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Polocker teilten dem Rat von Riga nur den Prozessablauf und das Urteil mit. So

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 131-149)

stand

in dem

„Bittschreiben“(„čolobit’e“) „Vom Herrn Vasilij DmitrevičKorsak, dem Polocker Statt-halter, und von den Polocker Bojaren und den Bürgern und von allen Polocker Männern vom Großen zum Kleinen“: „Wir schreiben euch Herren davon, dass hier eine Sache vor uns war, von unserem Polotschanen Černjata mit eurem Deutschen mit Aleksandr.

Beide Parteien hätten

sich in der

Gegenwart

von

namentlich genannten

„ gu-ten

Leuten

“(„ a pri tom

byli dobryi ljudi

“) die

Hand

auf

eine Handelsvereinba-rung (

slovo

“ )

gegeben,

der

Aleksandr aber

noch

drei Jahre später nicht nachge-kommen

sei.

Černjata habe daher

den

Rigaer,

der sich

gerade

in

Polock aufhielt,

vor uns

gestellt.

Und wir

fragten Aleksandr

“,

warum

er ihm

seinen

Teil

nicht geschickt habe. Dieser antwortete

dem

Statthalter,

er

habe

das Geld

(dem inzwi-schen verstorbenen) Timofej gegeben.

Als

Černjata aber auch

die

Zeugen

der

da-maligen Vereinbarung

vor

Gericht bringen konnte

und

diese

ihm

Recht gaben,

„befahlen

wir “ von

Aleksandr achteinhalb

Pud

Wachs

„ zu

nehmen

(

veleli (...) vzjati

“ ). Im

frühneuzeitlichen Regest

hieß es

dazu: „

wie die

sache (...)

abgelauf-fen

unnd darinne gesprochen worden.

“1

Mit

diesem Dokument

ist eine

Gerichtssitzung

des

Statthalters belegt,

die er in

Anwesenheit

des

Beschuldigten abhielt, gemeinsam

mit

oder

vor

einer unbe-stimmten Anzahl Städtern

als

Zeugen

und

weiteren Städtern

als

befragten

Ge-schäftszeugen

der

früheren Vereinbarung. Freilich kann

sich der

Grund

für die

Gegenwart nicht

nur von

Bojaren, sondern auch anderer Städter,

auf

ihre Funktion

als

Zeugen beschränkt haben.

Die

Teilnahme

von

Bojaren oder Bürgern

am

Ge-richt

des

Statthalters

in

Handelsangelegenheiten

und

wegen Problemen,

die mit

Wachs

zu tun

hatten,

war

auch

zur

Mitte

des 15. Jh. und

selbst

in den

Augen

der

Städter nicht entscheidend.

Viel

stärker betonten

sie in

ihren Schreiben

die

Rolle

des

Statthalters

in

solchen Verfahren.2

Fälle,

die

nicht unmittelbar

im

Kontakt

mit Riga

begründet waren

und an de-nen

neben Bojaren weitere Polocker

und

namentlich

auch

Bürger

am

Gericht

des

1 „Poloczker Statthalter unnd die gemeine berichten,lautete es im frühneuzeitlichen Rigaer Regest. PG 1, Nr. 52, 1436–1437, S.133f.

2 So klagten die Polocker Bürger um 1450, als sie von den Rigaern Gleichbehandlung einforderten: Denn ihr selbst macht es so, dass wenn einer von uns zu euch kommt mit schlechtem Wachs, so schreibt ihr dem Wojewoden Briefe, und der Wojewode nimmt hier das Wachs an sich, und bestraft mit einer Geldbusse.“PG 1, Nr. 92, 1449–1451, S.184. Aller-dings wird u. a. auch der folgende Artikel dem bereits von Vytautas an die Polocker verliehe-nen (Landes-)Privileg zugeschrieben: „Und auch wenn Wachs eines Polotschanen in Riga oder anderswo getadelt wird (zahudjat), und dieser nach Polock kommt: Dann sollen die Polotschanen diesen Wachs an sich nehmen in die Stadt (v horod), und den Polocker gemäß ihrem Recht bestrafen (kaznit(’) Poločanom po svoemu pravu), und wir dürfen nicht darin einschreiten.Dieser Grundsatz hätte den Vertrag von 1338, gemäß dem die Gerichtsbarkeit über unreine Waren der Polocker ausdrücklich bei ihrem Fürsten lag, zugunsten „der Po-lotschanengeändert. Es ist aber angesichts der Praxis in der ersten Hälfte des 15. Jh. denk-bar, dass in diesem Satz stillschweigend die Gerichtsbarkeit beim lokalen Herrschaftsträger (eventuell in Anwesenheit der Polocker) belassen wurde und sich mit dem Grundsatz nur der Großfürst, nicht aber der Statthalter aus dem Themenbereich zurückzog. Vgl. die Argumen-tation von CHOROŠKEVIČmit JAKUBOVSKIJ: PG 5, S.30.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 131 Trägers

