Noch in einem weiteren Fall aus der ersten Hälfte der 80er Jahre des 15. Jh
5 MITTEIS / LIEBERICH (1988), S.280
6 KNACKSTEDT (1975), S.146.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 167 nungen, dass
sich
freie Leute gegen Zahlung einer gewissen Summein
Abhän-gigkeit begabenund so der
allgemeinen Steuerpflicht entkamen.1Die
Klageder
Polocker richtetesich 1486
nichtnur
gegenden
Adel, sondern auch gegenden
Bischofund
dessen Schuldknechte.Auch der
orthodoxe Bischofvon
Polock beanspruchteim 15. Jh.
steuerliche Befreiungen,die
über seine alten Rechte hinausgingen.2Die
Handwerkerund
Kaufleuteauf
städtischem Besitzder
Geistlichkeit,der
dank Schenkungenan
Klöster stetig wuchs,3 hatten zunächst kaum unterder
Gewalt ihrer Grundherren gestanden.Ihr
Status erfuhrerst im 15.
Jh. eine
grundlegende Wandlung,als
neuartige Privilegienund
Befreiungen Aus-einandersetzungenum
ihre Pflichtenund
Rechte verursachten.Die
Möglichkeit,sich
durcheine
Selbstverpfändung gegenüber einem Grundherrnvon
allgemeinen Lastenzu
befreien, wurdefür
Neuzuzüglervom Land
immer attraktiver. Vertei-digtender
Bischofund die
Klöster Schuldner,die
Steuern verweigerten, konntensie sich aber auf
keine Privilegien berufen:Sie
handeltenauf
eigene Faustnach dem
Vorbilddes
Adelsund
katholischer Bischöfeder
westlichen Nachbarstädte.Bisher
war die
fürstliche Machtin dem
Gebiet,das die
Burgstadt einschloss,auf
keinerlei Ansätzevon
Immunitäten gestoßen, abgesehenvon den
unvollständigender
Geistlichkeit. Traditionellwar die
befestigte „Burgstadt“
(„
horod“)
rechtlich nichtvom
Umland getrennt: Insgesamt stelltensie, wie zur Zeit der
Rus’, gemein-sam das
„Gebiet“
(„
volost’
“
) des
Herrschaftsträgers dar.4In
diese rechtlichen Raumvorstellungen drangenim 15. Jh.
steuerlicheund
gerichtliche Immunitäten nach okzidentalem Vorbildein, die in der
städtischen Siedlungbis 1486
offensichtlichnur von den
Bojarenund der
Geistlichkeitbis zu
einem gewissen
Grad
durchgesetzt wurden.Die
Bürgerund die
übrigen Städter musstensich
benachteiligt fühlen: Schlimmstenfalls musstensie in dem Maß, in dem sich
andere weigerten, mehrzur
ehemals allgemeinen Abgabe beitragen.An-dererseits musste
der
Großfürstum die
schwindenden Einkünfte besorgt sein.Beider
Ziel war es, die
Anzahlder
Schuldknechteder
Geistlichkeitund der Boja-ren auf dem
Stadtgebiet möglichst geringzu
halten.1486
versuchteder
Großfürst deshalbmit
einer Verordnung,die
Geltungder
Privilegien innerhalbder
Stadtbe-festigungen indirekt einzuschränken. Gemäßdem
Schreibenvon 1486
wurdeda-mals eine
bereits bestehende Regel schriftlich formuliertund vom
Großfürsten verordnet:1 KNACKSTEDT (1975), S.129, S.146; zum 17. Jh.: HITTLE (1979), S.57–61.
2 Wichtige Teile der Kirchenordnung Jaroslavs galten auch im litauischen Großfürstentum und
wurden der Kirche im 15. Jh. sowie zu Beginn des 16. Jh. bestätigt. LJUBAVSKIJ (1893), S.628f.; JABLONOWSKI (1955), S.53f.
3 Im 15. Jh. und zu Anfang des 16. Jh. stifteten alte Bojarengeschlechter Land. Auch reiche Bürgerfamilien zeigten sich großzügig; der litauische Großfürst hingegen ließ sich nie zu
Schenkungen an Polocker orthodoxe Kirchen bewegen. CHOROŠKEVIČ(1974b), S.184–189;
PANOV (1915), S.49. Eine katholische Kirche in Polock, deren Bau den Rigaer Kaufleuten 1406 erlaubt wurde, ist eventuell 1471 erneut genannt. PG 1, Nr. 36, 1406, S.98; PG 2, Nr.
