Bi-schofs beschränkt.3
An sich
standsie
aberfür
eine Vorstellung,die
durchausvom
Bischof unabhängig war,da der
Besitzder
Sophienkathedraledem
Klerusund
nichtdem
Bischof unterstand.Die
Städter machtensich
dieses Kommunikations-elementin
Anlehnungan das
Novgoroder Vorbildzu
Eigen,wo der Sofija seit
Jahrhunderteneine
wesentliche Rollein der
kompensatorischen Legitimation kollektiven Handelnsder
Städter ohne oder gegenden
Fürsten zukam.CHORO
Š
KEVIČ
sprichtim
Zusammenhangmit der
Beseitigungdes
lokalen Fürstenund der
Umgestaltungder
regionalen Herrschaftmit
Verweisauf das
Stadtsiegel
von
einem „Dualismus“, der
damals zwischendem
Statthalterund
1 „A vam bljusti Poločanina kak by svojeho nem’’
čina, a my chočem vašeho nem’
’
čina bljusti kak by svojeho Poločanina.“PG 1, Nr. 17, 1396, S.64.
2 CHOROŠKEVIČ(1972a), S.140.
3 PG 1, Nr. 3, S.37.
den
Städtern entstand.Bis zur
Mittedes 15. Jh.
wurden,wie
1396,das
Siegelder Sofija und das des
jeweiligen Statthalters sehroft
gemeinsam verwendet, wobeidie
Statthalter auchdas
Sophiensiegelfür
ihre eigenen Dokumente gebrauchten.1Die
Benutzungdes
neuartigen Siegels fügtsich ein in die
Interpretationder Zeit als eine
Phase,in der in
einzelnen Kommunikationssituationendie
Legitimitätund die
Bereiche rechtlichen kollektiven Handelnsin
Polockneu
ausgehandeltund
hergestellt wurden.Ganz
deutlich wirddas
Austarierender
Handlungsspielräume unterden
loka-len
Akteurennach der
Beseitigungdes
Fürstenmit dem
Eingriffdes
Großfürsten 1397: Damals erklärte Vytautasden
Statthalterfür
unbefugt,im
Namen Litauens einen Friedenzu
schließen,und
bestrittdie
Gültigkeitdes im
Dokumentvon 1396
erwähnten Vertrags.2 „Auf
Befehl“ des
Großfürsten mussten darauf„ de nameste-nik to
Ploskouwe undede
Ploskouwers“ d en
„kopvrede“
gegenüberRiga
kündi-gen.3Von nun an
hattekein
Statthalter mehr Einflussauf die
Verhandlungund den
Abschlussvon
Handels-und
Friedensverträgender
Polocker. Stattdessenwa-ren nun die
Polocker berechtigt, auch ohneden
großfürstlichen Statthalteram
Ab-schluss
von
Verträgendes
Großfürstenmit Riga
oderan
deren Bestätigung mit-zuwirken. Nachdem Großfürst Vytautasdie
Befugnissedes
Polocker Statthalters eingeschränkt hatte, drohteer 1404 aber
auchden
Polockern (und nichtdem
Statthalter):
Er
wolltesie
bestrafen, fallssie
eigenmächtig Handelsvereinbarungenmit Riga
brächen.4 Gleichzeitig überließer es
ihnen, ohneden
StatthalterGe-sandte
zu
benennen,die
unterder
Obhutdes
Großfürsten Verhandlungenmit Riga
führen sollten. Zwar stützteder
Großfürstso die
Städter,um den
lokalenStatthal-ter und
Erbender
ehemals fürstlichen Position weiterzu
schwächen.Aber
auchsie
solltensich an
gewisse Einschränkungen haltenund ihr
Handlungsfeld nicht selbstständig ausweiten können.Charakteristisch
für die
Situationist der 1403 in
einer Urkundedes
Groß-fürsten Vytautas überlieferte Sachverhalt.Der
Großfürst schrieb darinden
Riga-ern, dass „cives Plocenses“ sich an ihn
gewendet hätten. Rigaer Gesandte„(...) hatten gefordert, mit den euren gemeinsam untereinander zu verhandeln, was die Polocker ohne unser Wissen und unseren Willen mit euch nicht tun wollten (qui Plocenses sine scitu et voluntate nostra talia vobiscum facere noluerunt). (...) Diese Polocker haben wir zu den Polotschanen zurückgeschickt, damit sie ihnen mitteilen, dass sie ihre Gesandten zu euch schicken sollen (...).“
So
solltensich die
Rigaer gemeinsammit den
Polocker Gesandtenan
einem vereinbartenTag in
Wilnain der
Gegenwartdes
Großfürsten einigen können.5 Gemäßdem Text
erwartetendie
Rigaervon den
Polockernein
eigenständigeres Handelns,als sich
diese gegenüberdem
Großfürsten erlauben wollten.Die
Polocker,die
damals durchden
Großfürsten unmittelbarin den
Ver-handlungsprozessmit Riga
eingebunden wurden, warenin der
nach außenge-1 CHOROŠKEVIČ(1972a), S.140.