der

Landesherrschaft beteiligt waren, sind

aber

erst

für die

Mitte

des 15.

Jh.

belegt.

Sie

entsprachen

dem

Artikel,

der dem

Landesprivileg erst damals

bei-gefügt wurde

und der den

Statthalter dazu verpflichtete, Polocker Bürger aus-schließlich

in

Gegenwart

von

Bojaren

und

Bürgern

zu

richten: „

Aber

Bürger darf nicht einer alleine richten,

er

muss

sie mit

Bojaren

und

Bürgern richten.

“1

So ist

erstmals

um 1450 ein

Streit

um

Landbesitz bekannt,

den der

Statthalter

des

Wojewoden ausdrücklich

mit

Bojaren

und

Bürgern richtete: „Dieses Urteil richtete

(Sii sud

sudil) Herr Andrej Sakovi

č,

Polocker Statthalter,

mit den

Polocker Bojaren

und mit

Bürgern.

“Im

Verlauf

des

Streitfalles wurden Bürger,

die

einen Vertrag zwischen

den

Parteien

als

„gute Leute

bezeugt hatten (

dobry ljudi

“), vor

Gericht geladen,

um

über diesen Vertrag befragt

zu

werden.

Die Bür-ger

wurden

am

Ende

des

Dokuments nach

der

Formel „

und

dabei waren

“ ( „ a pri tom

byli

“ ) und

einer Reihe namentlich genannter Bojaren

in

einer zusammenfas-senden Formel genannt: „

und der

Bürger, guter Leute, waren viele

“ ( „ a

m

ě

sti

čov

dobrych ljudei mnoh(o) bylo

“ ).2

Demnach dürfte

sich die

Rolle

der

Bürger

aber auch

der

Bojaren

– hier auf die von

boni

homines

beschränkt haben: Gerichts-versammlungen wurden

vor

einer größeren Anzahl

von

„meist

nur

teilweise

na-mentlich benannten

Geschäftszeugen oder „guten Leuten

abgehalten, welche

die

Öffentlichkeit

des

Verfahrens wahrten.3

Ob sie in

Polock

in

diesem

Fall auch zur

Urteilsfindung herangezogen wurden,

ist

nicht ersichtlich.

Ebenfalls

um 1450

berichteten

der

Statthalter

und

Bojaren sowie Bürger (

„ Vom

Herrn Andrej

dem

Polocker Statthalter (...)

und von den

Polocker Bojaren

und von den

Polocker Bürgern

“) dem

Rigaer Stadtrat

– so das

frühneuzeitliche deutsche Regest

–,

dass „Heinrich,

ein

Rigischer, einen Poloczker Bürger gesto-chen

habe. Daraufhin soll

der

Rigische auch

den

adligen Gerichtsdiener „ ver-wundet

haben,

der ihn zur

Einvernahme aufgefordert hatte.

Mit dem

Dokument verlangten

die

Polocker

vom

Rigaer Stadtrat, „

dass ihr

befehlt (

š

toby

este

vel

ě li) “, der

Rigaer sollte

die

Ehrverletzungen

vor dem

Gerichtsdiener

und dem

Polocker Bürger

mit

Geld begleichen. „Wir haben

ihn zu

euch geschickt, und

da-mit ihr ihn nach

seiner Schuld bestraft

“(„u

vin

ě eho

kaznili

“ ).4 Aus der

Sicht

der

Polocker

und

auch

des

frühneuzeitlichen Regestenschreibers handelte

es sich hier

1 „A meščan odnomu ne suditi, suditi emu s bojary i meščany“. PG 3, Nr. 323, 1511, S.87.