147, 1471 S.36f.
4 „Skirigailu volodeti horodom Polockom i usemi tymi mesty i horody i volostmi i ljudmi, useju toju zemleju, što koli tjahlo i tjahnet k horodu Polocku.“PG 1, Nr. 10, 1387, S.53; PG 2, Nr.
226, 1498, S.154; PG 2, Nr. 239, 1500, S.174.
„Der Bischof und die Bojaren dürfen keine Schuldknechte in der Stadt (v meste) haben, außer einen Vorsteher auf ihren Vorhöfen in der Burg (v horode), aber in der Stadt (na meste) soll es beim alten bleiben, wie es von alters her war.“1
Erst mit
diesem Dokumentvon 1486
passtesich der
Großfürstdem
Wandelan, der im
lokalen offiziellen Sprachgebrauchmit der
Verleihungdes
Wachsgüte-siegelsin
Polockzu
beobachten war:Er
sprachab
jetztvon der
„Stadt“
(
„
mě
sto“ )
Polock.2 Diese Stufedes
terminologischen Wandelswar wie jene von 1449 (Die
Bürger verwendetennach der
Bestätigungdes
Standesprivilegsvon 1447 den
Begriff „mě
sto“ .) und 1463 (Der
Statthalter übernahmmit der
Verlei-hungdes
Wachsgütesiegelsden
Begriff.) unmittelbarmit
einem Privileg verbun-den.Die
Sonderregel,die
mithilfe dieses Begriffes aufgesetzt wurde,war in
ihrer Gültigkeitauf das
Stadtgebiet begrenzt.Sie
ging daher stillschweigendvon
einer neuartigen Unterscheidungvon
Stadtund Land
aus, wenn auch zunächstnur
hin-sichtlichder
Geldabgaben. Selbstverständlich ändertedas
jedoch nichts daran, dassdie
Städter weiterhin gemeinsammit dem
Umlanddie
Landesabgabezu
ent-richten hattenund
rechtlichmit dem Land
verbunden blieben.Das
Verbot, Schuldknechteauf
städtischem Boden lebenzu
lassen, bedeutete noch lange nicht, dass ‘Stadtluftfrei
machte’.
Zudem scheintdas
Dekretvon 1486
ohne große Wir-kung gebliebenzu
sein. Dennochist 1486
nebenden
älteren handelsrechtlichen Bestimmungenund dem in der
Burgstadt intensivierten Sonderfriedensbereicheine
weitere organisatorische Unterscheidungdes
Burgstadtbezirkesvom Land
festzustellen.Der
Großfürst legitimiertedie
Reaktionder
nichtadligen Städterauf die
neuartigen Immunitätsansprücheder
Ständeder
Geistlichkeitund des
Adels, indemer
einen Bezirk abgrenzte,in
welchem diese Ansprüche ungültigsein soll-ten. Die
beginnende rechtlicheund
steuerliche Trennungder
Stadtvom Land und vom
Schlosswar
eine Folgedes
Wandelsder
gesamten Gesellschaftvon
Stadtund Land
Polock.Das
Dokumentvon 1486
zeugtvon
einerin
Polockformulier-ten
Antwort gegenüberdem
neuen Immunitätsgedanken westlicher Herkunft.Von
1486 bis 1498
befandsich die
Stadtin
einem Zwischenstadium,das den
prozess-haften Charakterdes
Wandels unterstreicht.Aus dem
Dokumentvon 1486
geht zudem hervor, dasszu
diesem Zeitpunktdie
größten sozialen Gruppender
Stadt gemeinsammit den
Bojaren schonseit
einigerZeit
gegenüberdem
Großfürsteneine
Leistungsgemeinschaft bildeten,die
durch einen gemeinsam geleisteten promissorischen
Eid
hergestellt worden war.Es
heißt dort,„dass die Bojaren und die Bürger und die burgstädtischen Hofadligen und wir, die ganze Gemeinheit, den Eid geschworen haben (prisjahnuvši), diese Hilfe zu leisten.“Die Bojaren
ent-1 „Vladyce i bojarom zakladnev za soboju v meste Poloc’
’
kom ne nadobe meti, niž
’’li tol’ko
odnoho podvornika po svoim podvor(’)em v horode, a na meste po davnomu, kak zdavna byvalo.“PG 1, Nr. 195, S.112.
