• Keine Ergebnisse gefunden

PLANITZ / ECKHARDT (1961), S.30

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 159-162)

Von 1466 bis 1487 war stets der gleiche Schreiber, Tulubej, für die

2 PLANITZ / ECKHARDT (1961), S.30

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 159

schützen (...) sie sollen hier (...) vor uns augenscheinlich im Recht stehen (pered nami očeviste u

prave stanut()).“1

In der

Passage

ist

nicht

nur an der

Wendung „

vor uns

augenscheinlich

er-kennbar, dass

die

Polocker allmählich Formeln übernahmen,

die in

polnischer gerichtlicher Schriftlichkeit gebräuchlich waren.

Die

Polocker erwarteten

von ih-ren

Bemühungen nicht mehr,

als

dass

die

Rigaer

ihr

Protokoll

des

„Vergehens

“ ( „

tat(

’ )ba “)

„ansahen

“: Die

festgestellten Umstände sollten

zur

Kenntnis

ge-nommen werden, analog

zu

einer

in Riga

durchgeführten „Untersuchung

(

isprava

“ ). So

blieb

es den

Rigaern beziehungsweise

den

Polockern überlassen, über

die

Bestrafung

von

beschuldigten Gerichtsgenossen

zu

befinden. Auch Aus-lieferungen

mit

Strafbegehren,

die auf

eigenen Untersuchungen beruhten, etwa

die

gerade beschriebene

des

Schankwirts 1468, waren

vor

diesem Hintergrund selbst

in den

Augen

der

Polocker kaum verbindlicher

als

ihre „Bitten

um

Recht

“: Die in

Polock angestellten gerichtlichen Untersuchungen waren

in Riga zu

überprüfen.

Die

Festnahme

des

Wirts

aus

öffentlichem Interesse,

die

Wahrnehmung seiner Handlung

als

Offizialdelikt

und die

(zwar

nur

vorläufige) Urteilsfindung belegen, dass

die

Polocker gerichtliche Verfahren ohne

den

Statthalter einleiteten.

Ihr

Vollzug

und

Abschluss sind aber nicht nachgewiesen.

Spätere, weitgehend analoge Streitfälle zeigen, dass

es

keine durchgehende Emanzipation

der

Polocker

von der

Gerichtsbarkeit

des

Statthalters

gab: Die

Polocker handelten

noch zu

Beginn

der 80er

Jahre

in

ganz ähnlichen Fällen,

die

durch

den

Vertrag

von

Kopussa geregelt waren, weiterhin gemeinsam

mit dem

Statthalter. Nicht einmal

bei der

Gerichtsbarkeit über

die

Waage

und die

Wägege-bühr, deren Einnahme

doch den

Bürgern

und

Bojaren zustand, gingen

die

Städter stets ohne

den

Statthalter vor.

So war in

einem Strafbegehren „

von

Iva

š ka

Danil

evi

č , des

Polocker Statthalters,

des

Herrn Bohdanov, und von

den

Polocker Bojaren

und von den

Bürgern

und von der

ganzen Gemeinheit

der

Polocker Stadt

“ um 1480

festgehalten,

die

Absender hätten

den

Rigaer Kaufmann Adam handelsrechtlicher Vergehen (Gästehandel

mit

einem Pskover)

und

wegen

der

Nichtbezahlung

der

Wägegebühr

„(...) für schuldig befunden und zu Euer Gnaden geschickt (esmo u tom znašli vinnaho), wie wir den Vertrag haben, dass, wenn ein Polotschane etwas verbricht in Riga und euer Gnaden ihn zu uns schickt und wir unsere Polocker gemäß unserem Recht zu richten haben (kozniti po svoemu pravu), aber wenn ein Deutscher in Polock etwas verbricht, dann müssen wir ihn zu Euer Gnaden schicken, und ihr müsst sie gemäß eurem Recht bestrafen (...).“2

Über

die

Zusammenkunft,

die mit

dieser Urkunde beschrieben wurde,

ist

aus-nahmsweise Näheres bekannt.

Im

gleichen Jahr

1480

klagte

der

Rigaer Stadtrat

vor dem

Wojewoden

von

Polock gegen

das

zitierte Verfahren

und

damit

1 PG 2, Nr. 183, S.95f.

2 Im frühneuzeitlichen Regest ist auch in diesem Fall nicht die Rede von einem einfachem Schreiben „pro administranda iusticia“: die Polocker „begehren, das man sie straffen soll.“ PG 2, Nr. 167, 1477–1480, S.64. Auch in einem weiteren Schreiben von 1482 argumentierten sie: „Und wer eine Angelegenheit (dělo) hatte gegen jemanden, wir haben ihm Gerechtigkeit nach unserem Recht gegeben (tomu i spravědlivost’po svoem pravu dali).“PG 2, Nr. 189, S.104.

„(...) gegen die Polocker Bojaren und unseren Statthalter Ivaška Danil()evičund die Bürger der Stadt Polock, weil diese eurem Kaufmann Adam Unrecht getan und nicht gemäß den Rechten und den Schriften, ihn unschuldig in Eisen gelegt hätten, und nach Riga schickten, (...).“1

Der

Wojewode untersuchte diese Angelegenheit

nun

selbst

( „ I my

toh(o)

sami

smotreli

“ ). Der

Rigaer Adam klagte deswegen

in

Polock

vor ihm

gegen

die

Bo-jaren,

den

Statthalter

und die

Bürger.