Dass der Zusatz bereits um 1435 verliehen wurde, wie CHOROŠKEVIČannimmt, ist nicht ausgeschlossen. PG S.25. DVORNIČENKO schreibt unbegründet, dass die Landesordnungen generell verlangten, der Stellvertreter dürfte ausschließlich zusammen mit den Bojaren und den Bürgern richten: Der Satz gilt nur für Fälle, in denen Bürger Kläger oder Angeklagte waren. DVORNIČENKO (1993), S.122f. Ähnlich: CHOROŠKEVIČ(1982a), S.120. Die Rege-lung ist prinzipiell verwandt mit derjenigen im Vertrag von 1229, in der festgelegt wurde, dass Deutsche vom Fürsten nur in der Gegenwart

je

eines Deutschen und eines Orthodoxen gerichtet werden dürften. Derselbe Gedanke erscheint auch im Vertrag Novgorods mit seinem Fürsten 1270, laut dem der Fürst nicht ohne den Posadnik (ein wichtiger, gewählter Amt-mann) urteilen durfte: „A bes posadnika ti, knjaže, suda ne suditi“. GVNP, Nr. 3, S.12. Den-noch ist die Polocker Formulierung mit der Nennung von Bürgern und Bojaren und damit von sozialen Gruppen, die sich erst spät voneinander differenzierten, ins 15. Jh. zu datieren.

2 „Sii sud sudil pan Ondrěj Sakovičnaměstnik Polockii i z bojary Polockimi i s městič(i).“PG 1, Nr. 80, 1447–1458, S.168–170.

3 G. DILCHER, boni homines“, in: HRG 1, Sp.491f.

4 PG 1, Nr. 71, 1445–1458, S.156.

nicht

um

eine bloße „Bitte

um zu

Recht

zu

verhelfen

“: Die

Polocker stellten viel-mehr

im

Rahmen einer Untersuchung

in der

Gegenwart

des

Angeklagten

den

Tat-bestand

und

damit

die

Schuld fest1

und

„bitten ihnen

zu

straffen

“. Der

Beschul-digte

gab den

Polockern

sein

Vermögen

zum

Pfand,

und

diese schickten

ihn nach

Riga.

Mit dem

Pfand verhinderte

er, in

Eisen geschmiedet

nach Riga

verschickt

zu

werden,

wie es von

anderen Begebenheiten bekannt

ist.

Dieses Dokument

legt

nahe, dass

eine

Teilhabe

von

Bürgern

am

Landesgericht

in

nicht

handelsrechtli-chen

Angelegenheiten

zur

Mitte

des 15. Jh.

üblich war, zumindest wenn

der Klä-ger

oder

der

Angeklagte

ein

Bürger war.

C.II.3.3.4 Zwischenbilanz

Die

bisher besprochenen Quellen entstanden

mit

wenigen Ausnahmen

in

einem unauflöslichen funktionalen Zusammenhang

mit dem

Vertrag

von

Kopussa.

Der

Vertrag,

an

dessen Ausmarchung

die

Polocker,

wie

gezeigt, maßgeblich beteiligt gewesen waren, schrieb

vor,

dass fremde Rechtsbrecher ausschließlich

an

ihrem Heimatort belangt werden konnten.

Die

Polocker sahen

sich

daher nach

1406

ge-zwungen, unablässig gegen Rechtsverletzungen vorzugehen

und

dementspre-chende Schreiben nach

Riga zu

schicken,

um

nicht ungestraft geprellt

zu

werden.

Die

Bestimmungen dieses Vertrages machten

es

nötig, zahlreiche Schriftstücke über

eine

lange Distanz innerhalb kurzfristiger Handlungshorizonte

und

gemäß langfristig gültigen Vertragsregeln

zu

entsenden.

Erst

damit wurde

es

unabding-bar, einzelne rechtliche Verfahrensschritte schriftlich festzuhalten

und

formalisiert

zu

übermitteln. Ausschließlich eigenmächtige Gegenmaßnahmen,

vor

denen

sich im

ganzen

15. Jh.

weder

die

Polocker

noch die

Rigaer scheuten, hätten

den

ein-träglichen Handel

zum

Erliegen gebracht.

