die der Bürger (meščanskie), und alle anderen, die dort leben (živut(’)) und um die Stadt in den Dörfern der Bürger, und auch die Dorf- und Wegediener (...).“1

Damit erhielten

die

nichtadligen Städter einen sprachlich klar festgelegten rechtlichen Anspruch

auf ein vom Land

gesondertes Steuer-

und

Rechtsgebiet,

auf dem die

geistlichen

und

adligen Immunitätsansprüche über ihre Hintersassen

auf

städtischem Boden außer Kraft gesetzt

sein

sollten. Diese rechtliche Trennung konnte

in den

folgenden Jahrzehnten

aber

lediglich teilweise erreicht werden.

Der

Anspruch Einzelner

auf die

verliehenen Rechte

war in dem

Zitat

an das

(dauer-hafte) Wohnen

in der

Stadt

an

einer bestimmten „Stelle

gebunden.

Im

gleichen Privileg übertrug

der

Großfürst

dem Vogt und den

Bürgermeistern

„ alle

leeren Plätze (mestca)

in der

Stadt

(v

meste)

und um die

Stadt

zur

Ansiedlung

(ku

osa

ž

en

’j u)

und Vermehrung

der

Leute.

“2

Aus

dieser Bestimmung geht hervor, dass gemäß diesen Texten

das in den

Städten Mitteleuropas

seit dem

Hohen Mittelalter verbreitete Konzept

der

Parzelle (vgl.

„area“)3 in

Polock Geltung erlangen sollte. Auch

im

Bestätigungsprivileg

von

1509 wurde

von

„Plätzen

in der

Stadt

“ ( „ na

vsjakich mest

coch v

m

ě

sti

“ ; von

poln. miejsce) gesprochen,

die

Adligen

und

Geistlichen Grundherren gehör-ten.

Die

„Leute

(

ljudi

“), die auf

ihnen „wohnen

(

me

š

kajut

) und

„sitzen

(

sedjat(

’)“),

sollten unbedingt unter

das

Gericht nach Magdeburger Recht

zu

stellen sein,

und

hatten

alle

Abgaben

und

Pflichten

mit der

Stadt

zu

leisten:

„Wer von diesen auf geistlichem Land sitzt (sedjat(’)), oder auf fürstlichem oder bojarischem, der hat seinem Herrn nur einen Grundzins (pozem) zu entrichten, gemäß der Gewohnheit, wie es von herrschaftlichem Land bedingt wird, aber mehr als das soll der Herrscher nichts von ihm haben.“4

Auf

einem Platz (dauerhaft)

zu

„wohnen

respektive

zu

„sitzen

wurde somit

zur

Bedingung

für das

Bürgerrecht.

Das

abstraktere Substantiv „Besitz

(

posses-sio

“ )5

fehlte aber auch

in

diesem Text. Ebenso blieb

ein

Begriff

wie

habitato-res “

unbekannt oder

nur in

Verbalformen

wie

„wohnend

angedeutet.

Der im

Zitat genannte „Grundzins

(

pozem

“ )

beruhte

(im

lateinisch beeinflussten

Teil

Europas)

in der

Regel

auf

einem Abhängigkeitsverhältnis.6

In dem Text

wurde

eine

solche Abhängigkeit aber aufgehoben

– die

Rechte

des

Grundherrn über

die-jenigen,

die auf

seinem

Land

lebten, wurden beschränkt

und die

Menschen

auf

seinem Eigentum persönlich

dem

Magdeburger Recht unterstellt. Damit glich

die

1 PG 2, Nr. 226, 1498, S.153f.

2 PG 2, Nr. 226, S.156.

3 Vgl. DILCHER (1999), S.353.

4 PG 3, Nr. 306, S.57.

5 K. O. SCHERNER, Besitz (Germanisches und deutsches Recht)“, in: LexMA 1, Sp.2067f.

6 W. RÖSENER, „Rente (Grundrente)“‚in: LexMA 7, Sp.734f.

C.III Nach der Verleihung des Magdeburger Rechts 1498

181

Geldzahlung einer (Grund-)Rente,

wie sie im

System

der

Erbleihe bekannt war.1

Die

Städter

auf

adligem

und

geistlichem Grundbesitz sollten

die

Abgabe

für das

Magdeburger Recht mitleisten.

Sie

wurde folglich wegen

der

Gerichtsbarkeit

und

nicht wegen besitzrechtlicher Argumente erhoben.