„Und die Bojaren und unser Statthalter und die Bürger standen vor uns und sagten: ‚Wir ha-ben gemäß dem Recht und den Schriften geurteilt (sudili), wie es beide Seiten tun müssen, die Stadt Polock und die Stadt Riga. Es hat uns der Wäger der Polocker Stadt, der vereidigt ist, be-nachrichtigt,

Adam habe

die

Wägegebühr nicht gezahlt

und die

Waren

an

Pskover ver-kauft.

Vor sie

gestellt, habe Adam keine Zeugen

für die

Zahlung gebracht.

Sie

hätten

den

Rigaer Adam daher

der

Nichtbezahlung

der

Wägegebühr

für

schuldig befunden,

ihn in

Eisen gelegt

und

nach Riga schicken lassen, „damit

sie ihn

ge-mäß ihrem Recht bestrafen

“.

Laut Adam hätten aber „diese Richter

(

„ tyi

sud(

’ )i “ ) in

Polock seine Zeugen

für die

Bezahlung

der

Gebühr nicht angehört.

Vor den

Wojewoden

als

Berufungsinstanz vorgeladen, gaben

die

Zeugen

zu

Pro-tokoll, dass

sie

nicht gesehen hätten,

wie

Adam

die

Abgabe zahlte,

und „ vor den

Richtern (pered sud(

)jami)

in

dieser Angelegenheit

nicht befragt worden seien.

Daher,

so

berichtete

der

Wojewode nach Riga, hätte

er

„(...) den Bojaren und unserem Statthalter und den Bürgern Recht gegeben, und Adam für schuldig befunden. Und daher wundern wir uns sehr, dass eure Kaufleute euch nicht so erzählen, wie ihnen hier bei uns Recht getan wird.“2

Es

wird

also

deutlich, dass

ein

Urteil gegen Rigaer

in

Polock oder

eine

Aus-schaffung

mit

Beilage

des

aufgenommenen Sachverhaltes

in Riga

durchaus ernst genommen wurde. Offenbar versuchte Adam,

das

Polocker Verfahren

zu entkräf-ten, um

seinen Prozess

in Riga zu

gewinnen.

Das

Rigaer Gericht

und

auch Adam erkannten

mit

ihren Gegenmaßnahmen

die

Legitimität

des

Vorgehens

der

Polocker

an:

Adam klagte nicht grundsätzlich dagegen, dass

er in

Eisen

ge-schmiedet worden war,

er

klagte lediglich einen Verfahrensfehler

ein,

nämlich

die

Nichtbefragung

der

Zeugen.

Erneut

ist

aber offensichtlich, dass

es sich bei dem

Dokument nicht

um ein

eigentliches Gerichtszeugnis handelt:

Das

Polocker Schreiben

war

zwar nicht

in

Riga,

aber doch in

Polock anfechtbar,

es

spielte somit

vor dem

Rigaer Stadtge-richt keine gleichermaßen unbedingt legitimierende Rolle.

Wohl aber

sind solche Schreiben

als

Protokolle einer

Art

Vorverfahren anzusehen,

die in Riga

durchaus rechtliche Bedeutung genossen

sonst wäre

die

Berufung

des

Rigaers

vor dem

Polocker Wojewoden zwecklos gewesen.

In

Angelegenheiten,

die

durch

die

Han-dels-

und

Friedensverträge

mit Riga

geregelt wurden, richtete

um 1480

somit

im-mer noch

gelegentlich auch

der

Statthalter

des

Wojewoden, freilich unterstützt 1 PG 2, Nr. 178, S.85f.

2 PG 2, Nr. 178, 1480, S.85f.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 161

durch

in

diesem Dokument

im

Polocker Kontext erstmals genannte „Richter

“ der

Bojaren

und der

Bürger. Gegen ihre Urteile

und

damit vermutlich auch gegen Urteile

der

Bojaren

und

Bürger

ohne

Statthalter

(wie im

Falle

des

Wirtes Matfejko

von

1468) konnte

vor dem

Gericht

des

Wojewoden Einspruch erhoben werden.

Dabei

ist zu

beachten, dass

aus der

Urkunde,

die der

Wojewode wegen

des

Einspruchs ausfertigte, seine Anerkennung

der

bojarischen Vorherrschaft über

den

Statthalter hervorgeht: Dreimal wurden

sie vor ihm und den

übrigen Städtern genannt.

Von

einer Beteiligung

von

Leuten

der

„Gemeinheit

aber

war

keine

Rede –

obschon

sie in der

Urkunde,

mit der dem

Rigaer Stadtrat

die

Untersuchung beziehungsweise

das

Urteil

der

Polocker gegen Adam mitgeteilt worden war,

mit als

Absender genannt worden waren.1

Die

Formel

„ von der

ganzen Gemeinheit

“ wies

daher

in den 80er

Jahren

des 15. Jh. im

gerichtlichen Zusammenhang nicht mehr unbedingt

auf eine

Vielzahl

von

Polockern

hin, die am

Beschluss beteiligt waren. Institutionalisierten

sich

Richter,

ist eine

sinkende Teilnahme

von

Polockern

an den

Zusammenkünften anzunehmen.

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 159-162)