2 PG 2, Nr. 155, 1475, S.48; Nr. 195, 1486, S.112. Auch der Bischof verwendete weiterhin für die Stadt Riga und Polock „horod“oder „hrad“, was der ihm soziolinguistisch angemesse-nen kirchenslawischen Variante von „horod“entspricht. PG 2, Nr. 181, 1481, S.93; Nr. 188, 1482–1488, S.103.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 169
gegneten dazu vor dem Großfürsten, „dass es diesen Eid schon lange nicht mehr gäbe, und sie baten uns, dass wir sie gemäß den Rechten des Fürsten Vytautas hielten, und gemäß unserem Recht, das wir ihnen gaben. Und der Brief, in dem der Eid steht, den haben wir ihnen für eine gewisse Zeit gegeben zur besseren Kenntnis (...).“Schließlich ordneten der Großfürst und seine Berater an, „dass die Bojaren diese Hilfe leisten müssen, wenn wir sie wünschen, gemäß unserem Eid, wie sie uns geschworen haben, in allem das Gute zu wollen. (...) Und die Bürger und die burgstädtischen Hofadligen und die ganze Gemeinheit haben von sich aus beliebt (zvolili) und uns gebeten im Namen der ganzen Stadt (ot vseho mesta) und der Hofadligen und der ganzen Gemein-heit, dass wir ihnen diesen Eid nicht erlassen.“
Schon
vor 1486 war
folglichein
Verband verschiedener sozialer Gruppen ent-standen,der sich mit dem
Schwur gegenüberdem
Großfürsten einte.Die
ver-schiedenen Gruppen wurdenin
diesemText aber
nichtals
Einheit beschrieben, sondernals
Vielheitvon
Gruppen:Die
Gruppen leistetendie
Abgabe nichtge-meinsam
als
Einheit, sondernals
Summe einzelner Gruppen–
sonst hätteder
Großfürst nicht feststellen können, dassdie
Bojaren weniger beitrugen. Zudem hätteer sie
auch nichtmit dem
Verweisauf
ihren kollektiv geleistetenEid als
ein-zelne Gruppe haftbar machen können.1Die
Kombination dieses Eides,den die
verschiedenen Gruppen ablegten,mit den
abstrakten Begriffen „die
ganze Stadt“ und die
„ganze Gemeinheit“ und die
bisher festgestellten gerichtlichen Befugnisse,die den
Städtern ohne Statthalternach der
Mittedes 15. Jh.
zukamen, zeigen, dasssich der
Handlungsraumder
Städter weiter konkretisierte. Ihre Befugnisse waren freilich immer noch bedeu-tend geringerals die der
Kommunen westlicher Rechtsstädte. Immernoch –
oder sogar erst jetzt–
kann lediglichvon
einer privilegierten herrschaftlichen Genos-senschaft gesprochen werden,die
überein
gemeinsames Organ verfügte,ein
ge-meinsames Vermögen hatte,
die
Abgaben gemeinsam leisteteund
durchPrivile-gien
gewisse gerichtliche Kompetenzen besaß. Letztlich liegtim
Grundenur
ge-meinsames Handeln mehrerer ständischer Genossenschaften
vor.