Im

Kontakt

mit Riga

lernten

die

Polocker unter ihrem Statthalter, selbstbewusst

mit

schriftlichen

und

formellen Techniken,

die sie

weitgehend

von

ihren lateinischen Handelspartnern

und

Kon-kurrenten übernahmen, diesen ebenbürtig legitimiert gegenüberzutreten.

Thematisch sind ihre Schreiben

wie

folgt

zu

gliedern: erstens Klagen gegen Brüche

des

Vertrages

von

1406, zweitens Bitten, gemäß

dem im

Vertrag festge-legten Grundsatz, Rigaer

nur vor dem

Rigaer Ratsgericht (meist wegen ‘ziviler

Vergehen gegen Polocker

in

Polock) anzuklagen (laut

dem

frühneuzeitlichen

Re-gest: „Vorschrift

um zu

Recht

zu

verhelffen

“;

pro

administranda iusticia

“ ), und

drittens Mitteilung

von

‘Urteilen

’,

welche

die

Polocker gemeinsam

mit dem

Statt-halter über Rigaer gefällt hatten. Diese Dokumente sind insgesamt

als

neuartige Formen

von

Legitimationsschreiben anzusehen.

Sie

funktionierten lediglich

in

einem neuen Umgang

mit dem

Rigaer Stadtrat,

der in

einem bisher unbekannten Ausmaß Schriftlichkeit erforderte.

Sie

lassen sich

oft

nicht strikt kategorisieren.

Auch bleibt ihre rechtliche Wirkung

in

Riga unklar.

Sie

stehen aber

für den

selbstbewussten Versuch

der

Polocker Absender, gegenüber

dem

Rigaer

Rat in

Übereinstimmung

mit dem

Vertrag

von 1406

gleichwertig legitimiert aufzutreten.

Sie

sind

in

einen unmittelbaren Zusammenhang

mit

Schreiben

zu

bringen,

die in

1 LJUBAVSKIJ (1893), S.652.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 133 ihrem Zweck ähnlich waren

und die im

schriftlichen Austausch

der

Rechtsstädte

an der

Ostsee seit

dem 14. Jh.

weit verbreitet waren.

Sie

wurden aber anders

be-zeichnet

und

waren auch

in

ihrer rechtlichen Verbindlichkeit andersartig.

EBEL

stellt

zur

rechtlichen Kommunikation

der

Ostseestädte fest:

„Aus der genossenschaftlichen Pflicht heraus, ihren Mitbürger auch in der Fremde zu unter-stützen, wandte sich dann die eine der beteiligten Städte, und zwar schriftlich und auf Bitten dieses ihres Bürgers, an die andere, um diese zur Unterstützung des Gesuchstellers zu bewegen oder ihm sonst seine Rechtsverfolgung zu erleichtern. Ausgesprochen oder unausgesprochen war eine

ge-wisse Gegenseitigkeit die Grundlage für die Wirksamkeit solcher Fürsprache.“1

Im 15. Jh.

integrierte

sich

Polock

im

Rahmen seiner Beziehung

zu Riga

ge-rade wegen dieser genossenschaftlichen Notwendigkeit

in

dieselben Kommunika-tionskreise.

Die

Entwicklung folgte

der

Logik

des

Vertrages

von

Kopussa,

die

schriftlichen rechtlichen Austausch unerlässlich machte.

Erst

nach

der

Beseitigung

des

Teilfürstensitzes

und

zuerst

im

Kontext

der

In-teraktion

mit Riga ist von

Gerichtssitzungen

zu

erfahren,

an

denen Bojaren

ge-meinsam

mit dem

Träger

der

Landesherrschaft

das

Urteil fanden. Vorher

ist

ihre Teilhabe

an

alltäglichen, einzelnen rechtlichen Akten

des

Fürsten

nur für eine

Landverleihung

im 14. Jh.

belegt.

Eine

Teilhabe

„ aller “

Polocker

an

gerichtlichen Zusammenkünften unter

der

Leitung

des

Statthalters

ist in

Wachsangelegenheiten bereits

vor dem

Abschluss

des

Vertrages

von

Kopussa nachweisbar

und

kann damit

für

eine ältere Tradition stehen. Auch Begehren

des

Statthalters,

in

Riga festgehaltene Polocker freizu-setzen, wurden

in den

formalisierten Absenderzeilen

der

Urkunden früh

von „ al-len “

Polocker sekundiert.

