8 GIDDENS (1988), S.82, S.96.
9 WILLEMS (1997), S.35.
10 Rahmen differenzieren und relationieren Handlungen in langfristigen Zusammenhängen.
Rahmen „ermöglichen und strukturieren“„die Serialität des sozialen Lebens, die „Ketten“
(Randall Collins) und Verkettungen von Handlungen und Interaktionen“. Rahmen bedingen und begrenzen „Bedeutungs-, Handlungs- und Erlebensfelder.“WILLEMS (1997), S.44, S.32f., S.35f.
11 WILLEMS (1997), S.44.
A.III Methodisches, Definitionen und Einschränkungen 21 sieren, formieren einen Diskurs.
“1 Der
Begriff Diskurs steht hierfür
sprachlich hergestellte Handlungs-und
Sinnzusammenhänge,für
einen „Spielraumdes
Sag-baren“
(LANDWEHR),für die
sprachlichen Grenzen eines Handlungsfeldes.2Ein
Diskurs formt
und
begrenztein
Handlungsfeldauf der
sprachlichen Ebeneals
Sprachfeld.
Er ist
bestimmt durch spezifische Kommunikationsmittel, thematische Inhalte, Argumentationsstrategien, Denkfiguren, Verfahren, Begriffsfelder, Satz-formationenund
Sinnzusammenhänge, Legitimationslogiken oder Wahrheitsent-würfe.Nicht weniger
als
mündliches Handeln3ist
schriftliche Kommunikationals
Handlungszusammenhang anzusehen.
Der
Einsatzvon
Schriftlichkeit durchAb-sender
und
Empfänger konstituiert ebenfalls unmittelbar Handlungsfelder.Schriftstücke sind somit sowohl
als
Ergebnis einer Handlung (Protokolle, Urkun-den) sowieim
durchdie
Situation bedingten Kontext auch selbstals
Handlungzu
verstehen (Missiven, Anklagen, Verteidigungsschriften). Nicht ohne Grund dehnte
sich der
Begriff„ acta “
(„
Handlungen“) als
Folgeder
außerordentlichen Dynamisierungder
Schriftlichkeitim
ausgehenden13. Jh. in
Italienauf
Geschrie-benes insgesamt aus.4Wichtig sind
die
Grenzender
Diskurse, charakteristische Argumentationslo-giken, rhetorische Überzeugungsstrategienund
Schreibstile, einzelne spezifische Satzkonstruktionen sowie Begriffsfelder,die
Horizonteund
Inhalte kollektiven Handelns begrenzenund
ermöglichen.Eine
vollständige Diskursanalyse kannhier
aber nicht geleistet werden.Um
Missverständnisse auszuräumen,soll
daheran-statt
von
Diskursenvon
Sprachfeldern gesprochen werden.Es
gilt,für
möglichst große Gruppender
Stadt Handlungsmöglichkeitenund
Spielräumedes
Sagbaren beziehungsweisedes
Schreibbaren darzustellen.Gemäß
der
hierund im
weiteren Verlauf verwendeten Begriffe findet folglichdie
Entstehungund
Reproduktionvon
Institutionenin
einem Handlungsfeldin den
Schranken spezifischer Rahmenvorstellungender
Akteureund
mithilfe ge-wisser Verfahrenund
Praktiken statt.Ein
Handlungsfeld besteht weitgehendaus
einem spezifischen mündlichen
und
schriftlichen Sprachfeld,das die
einzelnen beteiligten Akteurein
ihrem Sprachgebrauch respektive Schreibstilin
konkreten Situationen wiederholt herstellen. Handlungsfelder können verschiedene soziale Reichweiten erlangen, verschiedene „Felder“ der
Auseinandersetzungum
oderim
physischen Stadtraum sowieim
„relationalen sozialen Raum“
sein.5 Zudem könnensie
besondere Handlungslogiken6und
eine eigene Ausprägungvon
„Öffentlichkeit
“
hervorbringen. Grundsätzlichist von
unterschiedlichen Öffent-lichkeiten auszugehen.71 LANDWEHR (2001), S.98f., S.152.