Mit

dieser Vorstellung einer Trennung

der

Gerichtsbarkeit über

die

Person

vom

Grundbesitz

des

Grundherrn sollten

die

Probleme gelöst werden,

die sich den

Bürgern schon

1486

gestellt

hat-ten.

Damals waren

die

jetzt eingesetzten rechtlichen Vorstellungen offenbar

noch

nicht verfügbar gewesen. Während

1486

lediglich

ein

Verbot,

auf

einem

Hof

mehr

als

einen „Schuldknecht

(

zakladny

“) zu

haben, denkbar war, fasste

der

Großfürst

1498 mit

einem ausgefeilten Instrumentarium eine scheinbar umsetz-bare Lösung

des

Problems

in

Worte. Inwieweit konnten dieses Konzept

und die

weitreichenden rechtlichen Ansprüche

der

Bürger,

die

damit verknüpft waren, aber wirklich umgesetzt werden?

Unter

den

Städtern

gab es

zunächst einigen Widerstand,

sich den

neuen

Be-hörden

zu

unterstellen.2 Nachdem

im

Jahre

1506 die

Tataren

die

Stadt zerstört hatten, unterwarfen

sich

viele Bürger wieder

dem

„Burggericht

(

prisud horodskij

“ ), um

Rechtssicherheit

zu

erhalten

und sich von den

städtischen

Abga-ben zu

befreien: Wegen

der

verschiedenen rechtlichen Widersprüche

„hatten die Bürger der Stadt Polock unter sich Streit und sie teilten sich: Einige von ihnen lösten sich vom deutschen Recht, und gaben sich unter das Gericht der Burg (pod prisud horodskij), viele aber sind weggegangen.“3

1527

klagte

die

Stadt erneut, Bürger hätten

sich vom

Magdeburger Recht

los-gesagt,

sich dem

Burgrecht

des

Wojewoden unterstellt oder

sich in

dessen

Ab-hängigkeit begeben (

pozakladyvalisja

“), um

städtischen Abgaben

zu

entgehen.

Zudem habe

der

Wojewode aber auch

mit

Gewalt viele Handwerker

und

Bürger unter seine Autorität gezwungen.

Ein

königlicher Beauftragter sollte

sie und

auch

jene, die auf dem

Grund

von

Geistlichen

und

Bojaren lebten, gewaltsam wieder

der

Stadt einverleiben, denn diese Gruppen dürften keinerlei „Schuldknechte

(

zakladnev

“)

haben.4 Viele Städter lehnten damit immer

noch das

bereits

1498 und 1509

vorgeschriebene Konzept

ab, da sie

neue Abgaben befürchteten.

Vor

einer Erläuterung

der

weiteren Entwicklung

der

Umsetzung

des

Privilegs

von 1498

innerhalb

der

Stadtbefestigungen sollen

nun die

Auswirkungen

des

Pri-vilegs

auf den

Besitz

im

Umland

der

Stadt und

im

Schloss umrissen werden. 1498 wurden alle Bürger,

die

Besitz

im Land

Polock hatten,

vom

„Burggericht

“(„ s

prysudu horodskoho

“), vom

„Burgrecht

und vom

Bojarenrecht

befreit (

vyimuem

ot

prava horodskoho

i

bojarskoho

“) und wie die

Leute,

die auf

ihrem

1 F. KLEIN-BRUCKSCHWAIGER, „Erbleihe“, in: HRG 1, Sp.968–971; W. OGRIS, „Grund-rente“, in: HRG 1, Sp.1852–1856.

2 1502 sollten die rechtsstädtischen Institutionen Leute festhalten können, falls sie sich wehr-ten, sich ihnen zu unterstellen. PG 2, Nr. 255, S.198.

3 PG 3, Nr. 306, 1509, S.56; ähnlich: PG 2, Nr. 225, 1502, S.198; PG 2, Nr. 239, 1500, S.176.

4 AZR 2, Nr. 147, 1527, S.179f.

Land

lebten,

dem

Magdeburger Recht unterworfen.1

Der

(geringe) Landbesitz

der

Bürger

im

Umland zählte damit zwar gemäß

dem Text

nicht

zur

„Stadt

“ , war aber

rechtlich doch

der

Stadt unterstellt. 1509 wurde jedoch formuliert, dass

das

Mag-deburger Recht

nur für jene

Bürger

im

Umland

der

Stadt gelte,

die

auch Besitz

in der

Stadt hätten.