Die

Beteiligung

von

nicht gefolgschaftlichen Städtern

in

Situationen,

in

denen

der

Statthalter Zeugenaussagen

zu

Fällen

aus der Interak-tion mit Riga

aufnahm,

ist mit den

erhaltenen Quellen

ab den 20er

Jahren belegt.

Bei

Bitten, einem Polocker

in Riga zu

Recht

zu

verhelfen,

und bei

Strafbegehren wurde

die

Formel

„ alle “

jedoch nicht explizit verwendet.

In

Situationen,

die den

Kontakt

mit Riga

nicht betrafen,

ist in

Polock sogar erst einige Jahrzehnte

nach der

Beseitigung

des

Polocker Teilfürstensitzes

eine

Teilnahme

von

Bürgern neben Bojaren

am

Gericht

des

Trägers

der

Landesherrschaft nachweisbar,

und nur in

solchen Fällen,

in

denen Bürger

als

Zeugen,

als

Ankläger oder

als

Beklagte auf-traten.2

Immerhin gleichen einzelne Gerichtsversammlungen,

die in den

Polocker Quellen

des 15. Jh.

protokolliert wurden, solchen,

die

laut

dem

Vertrag

von 1229

unter

der

Leitung

von

„Richtern

“ des

Fürsten

„ vor

guten Leuten

stattfinden sollten. Gerade führende Bojaren mögen somit schon

vor 1390 in das

Gericht

des

Fürsten oder seiner Amtleute eingebunden gewesen sein. Sobald

nach 1390

nicht mehr

der

Fürst

die

Bestimmungen

der mit Riga

abgeschlossenen Verträge durch-setzte, trat

an

seine Stelle

und an die

seiner Gefolgschaftsleute

der

großfürstliche

1 EBEL (1971), S.408.

2 Noch zu Beginn der 40er Jahre des 15. Jh. hatte ein Deutscher Grund zu beanstanden, dass er

einen ihm widerfahrenen Diebstahl alleine vor dem „howetman“des Großfürsten und seinem

„underhowetmaneinklagen sollte. LECUB Abt. 1 10, Nr. 286, ca. 1446–1447, S.190f.

Statthalter, aber auch

die

Bojaren

und die

übrigen freien Polocker,

die

gleichfalls nach

und

nach

mit

Privilegien ausgestattet wurden.

In der Zeit nach 1390

differenzierten

sich die

rechtlichen Verfahren, gleich-zeitig weitete

sich

ihre soziale Trägerschaft aus. Beides

ist

nicht

von der

zuneh-menden rechtlichen Schriftlichkeit

zu

trennen,

die

gemäß

der

Logik

des

Vertrages

von 1406

nötig geworden war. Insbesondere

im

Kontext

der

Interaktion

mit Riga

veränderten

sich die

Verfahren, Themen

und

Anlässe

von

gerichtlichen

Ver-sammlungen

in

Polock.

Die

Leitung

der

immer häufiger erforderlichen Zusammenkünfte

von

Städtern

mit dem

Statthalter

lag beim

Statthalter.

In der zur

Mitte

des 15. Jh.

aufgesetzten intitulatio einer Klage

des

Statthalters

und der

Bojaren stand allerdings

an

erster Stelle

der

mächtigste Polocker Bojar

und

frühere Statthalter, Vasilij Dmitrievi

č

Korsak,

und

erst

an

zweiter

der

damalige Statthalter.1

Das

mächtigste Mitglied

des

Geschlechts

der

Korsak machte damit einen dezidierten Führungsanspruch gegen-über

dem

Statthalter

und den

übrigen Bojaren geltend.

Der ins

zweite Glied

ver-wiesene Statthalter erschien

hier

nicht mehr

als

vorrangiger Rechtsträger,

er

legi-timierte

das

Dokument

und

seinen Inhalt

nur

noch zusätzlich.