2 PG 1, Nr. 17, 1396, S.64; PG 3, S.167f.; PG 1, Nr. 19, 1397, S.67; PG 1, Nr. 21, 1398, S.72.
3 HUB 5, Nr. 247 [1397], S.131.
4 RLU, Nr. 143, 1404, S.113.
5 PG 1, Nr. 32, 1403, S.90.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 119 richteten Kommunikation unerfahren
–
bisher hatteihr
Fürst diese Kommunika-tionsposition ausgefülltund
besaßdas
damit verbundene Handlungswissen.Die
Interaktion
mit den
Rigaernund
Vytautas,die im
Dokument festgehalten wurde, belegtein
umsichtiges Vorgehender
Polocker.Auch der
Gebrauchdes
Sophien-siegels zeigt, dassdie
Polocker,den
Bedürfnissen ihrer damaligen Situation ent-sprechend,sich
erfolgreich Verfahren aneignetenund neu
entwickelten,um eine
intern ausgehandelte kollektive Meinung nach außenmit
glaubhafter Legitimitätund
ohne Hilfedes
lokalen Herrschaftsträgers vertretenzu
können.Im
unmittel-baren Kontakt begannsich
unterden
neuen Rahmenbedingungenein
weitgehend neues Gefügevon
Interaktionssträngen zwischen Riga, Polockund dem
Groß-fürsten ohneden
Teilfürsten herauszugestalten.Im
deutlichen Gegensatzzur
In-teraktion zwischen Fürst
und
Städternim 12. Jh.
machtendie
Polocker–
zumin-destin der
Formulierungdes
Großfürsten– ihr
Handelnvom
Willendes
Groß-fürsten abhängig, nicht umgekehrt. Freilich fandendie
Verhandlungenmit
Riga auch nach1400
nicht immer ohnedie
Präsenzdes
Statthalters statt.1Ein
besonders eindrückliches Zeugnis selbstbewussterund
gewandter Argu-mentationder
Polocker ohne Hilfe eines Herrschaftsträgersmit
externen Partnernist der in der
Polocker Urkundensprache verfasste Entwurfzu
einem Vertragmit Riga von
1405.In ihm
zeigtendie
Polocker detailliertes handelsrechtliches Handlungswissen sowieden
Willen, ihre schriftlich erklärten kollektivenInteres-sen mit
Nachdruckden
Rigaern gegenüberzu
vertretenund als
Recht bestätigtzu
bekommen. Erstmals fasste
der von den
Polockern beauftragte Schreiber damit ohne Bezugzum
lokalen Herrschaftsträger äußerst langfristige Handlungshori-zontein
Worte. Bereitsin der
intitulatio setztendie
Polocker eine bisher unbe-kannte Adresseauf:
„Aber das wollen wir, die Polotschane, alle guten (vsi dobrii) und kleinen Leute, hoffend auf den heiligen Gott und die Gnade der Sofija sowie die Gesundheit des Großfürsten Vytautas, Liebe halten mit dir Fürst Meister, und mit deiner Bruderschaft mit allen Rittern.“2
Mit dem
Bezugauf
Gottund die Hl.