So

sollten „Bürger,

die

Häuser und Höfe

in der

Burg haben, oder

in der

Stadt,

aber

selbst

im

Dorf leben

unter Magdeburger Recht stehen.

Für

diese Bürger wurde damit nun,

im

Unterschied

zu den

übrigen,

der

Besitz eines Hauses

zur

Bedingung

für das

Bürgerrecht gemacht. Dennoch richtete

der

erstarkte, eigenmächtige Wojewode auch diese Bürger

um 1527

gemäß seinem Burgrecht.2

Ebenso wurden

die

bürgerlichen

Höfe im

Schloss

1509 und

erneut

1527 der

Rechtsstadt unterstellt.

Die

Hofbewohner sollten

dem

Hofbesitzer,

wie oben

ge-schildert, lediglich einen „Grundzins

(

pozem

“)

zahlen.

Die

Autorität

der

Rats-gerichtsbarkeit über

die

‘Bürger

’ im

Schloss konnte jedoch nicht hergestellt wer-den, trotz Klagen

der

Rechtsstadt. 1534 entschied

das

Landesgericht

des

Woje-woden, dass

die

„Burgbürger (horodovye meščane) in allen Abgaben und Diensten“den „Bürgern des Mag-deburger Rechts(meščane prava majtbor

skoho“) helfen sollten, „nur die Zweihundert Kop Groschen zahlen sie nicht mit ihnen, die sie dem Herrn seinen Gnaden dem König für das Magde-burger Recht geben, denn dieses Recht teilen die Burgbürger mit ihnen nicht.“3

Der

Wojewode unterschied damit

in

eigener Regie

und mit

beträchtlichen

lo-kalen Folgen zwei rechtliche Gruppen

von

‘Bürgern

’:

solche,

die

unter

der

Ge-richtsbarkeit

des

Wojewoden standen,

und

andere,

die

unter

dem

Magdeburger Recht geurteilt wurden. Erstere leisteten keinen Beitrag

zur

Abgabe,

die den

Bür-gern wegen

des

Magdeburger Rechts

vom

Großfürsten auferlegt wurde. Ganz

in

Übereinstimmung

mit

dieser Regelung zählte

in der

Revision

von 1552 kein

ein-ziger

der

Höfe

im

Schloss

zur

Rechtsstadt.4 Diese höchstens

130

Gehöfte

entspra-chen

etwa

8

Prozent aller

Höfe der

Stadt; weniger

als 45 von

ihnen gehörten

Bür-gern.5 Beide Gruppen

von

Bürgern waren verschiedenen Gerichtsbarkeiten unter-stellt

– die

Reparatur

der

Burgbefestigung trugen

sie aber

gemeinsam: „diesen Turm erbauten

alle

Polocker Bürger, sowohl

die des

Magdeburger,

als auch die des

Schlossrechtes

(

„ jako

Majdeburskoho,

tak i

zamkovoho prava

“).6

1 „vyimuem ot prava horodskoho i bojarskoho“. PG 2, Nr. 226, 1498, S.154. „(...) vynjali esmo ich si prava i s prysudu horodskoho i dali im pravo vol(’)noe chrestijans’’skoe maitbars

skoe.“Nr. 255, 1502, S.197.

2 PG 3, Nr. 306, 1509, S.57; AZR 2, Nr. 147, 1527, S.180.

3 BA 2, Nr. 317, S.229.

4 Schon 1535 nannte der Wojewode Angehörige eines alten Bürgergeschlechts, die drei Höfe im Schloss besaßen, Untertanen und nicht Bürger. BA 2, Nr. 357, S.255. CHOROŠKEVIČ (1977), S.147f. Weder adlige noch bürgerliche Landbewohner nannte man in den 30er Jahren des 16. Jh. poddannyi hospodars

’ kii“.

5 PG 3, Nr. 306, 1509, S.57; AZR 2, Nr. 147, 1527, S.180. In der Summe der Höfe unter Magdeburger Recht fehlen alle Höfe im Schloss. Die Fassungen der Revision widersprechen sich in der Zahl der bürgerlichen Höfe im Schloss (24 oder 44). PR 1552, S.15, S.27.

