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SATZ 11.25 (Langfristige Wirkungen staatlicher Verschuldungspolitik) 169 Bei positiver Geburtenrate und solange im Wachstumsgleichgewicht die

11.4 Staatsschuldneutralität. Eine kritisch-systematische Rekonstruktion

11.4.1 Die theoretische Debatte

11.4.1.1 Unvollkommene Kapitalmärkte

Unter der Prämisse vollkommener Kapitalmärkte können private Wirtschafts-subjekte zu denselben Bedingungen Kredite aufnehmen oder vergeben wie die öffentliche Hand, der daher keine Funktion als Finanzintermediär zukommt. Im Umkehrschluß stellt ein gebräuchliches Argument gegen die Neutralität staat-licher Verschuldungspolitik die Liquiditätsbeschränkung privater Haushalte dar. Solche Liquiditätsbeschränkungen liegen vor, wenn private Haushalte im Volumen der von ihnen aufgenommenen Kredite von der anderen Marktseite kontingentiert werden (Kreditrationierung) oder auf von ihnen aufgenommene Kredite einen höheren Zinssatz zahlen müssen als sie auf von ihnen gewährte erhalten ( differenzierte Zinssätze ).182 Neben Transaktionskosten betont die neuere mikroökonomische Literatur - im Anschluß an die grundlegende Arbeit von Stiglitz und Weiss (1981) - asymmetrische Information als ökonomische Hauptquelle von Unvollkommenheiten realer Kapitalmärkte. 183 Die Möglichkeit

181 Vgl. auch Barro (1981), S. 231; Grass) (1984), S. 37-39; Bemheim (1987), S. 264f.;

Leiderman und Blejer (1988, S. 6) sowie Huber ( 1990a), S. 87.

182 Vgl. Hayashi (1985), S. 1.

183 Eine der impliziten Annahmen der traditionellen Wohlfahrtsökonomik ist, daß die Eigen-schaften ökonomischer Güter von allen Marktteilnehmern vollständig beobachtbar sind.

Die Informationsökonomik gibt diese Annahme auf und macht zum Ausgangspunkt ihrer Analysen private Information im Sinne eines Informationsvorsprungs eines der

Marktteil-potentieller Kreditnehmer, ihre (zukünftigen) Einkommensströme falsch darzu-stellen (,,adverse selection") bzw. bei endogener Einkommenserzielung zu ver-ändern (,,moral hazard"), lassen Humankapital für potentielle Kreditgeber zu einer schlechten Sicherheit werden. Im Zusammenspiel mit rechtlichen Be-schränkungen der Inanspruchnahme des Humanvermögens von Schuldnern durch Gläubiger führen unbeobachtbare Risiken daher zu Kreditrationierungen von Seiten potentieller Darlehensgeber. 184 Auch empirisch finden sich substan-tielle Nachweise, daß zumindest ein moderater Teil (20%-25%) der Bevölke-rung entwickelter Volkswirtschaften liquiditätsbeschränkt ist. 185 Allerdings bleibt in der Gesamtschau der empirischen Evidenz unklar, welche (quantita-tive) Bedeutung diese Kapitalmarktimperfektion für den aggregierten Konsum solcher Ökonomien besitzt.186

Die Bedeutung von Kapitalmarktunvollkommenheiten für die Frage Ricardiani-scher Äquivalenz ergibt sich aus der Tatsache, daß wenn der Staat Schuldver-schreibungen an einen privaten Haushalt ausgibt, deren Tilgung und Verzin-sung dieser zu einem späteren Zeitpunkt mit gestiegenen Steuern finanziert, der Staat im Endeffekt stellvertretend für den privaten Haushalt einen Kredit auf-nimmt. Besitzen öffentliche Institutionen beim Zustandebringen solcher impli-ziten Kreditverträge geringere Transaktionskosten als der private Sektor bei marktlicher Finanzintermediation, dann ist der Zinssatz, zu dem der Staat leiht und verleiht, niedriger als der, der einzelnen Kreditnehmern auf dem privatwirt-schaftlichen Kapitalmarkt angeboten wird. Aufgrund dieses Unterschieds in den

nehmer bezüglich eines für die Transaktion relevanten Merkmals. Ihre Entwicklung bildet den Mittelpunkt des theoretischen Fortschritts der Mikroökonomik der siebziger und achtziger Jahre. Allgemeine Darstellungen der Informationsökonomik finden sich in Kreps (1990), S. 574-719 sowie Mas-Colell, Whinston und Green (1995), S. 436-510.