Es ist
insofernvon
einer übergreifenden Schwurgenossenschaft oder einem Schwurverband–
einer durch eine „coniuratio“
konstituierten Friedens-und
Rechtsgemeinschaft-2 zu
sprechen,als die
verschiedenen Gruppenmit dem
gemeinsamen
Eid
auchdie
Garantiedes 1406 von
ihnenund den
Großfürstenge-tragenen Vertrages übernahmen,
der
zudem1478 nur
durchsie
bestätigt worden war. Damit wurdensie zu
Trägerndes in ihm
festgelegten Stadtfriedens.Im
Do-kument
von 1486
wurden gerichtliche Befugnisse aber nicht eigens genannt.Es
sicherte keinen expliziten Stadtfrieden, dieser
war nur
durchdie
Verträgemit Riga
ausdrücklich festgelegt. Tatsächlich nahmender
Wojewodeund
seine Gericht-samtleute weiterhindie
meisten Aspekteder
Gerichtsbarkeit überdie
Stadt wahr.In
erster Linie wurdemit
diesemEid
lediglichdie
Leistungder
allgemeinen Ab-gabe beschworen.3 Ähnlichwie in
deutschen Städtenbis um
1200, aberim
Unter-schiedzu
späteren Jahrzehnten, standder
Verband,der sich mit dem
Schwurge-genüber
dem
Großfürsten konstituierte, noch ganzim
Rahmender
Herrschaftdes
1 Vgl. GIERKE (1873), S.396–398.
2 K. KROESCHELL, „Schwurverband“, in: LexMA 7, Sp.1651.
3 Vgl. zur landesherrlichen „Bede“im Dorfverband: BADER (1967), S.272f.
Stadtherrn.1 Andererseits sind
für die
Städteder
nordöstlichenRus ’
nochum 1500
keine eindeutigen Hinweise– und
schongar
nichtso
konkretewie in
Polock– auf
Grundformen einer solchen Leistungsgenossenschaft bekannt.2Gemäß
dem
Schreibenvon 1486
trugen nebender
Gruppeder
Bojaren„ die
Bürgerund der
Hofadel,und die
schwarzen Leute,und die
ganze Gemeinheit“3
diesen Verband.
Mit den
„schwarzen Leuten“
(„
čornye ljudi“ ) ist
eine neueBe-zeichnung
für
eine soziale Gruppezu
erklären.Sie war 1486 bis zu
einemgewis-sen
Grad synonymfür die
„Gemeinheit“4 und
verwiesauf
Beisassender bürgerli-chen
Grundbesitzerin der
Stadt.5Vor 1486 ist der
Terminusim
Polocker Kontext nicht nachweisbar.61486
waren „schwarze Leute“
abgabenpflichtige freie Leute.Sie
leistetendie
allgemeine Geldabgabeund auch den
Schwureid,was
daranab-zulesen
ist,
dass auchsie die
Eintreibungder
Abgabevon den
Schuldknechtender
Bojaren forderten. Obschondie
Bürger ähnliche Privilegien erhalten hattenwie die
Bojaren,7 waren ihre Beisassenvon
einer fiskalischenund
gerichtlichen Mediatisierung nicht betroffen.81 Vgl. DILCHER (1998), S.40–44.
2 KNACKSTEDT (1975), S.168.
3 PG 2, Nr. 195, S.110.
4 Der Begriff stand 1486 dreimal direkt neben dem Terminus „Gemeinheit“: „Es haben uns geklagt die Bürger und der Hofadel, und die schwarzen Leute, und die ganze Gemeinheit“.
Bei anderen kummulativen Beschreibungen offensichtlich derselben Akteure fehlte er aber im
gleichen Dokument: „Aber die Bürger und die burgstädtischen Hofadligen und die ganze Gemeinheit haben uns von sich aus geklagt“. Offenbar waren hier „die schwarzen Leute“ vom Begriff der „Gemeinheit“umfasst. In einem anderen Abschnitt jedoch steht in einer sol-chen Reihe nur der Begriff der „Schwarzen“: „die Bürger und die Hofadligen der Burgstadt und die Schwarzen“. PG 2, Nr. 195, S.109–112.
5 CHOROŠKEVIČsieht mit dem Begriff „die niedrigeren Schichten der Stadtbevölkerung“ bezeichnet. PG 5, S.186. Weil im Land Polock 1528 und 1552 auch sehr kleine Grundstücke (damals freilich nur noch solche im Umland) zur Gestellung von Reitern verpflichteten, die teils vom Besitzer beackert wurden, und da es viele arme Erbengemeinschaften gab, die den-noch Bürger oder gar Bojaren waren, dürften alle Städter mit Grundbesitz entweder Bürger oder Bojaren und keine schwarzen Leute gewesen sein. Noch 1509 wurden die „schwarzen Leute“in einer in der sozialen Hierarchie absteigenden Reihe mit den Bürgern genannt: „alle Bürger, und die schwarzen Leute, und alle Abhängigen (zakladni), auch jene (...) unter dem Bischof, und den Äbten, und den Fürsten und Bojaren“. PG 3, Nr. 306, S.57. 1498 hingegen ist in dem analogen Kontext von „Leuten der Bürger“oder „bürgerlichen Leuten“die Rede:
„alle Leute (vsi ljudi) des Bischofs und der Äbte und auch der Priester und Popen, und die bojarischen (i bojarskie), und die der Bürger (i meščanskie)“sollten dem neuen Recht unter-stehen. PG 2, Nr. 226, S.154. Von „schwarzen Leuten“ist noch ein drittes Mal in den 20er Jahren des 16. Jh. die Rede, später aber nicht mehr. PG 3, Nr. 306, S.57; BA 2, Nr. 164, S.122.