6 PR 1552, S.8.

C.III Nach der Verleihung des Magdeburger Rechts 1498 183

Die

rechtliche

und

terminologische Unterscheidung

von

„Burgstadt

“zu

„Stadt

“ und

„Burg

respektive „Schloss

stand

im

Widerspruch

zur

topographi-schen

und

städtebaulichen Kontinuität

der

Siedlungen.

Im

Unterschied

zu

vielen Städten

im

‘älteren

Ostmitteleuropa

wie

Danzig

und

Posen, aber auch Kalisz1

und

P

ł

ock,2 ging

die

Bewidmung

mit

Stadtrecht respektive

die

Lokation nicht

mit

einer Neugründung oder zumindest einer städtebaulichen Umgestaltung

von Tei-len der

bestehenden Siedlungen einher. Innerhalb neuer Stadtmauern wurden

im

Laufe dieses Prozesses

in

Städten

der

polnischen Krone rechtwinklige Quartiere

und

Straßennetze angelegt sowie Häuser errichtet, deren Fronten

zur

Straße aus-gerichtet waren.3

„ Die

Organisation

und die

Bauweise

der

Städte neuen Typs wurde

zum

wohl charakteristischsten Phänomen

der

Wirtschafts-

und

Gesell-schaftsgeschichte Polens

des 13. Jh.“4 In

Polock genoss aber kein neben der Burgstadt beziehungsweise

dem

„gorod

“ 5 neu

angelegter oder doch baulich stark veränderter, anfangs überwiegend

von

deutschen Siedlern bewohnter

und –

früher oder später

gesondert ummauerter Stadtteil

nach der

Bewidmung Magdeburger Recht, sondern lediglich

das

Kerngebiet

der

alten Siedlung.

Auch in

Polen

war in der

späteren Phase

des

Landesausbaus bestehenden Städten Stadtrecht verliehen worden.6 Waren diese Städte aber nicht bereits entsprechend

den

geschilderten mitteleuropäischen Vorstellungen erbaut worden, veränderten

sie sich

doch

in den

Jahrzehnten

vor

oder

nach der

Lokation, abgesehen

von

kleinen Städten, weitge-hend nach diesem Vorbild –

7 im

Gegensatz

zu

Polock.

Die

Trennung

der

rechtsstädtischen Bürgergemeinde

vom

Gericht

des

Trägers

der

Landesherrschaft, aber auch

vom

Adel

und

ganz besonders

vom

alten städti-schen Besitz

der

Geistlichkeit, musste daher

in

Polock deutlich erschwert sein.

Der

Wojewode konnte,

wie

erläutert,

in

seinem Schloss

die

rechtliche Stellung

der

dort lebenden Bevölkerung

im

Widerspruch

zu den

Anordnungen

von 1498

bestimmen.

Die

folgenden Abschnitte

zur

Entwicklung

des

Adels

und des

geistli-chen

Besitzes

in der

Stadt sollen

nun

klären,

wie

weit

die

neue Gerichtsbarkeit

in der

„Stadt

“ zu

Füßen

des

„Schlosses

durchgesetzt werden konnte.

C.III.1.2 Adel, adliger

und

geistlicher Besitz

in der

„Stadt

Die

Einführung

der

bürgerlichen Gerichtsbarkeit

1498

schloss

die

Bojaren

vom

neuen Stadtbegriff nach polnischem Vorbild endgültig aus.

Sie

lenkten nach 1498 ihren Einfluss vermehrt

auf das

Schloss, insbesondere aber

auf das

Umland

der

Stadt.

Die

Stadt erhielt zwar

1498 ein

Stapelrecht,

das die

Kaufleute zwang,

in der

1 MLYNARSKA (1960); K. ZERNACK, „Kalisch“, in: LexMA 5, Sp.870.

2 H. SAMSONOWICZ, „Płock“, in: LexMA 7, Sp.23; ŻEBROWSKI (21978), S.82f.

3 BOGUCKA / SAMSONOWICZ (1986), S.89–104; vgl. zu Płock: ŻEBROWSKI (21978), S.82f., S.100f.; KÖRMENDY (1995); GOEHRKE / TSCHUDIN (1998); HIGOUNET (1986), S.211–

4 214.BOGUCKA / SAMSONOWICZ (1986), S.44f.