Die Bedeutung asymmetrischer Informationen für die moderne (,,Neue") Finanzwissen-schaft würdigen Richter und Wiegard (1993a), S. 180-192.

184 Vgl. Stiglitz (1988), S. 66.

185 Eine Übersicht über die empirische Literatur zu Kapitalmarktunvollkommenheiten bietet Hayashi ( 1985).

186 Vgl. Auerbach und Kotlikoff (1995), S. 564-566 sowie Romer (1996), S. 69. Hubbard und Judd (1986) betonen die kurzfristige quantitative Bedeutung von Liquiditäts-beschränkungen für den aggregierten Konsum. Unter der Annahme, daß 20% der Bevöl-kerung liquiditätsbeschränkt sind, führt in ihrer numerischen Simulation eine Umstellung von Defizit- auf Steuerfinanzierung von I Euro zu einer Erhöhung gegenwärtigen Kon-sums um bis zu 25 Cents, während die Konsumquote aus der gegenwärtigen Steuersen-kung bei vollkommenem Kapitalmarkt nur 5% beträgt.

Zinssätzen erhöht eine gestiegene öffentliche Verschuldung das Nettovermögen privater Akteure: Die Privaten tauschen beim Fiskus einen erhöhten staatlichen Anspruch auf eine für sie selbst hoch illiquide Vermögensanlage, ihr zukünfti-ges Einkommen, gegen ein hoch liquides Vermögensaktivum, Staatsschuld, ein. 187 Staatliche Verschuldungspolitik besitzt daher realwirtschaftliche Auswir-kungen.188

Ein verwandtes, schon von Barro (1974, S. 1110-12) gewähltes Argument stellt auf den Staat als Kreditvermittler in einer Volkswirtschaft ab, in der zwei Typen privater Haushalte unterschiedlichen Zugang zum Kreditmarkt besitzen. Die Aufteilung der ermöglichten Steuerkürzung zwischen den beiden Bevölke-rungsgruppen sei identisch mit der Aufteilung der zukünftigen höheren Steuern, die zur Bedienung der zusätzlichen Verschuldung benötigt werden. Der Kauf einer Schuldverschreibung durch ein Wirtschaftssubjekt mit niedrigerem priva-tem Zinssatz ist dann effektiv ein Kredit von der Bevölkerungsgruppe mit bes-seren Sicherheiten an die Bevölkerungsgruppe mit höherem Schuldnerrisiko.

Liquiditätsbeschränkte Wirtschaftssubjekte reagieren darauf mit einer Erhöhung ihres Konsums, staatliche Verschuldungspolitik ist nichtneutral. 189

In beiden Fällen folgt die Nichtneutralität letztlich aus der Tatsache, daß die Ausgabe von Schuldpapieren durch die öffentliche Hand eine nützliche Form der Finanzintermediation darstellt. 190 Dabei beruht der Vorteil des Staates

ge-187 Vgl. Woodford (1990), S. 382.

188 Diese Idee wird in ein formales Modell der Kreditrationierung eingebettet durch Webb (1981). Das grundlegende Argument findet sich aber bereits bei Tobin (1980). Vgl. auch Grass! (1984), S. 92-102 sowie Leidermann und Blejer (1988), S. 11 f.

189 Vgl. auch Barro (1981), S. 233f.; Barro (1989a), S. 212f. sowie Aschauer (1988a), S. 49f.

190 Ein spezieller Fall der Kreditrationierung privater Haushalte ist die fehlende Beleihbarkeit von Humankapital. Mundell (1971, S. 13) hat früh auf die Unterkapitalisierung von Volkswirtschaften mit fehlender Marktgängigkeit von Humanvermögen verwiesen.