Die

Zusammenkünfte

von

Städtern

und

Herrschaftsträgern,

die im 15. Jh.

nachgewiesen sind, verliefen

im

wesentlichen Unterschied

zu den

früheren, etwa jenen

des 12. Jh., in

rechtlichen

und

gerichtsähnlichen Interaktionsformen, ohne dass

es sich

immer

um

Gerichtssitzungen handelte.2 Daneben bildeten

sich in der

ersten Hälfte

des 15. Jh.

aber auch Versammlungen heraus,

die

ohne Herrschafts-träger auskamen.

C.II.3.4 Frühe Versammlungen ohne Statthalter (1399

1408, 1441

1448)

Wie im

Kapitel über

die

Leitung

der

Versammlungen erwähnt, sind bereits

zu

Be-ginn

des 15. Jh.,

zwischen

1399 und

1408, Zusammenkünfte

der

Wortführer

der

Städter nachweisbar, denen

der

fürstliche Statthalter nicht beiwohnte. Darauf sind jedoch

bis 1441

keine weiteren Versammlungen dieser

Art

mehr belegt.3

Im

Zeit-raum

von 1441 bis 1448

sind lediglich

vier

bezeugt;

ein

weiterer Hinweis folgt erst

für das Jahr

1459.4

Erst zur

Mitte

der

1460er Jahre wurden solche

Ver-sammlungen deutlich häufiger

als

gerichtliche Zusammenkünfte

von

Städtern

mit

dem Statthalter.

In

einem

der

ersten Dokumente,

das die

Polocker ohne

den

Statthalter auf-setzten, erkannten

sie die

Bedingungen

an,

welche

die

Rigaer

und der

Ordens-meister vorgelegt hatten, damit

sie

Polocker Waren

und

Gefangene auslieferten.

Das

Schriftstück

aus dem

Jahre

1404

beginnt

mit der

Formel: „Wir,

die

Po-1 PG Po-1, Nr. 67, 1445–1448, S.151.

2 Solche Zusammenkünfte kamen nach 1498 nicht mehr vor und sie waren keine direkten

Um-wandlungen des alten veče. In beiden Punkten anders: LJUBAVSKIJ (1893), S.872.

3 PG 1, Nr. 23, 1399–1406, S.75; Eventuell: PG 1, Nr. 26, 1399, S.80; RLU, Nr. 127, 1400, S.98; PG 1, Nr. 32, 1403, S.90; Nr. 33, 1404, S.92; Nr. 35, 1405, S.96; Nr. 38, 1407, S.108.

4 PG 1, Nr. 64, 1441–1442, S.148; Nr. 66, 1440–1443, S.150; Nr. 85, ca. 1448, S.173; Nr. 86, ca. 1448, S.173; Nr. 105, 1459, S.201.

C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 135

lotschanen, geben euch

zu

wissen,

wer

diese Urkunde

zu

sehen bekommt (...).

Diese Formel blieb

im

Weiteren ungebräuchlich,

sie

stand jedoch

in

einem alten Zusammenhang fürstlicher Schriftlichkeit

im

Kontakt

mit

lateinischen Partnern,

die

ihrerseits

von

westlichen Formeln beeinflusst war.

An die

Stelle

des

Fürsten traten

nun

die

Polotschanen.

“1 Das

Dokument trägt

das

Stadtsiegel

mit der

Auf-schrift „Siegel

von

Polock

und der

Heiligen Sofija.

“2

Die

Aufsicht

der

Polocker über

die

Waage unter Ausschluss

des

Statthalters,

die im

Vertrag

von

Kopussa festgelegt

und im

Landesprivileg angedeutet worden war, lässt

sich

schon

für das Jahr 1408 in der

Praxis nachweisen:

Die

deutschen

„Olderlude unde wyste

des

ghemeynen copmans

to

Ploskow

beklagten

sich

da-mals,

sie

hätten

sich mit den

Polockern nicht einigen können,

die

neue Waage

in

Betrieb

zu

setzen.

Sie

schrieben,

„ dat wy met den

borgheren

in der

waghe ghewest hebben unde vorsloghen

de

waghe.

“3

Offenbar

war die

Waage

in

einem eigenen Gebäude untergebracht, wohl

auf dem

Marktplatz.