5 A. POPPE, „Gorod“, in: LexMA 4, Sp.1562f.

6 C. LÜBKE, „Lokator“, in: LexMA 5, Sp.2088.

7 BOGUCKA / SAMSONOWICZ (1986), S.89–104; vgl. KÖRMENDY (1997); vgl. ENGEL (1993), S.35f.; HIGOUNET (1986), S.214, S.276–280, S.282, S.286.

Stadt ihre Waren

zu

verkaufen.

Die

Bojaren durften

aber von 1499 an

wieder,

wie

zuvor, ohne Zwischenkauf

und

ohne

sich an die

Marktbestimmungen

zu

halten, ihre Waren

nach Riga

verschiffen.1

Die

Einkünfte

der

Rechtsstadt wurden

da-durch erheblich geschmälert.

Die

Verordnung schwächte

die

Verbindung zwi-schen

dem

Umland

und dem

städtischen Markt,

da der

Adel immer mehr

von sei-nen

ländlichen Höfen

aus

wirtschaftete. Polock geriet damit

in den Sog

eines

so-zialökonomischen Prozesses,

der sich

etwas früher

in

Livland

und

vielen

Regio-nen

Polens abzuzeichnen begonnen hatte.2

Die

Verleihung

des

Magdeburger Rechts

1498

führte

für die

adligen

Ge-schlechter nicht

zu

einem Bruch

in

ihrer bisherigen Entwicklung.

Von der

Mitte

des 15. Jh. bis 1563

kann

von

einer kontinuierlichen Verfestigung

des

adligen Standes gesprochen werden,

der sich

immer klarer

von ihm

ähnlichen sozialen Schichten abgrenzte.

Die

Korsak,

das

älteste adlige Geschlecht

der

Region,

nah-men im

Polocker Adel

zu

Beginn

des 16. Jh.

unangefochten

den

ersten

Rang

ein.3

Zur

Mitte

des 16. Jh.

begann

der

Adel,

sich nach

polnischem Vorbild

„ š ljachta “

(poln. „szlachta

“, von

„Geschlecht

“) zu

nennen.4

Viel

eher

ist für den

Adel zwischen

der

Beseitigung

des

Teilfürsten

und den

neuen Privilegien

in den 30er

Jahren

des 15. Jh. eine

Umbruchphase

vom

Gefolgschaftsadel

zu

ersten Ansätzen eines Adelsstandes

zu

verzeichnen.5

Der

erst langsam ständig stadtsässig gewordene Adel

war

zwischen

1450 und 1550 in

seiner überwiegenden Mehrheit landsässig geworden.6

Etwa 170

aller

ca. 1 500

städtischen Höfe außerhalb

des

Schlosses waren

1552 in

adligem Besitz

und von

Bürgern bewohnt.

Im

weitaus wichtigsten Stadtteil,

im

Großen Posad, gehörten aber nicht mehr

als 5

Prozent

der 769

Höfe Adligen.7

Der

Wandel

der

Siedlungsgewohnheiten

des

orthodoxen Adels

war

bedingt durch

die

kulturelle

und

wirtschaftliche Vorbildwirkung

des

polnischen Adels.

Die

Bojaren trennten

sich

zwar weitgehend

von der

Stadt, jedoch nicht

vom

Schloss,

wo sie

viele

Höfe

behielten.

Hier

zeichnete

die

adlige

1 PG 2, Nr. 230, 1499, S.163.

2 MAŁOWIST (1957), S.40–47; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.144, S.245–247; PG 5, S.164, S.172; CHOROŠKEVIČ(1977), S.159.

3 Unter den reichsten Magnatenfamilien im Großfürstentum Litauen erreichten die zu ihrem Geschlecht zählenden Familien 1528 den achten Rang. OCHMAŃSKI (31990), S.101.

OCHMAŃSKI unterscheidet zwei Zweige der Familie, die an 16. und 17. Stelle stehen.

4 Nur ausnahmsweise ist die formale Aufnahme in ein polnisches Wappengeschlecht belegt.

KRASAUSKAITĖ(1927), S.36; MAKSIMEJKO (1902), Beilagen, S.113.

5 CHOROŠKEVIČstellt dagegen erst nach 1500 einen Umbruch fest, als mächtige ostslawische Grundbesitzer mehr Partizipation am Gesamtstaat erhielten. CHOROŠKEVIČ(1982a), S.76.