Sofija versuchtendie
Polocker, ihren Vorschlagzu
bekräftigen. Erstmals legitimiertensie
ihren gemeinsamen Willen gegenüber äußeren Partnernmit der Sofija als
Schutzherrin ihres kollektiven Han-delns.Die
Polocker bezeichnetenden
Vertragals
„Liebe“
(„
ljubov’“,
vgl. „ami-citia
“). Das
Schreibender
Städter wurde dadurchin
einen alten, etablierten Handlungszusammenhang gebracht.Der Text
zeigt,wie
klardie
langfristigen handelsrechtlichen Vorstellungender
Polocker waren.So
fordertensie:
„Aberan der
Burgstadt (horod(a) Pol’
tesk)vorbei darf kein deutscher Kaufmann gehen,
die
Deutschen müssenin
Polock 1 Um 1400 wird ein Schreiben des Olderman und des „gemeinen [deutschen, S. R.] Kauf-manns“zu Polock nach Riga datiert, worin diese berichteten, sie seien „myd den twen ruschen [Vertretern des Großfürsten? S. R.] utscritten [ausgeschritten, S. R.] vor denna-mestniken unn vor de ploskouwer“. Bei dieser Versammlung des Statthalters gemeinsam mit den Städtern standen Zwiste im Zusammenhang mit dem auszuhandelnden Vertrag im Vor-dergrund. RLU, Nr. 135, um 1400, S.105. Vgl. die zwei den Rigaern vom Großfürsten gege-benen Begleiter: RLU, Nr. 126, ohne Jahr, S.96f.
2 PG 1, Nr. 35, S.96.
Handel treiben.
“ 1 Das hier
formulierte Projektder
orthodoxen Polocker,die
Rigaer nicht über Polock hinausnach
Vitebskund
Smolensk fahrenzu
lassen, macht deutlich, dasssie in
einem mitteleuropäischen handelsrechtlichen Horizont dachten:Auch die
Rigaer versuchtendas
Stapelrechtzu
erlangen,so
dass Kauf-leute sowohlaus dem
hanseatischenRaum als
auchaus dem
Osten ihre Warenin Riga
verkaufen sollten.2 Diese Forderung konntendie
Polockerzu
diesem Zeit-punkt aber nicht durchsetzen.Ganz im
Einklangmit den
Bestimmungen mittelalterlicher Rechtsstädtezum
Gastrecht3 verlangtendie
Polockerin
diesem Entwurf auch, dassdie
Rigaer keinen Kleinhandel treibenund
ausschließlichin der
Burgstadt Polock handeln dürften, nichtaber in den
Wäldern, Sümpfenund
Dörfern.
Die
Deutschen sollten–
ebenfallsin
Anlehnungan
verbreitetes Gastrecht– nur
durchdie
Vermittlung eines Polocker Kaufmannesund
lediglichmit
großen Mengen handeln.4Nach
westlichem Vorbild wolltensie die
regionale Marktfunk-tionin der
Burgstadt monopolisierenund
beanspruchtenden
begehrten,d. h.
ent-wickelten Klein- und Nahhandel
für
sich.5Der
Vertragsentwurf besagt, dass Rigaerin Riga und
Polockerin
Polockge-richtet werden sollten.