2 Vgl. HARDTWIG (1997), S.17.
3 Vgl. LANDWEHR (2001), S.100.
4 Vgl. BEHRMANN (1995), S.10.
5 Menschen werden als Individuen und soziale Akteure „in ihrer und durch ihre Beziehung zu einem sozialen Raum oder, besser, zu Feldern als solchen konstituiert (...).“BOURDIEU (1991), S.26–34.
6 BOURDIEU (31999), S.25f.
7 HOFFMANN (2001).
Im
Vordergrund steht somitdie
Untersuchungvon
Ereignisketten,in
denensich
Handlungsfelder, besondere Interaktionsverfahrenund der sie
tragende mündlicheund
schriftliche Sprachgebrauch zwischen oder innerhalbvon
Grup-pen1 allmählich ausgestalteten.2 Dabei soll derBlick
vor allem auf die Handlungs-ziele, Mittelund
Verfahren gelenkt werden,die in den
spezifischen Handlungs-kontexten logisch3 wurdenund
Möglichkeiten kollektiven Handelns begrenzten, bestimmtenund
legitimierten.4Die
Untersuchungsoll „ die
Bandbreite möglicher Interaktionin
gegebenen Kontexten“
beschreiben.5Forschungen
zu
„politischer Kultur“
gehenvon
ähnlichen Überlegungen aus,6 lassen jedochoft die
sozialen Trägervon
Institutionen unbeachtet.Institutio-nen
sind jedochals
„soziale Kontexte“ zu
verstehen.7 Nichtnur aus der
Perspek-tive einer kulturwissenschaftlichen, „praxeologischen“
Institutionengeschichte muss kollektive Interaktion geradein
einem institutionalisiertenHandlungskon-text in
Verbindungmit
Integrationsprozessen ihrer sozialen Trägergruppebe-trachtet werden.8 Teilhabe
an
kollektivem Handelnist
sozial, rechtlich oder auch geschlechtergeschichtlichund
ethnokonfessionell bedingt.Ein
Handlungsfeldist
daher
in
seiner sozialen Reichweiteund
Zugänglichkeit begrenzt.Von
Bedeutungist die
Unterscheidung verschiedener Bereiche kollektiven Handelns,die
durcheine
teilweise übereinstimmende soziale Trägerschaft hergestellt wurden,in
denen aber spezifische Interaktionsverfahren andere Regelnder
Mitwirkung hervor-brachten.Das
wechselseitige Zusammenwirken solcher unterschiedlichen Hand-lungsfelder,die
gleichzeitig nebeneinander bestehen,ist aus
einer übergreifenden Wartezu
bestimmen.Diese Ansätze erfordern
eine
phänomenologische Wertschätzungder
Quellen.Diese sind nicht
nur als
Wahrnehmungenund
Darstellungenvon
Handeln, son-dernin
ihrem zeitlichenund
sozialen Kontext selbstals
Handlung anzusehen.Das
Zitieren
von
Quellentextensoll
Handlungszusammenhänge nachvollziehbarma-chen.9
Eine
besondere Gewichtungvon
Institutionenund der
Versuch, vieleQuel-len zu
zitieren, sind damit Methode.Sie
möchte wederaus
makro- nochaus
mikrohistorischer Sichtals
Mangel missverstanden sein:Mit der
Beschränkungauf
möglichst große, formal organisierte Gruppenund
möglichst viele beteiligte Akteure fallen,wie
erwähnt, zahlreiche Dimensionen einer mikrohistorischen Sichtweiseaus dem
Blickfeld. Stattdessensoll
hier eine „Mesoebene“ in den
Mit-telpunkt gestellt werden,und
zwar„ die
Ebeneder
Institutionen,die
nichts sindals
eigenständige, besonders stabile Mikrokontextgeflechtevon
besondererQuali-1 WILLEMS (1997), S.35.
2 BLÄNKNER (1994), S.105f.; programmatisch: SCHWERHOFF / MÖLICH (2000), S.25–28.
3 Eine „praxisimmanente Logik“muss nicht analytisch logisch sein. BOURDIEU (1999), S.25f.
4 Vgl. über „Legitimation durch Verfahren“: LUHMANN (1983).
5 WELSKOPP (1997), S.67.
6 ROHE (1990); LIPP (1996).
7 WELSKOPP (1997), S.43; GÖHLER (1994), S.57.
8 BLÄNKNER (1994), S.105f.
9 Bei einer Beschränkung auf eine analytische Paraphrase oder einen makrohistorischen Kom-mentar könnte dies nicht geleistet werden. WELSKOPP (1997), S.67f.