6 Er war im 15. Jh. dem Smolensker, Novgoroder oder auch dem Moskauer Sprachgebrauch entliehen worden. Im Smolensker Aufruhr gegen den Wojewoden zu Anfang der 40er Jahre des 15. Jh. erschienen neben Bojaren und „mestiči“auch „černye ljudi“als Teil der freien Stadtbevölkerung. PSRL 17, S.68, S.339f. In Novgorod waren die schwarzen Leute freie Ge-werbetreibende und Kleinhändler, die auf kleinen, eigenen Grundstücken in der Stadt wohn-ten. GOEHRKE (1981), S.459. Zu schwarzen Leuten in Moskau: KNACKSTEDT (1975), S.145.
7 KRASAUSKAITĖ(1927), S.41; LJUBAVSKIJ (1910), Beilagen, S.306; HELLMANN (1989), S.804.
8 So berichtet ein Schreiben „von den Polocker Bojaren und Bürgern und der ganzen Gemeine der Polocker Stadt“aus dem Jahr 1468 von einer Gerichtssitzung mit Vertretern dieser Gruppen. PG 2, Nr. 133, 1468, S.19. 1451 war die Gerichtsbarkeit des Wojewoden
bezie-C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 171
Der
Großfürst bemühtesich
1486,den
Zwist zwischen Bojarenund
übrigen Städternzu
entschärfen, indemer die
Stadtvom Land
organisatorischvoneinan-der
abgrenzte. Zudem versuchteer, die
allgemeinen Versammlungen,die
durch getrennte Standesversammlungen abgelöstzu
werden drohten, durcheine
Rege-lung besserzu
institutionalisieren.Es
galtzu
verhindern, dassdie
Stände ausein-ander gingenund sich die
Einkünfte verringerten.Nun ist auf
institutionelle Maß-nahmen einzugehen,die das
Dekretvon 1486
vorsah.C.II.3.8 „dass
die
Bojarenund die
Bürgerund die
ganze Gemeinheit einig untersich
seien“
Scheiternde Institutionalisierung1486
Das
Dekretvon 1486
entstandim
Zusammenhangmit
einer Gerichtsversammlungvor dem
Großfürstenund
wurdean
seinemHof in
Traken verfasst. Offenbarwa-ren
Vertreter aller Polocker Gruppen dorthin gereist, nachdemdie
Bürger gegendie
Bojaren geklagt hatten:„Wir haben uns angesehen mit den Herren unseres Rates, mit den Polocker Bojaren, mit den Bürgern und den Hofadligen, und mit den schwarzen Leuten und mit der ganzen Gemeinheit“. Der Großfürst verlangte nach der Sitzung als Konsequenz, „dass die Bojaren und die Bürger und der Hofadel der Burg und die ganze Gemeinheit in Einmütigkeit (v zhode) unter sich seien, und dass sie unsere herrschaftlichen Angelegenheiten alle einig und gemeinsam erledigten (vsi z’
’ hodoju pospolu spravljali) wie von alters her, und dass sich alle gemeinsam an jener Stelle versammeln,
wo sie sich seit langer Zeit versammeln. Und ohne die Bojaren dürfen die Bürger und der Hofadel der Burg (z horod’
’skimi dvorany) und die Schwarzen keine Versammlungen abhalten, in allen Sachen sollen sie sich so beraten, wie wir ihnen das Recht dazu gegeben haben.“1
Diese teilweise bereits zitierte Passage belegt nicht nur, dass hinter
den
Ab-senderformeln
in den
Urkunden tatsächlich jeweilseine
Versammlungvon
zahl-reichen Mitgliedernder
städtischen sozialen Gruppe angenommen werden darf.2Sie
bezeugt außerdemdie
Freiheitund
Prozessfähigkeitder
„Schwarzen“, die an den mit
gerichtlichenund
fiskalischen Befugnissen ausgestattetenVersammlun-gen der
Städter teilzunehmen hatten.Auch in
Pskov warendie
Grundbesitzlosenbei
Versammlungender
Städter anwesend.3hungsweise des „decki“über Hintersassen der Bürger („sjabry“) praktisch aufgehoben und dem Adel sowie Bürgern anheim gestellt worden. PG 3, Nr. 323, 1511, S.87; PG 5, S.8, S.19;
KRASAUSKAITĖ(1927), S.45, S.49; LJUBAVSKIJ (1910), Beilagen, S.306. „Sjabry“sind in den Quellen aber nur im Umland zu finden und nicht innerhalb der Stadtbefestigungen. Die Artikel des Landesprivilegs dürften auch im 15. Jh. für alle freien Polocker gegolten haben, unabhängig von der Frage, ob sie Grundbesitz hatten oder nicht.