Der
Heimatortund
damitder
Bürgerortdes
Beschuldigten sollte Gerichtsstand werden. Dieses Vorgehen standim
Widerspruchzu den
meisten Vereinbarungen zwischen spätmittelalterlichen mitteleuropäischen Städten,
die in der
Regel Gastgerichte kanntenund
Fremde nach deren Recht richteten.6Es
entsprach aberder
Logikder
Ordnungfür die
deutschen Kaufleutein
Polockvon
1393: Autonomes Kaufmannsrecht (der Deutschen) wurde auchin
Polock
der
Ratsgerichtsbarkeit(in
Riga) unterstellt.Der
erste Schrittzur
Ablö-sungvon
Kaufmannsrecht durch Bürgerrechtwar
damit getan.7Von
Bedeutungist,
dasssich die
Polockerin
ihrem Vertragsprojekt1405 die
Gerichtsbarkeit über ihre Städter selbst zuschrieben, ohneden
Statthalterzu
erwähnen:„Und wird unser Polotschanin in Riga straffällig, dann sollen ihn die Deutschen in Riga nicht bestrafen, sondern ihn nach oben lassen, damit ihn dort seine Polotschanen bestrafen (ino eho tam svoi Poločan(e) kaznjat(’)).“
An
gleicher Stelle legitimiertendie
Polockerdie
Rollevon
Gesandtendeutli-cher als je
zuvormit
einem kollektiven Rechtsbewusstsein:1 PG 1, Nr. 35, S.97.
2 HOLLIHN (1935), S.110f.; S.116f., S.130; vgl. auch ZÜHLKE (2002), S.227f. sowie ANGER-MANN (1995), S.122f. Von der Mitte des 15. Jh. an behinderten die Polocker die Weiterfahrt der Rigaer aktiv. SCHROEDER (1917), S.71–81.
3 J. WEITZEL, „Gast, -recht, -gericht“, in: LexMA 4, Sp.1630f.
4 PG 1, Nr. 35, 1405, S.96. Das Gästehandelsverbot zwischen fremden Kaufleuten in Riga war im 13. Jh. festgehalten, dann aber wieder entschärft worden. Von 1376 an war aber der Kleinhandel unter Gästen untersagt. ZÜHLKE (2002), S.228f.; zum Verbot des Handels mit Polockern nach 1470: TIBERG (1975), S.48f. Auch die Novgoroder erlaubten den Polockern nicht, frei mit den Deutschen in Novgorod Gästehandel zu betreiben.
5 PG 1, Nr. 35, 1405, S.97. GOETZ (1916), S.346; HILDEBRAND (1873), S.342f.
6 SCHULTZE (1908); EBEL (1971), S.375–378.
7 Vgl. EBEL (1971), S.379f.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 121
„Und dazu haben wir zu euch gesandt unsere guten ehrlichen Leute (...), damit ihr unserem Gesandten reine Wahrheit [beziehungsweise Recht: dati pravda, S. R.] gebt, ohne jede List, und
unser Gesandter euch reine Wahrheit gibt ohne jede List gemäß unserem Recht (našim pravom).“1
Die
Passage belegtdie
Idee eines eigenen Rechts („
unser Recht“ ) der
Polocker,
das auf den
alten Handelsverträgenund
auchden
Vereinbarungenmit den
Fürsten beruhte, jetztaber
ohneden
Fürstenund
ohneden
Statthalter denkbarund
beschreibbar war.In
diesem Bewusstseinum ein
eigenes Recht legitimiertendie
Polocker1405
neue Ansprüche. Ganz selbstverständlich übernahmensie
rechtliche Argumentationsstrategiender
Rigaer Nachbarnund
weitetenmit
diesen Sätzenihr
Handlungsspektrum.Der in
konkreten Kommunikationssituationen wiederholte handelsrechtliche Sprachgebrauch festigteein
zusammenhängendes Sprach- und Handlungsfeld. Dieses entfaltete eine eigendynamische Logik,der sich
zumindestdie
Kaufleute unterden
Polockern nicht entziehen konnten. Unterdem
Schutzdes
Großfürsten begannen auchsie,
ihren Statusund
ihre Handelsbe-dingungenmit
rechtlichen Argumentationsfiguren auszuformulierenund in Form von
Rechtssätzenin
Verträgenmit
westlichen Partnern bestätigenzu
lassen. Zwar konntensie sich nur
teilweise durchsetzen.Doch
einmal formuliertund
sagbar oder schreibbar gemacht, wurden diese Forderungen währenddes
ganzen15. Jh.
nicht mehr zurückgenommen.