A.IV Forschungsstand 23
tät und mit
erhöhter Reichweite.“1
Sozial-
und
Institutionengeschichte wirdals
Kommunikationsgeschichte ver-standen. Damitsoll
mikrohistorischen Ansprüchender
Alltags-, Diskurs-und
Kulturgeschichte entsprochenund
gleichzeitig Perspektiven einer dynamisch ver-standenen Strukturgeschichte wahrgenommen werden.2 Insgesamt wird versucht, innerhalbder
einzelnen Zeitabschnitteund
soweites die
Quellen erlauben,die
Individuen
in der
Gruppe hervorzuheben.Im
Vergleichzu
Darstellungeneinzel-ner
Städte,die
meistin
mehreren Bänden angelegt sind, oderzu stadtgeschichtli-chen
Monographien über bestimmte Perioden sinddie
Skizzenzu den
separaten Zeitabschnitten knapp gehalten.A.IV
FORSCHUNGSSTANDFür fast alle
Zeitabschnitte bestehtdas
Desiderat einer Erforschung mittelgroßer Städtedes
ostslawischen Gebietes.3Die
Geschichtevon
Polockist
bishernur für die
Phaseder
Entstehungder
Stadt befriedigend untersucht:4E.
MÜHLE analysiertbis
gegen Endedes 12. Jh.
eingehenddie
Entwicklungzur
Stadt,die
sichals
mul-tifunktionaler regionaler Zentralort5von
Herrschaft, Wirtschaft, Religion,Nah-und
Fernhandel sowie durch ihre sozial differenzierte Bevölkerungund
ihrege-gliederte, verdichtete Bebauung
vom
Dorf unterscheidet.6Die
Dissertationvon A.
L.
CHOROŠ
KEVIČ
bietetviel
Materialfür die
Fragenach der
Entstehungder
un-terschiedlichen sozialen Gruppen
und
Leistungs- oder Nutzungsgenossenschaftenin
der Stadtbis in
die erste Hälftedes 16. Jh.7
Bei der
Untersuchungder
Entwicklung kollektiven Handelnsder
Städterist für die Zeit vom 12. Jh. an zu
fragen, inwieferndie
Polockerihr
gemeinsames Handeln entsprechenddem von P.
BLICKLE entworfenen Konzeptdes
„ Kommu-nalismus“
organisierten. Kanntensie die für
Land-und
Stadtgemeinden Mittel-europas grundlegenden Leitbegriffe kollektiven Handelnswie das
„bonumcom-1 WELSKOPP (1997), S.64.
2 Vgl. WELSKOPP (1997); BLÄNKNER (1994). Zu analogen mediävistischen Überlegungen vgl. GOETZ (1999), S.174–177, S.212f.; OEXLE (1998); auch ALTHOFF (1990); ALTHOFF (1997).
3 Vgl. bereits HELLMANN (1966), S.379; ZERNACK (1973), S.21f.; REXHEUSER (1982), S.226; HAUSMANN (2002a), S.34, S.116.
4 Werke zum gesamten Zeitraum: Eine kurze, auf Quellenverweise verzichtende Aufsatzsamm-lung (KRAVČENKO / KAMENSKAJA (Red.) (1967); erneut: PETRIKOV (Red.) (21987)) so-wie eine kurze Monographie (ŠAMOV (1987)) sind unbefriedigend. Eine Fundgrube, aber ohne Fragestellung: ORLOV (1995) / ARLOŬ(2000). Zur Stadttopographie: TARASOV (1992b); TARASAŬ(1998).
5 GOEHRKE (1980), S.195; ENGEL (1995), S.9f.; zum Zentralitätsbegriff: DENECKE (21975).
6 MÜHLE (1991), S.203–238. Die ersten Monographien zur Geschichte der Polocker (und Vi-tebsker) Region bis ins 16. Jh. sind historiographiegeschichtlich wertvoll: DRUŽILOVSKIJ (1866); DRUŽILOVSKIJ (1867); BĚLJAEV (1872). Im Gegensatz zum Werk von DOVNAR-ZAPOL’SKIJ (1891) ist V. E. DANILEVIČs Buch zum Polocker Land bis ins 14. Jh. auch so-zial- und institutionengeschichtlich interessant. DANILEVIČ(1896). Zur älteren Archäologie:
ŠTYCHOV (1975). Vgl. die Synthese zum Polocker Land bis ins 13. Jh.: ALEKSEEV (1966).