Es

folgt eine ausführ-liche Beschreibung

der

Forderungen, welche

die

Rigaer gegenüber

den

Bür-gern

aufstellten, nicht aber

vor dem

Statthalter:

„Dyt hebbe wy den bo[r]gheren uterliken ghewist unde ghesecht in der waghe, dar de

borgheren jeghenwordich weren, unde vragheden dey borgher, ofte sey dey waghe hancghen wol-den ofte nicht. Do antworden sey uns, se wolden gherne hancghen de nyen sch[alen] an den olden balken unde weghen ok met den nyen loeden; dat ene wolde wy nicht overghoven.

Die

Polocker wollten demzufolge zwar

die

neuen Schalen übernehmen,

sie

aber

an den

alten Balken hängen,

was die

Deutschen zurückwiesen. Beides

zu

übernehmen, lehnten

aber die

Polocker

ab:

„(...) dar ene wolden se nicht tho. Dar enboven gheingen wy nochtant vor deme hovetmanne unde ghevent eme altomale to kennen unde beeden ene unde vormaneden ene by breven, dey eme

Vitoute togheschreven hevet van der vorgescreven waghe, dat hey dey borghers vormunderde umme alles ghemakes willen na endracht unde breiven, dey de Ploskowers met

ju

ghemaket heb-ben, dat se de waghe heinghen, dat men dar vorder ghen arbeit umme doen en dorve.

Die

Deutschen wandten

sich erst nach

dieser Absage

an den

Statthalter

und

beriefen

sich auf

Briefe

des

Großfürsten,

die ihr

Verlangen unterstützten, dass

der

Statthalter

als

„Vormund

“ der

Städter

die

vereinbarte Einrichtung

der

Waage durchsetzen sollte.

„ Do

sprak

de

hovetman

met den

borgheren unde ghaf

uns to

antworde,

do wy

weder

vor ene

qwemen,

dat hey sey to

gheinen dincghe brincgen konde,

er ein

wiste upten anderen.

“ D ie

Städter weigerten

sich

somit auch,

dem

Statthalter Folge

zu

leisten,

und

ließen

sich

nicht

in der

Wahrnehmung ihrer

In-teressen beeinflussen.

Die

Weigerung bezeugt

ein

deutliches kollektives Selbst-bewusstsein

und

Selbstvertrauen

der

Städter.

Das

erste

von den

Städtern ohne Beteiligung

des

Statthalters aufgesetzte

Do-kument

nach der

Aushandlung

und

Bestätigung

des

Vertrages

von

Kopussa

1407 ist ins Jahr 1441

datiert:

1 Vgl. die intitulatio von PG 1, Nr. 1, 1263, S.35: „Knjaz(’) Herden’klanjaet’s(ja) vsem tem’, kto vidit’siju hramot(u)“.

2 PG 1, Nr. 33, 1404, S.92.

3 HUB 5, Nr. 862, 1408, S.446f.

„Allen Rigaer Ratsleuten schlagen die Polotschane mit der Stirn [beziehungsweise bitten oder grüssen sie, S. R.: čolom b’jut(’)] vom Großen bis zum Kleinen. Wir haben Kuril zu euch geschickt wegen der Glocken und der Waagschalen und wegen des Waageinstruments. Und gebt uns wie es von alters her ist. (...) Und was Kuril euch zu sagen hat, glaubt dem.“1

Die

vertraglich festgelegte Pflicht

zur

Sorge über

die

Waage

gab

damit erneut Anlass

zu

schriftlichem Verkehr.

Sie

machte

es

auch erforderlich

und

legitim,

Ge-sandte

in

eigener Regie

nach Riga zu

schicken.

Die

Formel

„ mit der

Stirn

schla-gen “

(

č

olom

biti

“ ) war in der

spätmittelalterlichen

Rus ’ und

auch

in

Polock

be-kannt

als

unterwürfige Annäherung eines

um

Recht suchenden Untertanen

an den

Fürsten.

In der

Interaktion

mit Riga

blieb diese Formel

im

Weiteren nicht

be-kannt

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unterwürfige Annäherung eines

um

Recht suchenden Untertanen

an den

Fürsten.

In der

Interaktion

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blieb diese Formel

im

Weiteren nicht

Im Dokument ,,Vom Polocker Venedig (Seite 131-149)