Die
Polocker handeltenden
Vertragmit Riga von 1406
ohneden
Statthalter aus,und
andersals noch 1338
spielteauch der
Polocker Bischof dabei keine Rolle mehr.2Das
Aushandelnund
Ratifizierenvon
Handelsverträgen wurdein
dieser Situationdes
Umbruchszur
Sacheder
Städter–
nicht aberihr
tatsächlicher Ab-schluss,der dem
Großfürsten oblag.Der 1406
abgeschlossene Vertragvon
Kopussagalt als
„freundschaftliche Einung“(„vruntlike eninghe“beziehungsweise „composicionem amica-bilem“) „inter civitatem nostram Ploskoviensem ab una et civitatem Rigensem partibus ex alterea“beziehungsweise „tusschen der unsen stad Ploskow, an ener syde, und der stad Rige, an der andern syde.“3
Auf die
auchals
„pax
perpetua“4
bestimmte Einung wurdeim
handelsrechtli-chen, verschriftlichten Sprachgebrauchdes
ganzen15. Jh. als
„ewige[s]Schrei-ben“
(„
vě
čnye zapisi“)
Bezug genommen.5 „Den
Polockern“kam die
Aufsicht überden
Stadtfriedenzu –
wenigstens lautdem
niederdeutschenund dem
lateini-schen Text:„Sunderlik so scholen de Ploskowere unde de Rigere sik under den andern beschermen, vor-hegen unde bevreden, ghelich sik sulven, in eren steden.“Beziehungsweise lateinisch: „ Speciali-ter Ploskovienses et Rigenses inter se mutuo defendere, tueri debent et pacificare sicud se ipsos in civitatibus propriis eoarum.“
1 PG 1, Nr. 35, 1405, S.97.
2 PG 1, Nr. 35, 1405, S.96f.
3 PG 1, Nr. 37, 1406, S.100.
4 PG 1, Nr. 38, 1407, S.113: „by toe smiren’e věčno stojalo neporušeno“. Der Terminus kann freilich auch weiterhin für den Vertrag von 1229 weiterverwendet worden sein.
5 Vgl. PG 2, Nr. 177, 1480, S.84.
Die
gegenseitige Pflichtzum
Schutzund zur
Verteidigungder
Fremden durchdie
Einheimischenwar
hier räumlich beschränktauf die
Städteund
ergänzt durchdie
Pflicht, diesezu
befrieden. Damitwar sie
präziser formuliertals in der
Ur-kunde
von
1396.Sie
stellteeine
höhere Intensität eines Rechtsfriedensdar als die
frühere Pflicht,
von
Fremden eingeklagte Rechtskränkungen oder Ehrverletzungenmit
Bußenvor
Gerichtzu
sühnen.Mit der
gegenseitigen Schutz-und
Friedens-pflicht solltendie
Polockerdie
mitteleuropäische rechtliche Vorstellungüberneh-men,
dassdie
Stadt einenRaum
darstellte,der für alle
besonders befriedet war, nichtnur für die
Fremden unterdem
Schutzdes
Geleits. Dieser Stadtfrieden bean-spruchte auchfür die
Beziehungen unter Einheimischen Geltung, solltensie doch den
Fremden nicht anders, sondern„ in
ihren Städten gleichwie sich
selbst schützen“ und
„befrieden.“ Die
Schutzpflichtwar
nichtauf
Handelsangelegen-heiten beschränkt, sondern bedeuteteden
allgemeinen Schutzvon
Recht,Gut und
Leben. Erstmals kann jetztvon
einem eindeutigenund dem
Anspruchnach
be-sonders geschützten Stadtfrieden
die Rede
sein,der –
garantiert durchden
Groß-fürsten–in der
lokalen Verantwortungder
Städterlag. Ein
solcher expliziter Rechtsfriedenist für
ostslawische Städte ohne rechtsstädtische Privilegien meines Wissens einzigartig:In