7 CHOROŠKEVIČ(1974b). Teile der unveröffentlichten Dissertation wurden im 5. Bd. der Quellenedition PG erweitert publiziert.
mune
“ , den
korporativen Konsens oderden
gegenseitig getragenen Rechtsfrie-den?1 Damit verbundenist die
Frage nachdem
Charakterder
Stadtals
„Rechts-stadt“ .2 Die Wege zur
kommunalen Stadt,die für das
ältere Ostmitteleuropaund
insgesamt Mitteleuropa erarbeitet worden sind, dürftensich
auchfür die
Ein-schätzungder
Vorgängein
Polockals
maßgeblich erweisen.3 Kernfragenzu den
ersten beiden Zeitabschnitten betreffen daher
das
„več e“– die
Volksversamm-lung,die im 12. Jh. in
kritischen Phasender
fürstlichen Herrschaft nachgewiesen ist.4 Grundlegendzu den
Versammlungenin
Polockbis ins 12. Jh.
sinddie
For-schungenvon
ZERNACK.5In
dieser Abhandlung soll versucht werden, seine Ergebnisse durchdie
Konzentrationauf die in den
Quellen verwendete Begriff-lichkeitund mit der
Herstellungvon
Handlungszusammenhängenzu
erweitern.In
seiner Sicht konnte
das
Verhältnis zwischender
Stadtund dem
großfürstlichen Statthalter,der mit der
institutionellen Eingliederungins
Großfürstentum Litauenzu
Beginndes 14. Jh.
eingesetzt wurde, lediglichnoch in
Krisensituationen,in
denen
die
Zentralgewalt funktionsunfähig war, ähnlichsein wie
früher. Ver-sammlungendes 15. Jh.
seien zwareine
Umformungder
več
e-Versammlungen gewesen– ein
„aristokratisiertes Več e“
(LJUBAVSKIJ).Sie
hätten aber „das
ge-meinsame Auftretendes
Adelsdes
‘Landes’ im
Auge“
gehabt.Sie
stellten somit„etwas
in
verfassungsgeschichtlicher Hinsicht Andersartigesund
Neues“
dar.6 Hingegen siehtdie
russische Forschungbis
heutedie
burgstädtischen Ver-sammlungenim 15. Jh. in
einem kontinuierlichen Zusammenhangmit
denendes 12. Jh.7
DVORNIČ
ENKO fragt daher nicht,ob im 15. Jh.
der Anfangvon
etwas 1 Eine Gemeinde soll eine kommunalistische genannt werden, wenn sie über Institutionen wieein eigenes Gericht und einen Rat verfügte, von den Amtsträgern repräsentiert wurde und die Kompetenz besaß, Recht zu setzen. BLICKLE (1991), S.10f., S.15f. Zu Schlüsselbegriffen im Konzept des Kommunalismus: SCHREINER (1996); EBERHARD (1988); wichtig zu Nov-gorod: LEFFLER (2005) (im Druck); zur Rolle von Friedenskonzepten in der Rus’und in
Novgorod: ROHDEWALD (2002b).
2 Wesentliche Elemente einer solchen sind städtischer Friede, städtische Freiheit, Stadtrecht und eine „Stadtverfassung auf gemeindlich-genossenschaftlicher Grundlage“. DILCHER (1973), S.15. ENGEL betont im Gegensatz etwa zu MÜHLE, dass auch große städtische Siedlungen, die weder diese rechtlichen Kriterien erfüllten, noch eine unabhängige Selbst-verwaltung kannten, „herrschaftlich-frühstädtisches Siedlungszentrum“und nicht „Stadt“
genannt werden sollte. ENGEL (1995), S.10f., S.18; vgl. BRACHMANN (1995), S.342. Mit der Definition der Stadt als multifunktionalem Zentralort wird indessen zwischen einer nicht-kommunalen Stadt und einer kommunalen Stadt unterschieden. Vgl. A. CHOROŠKEVIČ,
„Stadt; Kiewer Rus’“, in: LexMA 7, Sp.2207f.; A. POPPE, „Gorod’“, in: LexMA 4, Sp.1562f.