6 Während neun der reichsten Adligen einen Hof im Schloss sicherlich zur Partizipation an der Macht benutzten, waren etwa drei Viertel der 112 bekannten adligen Besitzer 1552 nur land-sässig. PR 1552, S.147, S.149f., S.152–54, S.158, S.160f. PG 2, Nr. 222, S.147. Nur 13 Ad-lige besaßen Stadtland, auf dem Bürger wohnten. Als der Große Posad zu Beginn des 16. Jh.

teilweise zerstört wurde, setzten viele landsässige Bojaren ihre verbrannten Stadthöfe nicht mehr instand, sondern überließen sie den Bürgern. BA 2, Nr. 268, 1533, S.193.

7 Der adlige Besitz machte nur im Slobodc

kij Posad, der 100 Höfe zählte, 50 Prozent aus. In der Revision werden 45 adlige Höfe im Großen Posad summiert, obwohl nur 13 explizit

ge-nannt werden. Im Zapolot’e besaß der Adel nur etwa 25 Prozent der 190 Höfe, freilich kön-nen in der Revision nur 35 der angeblich 51 vermieteten Gehöfte mit Besitzern in Zusam-menhang gebracht werden. Im Ostrovskij Posad, der 153 Höfe zählte, sah das Verhältnis ähnlich aus. Vgl. PANOV (1915), S.6.

C.III

Nach der Verleihung des Magdeburger Rechts 1498 185

Elite

mit dem

Wojewoden

für die

ausgebaute Landesverwaltung verantwortlich.1

65

oder mehr

als die

Hälfte

der

Gehöfte

im

Schloss gehörten

im

Jahre 1552 Adli-gen.2

Sowohl

die

Privilegien

wie

auch

die

zunehmende Landsässigkeit

unterstrei-chen die

neuartige Unabhängigkeit,

die der

Adel gegenüber

dem

lokalen Landes-herrschaftsträger erlangte. Schon

1492 war in den

Quellen

der dem

polnischen Sprachgebrauch entlehnte Terminus „Polocker Kreis

(

Polockij povet

“ , vgl.

poln. „powiat

“ , lat.

„districtus

“)

verwendet worden.

Er

bezeichnete

die

ganze Wojewodschaft Polock, allerdings ohne die Stadt Polock.3

Er war

damit

das

ländliche Gegenstück

zum

Begriff „m

ě sto “ und

unterschied

sich vom

übergrei-fenden Terminus „Polocker Land

(

Polockaja zemlja

“ ), der

weiterhin sowohl

die

Stadt

als

auch

das Land

umfasste.4

Im

Rückgriff

auf

diese neue Terminologie begann

sich der

Adel

nach

polnischem Vorbild

in

Adelslandtagen

zu

organisie-ren.5

Der

Bischof

war 1552 der

größte Grundbesitzer

des

Polocker Landes.6

Der

bi-schöfliche Besitz unterstand jedoch

der

Sophienkirche,

die

ihrerseits einige

we-nige Güter

ihr

Eigen nannte.7

Die

zahlreichen alten orthodoxen Klöster waren selbstständige Grundherren.

Wie alle

sozialen

und

rechtlichen Gruppen

der

Stadt hatten

auch sie

entsprechend

der

Revision

von 1552 von

alters

her

bestimmte

Ab-schnitte

der

Befestigung

des

Schlosses instand

zu

halten.

Zur

Mitte

des 16. Jh.

beherbergte Polock unter

den

Städten

im

litauischen Großfürstentum

am

meisten orthodoxe Klöster, abgesehen

vom noch

traditionsreicheren Kiew.8

Im 16. Jh. ka-men zu den

ostkirchlichen Institutionen

in der

Stadt auch

eine

kalvinistische9

und

eine katholische hinzu:

1498

legte

man im

Zapolot

’e ein

Bernhardinerkloster an.10

1 Die Polocker Bojaren blieben bis 1563 die Rekrutierungsquelle für Ämter der Landesherr-schaft, abgesehen vom Wojewodenrang.

2 PR 1552, S.15. 1538 besaß der Sohn des Wojewoden, Mikolaj Stanislav Hlebovič, einen Hof im Schloss, wie auch Hleb FedorovičEpimachovič. TARASOV (1992b), S.207, BA 2, Nr.

2 PR 1552, S.15. 1538 besaß der Sohn des Wojewoden, Mikolaj Stanislav Hlebovič, einen Hof im Schloss, wie auch Hleb FedorovičEpimachovič. TARASOV (1992b), S.207, BA 2, Nr.

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 179-187)