1 „I dalei prikazuem, aby bojare i meščane i dvorane horodskii i vse pospol’stvo v zhode meži soboju byli, a dela by naši h(ospo)d(a)rs’
’skie vsi z’
’
hodoju pospolu spravljali po davnomu, a symalis(’) by vsi pospolu na tom meste, hde pered tym syimyvalis(’) zdavna. A bez bojar meščanom i dvoranom horodskim i černi soimov ne nadobe činit’, vo vsich by rečach radilis’ tak, kak my im pravo dali.“PG 2, Nr. 195, S.111.
2 Der hier genannte großfürstliche Hofadel stellte nur eine kleine Anzahl von mittleren Char-gen dar, die sich erst Ende des 15. Jh. vergleichbar den Ministerialen um den fürstlichen Statthalter gruppierten, aber eben auch mit der Stadt verbunden waren. PG 4, S.107f.
3 PICKHAN (1992), S.230.
Der
Großfürst ordnete weiteran, die
Landesabgabe,der sich die
Bojarenund
ihre Hintersassen entziehen wollten,sei von nun an in
einer Truhezu
sammeln:„Und wir haben auch angeordnet, dass von den Bojaren zwei gewählt werden sollen, und von den Bürgern zwei, und von den Hofadligen zwei, und von der Gemeinheit zwei, gute und würdige
und treue, und wir haben ihnen dazu diesen Schrein mit vier Schlüsseln gegeben, wo diese Hilfe gesammelt werden soll: einen bojarischen Schlüssel, einen städtischen (mest’
’skii), und einen Schlüssel der Gemeinheit. So sollen sie alleine ohne den andern nicht an die Truhe, und auch, was sie herausnehmen und was sie verteilen, das soll bekannt sein, und Rechenschaft soll darüber geleistet werden, damit ihnen darin kein Schaden geschehe.“1
Damit sollte keine Gruppe
die
andere übervorteilen können.Die
vierSchlüs-sel
solltendas
Prinzip garantieren, dassdie
Genossenschaftnur
insgesamtund als
versammelte Menge handlungsfähig war: Rechenschaft überEin- und
Ausgaben solltevor den
übrigen Gruppenvertretern oder sogarder
Versammlung geleistet werden.Das
„dekret“
sollteaber
gleichzeitigeine
Versammlungsformverfesti-gen, die
ohneden
Statthalter auskamund
deren leitendes Organ schärfer umrissen war.Die
Zuständigkeitder
Schlüsselträgerlag
zumindestim
Einsammelnund
Hütender
Abgabefür den
Großfürsten.Die
Vorstellungvon
einer dauerhaftin-stitutionalisierten
und
nicht mehrnur
okkasionellen Öffentlichkeitin
einembe-stimmten Handlungsfeld
–
insbesonderedie
genossenschaftliche Rechenschaft überdie Ein- und
Ausgabendes
Kollektivs– ist für
Polock erstmit
diesem Dekret belegt.Die
rechtlichen undin
sich mehr und mehr genossenschaftlichorganisier-ten
Gruppen,die nur als
explizite Summeder
einzelnen Gruppenals
„Stadt“
auf-traten, trugendie
Burgbefestigungspflicht weiterhin gemeinsammit der
übrigen Bevölkerungdes
Landes. Ihren Beitragzu
einer allgemeinen „Landabgabe“
sammelten