Novgorod kann lediglichfür die
äußeren Beziehungen oderfür die
Verträgeder
Stadtzum
Fürstenein
Rechtsfrieden nachgewiesen wer-den, aber nichtfür
Streitfälle zwischenden
Novgorodern.Ein
expliziter ‘interner’
Friedensbruch war
in
Novgorod nicht denkbar.1Der
Vertragvon
Kopussa wurdein
seiner niederdeutschen Fassung unverän-dert 1439von
Großfürst Sigismundund
1447von
Großfürst Kasimir bestätigt.2Er
erlangte damit mehr Bedeutung
als die 1407
ausgestellte,in der
Polocker Urkun-densprache abgefasste Bestätigungsurkundezum
Vertragvon
1406,in der
die-selbe Bestimmung, freilich ohnedas
Wort „befrieden“,
formuliert war.3 Aber auchin
diesemText
wurdedie
gegenseitige Verteidigung unterden
Polockern formuliert undder
Bezugzur
Stadt explizit gemacht: „zwischender
Polocker Stadt (horod)und der
Rigaer Stadt (horod)“
galt der
Friede.4Im
Handelsvertragvon
Kopussahieß es
sodannwie im
Polocker Entwurfvon
1405:„Unde weret, dat jenich kopman van Ploskow tho Rige breke, den schal men kegen Ploskow senden unde dar na dem rechte richten“beziehungsweise lateinisch: „(...) in Ploskoviam mitti debet et ibidem secundum illa jura judicari.“5
1 Für ein Bewusstsein um einen solchen Frieden, der mit der Gerichtsbarkeit enger als früher verbunden war und vor allem explizit als solcher bezeichnet wurde, steht die im Polocker Landesprivileg enthaltene und auf das Ende des 14. Jh. datierte „mirščina“: Diese Abgabe war dem Gerichtsdiener des Statthalters zu entrichten, wenn sich zwei Polocker vor diesem
„deckij“versöhnten. Sie entsprach dem Friedensgeld früh- und hochmittelalterlicher west-europäischer ‘Volksrechte’. Vgl. ROHDEWALD (2002b), S.166; PG 3, Nr. 323, S.90; PG 5, S.21f. Im Magdeburger Recht war analog die „Friedebusse“bekannt. PLANCK (1878), S.137f.
2 PG 1, Nr. 52 a, 1439, S.134; Nr. 78, 1447, S.164; HELLMANN (41990), S.46, S.49.
3 „A Poločjanom bljusti rižanina u Polocku kak sebe, a rižjanom bljusti Poločjanina u Rizě, sebe boronjati.“PG 1, Nr. 38, S.110.
4 PG 1, Nr. 38, S.109.
5 PG 1, Nr. 37, 1406, S.101.
C.II Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490 123
Laut den
bisherigen Verträgen hatten fremde Verbrecheram Ort des Gesche-hens
gerichtet werden sollen.Die
Folge dieser neuen rechtlichen Logik führte dazu, dassdie
Polocker jeweils Schreiben über gerichtliche Abklärungenin Po-lock nach Riga
senden mussten,um
dortdie
Verurteilungvon
Rigaernzu
errei-chen. Diese Schreiben machenden
größtenTeil der
heute erhaltenen Quellen aus.Die
Notwendigkeit ihrer Erstellung führtezu
einem qualitativund
quantitativ neuem Umgangmit
Schriftlichkeit sowiezu
neuen Formenvon Zusammenkünf-ten. Im
Vertragvon
Kopussa wurden auchdie
Regelungendes
Vertragsvon 1338
überdie
Waageneu
formuliert.1Die
Städter gewannennun die
Zuständigkeit über Dinge,die mit der
Waage zusammenhingen,und
beerbten darinden
Bischofund den
Fürsten.Der
Wäger dürfteim 15. Jh.