3 DILCHER (1998); ENGEL (1995), S.13–22. In der Perspektive des Sammelbandes Burg –
Burgstadt –Stadt (BRACHMANN (Hg.) (1995)) fehlen ostslawische Städte fast gänzlich.
4 ZERNACK (1973), S.17; MÜHLE (1991), S.236. Zur Historiographiegeschichte über diesen Themenkreis bis ins 15. Jh., leider in fehlerhaftem Druck: ROHDEWALD (2001b).
5 ZERNACK (1967), S.119–124.
6 ZERNACK (1967), S.113, S.125.
7 Gemäß dem slawophilen I. D. BĚLJAEV soll das angeblich sehr früh entstandene veče bis 1498 keinerlei Veränderung erfahren haben. Nach 1498 konnte er nur einen völligen Bruch mit der vorherigen Verfassung erkennen. BĚLJAEV (1872), S.153, S.305, S.325f. Auch laut CHOROŠKEVIČblieb das veče bis in die zweite Hälfte des 15. Jh. erhalten, wobei allerdings im 15. Jh. die alten angeblich „republikanischen Ordnungen verschwommenere Züge annah-men als im Altrussischen Staat“. CHOROŠKEVIČ(1982a), S.121; CHOROŠKEVIČ(1974b), S.94f.; CHOROŠKEVIČ(1974a), S.21; ähnlich: FLORJA (1995).
A.IV Forschungsstand 25 Neuem lag, sondern beklagt lediglich
den
Zerfallder
angeblich „altrussischen“
Gesellschaftsordnung.Sein Werk ist
sehr hypothetisch angelegt.Der
genannte frühneuzeitliche Chronikabschnitt überdas
Polocker Venedig belegtin
seinen Augen einen hochmittelalterlichen Stammesältestenrat.1Mit
derselben Passage begründetZ. Ju.
KOPYSSKIJ seine Thesevon
einerim 13. Jh.
gefestigten „Selbst-verwaltung“. Die
„Več
etradition“, die im 12. Jh.
entstand, lässt aucher ungebro-chen bis in die
zweite Hälftedes 15. Jh.
wirken.2ZERNACK hebt
als
Charakteristikumder
ostslawischen GebietePolen-Litau-ens
hervor, dass Orthodoxe stadtrechtlich diskriminiertsein
konnten.Wo nur
Teileder
Stadtmit
Magdeburger Stadtrecht bewidmet wurden, habesich
keine homogene Rechtsstadt entwickelt. ZERNACK stütztsich in
diesem Zusammenhangbei
seiner Einschätzungder
Ausdehnungdes
ostmitteleuropäischen Geschichts-raumesnach
Ostenu. a. auf den
verfassungstypologischen, komparatistischen Aufsatz MUMENTHALERs,in dem für das
östliche Polen-Litauen nichtvon
einer Rechtsstadt, sondernvon
einer „Partikularstadt“
gesprochen wird.Auf
dieser Grundlage identifiziert ZERNACK eine „Übergangszone ostmitteleuropäischer Strukturnach
Osten“ . 3 Auch
diese Thesen sindzu
überprüfen.Mit der
demnächst publizierten Dissertationvon C. V.
WERDTzum Städtewe-sen der
früheren Gebieteder Rus ’ im
polnisch-litauischen Staatsverbandvom 14.
bis zur
Mittedes 17. Jh.
liegt nunmehr eine Typologiezur
Entwicklung rutheni-scher Städte während dieserZeit vor. So
differenziertV.
WERDT „zwei städtische Idealtypen,die
unterschiedlichen historischen Traditionenund
Kulturräumen ent-stammen“:
Während „die
Magdeburger Rechtsstadt (...)der
Inbegriffder
okzi-dentalen Stadtnach Max
Weber“
gewesensei,
führte „die
ruthenische Burgstadt 1 DVORNIČENKO (1983c), S.23; DVORNIČENKO (1993), S.46, S.237. Sein Konzept lehnt sich an das von I. Ja. FROJANOV an: Die Sippenverbände sollen sich bis zum 11. Jh. zu „Stadt-staaten“(„goroda gosudarstva“) entwickelt haben. Das veče soll schon im 9. und 10. Jh.existiert haben, was unhaltbar ist. Nach dem Übergang zur territorialen „Gemeinschaft“ („obščina“) im 11. Jh. soll diese bis ins 15. Jh. bestehen geblieben sein, bis sie sich wegen des wachsenden und mit Privilegien immunisierten Großgrundbesitzes der Bojaren auflöste.