Drazen (1978, S. 512-515) zeigt, wie aus dem Fehlen organisierter Märkte für Human-vermögen die Nichtneutralität staatlicher Verschuldung folgt. In seinem Modell können Individuen nur in das Humankapital ihrer Kinder, nicht in ihr eigenes investieren. Da da-mit die Erträge einer Humankapitalinvestition in Form höherer Löhne der Folgegenera-tion zufallen, kann die ElterngeneraFolgegenera-tion diese nicht internalisieren; um Konsummöglich-keiten in ihre Altersperiode zu überführen, sind Wirtschaftssubjekte daher gezwungen in die annahmegemäß weniger ertragreiche Vermögensform physisches Kapital zu investie-ren, die Humankapitalausstattung der Wirtschaft bleibt zu gering. Staatliche Verschul-dung ermöglicht es in einer solchen Wirtschaft der älteren Generation, die nachfolgende Generation mit einer Verbindlichkeit zu belasten, die es ihnen wiederum erlaubt, sich auf Investitionen in Humankapital zu spezialisieren. Selbst wenn intergenerative

Transfer-genüber dem privaten Sektor entscheidend auf dem Recht des Staates, Steuern zu erheben, ein Recht, das in privaten Transaktionen nicht imitiert werden kann.

Indem die öffentliche Hand implizit die Rückzahlung des Kredits durch ihre Steuerhoheit, also letztlich das staatliche Gewaltmonopol, garantiert, ermöglicht staatliche Schuldenpolitik indirekte Kredite, die auf dem unvollkommenen Ka-pitalmarkt privatwirtschaftlich nicht vermittelbar sind. Staatliche Verschuldung ist in diesem Sinne äquivalent zu einem technologischen Fortschritt, der die Funktionsfähigkeit der Kreditmärkte einer Volkswirtschaft und die intertempo-rale Allokation ihrer Ressourcen verbessert.191

Die voranstehende Wirkungsanalyse staatlicher Verschuldungspolitik bei un-vollständigen Kapitalmärkten weist allerdings zwei signifikante Schwachstellen auf. Erstens weist Kitterer (1986, S. 282) zu Recht daraufhin, daß die verdeckte Annahme, daß die öffentliche Hand effizienter als Kreditvermittler tätig werden kann als private Märkte, auf der Vernachlässigung der Kosten der Steuererhe-bung beruht. Wenn Individuen schlechte Risiken auf privaten Kreditmärkten darstellen, so daß ihre Schuldenaufnahme hohe Transaktionskosten der Bewer-tung, Überwachung und Absicherung einer Kreditvergabe bedingt, so stellen sie in der Regel auch als zukünftige Steuerzahler ein ähnliches Risiko dar. Der Staat muß die höheren Risiken und Kosten der Steuereinziehung bei dieser Gruppe von Zensiten durch zusätzliche Steuern decken. Denn auch der Staat kann zahlungsunwillige Steuerschuldner nicht voraussetzungslos oder kosten-frei ihres Humanvermögens expropriieren, sondern muß im demokratischen ver-faßten Rechtsstaat dafür das öffentliche Rechts- und Gerichtswesen in An-spruch nehmen. Zwar sind die gesetzlichen Regelungen in bezug auf

motive wirksam sind, führt die Einführung bzw. Erhöhung staatlicher Verschuldung in einer solchen Ökonomie daher zu einer Ausweitung der Menge der Konsummöglich-keiten der Privaten. Staatliche Verschuldungspolitik ist nicht neutral, sondern wohlfahrts-steigemd. Vgl. auch Kitterer (1986), S. 284f.

Huber (1990a; S.195-232) konzipiert eine staatliche Verschuldung, die einen Ersatz für den fehlenden privaten Handel in Humankapital schaffi. Auf diesem Weg können durch zusätzliche Diversifikationsmöglichkeiten Risiken der längerfristigen Einkommens-entwicklung besser zwischen Individuen geteilt werden.