nicht mehr,wie noch im
Vertragvon
1338 festgeschrieben,ein
fürstlicher oder bischöflicher2 Amtsträger gewesen sein, sondern wurde offenbarvon den
Bojarenund
Städtern eingesetzt.Im 15. Jh. flos-sen die
Einnahmenaus der
Waagein die
Kasseder
Polocker Städter.3Auch
in der
Handelsaufsicht erlangtendie
Polocker gemäß ihremim
Ver-tragsprojekt erklärten Wunsch Einfluss.Der
Kleinhandel wurde sowohlin Riga als
auchin
Polockden in der
jeweiligen Stadt ansässigen Kaufleuten vorbehalten.Darüber hinaus sollten
die
Städter fortan dieses thematischeFeld in
eigener Regie regeln können.Es
solltendie
Bestimmungen gelten,so
„(...) wie die Polocker in Polock und die Rigaer in Riga setzen und machen (settende unde
makende; fac
ere
et
are; ordinunimč i
i postavim) werden, oder unter sich später sich darüber einig werden (ens werden; concordare; a ljubo kak možem meži sebe urovnat(i)).“4Mit
dieser Regelung gewannendie
Polocker Satzungsgewalt überden
Markt-handel,ohne dass
dabeivom
Statthalterdie Rede
gewesen wäre. Dieser Grundsatzdes
Vertragesvon 1406
gingauf
Rigaer Einfluss zurück– im
Polocker Entwurfvon 1405 war er
nicht enthalten gewesen.Es
bleibtzu
untersuchen,ob die
Polocker diese wichtige Befugnis tatsächlich ausübten. Laut
der
Bestätigungdes
Vertragesvon
Kopussa durchdie
Polockerim Jahr 1407
sollten– wie in
ihrem Projektvon 1405 –
explizit„ die
Polocker“
zuwiderhandelnde Polocker „gemäß ihrem Recht“
richten:51
Die Kosten für die Reparatur der Geräte sollten die Polocker fortan selbst zu tragen haben:„so scholen de Ploskowere se tho Rige senden und upp ere koste unde theringhe na den olden loden weder maken und beteren laten.“PG 1, Nr. 37, S.102.
2 Er mag unter dem Schutz des Bischofs gestanden haben, zumal der Vertrag von 1338 von letzterem mitbesiegelt wurde. PG 1, Nr. 4, 1338, S.39.
3 Im Landesprivileg von 1511 stellte Großfürst Sigismund fest, dass die Bojaren und die Bür-ger schon zu Zeiten seiner Vorfahren die Wägegebühren eingenommen hätten, bevor sie sein Vater Großfürst Kasimir (1440–1492) ihnen zusprach. PG 1, Nr. 112, 1407, S.112. Die Quelle, mit der DANILEVIČuntermauert, dass in Polock gewählte Vertreter der Städter die Wäger neben fürstlichen Beamteten überwachten, bezieht sich auf eine andere Stadt.
DANILEVIČ(1896), S.208; AJuZR 1, Nr. 4, 1396–1413, S.2f.
4 PG 1, Nr. 37, 1406, S.100f.; Nr. 38, 1407, S.109.
5 „Poločane osudjat’po svoemu pravu“. Nr. 38, 1407, S.109.
„Und wenn ein Polotschane in Riga sich vergeht, dann sollen sie diesen nach Polock schicken, damit ihn dort die Polotschanen gemäß ihrem Recht richten“(„ino eho tam Poločjane osudjat’po svoemu pravu“).1
Weder
der
niederdeutschenoch der
lateinischeText von 1406
nanntenan
die-ser
Stelle Akteure. Beide ließen offen,wer die
Gerichtsgewalt trug.Der
Über-setzungsunterschiedkann als
Autonomieanspruchder
Polockerin
Handelsangele-genheiten gegenüber ihrem großfürstlichen Statthalter gelesen werden. Anderer-seits wurdeder
niederdeutsch gehaltene Vertragvon 1406 in der
Folge zweimal ohne Veränderung bestätigt.Es
bleibtzu
untersuchen,ob die
Polockermit
oder ohneden
Statthalterin
Angelegenheiten richteten,die
durchden
Vertrag geregelt wurden.Auch für den
städtischen Sonderfrieden,der 1406
klarerals in den
älteren Verträgendes 13. und 14. Jh. als
ausdrücklicher Rechtsfriedensbereich bestimmt wurde, bleibtim
Augezu
behalten, welchen Niederschlag diese Vorstellungin der
Weder