Die Einführung des Magdeburger Rechts soll die Überreste der alten Selbstverwaltung zum Verschwinden gebracht haben. Die Wirkung des „ausländischen“Rechts sei schädlich gewe-sen. DVORNIČENKO (1983b), S.1; vgl. FROJANOV (1974); FROJANOV (1980); FROJANOV / DVORNIČENKO (1988); DVORNIČENKO (1983c), S.49, S.92–96, S.20. Offenbar von DVORNIČENKO beeinflusst: A. POPPE, „Gorod’“, in: LexMA 4, Sp.1562f. ŠTYCHOV schreibt ebenfalls von einem Weiterleben des veče direkt bis 1498. ŠTYCHOV ist aber be-züglich der Kompetenzen des veče und seiner Stellung zum Fürsten zurückhaltender als
DVORNIČENKO. ŠTYCHOV (1975), S.21; vgl. DVORNIČENKO (1993), S.140; DVOR-NIČENKO (1983c).
2 Er vertritt in einem Artikel und in einer kurzen Monographie zur Stadtgeschichte im rutheni-schen Teil des Großfürstentums die These, die Stadtbevölkerung von Polock hätte weitge-hend autonome Institutionen gehabt, bis sie zu Beginn des 15. Jh. vom großfürstlichen Stell-vertreter abhängig geworden seien. Während des 15. Jh. habe Polock im Kontakt mit Riga handelsrechtliche Normen entwickelt, die dann 1498 Teil des (verliehenen) Stadtrechts wur-den –nicht anders als etwa in Genua oder Venedig. KOPYSSKIJ (1975), S.76f.; KOPYSSKIJ (1972), S.34. Der Wandel sei aber nicht durch die Verbindungen zu Riga oder anderen Städten mit deutschem Stadtrecht in Gang gekommen, diese hätten während langer Zeit kei-nen Einfluss auf die Entwicklung in Polock gezeigt. KOPYSSKIJ (1975), S.82; KOPYSSKIJ (1972), S.35–37.
3 ZERNACK (2001), S.328; MUMENTHALER (1998).
(...)
die
Traditionslinieder
altrusischen [sic!] Burgstadtaus den
Zeitendes
Kiewer Reichesfort.“1
Allerdings sind Burgstädtebis ins 13. Jh.
nicht allein fürden
ostslawischenRaum
charakteristisch, sondern auchfür
Mitteleuropa.2 Beidevon V.
WERDT unterschiedenen Typen wichenin den
Formen,wie sie für die
ru-thenischen Städteim
Spätmittelalterund in der
frühen Neuzeit herausgearbeitet werden, jedochvom
Idealtypusab. V.
WERDT stelltfür
dieseZeit in
Ruthenien einen „graduellen Übergang“
zwischenden
beiden Idealtypen fest.3Während
V.
WERDT Gemeinsamkeitenund
Differenzender
ruthenischen Städte untereinanderund
schließlich idealtypische Charakteristikader
Städteder
Region gegenüber westeuropäischen Städten sowie Burgstädten Osteuropasim
engeren
Sinn
herausarbeitet, sollenin der
vorliegenden Untersuchung Vergleichevon
Polockmit
mittelgroßen Städten Polens,wie
beispielsweise Kaliszund
Pł ock,
Aufschluss über Unterschiedeund
Gemeinsamkeitendes
Polocker Werdegangs gegenüber jenem ostmitteleuropäischer Städte geben.4Für
Polockist
derdynami-sche
Charakterder
Entwicklung kollektiven Handelnsim
Kontaktmit dem
west-lichen Europa hervorzuheben. Zudemist der Grad der
Institutionalisierungvon
Versammlungen
zu
unterscheiden. „Öffentliches“
Handelnist bis tief ins
Spät-mittelalterzu
verstehenals in der
„face-to-face“
-Interaktionder
beteiligtenAk-teure hergestellte, ereignis-