191 Bestünde wirklich eine solche Überlegenheit des Staates als Finanzintermediär, müßte der Staat konsequenterweise sogar das gesamte privatwirtschaftliche Kreditvolumen über-nehmen und die entstehenden (Transaktions-)Kostenvorteile an die Privaten weitergeben.

Dies könnte dann allerdings besser durch ein direktes Kreditprogramm des Staates als

privatwirtschaftliche Kreditschulden einerseits und Steuerschulden der öffent-lichen Hand gegenüber andererseits unterschiedlich, es ist aber a priori nicht zwingend, daß die Gesamtkosten des Staates niedriger sind als die des Privat-sektors.

Ein zweites zentrales Problem der bisher besprochenen Argumente liegt darin, daß sie Liquiditätsbeschränkungen als exogen gegeben betrachten. Wie die neueren Arbeiten der Informationsökonomik betonen, sind Kapitalmarkt-unvollständigkeiten als Folge asymmetrischer Informationen aber endogene Er-gebnisse ökonomischer (Modell-) Gleichgewichte. Entsprechend hängt die Wirksamkeit staatlicher Verschuldungspolitik entscheidend davon ab, wie die Unvollkommenheiten der Kreditmärkte selbst auf staatliche Finanzpolitik rea-gieren. Wenn die öffentliche Hand zusätzliche Schuldverschreibungen ausgibt, erhöht sie damit zugleich die zukünftigen Zahlungsverpflichtungen privater Haushalte und damit das Risiko privater Kreditvergabe. Rationale Kreditgeber reagieren darauf mit einer Einschränkung des von ihnen vergebenen Kredit-volumens. Besitzt der Staat in bezug auf zukünftige Einkommensströme der Kreditnehmer keinen Informationsvorteil gegenüber dem Privatsektor, kann staatliche Verschuldungspolitik allein die Dispositionsmöglichkeiten der Pri-vaten nicht verbessern. 192 Um die Budgetmenge privater Haushalte zu erweitern, muß der Staat vielmehr zusätzlich Ressourcen innerhalb von Generationen um-verteilen: in der Jugend von Kreditgebern zu rationierten potentiellen Kredit-nehmern, im Alter in umgekehrter Richtung. 193

Die Auswirkung von Liquiditätsbeschränkungen auf die Gültigkeit Ricardia-nischer Äquivalenz hängt also letztlich davon ab, welcher Natur die Kapital-marktimperfektionen sind. Wenn empirisch relevante Liquiditätsbeschränkun-über den indirekten Weg zusätzlicher Staatsverschuldung realisiert werden. Vgl. Barro (1974), S. 1112; Barro (1989b), S. 44 sowie Aschauer (1988a), S. 50.

192 So stellt Hayashi (1985, S. 29-35) Fälle dar, in denen der Betrag, den private Haushalte leihen können, eins zu eins mit der Ausgabe staatlicher Schuldverschreibungen abnimmt, so daß Ricardianische Äquivalenz auch bei Vorhandensein von Liquiditätsbeschränkun-gen auf privaten Kapitalmärkten gilt. Daß Ricardianische Äquivalenz ihre Gültigkeit be-hält, wenn Kreditrationierung aus dem fundamentalen Grund existiert, daß alles zukünf-tige Einkommen unsicher ist, bestätigt auch Yotsuzuka (1987).

193 So zeigen Altig und Davis (1989) Fälle, in denen Kreditrationierung zur Verletzung der Staatsschuldneutralität führt, unabhängig davon, ob Transfermotive zwischen Genera-tionen wirksam sind oder nicht. Vgl. auch Azariadis (1993), S. 307 sowie Romer (1996),

s. 69f.

gen vorrangig der Natur sind, daß die Ausgabe staatlicher Schuldtitel ein Element in die Wirtschaft einführt, das in privaten Transaktionen nicht imitiert werden kann, sind unvollkommene Kapitalmärkte in der Lage, signifikante realwirtschaftliche Wirkungen öffentlicher Verschuldung zu begründen; anson-sten bleibt staatliche Schuldenpolitik neutral.